Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 28/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 358/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 31.05.2012 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Detmold Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin I, I, beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin war bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Aufgrund von Beitragsrückständen beendete die Beklagte die freiwillige Versicherung zum 15.12.2006 gemäß § 191 Nr. 3 SGB V in der bis 31.03.2007 geltenden Fassung (Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden).
Mit "Beitragsbescheid und Zahlungsaufforderung" vom 04.04.2011 forderte die Beklagte Beiträge für die freiwillige Versicherung von September 2006 bis Dezember 2006 in Höhe von insgesamt 846,12 EUR. Zuzüglich forderte sie Säumniszuschläge bis 16.01.2011 in Höhe von 1.913,50 EUR (Gesamtforderung: 2759,62 EUR). Die Höhe der Säumniszuschläge stützte die Beklagte auf § 24 Abs. 1 a SGB IV. Diese ab 01.04.2007 geltende Regelung erfasse auch rückständige Beiträge, die vor dem 01.04.2007 fällig waren. Den von der Klägerin auch wegen der Höhe der Säumniszuschläge erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2011 zurück, wogegen sich die am 13.01.2012 erhobene Klage richtet. Die Klägerin hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 31.05.2012 den PKH-Antrag abgelehnt und sich auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid bezogen. Ergänzend hat das Sozialgericht dargelegt, dass Säumniszuschläge sowohl eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung als auch ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Forderungen seien. Zwar sei es unbillig, sie als Druckmittel einzusetzen, wenn wegen längerfristiger Zahlungsunfähigkeit die rechtzeitige Zahlung der Beiträge nicht möglich sei. Für diesen Fall sei es sachgerecht, die Hälfte der Säumniszuschläge zu erlassen. Der Klägerin bleibe es unbenommen, einen derartigen Erlass zu beantragen.
Gegen diese der Klägerin am 05.06.2012 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 02.07.2012 erhobene Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
PKH ist gemäß §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 S. 1 ZPO zu bewilligen, wenn - wie hier - die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Beurteilung, ob hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, muss der verfassungsrechtliche Rahmen berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Für die Bejahung der hinreichenden Erfolgsaussichten genügt damit, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags eine nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit des Obsiegens besteht. Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst darf nicht in das PKH-Verfahren verlagert werden, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen deswegen nicht überzogen werden (BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003 - 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190; Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1802/07, NJW 2008, 1060 ff; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 02.04.2012 - L 1 KR 63/12 B; Beschluss vom 08.11.2010 - L 1 B 1/09 BK).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es bestehen begründete Zweifel daran, ob die Beklagte die Höhe der Säumniszuschläge zu Recht festgesetzt hat.
Grundsätzlich betragen Säumniszuschläge für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1% des rückständigen, auf 50,- EUR nach unten abgerundeten Betrages (§ 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Abweichend zu dieser Regelung haben gemäß § 24 Abs. 1 a SGB IV freiwillig Versicherte für Beiträge und Beitragsvorschüsse, mit denen sie länger als einen Monat säumig sind, für jeden weiteren angefangenen Monat der Säumnis einen Säumniszuschlag von 5% des rückständigen, auf 50,- EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. § 24 Abs. 1a SGB IV ist eingeführt worden durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) vom 26.03.2007 ab 01.04.2007. Die Regelung korrespondiert mit der Aufhebung von § 191 S. 1 Nr. 3 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Weil das zweimalige Nichtzahlen der Beiträge vom 01.04.2007 an nicht mehr zur Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft führt, hat der Gesetzgeber zur Durchsetzung der Verpflichtung der Beitragszahlung die Nichtzahlung der Beiträge mit einem höheren Säumniszuschlag versehen (BT-Drucks. 16/3100 S. 182). Aufgrund der ausdrücklich durch den Gesetzgeber beabsichtigten Verknüpfung der Beibehaltung der Mitgliedschaft trotz Nichtzahlung von Beiträgen einerseits mit höheren Säumniszuschlägen andererseits ist es äußerst zweifelhaft und im Hauptsacheverfahren zu klären, ob die höheren Säumniszuschläge auch dann greifen, wenn die freiwillige Mitgliedschaft des Versicherten - wie hier - in Anwendung der bis zum 31.03.2007 geltenden Regelung des § 191 S. 1 Nr. 3 SGB V beendet wurde. Abgesehen davon werden in der Literatur gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen durch § 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV einerseits und § 24 Abs. 1a SGB IV andererseits erhoben (ausführlich Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 24 SGB IV Rdnr. 9 ff). Auch zur Klärung dieser verfassungsrechtlichen Fragen ist PKH für das Hauptsacheverfahren zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Klägerin war bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Aufgrund von Beitragsrückständen beendete die Beklagte die freiwillige Versicherung zum 15.12.2006 gemäß § 191 Nr. 3 SGB V in der bis 31.03.2007 geltenden Fassung (Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden).
