Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 320/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 KN 96/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichtes Gelsenkirchen vom 18.3.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1980 geborene Kläger erlernte von August 1998 bis Januar 2001 den Beruf des Industriemechanikers und arbeitete anschließend im deutschen Steinkohlenbergbau, zuletzt als Maschinenhauer 2 unter Tage. Nachdem er im November 2007 arbeitsunfähig erkrankt war und eine von der Beklagten gewährte stationäre Heilbehandlungsmaßnahme (14.2. bis zum 6.3.2008) die Arbeitsfähigkeit nicht wieder herstellen konnte, kehrte der Kläger zum 31.12.2008 ab und beantragte im Januar 2009 unter Hinweis auf Bandscheiben- und Kniebeschwerden sowie einen Bluthochdruck Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die von der Beklagten beauftragte Gutachterin A diagnostizierte ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei Wirbelsäulenverschleiß und Bandscheibenvorwölbungen, beidseits Kniegelenksbeschwerden bei Verschleiß und Verdacht auf Meniskusschaden, Bluthochdruck, Hinweise auf einen subklinischen (leicht verlaufenden) Diabetes mellitus, massives Übergewicht mit entzündeter Fettleber, ein überempfindliches Bronchialsystem sowie eine Hausstaubmilbenallergie. Der Kläger könne trotz dieser Gesundheitsstörungen noch acht Stunden täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten (Gutachten vom 4.3.2009). Dieser Einschätzung folgend bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente für Bergleute auf Zeit (Bescheid vom 8.4.2009), lehnte jedoch die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab (Bescheid vom 20.3.2009; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2009).
Mit der Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiter verfolgt und auf die zahlreichen Gesundheitsstörungen, damit verbundene Schmerzen und seine durchgängige Arbeitsunfähigkeit hingewiesen. Selbst bei Alltagsverrichtungen benötige er die Hilfe seiner Frau.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20.3.09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.09 zu verurteilen, bei ihm ab 22.1.09 einen Zustand von voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung anzunehmen und ihm die Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die behandelnden Ärzte befragt und als Sachverständige Internisten Dr. B, Orthopäden Dr. I, Anästhesistin und Schmerztherapeutin C und - auf Antrag des Klägers - Arzt für Orthopädie, Rheumaorthopädie und Unfallchirurgie Dr. B1 beauftragt, das Leistungsvermögen des Klägers zu beurteilen. Auf der Grundlage des Beweisergebnisses hat es die Klage abgewiesen: Es sei nicht bewiesen, dass der Kläger nicht mehr imstande sei, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Übereinstimmend hielten die Sachverständigen - einschließlich des vom Kläger ausgewählten Dr. B1 - ihn noch für in der Lage, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Umhergehen mindestens 6 Stunden täglich unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten (Urteil vom 18.3.2011).
Mit seiner Berufung trägt der Kläger ergänzend vor, seine Leistungsfähigkeit - besonders seine Konzentrationsfähigkeit - habe nochmals nachgelassen; es beständen Unruhe-, Erregungs- und Schmerzzustände. Er könne nicht mehr richtig atmen; das Gehen sei sehr problematisch, zudem könne er kaum noch sitzen. Die Schmerzen strahlten in die Arme aus; Hände und Finger seien taub.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Gelsenkirchen vom 18.3.2011 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2009 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Behandelnder Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. X hat mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert habe, weil ein Schlafapnoe-Syndrom hinzugekommen sei. Der Kläger sei nicht mehr der Lage, noch 6 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten (Befundbericht vom 8.1.2011). Behandelnder Internist, Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologe und Umweltmedizin Dr. F hat ergänzt, aus lungenfachärztlicher Sicht habe sich der Gesundheitszustand allenfalls leicht verschlechtert; eine leichte körperliche Tätigkeit sei vollschichtig möglich. Durch ein mögliches Schlafapnoe-Syndrom könne die Daueraufmerksamkeit bei noch nicht eingeleiteter Therapie eingeschränkt sein (Befundbericht vom 5.9.2011).
