Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 60 (28) AS 237/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1437/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 05.06.2012 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Im zugrunde liegenden Klageverfahren geht es um Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 11.12.2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.04.2009, 04.05.2009 und 29.04.2009 wegen der Zahlung von Taschengeld an die Kläger zu 2) und 3) durch deren Großeltern.
Das Sozialgericht - SG - hat den Klägern mit Beschluss vom 14.09.2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T aus C beigeordnet.
Am 13.05.2011 hat vor dem SG ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Dort hat die Klägerin zu 1) angegeben, zunächst nichts von den Taschengeldzahlungen seitens der Großeltern gewusst zu haben. Sie habe davon erst im Zusammenhang mit einer Fahrt der Kläger zu 2) und 3) in das Phantasialand erfahren. Die Kammer hat nach Zwischenberatung darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der Klassenfahrt maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sein dürfte. Die Kläger sind gebeten worden, das genaue Datum dieser Fahrt noch in Erfahrung zu bringen. Andernfalls werde von Amts wegen versucht, dieses zu ermitteln. Die mündliche Verhandlung ist sodann vertagt worden.
Am 27.06.2011 hat das SG bei den Klägern nachgefragt, ob mittlerweile das Datum der Klassenfahrt habe ermittelt werden können. Für den Fall, dass dies nicht geschehen sei, sind die Kläger aufgefordert worden, die Schule zu benennen, die die Klägerin zu 2) zum Zeitpunkt des Ausflugs besucht habe. Mit Schreiben vom 30.06.2011 haben die Kläger unter Beifügung einer Bescheinigung der Schule mitgeteilt, die Klägerin zu 2) habe "im April 2007 an der Klassenfahrt nach Prag teilgenommen". Mit Schreiben vom 04.07.2011 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass im Termin vom 13.05.2011 eine Klassenfahrt ins Phantasialand angegeben worden sei. Hierzu verhalte sich die vorgelegte Bescheinigung nicht. Es bleibe bei der Frage, wann die Fahrt ins Phantasialand stattgefunden habe.
Nach Erinnerung vom 09.08.2011 hat das SG die Kläger mit vom Kammervorsitzenden unterschriebenen Schriftsatz vom 20.09.2011, zugestellt gegen EB am 05.10.2011, aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und auf § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hingewiesen. Mangels Rückmeldung der Kläger bestehe der Verdacht, dass kein Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits mehr bestehe.
Mit Schriftsatz vom 02.01.2012 (einem Montag), eingegangen beim SG am 06.01.2012 (einem Freitag), haben die Kläger mitgeteilt, die Angabe einer Klassenfahrt ins Phantasialand im Termin vom 13.05.2011 sei irrtümlich erfolgt. Tatsächlich sei die Fahrt nach Prag gemeint gewesen, über die bereits eine Bescheinigung vorgelegt worden sei.
Am 13.01.2012 hat das SG den Klägern mitgeteilt, die Klage gelte nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, da das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben worden sei.
Am 30.01.2012 haben die Kläger mitgeteilt, dass die relevanten Unterlagen bereits mit Schreiben vom 30.06.2011 vorgelegt worden seien. Im Übrigen sei das Schreiben vom 02.01.2012 noch innerhalb der 3-Monats-Frist versandt worden.
Nach Hinwies des SG auf das Eingangsdatum des Schriftsatzes vom 02.01.2012 haben die Kläger am 13.02.2012 mit Verweis auf die üblichen Postlaufzeiten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine eidesstattliche Versicherung einer Kanzleimitarbeiterin des Bevollmächtigten vorgelegt, wonach diese den Schriftsatz vom 02.01.2012 noch am selben Tage versandt habe.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 05.06.2012, den Klägern zugestellt am 18.06.2012, abgelehnt. Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 102 Abs. 2 SGG sei nicht möglich, da es sich nicht um eine gesetzliche Frist i.S.v. § 67 SGG handele. Es liege auch keine höhere Gewalt vor, die eine ausnahmsweise Wiedereinsetzung auch in solchen Fällen ermögliche. Die Kläger hätten ausreichend Zeit gehabt, auf die Betreibensaufforderung zu antworten. Der Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Kläger am 18.06.2012 zugestellt worden. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.
