L 11 KA 39/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 16 KA 16/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 39/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2012 abgeändert. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21.12.2011 wiederherzustellen, wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Umstritten ist, ob der als Facharzt für Anästhesiologie in einer Gemeinschaftspraxis in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Antragsteller vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien ist.

Nachdem der Antragsteller unter Hinweis auf eine beidseitige Glaskörpertrübung ein ihm auferlegtes Nachtfahrverbot nachgewiesen hatte, wurde er mit Bescheid vom 10.08.2006 nach § 11.3 a der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (GNO) vom 12.12.2001/26.01.2002 bis auf Widerruf von der Teilnahme am organisierten ärztlichen Notfalldienst antragsgemäß befreit. Mit nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenem Schreiben vom 13.09.2011 hob die Antragsgegnerin durch den Leiter der Bezirksstelle Arnsberg diese Befreiung "ab sofort" auf und bat den Antragsteller, den Fahrdienst und Sitzdienst zu den angegebenen Terminen wahrzunehmen. Der Notfalldienstausschuss habe am 12.09.2011 den Widerruf der Befreiung beschlossen, weil die Ärzte mit Beginn der Notfalldienstreform zum 01.02.2011 im Fahrdienst zu den Hausbesuchen von einem Fahrer abgeholt würden und damit die Gründe für eine Befreiung entfallen seien.

Unter dem 23.10.2011 stellte der Antragsteller erneut einen Befreiungsantrag und führte aus: Wegen des bestehenden Nachtfahrverbots könne er die 40 bis 70 km entfernt gelegenen Standorte des Sitzdienstes nachts nicht anfahren. Im Übrigen seien er und sein Praxispartner aufgrund ihrer Kooperation mit Kliniken in der näheren Umgebung und operativ tätigen niedergelassenen Kollegen täglich im Einsatz, denn neben ihrer anästhesiologischen Tätigkeit bei Operationen müssten sie alle notwendigen Rufdienste leisten und im Rahmen der intensivmedizinischen Nachsorge im Krankenhaus auch an den Wochenenden zur Verfügung stehen. Dabei anfallende Fahrten würden für ihn persönlich "hausintern" geregelt.

Mit Bescheid vom 29.11.2011 lehnte die Antragsgegnerin den Befreiungsantrag ab. Am 27.12.2011 legte der Antragsteller sowohl hiergegen als auch gegen den "Bescheid vom 13.09.2011" Widerspruch ein. Bereits unter dem 21.12.2011 hatte die Antragsgegnerin durch ihre Bezirksstelle Arnsberg einen "Bescheid über die Heranziehung zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst für die Zeit vom 01.02.2012 bis 31.01.2013" erlassen, mit dem sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Antragsteller gemäß beigefügtem Dienstplan für vier Fahrdienste und drei Sitzdienste einteilte. Am 03.01.2012 erhob der Antragsteller auch gegen diesen Bescheid Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 23.01.2012 führte die Antragsgegnerin erläuternd aus, dass der Antragsteller trotz seiner Widersprüche rechtmäßig zum Notfalldienst herangezogen worden sei und sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2011 keine aufschiebende Wirkung habe.

Hierauf hat der Antragsteller am 26.01.2012 beim Sozialgericht (SG) Dortmund um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat geltend gemacht, nicht zum Notfalldienst herangezogen werden zu können, solange die ihm seinerzeit unbefristet erteilte Befreiung nicht rechtskräftig widerrufen sei. Nachts anfallende Fahrten zu den Sitzdiensten könne er wegen der Einschränkungen seines Sehvermögens nicht wahrnehmen. Da er im Rahmen seiner anästhesiologischen Tätigkeit Tag für Tag Bereitschaftsdienst leiste, würde er durch einen zusätzlichen vertragsärztlichen Notfalldienst über Gebühr belastet. Er könne auch nicht gleichzeitig die anästhesistische Versorgung der Patienten in den Kliniken sicherstellen.

Der Antragsteller hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.12.2011 "anzuordnen".

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass es sowohl an einem Anordnungsgrund als auch an einem Anordnungsanspruch fehle. Der Antragsteller sei zu Recht zum ärztlichen Notfalldienst herangezogen worden. Die mit Schreiben vom 13.9.2011 erteilte "Altbefreiung" habe sich mit der Notfalldienstreform erledigt und stehe daher einer Heranziehung nicht entgegen.