Das Gericht hat als Sachverständige Dr. M, Ärztin für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Nervenarzt Dr. P und den Orthopäden C1 eingeschaltet: Gegenüber den Vorgutachten habe sich keine wesentliche Verschlechterung ergeben. Der Kläger könne noch 6 Stunden und mehr körperlich leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten verrichten, wenn seine qualitativen Leistungseinschränkungen berücksichtigt würden. Er habe die durch den objektiven Befund nicht begründbare Vorstellung, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen zu können. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat Dr. P ergänzend erläutert, beim Kläger liege eine somatoforme Störung vor, nicht aber eine Konversionsneurose. Die Vorstellung des Klägers, er könne nicht mehr arbeiten, sei nicht krankhaft. Ihm sei zumutbar und möglich, therapeutische Schritte in die Wege zu leiten, um sich von dieser Fehlvorstellung zu lösen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses verweist der Senat auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch den Bescheid vom 20.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2009 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nicht beschwert, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig, weil die Beklagte zu Recht abgelehnt hat, dem Kläger Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Nach § 43 Abs 2 S 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs 2 S 2 SGB VI. Voll erwerbsgemindert ist außerdem, wer (nur) teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs 1 S 2 SGB VI), wenn ihm ein Teilzeitarbeitsplatz weder zur Verfügung steht noch binnen eines Jahres vom Rentenversicherungsträger angeboten werden kann. Das Bundessozialgericht (BSG) hat nämlich die gesetzlichen Vorgaben durch Richterrecht entsprechend ergänzt (BSGE 43,79 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Diese Rechtsprechung betrifft Versicherte, die (nur) teilweise erwerbsgemindert sind, weil sie in einem zumutbaren Beruf noch mindestens 3 Stunden, jedoch nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich einsetzbar und damit nur noch zu Teilzeitarbeit von weniger als 6 Stunden täglich fähig sind. Für diesen Personenkreis hat das BSG den Versicherungsschutz der gesetzlichen Rentenversicherung erweitert und neben die gesetzlich versicherten Güter der Erwerbs- und Berufsfähigkeit diejenigen der Erwerbs- und Berufsmöglichkeit gestellt und damit die gesetzlich versicherten Risiken der Krankheit und Behinderung um das Risiko der Unvermittelbarkeit auf dem (Teilzeit-) Arbeitsmarkt ergänzt (Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sog "Arbeitsmarktrente" zu gewähren (BSGE 78, 207ff = SozR 3-2600 § 43 Nr 13; BSG SozR3-2200 § 1276 Nr 3). Erwerbsgemindert ist dagegen - unabhängig von der Situation am (Teilzeit-)Arbeitsmarkt - in der Regel nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, § 43 Abs 3 SGB VI.
Nach diesen Grundsätzen besteht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil der Kläger nicht einmal teilweise erwerbsgemindert ist. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs 1 S 2 SGB VI. Eine so weit gehende zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit lässt sich beim Kläger nach dem Beweisergebnis nicht feststellen.
Die Fähigkeit des Klägers, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, wird durch Auswirkungen folgender Gesundheitsstörungen beeinträchtigt:
- Somatoforme Schmerzstörung,
- Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen,
- Adipositas, Hepatopathie, Asthma bronchiale, essentieller Hypertonus, Gastroduodenitis, Verdacht auf ein (bisher nicht therapiertes) Schlafapnoe-Syndrom,
- Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorwölbungen ohne neurologische Ausfälle, Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule durch Verschleiß der Zwischenwirbelgelenke des lumbosacralen Überganges ohne Beleg für Nervenwurzelreizungen oder Kompressionserscheinungen, ohne objektivierbare Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule,
- beginnender Verschleiß im rechten Hüftgelenk noch ohne arthrosetypische Bewegungseinschränkung
- Arthrose in der inneren Hälfte des rechten Kniegelenks ohne Reizzustand und ohne Funktionsdefizite
Dass beim Kläger (ausschließlich) die so umschriebenen Krankheits- bzw. Behinderungszustände vorliegen, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen Dr. M, C1 und Dr. P fest. Sie haben den Kläger persönlich untersucht und ihre Diagnosen unter Einbeziehung sämtlicher aktenkundiger medizinischer Unterlagen und eingehender Würdigung des Klagevorbringens gestellt. Weitergehende, die Leistungsfähigkeit des Klägers einschränkende Gesundheitsstörungen haben weder die behandelnden Ärzte noch die in erster Instanz eingeschalteten Sachverständigen Dr. B, Dr. I, C und Dr. B1 festgestellt. Die vom behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. X fachfremd diagnostizierte Depression konnte durch Dr. P nicht bestätigt werden. Auch ein anderer Arzt hat diese Diagnose nicht gestellt. Der Kläger behauptet überdies selbst nicht, durch eine Depression wesentlich in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Auch das von Dr. X fachfremd diagnostizierte Schlaf-apnoe-Syndrom ist bisher nicht belegt, es besteht bisher lediglich eine Verdachtsdiagnose. Das ergibt sich aus den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. M und des behandelnden Arztes Dr. F. Soweit letzterer und - im Verwaltungsverfahren - die Ärztin A darüber hinaus von einer Hausstaubmilbenallergie ausgehen, kann offen bleiben, ob diese Krankheit sicher vorliegt. Denn daraus resultiert nach der Bewertung dieser Ärzte keine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Trotz seiner Gesundheitsstörungen und der sich daraus nachweislich ergebenden Leistungsbeeinträchtigungen ist der Kläger nach dem übereinstimmenden Urteil aller Sachverständigen noch im Stande, regelmäßig mindestens 6 Stunden und mehr körperlich leichte, zeitweise sogar mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von bis zu 15 kg, im Sitzen, Stehen oder Gehen zu verrichten. Die Körperhaltung muss dabei nicht frei wählbar sein, es genügen gelegentliche Haltungswechsel. Nicht mehr zumutbar sind Arbeiten mit Klettern, Kriechen, häufigem Bücken, Tätigkeiten auf Gerüsten oder Leitern, Tätigkeiten im Freien ohne Witterungsschutz, Arbeiten unter Einfluss starker Kälte oder in Zugluft oder mit Temperaturschwankungen oder Nässe, Tätigkeiten mit starkem Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeit sowie in Nachtschicht.