Am 13.06.2012 haben die Kläger um Fortführung des Rechtsstreits gebeten und vorgetragen, die Betreibensaufforderung habe nicht der vorgeschriebenen Form entsprochen. Außerdem hätten gerade keine Anhaltspunkte für das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses vorgelegen. Die Schriftsätze des Gerichts aus Mitte 2011 und das Schreiben der Kläger vom 30.06.2011 hätten sich gekreuzt. Im Übrigen habe das Gericht im Termin selbst Ermittlungen angekündigt.
Am 16.07.2012 haben die Kläger Beschwerde eingelegt und nochmals beantragt, das Verfahren fortzusetzen. Wegen eines Umzugs habe mit den Klägern für einen längeren Zeitraum keine Rücksprache erfolgen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Antrag nach § 67 Nr. 1 SGG ist hier aber wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die vom SG angenommene Fristversäumnis hat weder die Unzulässigkeit noch die Erledigung der Klage zur Folge.
Hier liegt schon kein Versäumnis einer gesetzlichen Verfahrensfrist vor. Bei der Frist nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG handelt es sich vielmehr um eine Ausschlussfrist, in die eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht möglich ist (vgl. BVerwG Beschluss vom 25.11.2002 - 8 B 112/02 = juris Rn 2 mwN; vgl. auch Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Aufl. 2008, § 67 Rn 3).
Auch die Versäumung von Ausschlussfristen ist aber unbeachtlich, wenn ein Fall "höherer Gewalt" vorliegt (vgl. BVerwG aaO; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 102 Rn 9b). Ob hier angesichts der Postlaufzeit des Schreibens vom 02.01.2012 ein solcher Fall gegeben ist (höhere Gewalt bei unüblichen Postlaufzeiten bejahend Hessischer VGH Urteil vom 30.05.2012 - 6 A 1017/11 = juris Rn 48 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe Urteil vom 31.07.2001 - 17 U 93/00 = juris; vgl. aber BVerwG Urteil vom 29.04.2004 - 3 C 27/03 = juris Rn 19), kann dahinstehen.
Vor allem aber greift hier die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht (vgl. zur Entbehrlichkeit einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung in einem solchen Fall LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 06.08.2009 - L 14 AS 1005/09 B = juris Rn 13; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 15.04.2011 - L 5 AS 172/10 B = juris).
Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Diese Rücknahmefiktion kommt unter Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, der für § 102 Abs. 2 SGG als Vorbild diente, aber nur dann in Betracht, wenn sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vorliegen (vgl. BT-Drs 16/7716 S 19; vgl. auch BSG Urteile vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 46 und - B 13 R 74/09 R = juris Rn 50; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 26). Maßgeblich ist der Zeitraum bis zur Betreibensaufforderung (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 46; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 27). Solche Anhaltspunkte lagen hier nicht vor.
Zwar kann die Verletzung einer prozessualen Mitwirkungspflicht einen solchen Anhaltspunkt darstellen, wobei nur das Unterlassen solcher prozessualen Mitwirkungshandlungen erheblich ist, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind (vgl. BT-Drs 16/7716 S 19; BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R = juris Rn 52). Den Klägern kann nicht vorgehalten werden, auf die Auflage im Termin vom 13.05.2011 nicht reagiert zu haben. Denn sie haben mit Schriftsatz vom 30.06.2011 auf den aus ihrer Sicht maßgeblichen Zeitpunkt hingewiesen und diesen belegt. Ihnen kann allein vorgehalten werden, dass sie nach dem gerichtlichen Schreiben vom 04.07.2011 bis zur Fristsetzung am 20.09.2011 nicht noch einmal klargestellt haben, dass die Ausführungen im Termin vom 13.05.2011 zur Klassenfahrt ins Phantasialand irrtümlich erfolgt waren und dass es aus ihrer Sicht auf die Klassenfahrt nach Prag ankam. Es stellt aber einen erheblichen Unterschied dar, ob für das Verfahren relevante Unterlagen nicht vorgelegt werden oder ob auf einen gerichtlichen Vorhalt zu widersprüchlichem Vortrag nicht reagiert wird. Es wäre dem SG im Übrigen ohne Weiteres möglich gewesen, den aufgeworfenen Widerspruch selbst zu klären (allgemein zum Umfang der Amtsermittlung etwa BSG Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 17/11 R = juris Rn 21 mwN). Mit Schriftsatz vom 30.06.2011 hatten die Kläger eine Bescheinigung der Schule der Klägerin zu 2) vorgelegt. Die Adresse der Schule war damit dem SG bekannt. Im Termin vom 13.05.2011 hatte das SG noch erklärt, bei Fruchtlosigkeit der Bemühungen der Kläger selbst ermitteln zu wollen. In seinem Schreiben vom 27.06.2011 hatte es hilfsweise um Benennung der Schule gebeten, die dann mit dem Schreiben der Kläger vom 30.06.2011 erfolgte. Bis zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hatte das Gericht nicht zu erkennen gegeben, dass es seine Absicht, weiter zu ermitteln, aufgegeben hatte.