Mit Beschluss vom 26.03.2012 hat des SG dem Antrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt. Der Heranziehungsbescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Zwar gehöre der Antragsteller als zur fachärztlichen Versorgung vertragsärztlich zugelassener Facharzt für Anästhesiologie zu dem Personenkreis, der zur Teilnahme an dem ärztlichen Notfalldienst verpflichtet sei. Diese Verpflichtung werde jedoch durch die mit Bescheid vom 10.08.2006 erteilte Befreiung suspendiert. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verwaltungsakt seine Wirksamkeit verliere, seien nicht erfüllt. Allerdings habe die Antragsgegnerin die Befreiung mit Schreiben vom 13.09.2011 widerrufen. Dieses Schreiben enthalte mit der Formulierung "Ich hebe Ihre Befreiung somit ab sofort auf." einen Verwaltungsakt. Der Widerrufsbescheid habe die Wirksamkeit der Befreiung jedoch deshalb (noch) nicht beenden können, weil ihm wegen des insoweit eingelegten Widerspruchs noch keine Wirksamkeit zukomme. Des Weiteren gebe es aber auch keine "endogenen", d.h. sich aus dem Befreiungsbescheid selbst ergebenden Gründe, aus denen sich dessen Erledigung annehmen lasse. Er enthalte insbesondere keine ausdrückliche Befristung für die Dauer der bei seinem Erlass maßgeblichen GNO vom 12.12.2001/26.01.2002. Ohne eine ausdrückliche Verknüpfung mit der Geltungsdauer jener GNO lasse sich ein solches Junktim mit der Folge eines automatischen Wegfalls der Befreiung nicht bejahen. Es sei zwar anerkannt, dass eine Erledigung auch dann anzunehmen ist, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts entfalle. Dazu zählten insbesondere Sachverhalte, bei denen für die getroffene Regelung nach der eingetretenen Änderung kein Anwendungsbereich mehr verbleibe bzw. bei denen der geregelte Tatbestand selbst entfalle. Entscheidend sei, ob - für den Adressaten erkennbar - Bestand und Rechtswirkungen des Verwaltungsakts an den Fortbestand einer bestimmten, nunmehr aber eben nicht mehr fortbestehenden Situation gebunden seien. Vorliegend sei Grund für die Befreiung des Antragstellers seine eingeschränkte Sehfähigkeit und das deshalb erteilte Nachtfahrverbot gewesen. Halte man sich vor Augen, dass auch § 11 Abs. 2a GNO n.F. einen Befreiungstatbestand regele und dass das Nachtfahrverbot des Antragstellers bei ungünstigen Zeit- und Ortskonstellationen des Sitzdienstes durchaus zum Tragen kommen könne, habe dieser keineswegs davon ausgehen müssen, dass sich der Befreiungsbescheid mit dem Inkrafttreten der neuen GNO erledige.

Die Entscheidung greift die Antragsgegnerin fristgerecht mit der Beschwerde an. Sie trägt vor: Die Entscheidung des SG überzeuge nicht. Die "Altbefreiung" habe sich mit der Notfall dienstreform "auf sonstige Weise" durch Änderung der Sach- und Rechtslage erledigt. Die Befreiung aus dem Jahr 2006 sei im Hinblick auf eine bestimmte, im Rahmen der Notfalldienstreform neu gefasste Verpflichtung ausgesprochen worden. So habe sich die Ausführung des Notfalldienstes seit der Befreiung des Antragstellers entscheidend verändert. Grundlage der im Jahr 2006 erstmals beantragten Befreiung sei gewesen, dass zum damaligen Zeitpunkt der Arzt im Notfalldienst eigenständig zu seinem jeweiligen Einsatzort habe fahren müssen. Seit Inkrafttreten der Notfalldienstreform würden jedoch in den Fahrdiensten Fahrer und Fahrzeuge gestellt, so dass das Nachtfahrverbot insoweit keinerlei Auswirkungen mehr auf die Dienstausübung des Antragstellers habe. Diese Änderung müsse dem Antragsteller auch bewusst gewesen sein, zumal sie - die Antragsgegne- rin - die Reform in ihrem amtlichen Bekanntmachungsorgan "pluspunkt" (Ausgabe Nr. 43, Dezember 2010) und in der allgemeinen Presse ausführlich erörtert worden sei. Soweit das SG bemängele, der Antragsteller habe schon deshalb nicht von einer Erledigung ausgehen können, da es nach Inkrafttreten der Reform ausweislich des Schreibens der Bezirksstelle Arnsberg vom 13.09.2011 erst einer ausdrücklichen Beschlussfassung bedurft hätte, sei dem nicht zu folgen. Eine Beschlussfassung durch den Notfalldienstausschuss diene grundsätzlich nur der Beratung und Meinungsfindung innerhalb der Bezirksstelle. Die Verzögerung der erneuten Heranziehung nach Inkrafttreten der Notfalldienstreform sei allein darauf zurückzuführen, dass deren Organisation diverse dringliche Entscheidungen notwendig gemacht habe, deren Umsetzung von der Bezirksstelle als vorrangig eingestuft worden seien. Der Erledigung steht auch nicht ein etwaiger "Widerruf" der Bezirksstelle entgegen. Zu beachten seien auch die relativ geringen Dienstbelastungen seit der Notfalldienstreform. Der Antragsteller sei im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02.2012 bis zum 31.01.2013 insgesamt nur zu zwei Sitzdiensten in Lippstadt herangezogen worden, bei denen das Nachtfahrverbot überhaupt hätte relevant werden können.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2012 aufzuheben und den Antrag abzulehnen

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Entscheidung des SG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegenerin Bezug genommen.