Mit "Beitragsbescheid und Zahlungsaufforderung" vom 04.04.2011 forderte die Beklagte Beiträge für die freiwillige Versicherung von September 2006 bis Dezember 2006 in Höhe von insgesamt 846,12 EUR. Zuzüglich forderte sie Säumniszuschläge bis 16.01.2011 in Höhe von 1.913,50 EUR (Gesamtforderung: 2759,62 EUR). Die Höhe der Säumniszuschläge stützte die Beklagte auf § 24 Abs. 1 a SGB IV. Diese ab 01.04.2007 geltende Regelung erfasse auch rückständige Beiträge, die vor dem 01.04.2007 fällig waren. Den von der Klägerin auch wegen der Höhe der Säumniszuschläge erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2011 zurück, wogegen sich die am 13.01.2012 erhobene Klage richtet. Die Klägerin hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 31.05.2012 den PKH-Antrag abgelehnt und sich auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid bezogen. Ergänzend hat das Sozialgericht dargelegt, dass Säumniszuschläge sowohl eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung als auch ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Forderungen seien. Zwar sei es unbillig, sie als Druckmittel einzusetzen, wenn wegen längerfristiger Zahlungsunfähigkeit die rechtzeitige Zahlung der Beiträge nicht möglich sei. Für diesen Fall sei es sachgerecht, die Hälfte der Säumniszuschläge zu erlassen. Der Klägerin bleibe es unbenommen, einen derartigen Erlass zu beantragen.
Gegen diese der Klägerin am 05.06.2012 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 02.07.2012 erhobene Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
PKH ist gemäß §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 S. 1 ZPO zu bewilligen, wenn - wie hier - die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Beurteilung, ob hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, muss der verfassungsrechtliche Rahmen berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Für die Bejahung der hinreichenden Erfolgsaussichten genügt damit, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags eine nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit des Obsiegens besteht. Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst darf nicht in das PKH-Verfahren verlagert werden, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen deswegen nicht überzogen werden (BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003 - 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190; Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1802/07, NJW 2008, 1060 ff; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 02.04.2012 - L 1 KR 63/12 B; Beschluss vom 08.11.2010 - L 1 B 1/09 BK).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es bestehen begründete Zweifel daran, ob die Beklagte die Höhe der Säumniszuschläge zu Recht festgesetzt hat.
Grundsätzlich betragen Säumniszuschläge für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1% des rückständigen, auf 50,- EUR nach unten abgerundeten Betrages (§ 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Abweichend zu dieser Regelung haben gemäß § 24 Abs. 1 a SGB IV freiwillig Versicherte für Beiträge und Beitragsvorschüsse, mit denen sie länger als einen Monat säumig sind, für jeden weiteren angefangenen Monat der Säumnis einen Säumniszuschlag von 5% des rückständigen, auf 50,- EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. § 24 Abs. 1a SGB IV ist eingeführt worden durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) vom 26.03.2007 ab 01.04.2007. Die Regelung korrespondiert mit der Aufhebung von § 191 S. 1 Nr. 3 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Weil das zweimalige Nichtzahlen der Beiträge vom 01.04.2007 an nicht mehr zur Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft führt, hat der Gesetzgeber zur Durchsetzung der Verpflichtung der Beitragszahlung die Nichtzahlung der Beiträge mit einem höheren Säumniszuschlag versehen (BT-Drucks. 16/3100 S. 182). Aufgrund der ausdrücklich durch den Gesetzgeber beabsichtigten Verknüpfung der Beibehaltung der Mitgliedschaft trotz Nichtzahlung von Beiträgen einerseits mit höheren Säumniszuschlägen andererseits ist es äußerst zweifelhaft und im Hauptsacheverfahren zu klären, ob die höheren Säumniszuschläge auch dann greifen, wenn die freiwillige Mitgliedschaft des Versicherten - wie hier - in Anwendung der bis zum 31.03.2007 geltenden Regelung des § 191 S. 1 Nr. 3 SGB V beendet wurde. Abgesehen davon werden in der Literatur gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen durch § 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV einerseits und § 24 Abs. 1a SGB IV andererseits erhoben (ausführlich Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 24 SGB IV Rdnr. 9 ff). Auch zur Klärung dieser verfassungsrechtlichen Fragen ist PKH für das Hauptsacheverfahren zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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