Hier ging es auch nicht etwa um einen Fall, in dem keinerlei Begründung seitens der Kläger erfolgt war (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 47). Vielmehr hatten die Kläger mit ihrer Klagebegründung, einer Replik und ihren Einlassungen im Termin vom 13.05.2011 das Verfahren aktiv betrieben (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 32).
In der Gesamtschau fehlt es unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Norm (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 32 mwN) sowie der prozessualen Konstellation einer Anfechtung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden an sachlich begründeten Anhaltspunkten für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das erstinstanzliche Klageverfahren prozessual noch nicht beendet ist. Bereits der Antrag auf Wiedereinsetzung ist als konkludenter Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu werten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 17). Besteht Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme, ist das Verfahren fortzuführen und vorrangig zu klären, ob Erledigung eingetreten ist (vgl. Leitherer aaO Rn 9b, 12; zur Qualifizierung des weiteren Verfahrens vor dem SG vgl. auch Bayerisches LSG Urteil vom 12.07.2011 - L 11 AS 582/10 = juris Rn 20 f.).
Eine Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses ist nicht geboten, da das SG zutreffend die Wiedereinsetzung abgelehnt hat (so auch LSG Sachsen-Anhalt aaO). Der angefochtene Beschluss erweckt auch nicht den zu beseitigenden Anschein, der Rechtsstreit sei infolge fiktiver Klagerücknahme erledigt (anders LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 18 im dortigen Fall).
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 20; LSG Sachsen-Anhalt aaO Rn 31).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Im zugrunde liegenden Klageverfahren geht es um Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 11.12.2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.04.2009, 04.05.2009 und 29.04.2009 wegen der Zahlung von Taschengeld an die Kläger zu 2) und 3) durch deren Großeltern.
Das Sozialgericht - SG - hat den Klägern mit Beschluss vom 14.09.2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T aus C beigeordnet.
Am 13.05.2011 hat vor dem SG ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Dort hat die Klägerin zu 1) angegeben, zunächst nichts von den Taschengeldzahlungen seitens der Großeltern gewusst zu haben. Sie habe davon erst im Zusammenhang mit einer Fahrt der Kläger zu 2) und 3) in das Phantasialand erfahren. Die Kammer hat nach Zwischenberatung darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der Klassenfahrt maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sein dürfte. Die Kläger sind gebeten worden, das genaue Datum dieser Fahrt noch in Erfahrung zu bringen. Andernfalls werde von Amts wegen versucht, dieses zu ermitteln. Die mündliche Verhandlung ist sodann vertagt worden.
Am 27.06.2011 hat das SG bei den Klägern nachgefragt, ob mittlerweile das Datum der Klassenfahrt habe ermittelt werden können. Für den Fall, dass dies nicht geschehen sei, sind die Kläger aufgefordert worden, die Schule zu benennen, die die Klägerin zu 2) zum Zeitpunkt des Ausflugs besucht habe. Mit Schreiben vom 30.06.2011 haben die Kläger unter Beifügung einer Bescheinigung der Schule mitgeteilt, die Klägerin zu 2) habe "im April 2007 an der Klassenfahrt nach Prag teilgenommen". Mit Schreiben vom 04.07.2011 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass im Termin vom 13.05.2011 eine Klassenfahrt ins Phantasialand angegeben worden sei. Hierzu verhalte sich die vorgelegte Bescheinigung nicht. Es bleibe bei der Frage, wann die Fahrt ins Phantasialand stattgefunden habe.
Nach Erinnerung vom 09.08.2011 hat das SG die Kläger mit vom Kammervorsitzenden unterschriebenen Schriftsatz vom 20.09.2011, zugestellt gegen EB am 05.10.2011, aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und auf § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hingewiesen. Mangels Rückmeldung der Kläger bestehe der Verdacht, dass kein Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits mehr bestehe.