II.

Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist die Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid vom 21.12.2011 rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des angeordneten Sofortvollzugs liegen nicht vor.

1. Grundvoraussetzung für den Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ist ein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ist vorliegend gegeben. Zwar ist die Zulässigkeit der Antragstellung nicht an ein irgendwie geartetes Vorverfahren geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - indessen darauf hingewiesen, dass in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG jede an einen Antrag gebundene Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leither, SGG, 9. Auflage, 2008, vor § 51 Rdn. 16a). So gilt auch hier, dass im Interesse der Entlastung der Gerichte das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen ist, wenn der Beteiligte sein Begehren erkennbar auch außergerichtlich durchsetzen kann oder der Versuch, eine Aussetzung durch die Behörde zu erreichen, nicht von vornherein aussichtslos erscheint (vgl. Düring in Jansen, SGG. 3. Auflage, 2009, § 86b Rdn. 3). Ein solcher Antrag wäre auch noch nach Klageerhebung zulässig, denn ab diesem Zeitpunkt können sowohl die Verwaltung als auch das Gericht die Aussetzung der sofortigen Vollziehung anordnen (Keller, a.a.O., § 86a Rdn. 21). Dieser Ansatz wiederum ist dahin einzuschränken, dass zwar beide Stellen zuständig sind, indessen die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zunächst bei der Verwaltung zu beantragen ist. Erst wenn ein solcher Antrag erkennbar aussichtslos ist, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung des Gerichts. Der gegenteiligen Entscheidung des BSG vom 17.01.2007 - B 6 KA 4/07 R - folgt der Senat nicht. Zwar führt das BSG aus, dass § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG im Gegensatz zu § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gerade nicht voraussetze, dass sich der Antragsteller zunächst an die Verwaltung wenden muss, um eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu erhalten. Das trifft zwar zu, greift indessen zu kurz. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass § 80 Abs. 6 VwGO das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis lediglich normativ konkretisiert. Hieraus lässt sich nicht schlussfolgern, dass für das SGG Abweichendes gilt. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Grundvoraussetzung dafür, dass ein Gericht sich in der Sache mit dem angetragenen Rechtsstreit befasst, denn jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. Keller, a.a.O., vor § 51 Rdn. 16; vgl. auch Jung in Jansen, a.a.O., § 51 Rdn. 8 f.), mithin ist ein Antrag nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG vorrangig (std. Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 23.12.2010 - L 11 KA 71/10 B ER -, 10.11.2010 - L 11 KA 87/10 B ER -, 03.02.2010 - L 11 KA 80/09 ER -, 02.04.2009 - L 11 KA 2/09 ER - und vom 13.04.2011 - L 11 KA 133/10 B ER und L 11 KA 17/11 B ER -).

Ausgehend hiervon ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 03.01.2012 bei der Antragsgegnerin beantragt, die im angefochtenen Bescheid angeordnete sofortige Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch auszusetzen. Die Antragsgegnerin hat hierauf unter dem 23.01.2012 mitgeteilt, dass der Antragsteller trotz seiner Widersprüche rechtmäßig mit Bescheid vom 21.12.2011 zum Notfalldienst herangezogen worden sei und der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe. Zwar hat die Antragsgegnerin insoweit missverständlich formuliert, indem sie den Antrag auf Aussetzung des angeordneten Sofortvollzugs nicht ausdrücklich beschieden, sich vielmehr auf eine Formulierung mit feststellendem Charakter beschränkt hat. Indessen hat sie hiermit hinlänglich zum Ausdruck gebracht, dem Antrag nicht stattgegeben zu wollen, wodurch letztlich das Rechtsschutzbedürfnis begründet wird.

2. In der Sache ergibt sich:

a) Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Zwar ist in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG lediglich die Rede von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, doch wird wegen der gleichen Zielrichtung auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von dieser Norm erfasst (Senat, Beschluss vom 20.05.2009 - L 11 B 5/09 KA ER - und vom 13.04.2011 - L 11 KA 133/10 B ER und L 11 KA 17/11 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.2006 - L 10 B 15/06 KA ER -; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03.08.2006 - L 4 B 269/04 KA ER -). Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Regelung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu beachten, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG (Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben) die Vollziehung nur ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Auch über diese ausdrückliche Regelung hinaus ist das aus den Regelungen des § 86a SGG hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten. In den Fallgruppen des § 86a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGG ist maßgebend, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO). Das Gericht hat insbesondere zu berücksichtigen, wie schwerwiegend die Beeinträchtigung durch die aufschiebende Wirkung gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 - und 11.02.2005 - 1 BvR 276/05 -). Im Rahmen der Abwägung ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, der die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Festsetzung eines Regresses durch den Beschwerdeausschuss nach Durchführung einer Richtgrößenprüfung in § 106 Abs. 5a Satz 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausdrücklich ausgeschlossen und damit das besondere öffentliche Interesse an der effektiven Umsetzung der vereinbarten Richtgrößen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen betont hat (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Strukturgesetzes, BT-Drucks. 12/3608, S. 100). Angesichts dessen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur in Betracht, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheides zu einer unbilligen Härte für den Antragsteller führen würde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17.06.2009 - L 11 B 6/09 KA ER -, vom 01.07.2009 - L 11 B 8/09 KA ER -, vom 20.05.2009 - L 11 B 5/09 KA ER - und vom 19.03.2009 - L 11 B 20/08 KA ER -).

b) Die formalen Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG liegen vor. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Heranziehungsbescheid vom 21.12.2011 hat nach der Grundregel des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Diese sind indes infolge der Anordnung des Sofortvollzugs suspendiert. Soweit sich der Antrag - wie hier - gegen die behördliche Vollziehungsanordnung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) wendet, ist zusätzlich die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (nachfolgend aa)) und die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung zu prüfen (nachfolgend bb)). Letztere stellt einen unselbständigen Annex zum Verwaltungsakt dar und ist nicht ihrerseits als Verwaltungsakt zu qualifizieren (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, 2007, § 80 Rdn. 78 m.w.N.). Weist die Vollziehungsanordnung formelle oder materielle Fehler auf, so ist dem Antrag schon aus diesem Grund ohne weitere Sachprüfung stattzugeben.

aa) An der Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheides vom 21.12.2011 bestehen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage derzeit keine durchgreifenden Zweifel.

Der Antragsteller ist als vertragsärztlich zugelassener Facharzt für Anästhesiologie zur Teilnahme an dem gemeinsam von der Antragsgegnerin und der Ärztekammer Westfalen-Lippe organisierten ärztlichen Notfalldienst verpflichtet. Rechtsgrundlage für diese Pflicht ist § 1 Abs. 1 GNO in der Fassung vom 11.11.2009/20.03.2010. Danach haben alle niedergelassenen oder in einem Anstellungsverhältnis an der ambulanten Versorgung mitwirkenden Ärzte die ambulante Versorgung der Patienten zu jeder Zeit sicherzustellen. Das umfasst auch für in der fachärztlichen Versorgung tätigen Ärzte die Verpflichtung, am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom BSG vom 06.02.2008 - B 6 KA 13/06 R -). Die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst folgt aus seinem Zulassungsstatus. Dieser auf seinen Antrag hin verliehene Status erfordert es, in zeitlicher Hinsicht umfassend - d.h. auch in den Zeiten außerhalb der Sprechstunde - für die Sicherstellung der vertragsärztlichen

Versorgung zur Verfügung zu stehen. Der einzelne Arzt wird mithin dadurch, dass die gesamte Ärzteschaft einen Notfalldienst organisiert, von seiner anderenfalls bestehenden Verpflichtung zur Dienstbereitschaft rund um die Uhr entlastet. Als Gegenleistung hierfür muss jeder Vertragsarzt den Notfalldienst als gemeinsame Aufgabe aller Ärzte gleichwertig mittragen (BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R -; vgl. auch BSG, Urteil vom 17.05.2011 - B 6 KA 23/10 R -; Senat, Beschlüsse vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER -, 07.09.2011 - L 11 KA 93/11 B ER - und vom 23.12.2009 - L 11 B 19/09 KA ER -).

Ausgehend hiervon ist die Antragsgegnerin im Rahmen des ihr nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V obliegenden Sicherstellungsauftrags - stellvertretend für ihre vertragsärztlichen Mitglieder - verpflichtet, den Notfalldienst zu organisieren und einzurichten. Hiermit korrelierend sind Vertragsärzte verpflichtet, am ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen und diesen ggf. in einer Notfallpraxis zu versehen und dort anwesend zu sein (§ 8 Abs. 1 GNO; vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 23/10 R -) oder im von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eingerichteten Fahrdienst tätig zu werden (vgl. Senat, Beschluss vom 29.08.2011 - L 11 KA 75/11 B ER -).