Mit Schriftsatz vom 02.01.2012 (einem Montag), eingegangen beim SG am 06.01.2012 (einem Freitag), haben die Kläger mitgeteilt, die Angabe einer Klassenfahrt ins Phantasialand im Termin vom 13.05.2011 sei irrtümlich erfolgt. Tatsächlich sei die Fahrt nach Prag gemeint gewesen, über die bereits eine Bescheinigung vorgelegt worden sei.
Am 13.01.2012 hat das SG den Klägern mitgeteilt, die Klage gelte nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, da das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben worden sei.
Am 30.01.2012 haben die Kläger mitgeteilt, dass die relevanten Unterlagen bereits mit Schreiben vom 30.06.2011 vorgelegt worden seien. Im Übrigen sei das Schreiben vom 02.01.2012 noch innerhalb der 3-Monats-Frist versandt worden.
Nach Hinwies des SG auf das Eingangsdatum des Schriftsatzes vom 02.01.2012 haben die Kläger am 13.02.2012 mit Verweis auf die üblichen Postlaufzeiten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine eidesstattliche Versicherung einer Kanzleimitarbeiterin des Bevollmächtigten vorgelegt, wonach diese den Schriftsatz vom 02.01.2012 noch am selben Tage versandt habe.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 05.06.2012, den Klägern zugestellt am 18.06.2012, abgelehnt. Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 102 Abs. 2 SGG sei nicht möglich, da es sich nicht um eine gesetzliche Frist i.S.v. § 67 SGG handele. Es liege auch keine höhere Gewalt vor, die eine ausnahmsweise Wiedereinsetzung auch in solchen Fällen ermögliche. Die Kläger hätten ausreichend Zeit gehabt, auf die Betreibensaufforderung zu antworten. Der Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Kläger am 18.06.2012 zugestellt worden. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.
Am 13.06.2012 haben die Kläger um Fortführung des Rechtsstreits gebeten und vorgetragen, die Betreibensaufforderung habe nicht der vorgeschriebenen Form entsprochen. Außerdem hätten gerade keine Anhaltspunkte für das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses vorgelegen. Die Schriftsätze des Gerichts aus Mitte 2011 und das Schreiben der Kläger vom 30.06.2011 hätten sich gekreuzt. Im Übrigen habe das Gericht im Termin selbst Ermittlungen angekündigt.
Am 16.07.2012 haben die Kläger Beschwerde eingelegt und nochmals beantragt, das Verfahren fortzusetzen. Wegen eines Umzugs habe mit den Klägern für einen längeren Zeitraum keine Rücksprache erfolgen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Antrag nach § 67 Nr. 1 SGG ist hier aber wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die vom SG angenommene Fristversäumnis hat weder die Unzulässigkeit noch die Erledigung der Klage zur Folge.
Hier liegt schon kein Versäumnis einer gesetzlichen Verfahrensfrist vor. Bei der Frist nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG handelt es sich vielmehr um eine Ausschlussfrist, in die eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht möglich ist (vgl. BVerwG Beschluss vom 25.11.2002 - 8 B 112/02 = juris Rn 2 mwN; vgl. auch Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Aufl. 2008, § 67 Rn 3).
Auch die Versäumung von Ausschlussfristen ist aber unbeachtlich, wenn ein Fall "höherer Gewalt" vorliegt (vgl. BVerwG aaO; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 102 Rn 9b). Ob hier angesichts der Postlaufzeit des Schreibens vom 02.01.2012 ein solcher Fall gegeben ist (höhere Gewalt bei unüblichen Postlaufzeiten bejahend Hessischer VGH Urteil vom 30.05.2012 - 6 A 1017/11 = juris Rn 48 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe Urteil vom 31.07.2001 - 17 U 93/00 = juris; vgl. aber BVerwG Urteil vom 29.04.2004 - 3 C 27/03 = juris Rn 19), kann dahinstehen.
Vor allem aber greift hier die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht (vgl. zur Entbehrlichkeit einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung in einem solchen Fall LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 06.08.2009 - L 14 AS 1005/09 B = juris Rn 13; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 15.04.2011 - L 5 AS 172/10 B = juris).
Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Diese Rücknahmefiktion kommt unter Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, der für § 102 Abs. 2 SGG als Vorbild diente, aber nur dann in Betracht, wenn sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vorliegen (vgl. BT-Drs 16/7716 S 19; vgl. auch BSG Urteile vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 46 und - B 13 R 74/09 R = juris Rn 50; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 26). Maßgeblich ist der Zeitraum bis zur Betreibensaufforderung (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 46; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 27). Solche Anhaltspunkte lagen hier nicht vor.
Zwar kann die Verletzung einer prozessualen Mitwirkungspflicht einen solchen Anhaltspunkt darstellen, wobei nur das Unterlassen solcher prozessualen Mitwirkungshandlungen erheblich ist, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind (vgl. BT-Drs 16/7716 S 19; BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R = juris Rn 52). Den Klägern kann nicht vorgehalten werden, auf die Auflage im Termin vom 13.05.2011 nicht reagiert zu haben. Denn sie haben mit Schriftsatz vom 30.06.2011 auf den aus ihrer Sicht maßgeblichen Zeitpunkt hingewiesen und diesen belegt. Ihnen kann allein vorgehalten werden, dass sie nach dem gerichtlichen Schreiben vom 04.07.2011 bis zur Fristsetzung am 20.09.2011 nicht noch einmal klargestellt haben, dass die Ausführungen im Termin vom 13.05.2011 zur Klassenfahrt ins Phantasialand irrtümlich erfolgt waren und dass es aus ihrer Sicht auf die Klassenfahrt nach Prag ankam. Es stellt aber einen erheblichen Unterschied dar, ob für das Verfahren relevante Unterlagen nicht vorgelegt werden oder ob auf einen gerichtlichen Vorhalt zu widersprüchlichem Vortrag nicht reagiert wird. Es wäre dem SG im Übrigen ohne Weiteres möglich gewesen, den aufgeworfenen Widerspruch selbst zu klären (allgemein zum Umfang der Amtsermittlung etwa BSG Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 17/11 R = juris Rn 21 mwN). Mit Schriftsatz vom 30.06.2011 hatten die Kläger eine Bescheinigung der Schule der Klägerin zu 2) vorgelegt. Die Adresse der Schule war damit dem SG bekannt. Im Termin vom 13.05.2011 hatte das SG noch erklärt, bei Fruchtlosigkeit der Bemühungen der Kläger selbst ermitteln zu wollen. In seinem Schreiben vom 27.06.2011 hatte es hilfsweise um Benennung der Schule gebeten, die dann mit dem Schreiben der Kläger vom 30.06.2011 erfolgte. Bis zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hatte das Gericht nicht zu erkennen gegeben, dass es seine Absicht, weiter zu ermitteln, aufgegeben hatte.
Hier ging es auch nicht etwa um einen Fall, in dem keinerlei Begründung seitens der Kläger erfolgt war (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 47). Vielmehr hatten die Kläger mit ihrer Klagebegründung, einer Replik und ihren Einlassungen im Termin vom 13.05.2011 das Verfahren aktiv betrieben (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.04.2011 - L 9 SO 48/09 = juris Rn 32).
In der Gesamtschau fehlt es unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Norm (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rn 32 mwN) sowie der prozessualen Konstellation einer Anfechtung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden an sachlich begründeten Anhaltspunkten für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das erstinstanzliche Klageverfahren prozessual noch nicht beendet ist. Bereits der Antrag auf Wiedereinsetzung ist als konkludenter Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu werten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 17). Besteht Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme, ist das Verfahren fortzuführen und vorrangig zu klären, ob Erledigung eingetreten ist (vgl. Leitherer aaO Rn 9b, 12; zur Qualifizierung des weiteren Verfahrens vor dem SG vgl. auch Bayerisches LSG Urteil vom 12.07.2011 - L 11 AS 582/10 = juris Rn 20 f.).
Eine Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses ist nicht geboten, da das SG zutreffend die Wiedereinsetzung abgelehnt hat (so auch LSG Sachsen-Anhalt aaO). Der angefochtene Beschluss erweckt auch nicht den zu beseitigenden Anschein, der Rechtsstreit sei infolge fiktiver Klagerücknahme erledigt (anders LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 18 im dortigen Fall).
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 20; LSG Sachsen-Anhalt aaO Rn 31).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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