Der zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verpflichtete Personenkreis wird untergesetzlich in § 2 GNO bestimmt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GNO sind zur Teilnahme am Notfalldienst verpflichtet

- zugelassene Vertragsärzte - auch soweit sie mit hälftigem Versorgungsauftrag oder unter Job-Sharing-Bedingungen nach § 101 Abs. 1 Nr. 4 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen -,

- niedergelassene ermächtigte Ärzte (§ 31 Abs. 1a Ärzte-ZV)

- niedergelassene privatärztlich tätige Ärzte,

ferner gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 GNO Ärzte, die in einem Anstellungsverhältnis an der ambulanten Versorgung mitwirken (vgl. § 32b Ärzte-ZV, § 95 Abs. 9 SGB V, § 101 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, § 19 Berufsordnung). Übt ein Arzt seine ärztliche Tätigkeit an weiteren Orten aus (§ 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, § 17 Abs. 2 Berufsordnung), ist er hingegen zur Teilnahme am Notfalldienst am weiteren Tätigkeitsort grundsätzlich nicht verpflichtet, es sei denn, die Notfallversorgung kann anders nicht sichergestellt werden (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GNO). Vertragsärzte, deren Zulassung ruht, aber gleichwohl in privatärztlicher Niederlassung tätig sind, sind zur Teilnahme am Notfalldienst verpflichtet, wenn dem nicht schwerwiegende Gründe entgegenstehen (§ 2 Abs. 4 GNO). Nimmt ein Arzt in verschiedenen Formen an der ambulanten Versorgung iSv Abs. 1 bis 4 teil, ist er für jede Teilnahmeform mit dem entsprechenden Einteilungsfaktor am jeweiligen Tätigkeitsort gesondert zur Teilnahme am Notfalldienst verpflichtet (§ 2 Abs. 5 GNO). Für die in einem zugelassenen Medizinischen Versorgungszentrum tätigen, angestellten Ärzte gelten die vorstehenden Regelungen mit der Maßgabe entsprechend, dass der Träger des Medizinischen Versorgungszentrums als anstellender Arzt i. S. von Abs. 2 S. 2 gilt (§ 2 Abs. 6 GNO). Über den in den Abs. 1 bis 6 festgelegten Personenkreis hinaus können weitere Ärzte auf freiwilliger Grundlage am Notfalldienst teilnehmen. Der erforderliche Antrag ist an die KVWL zu richten; mit dem Antrag unterwirft sich der Arzt den Bestimmungen der GNO (§ 2 Abs. 7 GNO). Psychologische Psychotherapeuten und Psychologische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nehmen nicht am ärztlichen Notfalldienst teil (§ 2 Abs. 8 GNO). Fachärzte für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie haben die Wahl, am zahnärztlichen oder vertragsärztlichen Notfalldienst teilzunehmen (§ 2 Abs. 9 Satz 1 GNO).

Hieraus folgt, dass im Einklang mit den durch das BSG präzisierten Vorgaben des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V auch nach § 2 GNO grundsätzlich jeder Vertragsarzt zum Notfalldienst verpflichtet ist. Ausnahmen sieht § 2 GNO nur nach Maßgabe der Absätze 8 und 9 vor. Dies ist angesichts des Normbefehls des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V sachgerecht und infolge der Interpretation dieser Vorschrift durch die Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 06.02.2008 - B 6 KA 13/06 R - und vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.12.2004 - L 10 KA 5/04 - m.w.N.) auch rechtlich nicht zu beanstanden.

(1) Etwaige atypische Sachverhaltskonstellationen sind vom betroffenen Vertragsarzt ggf. mittels eines Befreiungsantrags geltend zu machen. Über Befreiungstatbestände ist nach der Systematik der GNO in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 05.09.2011 - L 11 KA 40/11 B ER -).

Während § 2 GNO die Teilnahmeverpflichtung begründet, listet § 11 GNO eine Reihe von Befreiungstatbeständen auf. Systematisch greifen die Befreiungstatbestände sekundär ein. Sie suspendieren von der Teilnahmeverpflichtung des § 2 GNO. So enthält § 11 Abs. 1 GNO die diesen Ausnahmetatbestand bestimmende Generalklausel. Hiernach können Ärzte auf schriftlichen Antrag durch den Bezirksstellenleiter vom Notfalldienst auf Dauer oder befristet befreit werden, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen. Ausweislich des Wortlauts wird das Verfahren nur auf schriftlichen Antrag eingeleitet (vgl. § 10 Satz 2 SGB X). Von Amts wegen (hierzu § 10 Satz 1 SGB X) darf die Antragsgegnerin keine Befreiungen aussprechen. Weitere Voraussetzung für die Befreiung ist, dass schwerwiegende Gründe vorliegen. Dieser der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegende unbestimmte Rechtsbegriff wird in § 11 Abs. 1 GNO nicht definiert. Das ist indessen unschädlich, denn § 11 Abs. 2 GNO ist hinlänglich zu entnehmen, wie der Begriff "schwerwiegende Gründe" auszufüllen ist. Liegt ein Antrag vor und nimmt der für die Entscheidung zuständige Bezirksstellenleiter an, dass schwerwiegende Gründe vorliegen, ist die Tatbestandsseite des § 11 Abs. 1 GNO erfüllt. Gleichwohl folgt hieraus keine zwingende Rechtsfolge. Der Antragsgegnerin ist mittels der Verbs "kann" ein Entschließungsermessen eingeräumt, dass sie namentlich unter dem Gesichtspunkt der Gleichförmigkeit des Verwaltungshandelns auszuüben hat (vgl. auch § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (§ 39 SGB I)). Eine (positive) Entscheidung über die Befreiung hat konstitutiven Charakter. Eine negative Entscheidung könnte mit Widerspruch angefochten (§ 83 SGG) und nach Erteilung eines Widerspruchsbescheides mittels Klage einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden (§§ 87 ff. SGG).

(2) Vorliegend hat der Antragsteller noch unter Geltung der GNO vom 12.12.2001/26.01.2002 am 18.03.2006 einen Befreiungsantrag gestellt, den die Antragsgegnerin am 10.08.2006 positiv beschieden hat. Hierauf kann sich der Antragsteller indes nicht berufen. Die Befreiung entfaltet keine Wirksamkeit mehr.

(a) Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mit Bescheid vom 10.08.2006 "bis auf Widerruf" von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst befreit. Mit Bescheid vom 13.09.2011 hat die Antragsgegnerin die Befreiung widerrufen. Dieser Bescheid ist rechtsfehlerhaft zustande gekommen, dennoch trägt er das Begehren des Antragstellers nicht. Durch den Widerrufsbescheid hat die Antragsgegnerin in die Rechte des Antragstellers eingegriffen, so dass sie gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verpflichtet war, ihm vor Erlass des Bescheides Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. § 24 SGB X dient sowohl der Wahrung der Rechte und Belange des Betroffenen als auch der Vermeidung von Fehlern der Verwaltung bei der Tatsachenermittlung. Einerseits soll durch die Vorschrift sichergestellt werden, dass der Betroffene aktiv auf das Verfahren der Sozialverwaltung und deren Entscheidung Einfluss nehmen kann; der Bürger soll vor Überraschungsentscheidungen und vor vorschnellen und vermeidbaren Eingriffen geschützt werden; darüber hinaus soll durch diese Verfahrensweise das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Sozialleistungsträger gestärkt werden. Andererseits soll die Verwaltung vor Erlass des Verwaltungsaktes anhand der Stellungnahme des Betroffenen prüfen können, ob diese Veranlassung gibt, von dem Verwaltungsakt abzusehen oder ihn erst nach weiteren Ermittlungen, in anderer Form oder zu einem späteren Zeitpunkt zu erlassen (BSG, Urteil vom 30.03.1982 - 2 RU 15/81 -). Eine derartige rechtserhebliche Äußerung des Betroffenen setzt jedoch voraus, dass ihm die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet werden, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann. Dies erfordert eine hinreichende Information durch die Verwaltung. Was unter einer erheblichen Tatsache i.S.v. § 24 Abs. 1 SGB X zu verstehen ist, richtet sich nach Art und Inhalt des Verwaltungsaktes, dessen Erlass beabsichtigt ist sowie nach den Umständen des Einzelfalles und den jeweils anzuwendenden Vorschriften (zu Vorstehendem vgl. BSG, Urteil vom 28.04.1999 - B 9 SB 5/98 R - m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RV 10/95 -). Diesen Anforderungen genügt der Bescheid vom 13.09.2011 schon deswegen nicht, weil nach Aktenlage keine Anhörung durchgeführt worden ist und er sich damit als Überraschungsentscheidung darstellt. Die unterlassene Anhörung des Antragstellers stellt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar, der allerdings nicht so schwerwiegend ist, dass deshalb der Verwaltungsakt nichtig wäre (von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 24 Rdn. 17 m.w.N.). Ein Verwaltungsakt, der nicht nichtig ist (§ 40 SGB X), kann nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften zustande gekommen ist, sofern offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst (§ 42 Satz 1 SGB X). Dabei muss nachweislich offensichtlich sein, dass die Behörde ohne den Fehler genauso entschieden hätte, eine entsprechen Erklärung der Behörde reicht nicht aus (Schütze in: von Wulffen, a.a.O., § 42 Rdn. 7). Die nachweisliche Offensichtlichkeit erscheint als zweifelhaft. Demzufolge greift die Aufhebungssperre des § 42 Satz 1 SGB X nicht. Allerdings ist der formelle Verfahrensfehler "fehlende Anhörung" dann unbeachtlich, wenn er im Widerspruchsverfahren geheilt worden wäre (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Das bedarf hier keiner abschließenden Klärung, denn das Widerspruchsverfahren ist nicht abgeschlossen. Infolge der Änderung des § 41 Abs. 2 SGB X durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl I 1983) kann die Anhörung überdies bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dem entspricht § 114 Abs. 2 SGG, wonach das Gericht das Verfahren auf Antrag zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen kann.

(b) Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Widerrufsbescheid vom 13.09.2011 hat aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG), so dass dieser derzeit nicht bestandskräftig ist. Die Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid vom 21.12.2011 bezieht sich nicht hierauf sondern auf den Heranziehung zum ärztlichen Notfalldienst für die Zeit vom 01.02.1012 bis zum 31.01.2013. Hieraus folgt, dass der Befreiungsbescheid vom 10.08.2008 weiterhin rechtswirksam wäre, sofern er sich nicht auf andere Weise erledigt hat.

Der Befreiungsbescheid vom 10.08.2006 über die Befreiung des Antragstellers vom ärztlichen Notfalldienst hat sich mit Wirksamwerden der neuen GNO vom 11.11.2009/20.03.2010 i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X "auf andere Weise erledigt". Eine solche Erledigung liegt vor, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsaktes entfällt. Dazu zählen insbesondere Sachverhalte, bei denen für die getroffene Regelung nach der eingetretenen Änderung kein Anwendungsbereich mehr verbleibt bzw. bei denen der geregelte Tatbestand selbst entfällt (hierzu BSG, Urteil vom 11.07.2000 - B 1 KR 14/99 R -), der Verwaltungsakt damit seine regelnde Wirkung verliert (Roos in: von Wulffen, a.a.O., § 39 Rdn. 14). Für die Gegenstandslosigkeit des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage ist damit maßgeblich, ob er auch für den Fall geänderter Umstände noch Geltung beansprucht oder nicht (BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R -). Waren Bestand oder Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes von vornherein für den Adressaten erkennbar an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, wird er gegenstandslos, wenn diese Situation nicht mehr besteht (BSG, Urteile vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R - und 11.07.2000 - B 1 KR 14/99 R -; vgl. auch BSG, Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R -).

Diese Voraussetzungen der Erledigung sind erfüllt. Zwar enthält der Befreiungsbescheid vom 10.08.2006 keine ausdrückliche Befristung auf die Dauer der bei seinem Erlass maßgeblichen GNO vom 12.12.2001/26.01.2002. Befreiungsgrund war Nachtfahrverbot bzw. die dem zugrundeliegende Augenerkrankung. Die Antragsgegnerin hat sich im Befreiungsbescheid ausdrücklich auf § 11 Abs. 3a GNO a.F. bezogen, wonach Befreiungsgrund eine nachgewiesene schwere Erkrankung oder Behinderung des Arztes ist, wenn sich die Erkrankung oder Behinderung in einem nennenswerten Umfang auf die Praxistätigkeit (z.B. Fallzahlen) auswirkt. Dieser Befreiungsgrund ist mit dem Außerkrafttreten der GNO vom 12.12.2001/26.01.2002 entfallen. Hieraus folgt, dass dem Befreiungsbescheid vom 10.08.2006 die Grundlage entzogen ist. Dem entspricht die Entscheidung des BSG vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R -, derzufolge der Bescheid einer Kassenärztlichen Vereinigung über die Befreiung eines Hautarztes vom Bereitschaftsdienst sich mit der Aufhebung der generellen Befreiung aller Hautärzte durch Beschluss des Vorstandes im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt. Maßgebend ist damit letztlich die Frage, ob Bestand und die Rechtswirkungen des Befreiungsbescheides für den Antragsteller erkennbar an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden waren. Das SG hat dies bejaht und hierzu auf das fortwährende Nachtfahrverbot im Zusammenwirken mit den Befreiungstatbeständen abgestellt. Der Antragsteller habe deswegen nicht davon ausgehen müssen, dass sich der Befreiungsbescheid mit dem Inkrafttreten der GNO n.F. erledigt habe.

Dem kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil § 11 Abs. 2a GNO n.F. engere Voraussetzungen für die Befreiung formuliert. Die GNO vom 12.12.2001/26.01.2002 bestimmte in § 10:

3) Befreiungsgründe sind insbesondere

a) eine nachgewiesene schwere Erkrankung oder Behinderung des Arztes, sofern sich die Erkrankung oder Behinderung in einem nennenswerten Umfang auf die Praxistätigkeit (z. B. Fallzahlen) nachteilig auswirkt.

Demgegenüber heißt es in § 10 der GNO vom 11.11.2009/20.03.2010:

2) Befreiungsgründe sind insbesondere

a) eine nachgewiesene schwere Erkrankung oder Behinderung des Arztes, sofern sich

die Erkrankung oder Behinderung in einem nennenswerten Umfang auf die Praxistätigkeit (z. B. Fallzahlen) nachteilig auswirkt und dem Arzt deshalb die Beauftragung eines Vertreters für den Notfalldienst auf eigene Kosten nicht zugemutet werden kann,

...

Ausgehend hiervon konnte der Antragsteller nicht erwarten, dass die Befreiung vom 10.08.2006 "dauerhaft" fortwirkt. Die Rechtswirkungen des Befreiungsbescheides vom 10.08.2006 waren an die Voraussetzungen des § § 10 Abs. 3a GNO a.F. geknüpft, die sich mittels § 10 Abs. 2a GNO n.F. nicht unerheblich geändert haben. Dem Antragsteller musste dies auch bekannt sein, denn die Antragsgegnerin hat ihre Mitglieder zeitnah und umfassend über die Änderungen unterrichtet (hierzu z.B. die Erläuterungen im Heft "pluspunkt", Ausgabe Nr. 43, Dez. 2010).

Nach alledem kann sich der Antragsteller nicht mehr auf den Befreiungsbescheid vom 10.08.2006 berufen.

(3) Mit Schreiben vom 23.10.2011 hat er neuerlich einen Antrag auf Befreiung gestellt, den die Antragsgegnerin am 29.11.2011 abgelehnt hat. Der Widerspruch ist bislang nicht beschieden. Mangels bestandskräftiger Befreiung ist der Antragsteller mithin verpflichtet, am Notfalldienst teilzunehmen.

bb) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist hinreichend begründet worden. Die Begründung muss erkennen lassen, warum im konkreten Fall das öffentliche Interesse oder das Individualinteresse eines Beteiligten am Sofortvollzug überwiegt und warum dies dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht (z.B. Senat, Beschlüsse vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER - und 29.10.2010 - L 11 KA 64/10 B ER -). Das den Sofortvollzug tragende öffentliche oder individuelle Interesse ("besonderes Interesse") muss mehr als das den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigende Interesse sein, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes reichen für die Begründung des Sofortvollzugs nicht aus (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.11.2004 - L 10 B 14/04 KA -). Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn das besondere Vollzugsinteresse schon aus der Eigenart der Regelung folgt (Senat, Beschlüsse vom 05.09.2011 - L 11 KA 41/11 B ER - und 06.01.2004 - L 11 B 17/03 KA ER -). An die Begründung sind im Hinblick auf die mit ihr verbundene Warnfunktion für die Behörde sowie die dadurch bezweckte Transparenz und Rechtsklarheit hohe Anforderungen zu stellen (Senat, Beschluss vom 04.05.2011 - L 11 KA 120/10 B ER -). Dem genügen die Darlegungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 21.12.2011 in hinreichender Weise. Sie hat darauf hingewiesen, dass durch eine evtl. Nichtteilnahme am ärztlichen Notfalldienstes die Versorgung der Bevölkerung außerhalb der Sprechstundenzeiten gefährdet wäre. Dem liegt die so formuliert und nicht fern liegende Befürchtung zugrunde, dass einzelne oder eine Vielzahl von Ärzten sich mittels des durch Widerspruch gegen den Heranziehungsbescheid bewirkten Suspensiveffekts (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG) der Teilnahme entziehen und dadurch die Bereitschaft der übrigen Ärzte, den ärztlichen Notfalldienst zu versehen, nachhaltig beeinträchtigt wird. Angesichts dessen, dass das formelle Begründungserfordernis des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG nicht eine in jeder Hinsicht "richtige" Begründung erfordert und - je nach Sachlage - auch "gruppentypisierte" Erwägungen genügen können, die hier bezüglich des aus Gründen des Patientenschutzes zu gewährleistenden regelmäßigen Notfalldienstes genannt wurden, ist die spezielle Situation des Antragstellers in diesem Zusammenhang im Übrigen ohne Belang (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.07.2011 - 13 B 395/11 -; Senat, Beschlüsse vom 05.09.2011 - L 11 KA 41/11 B ER - und 25.08.2011 - L 11 KA 13/11 B ER -).

III.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie berücksichtigt, dass der Sach- und Streitstand nicht genügend Anhaltspunkte gibt, um den Streitwert nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 GKG festzusetzen. Somit ist vom Auffangstreitwert (5.000,00 EUR) des § 52 Abs. 2 GKG auszugehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER - und 05.09.2011 - L 11 KA 40/11 B ER -). Ein Abschlag wegen des einstweiligen Charakters des Verfahrens ist nicht gerechtfertigt. Für den Zeitraum der Gültigkeit des Notfalldienstplanes hat das einstweiligen Rechtsschutzverfahren faktisch endgültigen Charakter (Senat, Beschluss vom 05.09.2011 - L 11 KA 42/11 B ER -). Ausgehend hiervon setzt der Senat den Streitwert in Fällen, in denen es - wie hier - um die Notfalldiensteinteilung für ein Jahr geht, auf 5.000,00 EUR fest (Senat, Beschluss vom 05.09.2011, vgl. soeben).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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