Dies steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der sozialmedizinischen Bewertung des Sachverhalts durch die Sachverständigen Dr. M, C1 und Dr. P fest, die unter angemessener Berücksichtigung der Beschwerdeschilderung des Klägers keine weiteren Leistungseinschränkungen feststellen konnten. Solche haben auch die in erster Instanz gehörten Sachverständigen Dr. B, Dr. I, C und Dr. B1 nicht festgestellt. Soweit die Sachverständige C nur noch leichte Tätigkeiten für möglich hält, hat Hauptsachverständiger Dr. B das nicht für überzeugend gehalten und wird hierin durch die zweitinstanzliche Beweisaufnahme bestätigt. Dem entspricht, dass dem Kläger nach der stationären Heilbehandlung (14.2. - 6.3.2008) leichte bis mittelschwere Arbeiten, zeitweise im Stehen oder Gehen, überwiegend im Sitzen, bei Vermeidung langer Strecken, monotonem Stehen, Zwangshaltungen, häufigem Heben und Tragen, Bewegen von Lasten )10 kg, häufigem Bücken und Beugen zugemutet wurden (Entlassungsbericht vom 8.3.2008).
Der behandelnde Arzt Dr. F hält den Kläger ebenfalls noch für in der Lage, täglich 6 Stunden körperlich leichte Tätigkeiten verrichten. Die Beschränkung auf "leichte" Tätigkeiten begründet er nicht; sie ist durch die Beurteilungen der gerichtlichen Sachverständigen widerlegt. Soweit der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. X den Kläger wegen seiner "erheblichen gesundheitlichen Störungen" für nicht mehr im Stande hält, zumindest noch 6 Stunden leichten Tätigkeiten nachzugehen, überzeugt diese allgemein gehaltene sozialmedizinische Einordnung nicht. Die "erheblichen gesundheitlichen Störungen" sind von den gerichtlichen Sachverständigen gesehen und berücksichtigt worden. Diese verfügen - im Gegensatz zu Dr. X - über ausreichende Erfahrungen bei der Beurteilung sozialmedizinischer Fragestellungen, insbesondere bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit. Die Sachverständigen haben aus den einzelnen beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen die jeweils daraus resultierenden Leistungseinschränkungen überzeugend hergeleitet. Dr. X hat dagegen nicht (nachvollziehbar) begründet, weshalb aus den bekannten Gesundheitsstörungen über die von den Sachverständigen angenommenen qualitativen Leistungseinschränkungen auch eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter 6 Stunden arbeitstäglich resultieren soll.
Eine Einschränkung der täglichen Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten auf weniger als sechs Stunden folgt nicht aus der durch objektive Befunde nicht nachvollziehbaren Vorstellung des Klägers, nicht mehr erwerbstätig sein zu können (vgl dazu BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 8 ff). Es lässt sich nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass diese Vorstellung auf einer Krankheit oder einer Behinderung beruht, § 43 Abs 1 S 2 und Abs 2 S 2 SGB VI. Vielmehr spricht mehr dafür, dass diese Vorstellung nicht Folge einer psychischen Erkrankung ist (vgl zu dem insoweit geltenden strengen Maßstab: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 11; BSG, Urteil vom 20.10.2004, Az B 5 RJ 48/03 R, juris-Rdnr 30), sondern ihr eine (bewusstseinsnahe) Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit zugrunde liegt. Berechtigte Zweifel am Vorliegen einer neurotischen Fehlhaltung hat Dr. P für den Senat nachvollziehbar und überzeugend unter anderem damit begründet, dass der Kläger sich nicht (ausreichend) mit dieser Situation auseinandersetzt und auch keine therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. Selbst eine medikamentöse Behandlung fehlt vollständig. Es mangelt damit an einem die Leistungsfähigkeit krankheitsbedingt einschränkenden Leidensdruck. Weitere nicht zu beseitigende Zweifel daran, dass die Fehlvorstellung des Klägers (überwiegend) krankheitsbedingt ist, ergeben sich aus seinem von den Sachverständigen (Dr. B, C, C1, Dr. M) beschriebenen aggravierenden bzw demonstrativen Verhalten (vgl zu diesem Kriterium: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 11; BSG, Urteil vom 20.10.2004, Az B 5 RJ 48/03 R, juris-Rdnr 30). Dr. P hat diese Verhaltensmuster zwar (auch) auf die Persönlichkeitsstörung und die somatoforme Schmerzstörung des Klägers zurückgeführt, hat aber gleichwohl Aggravationstendenzen nicht ausschließen können.
Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung wäre, stünde dem Kläger kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Er kann sich nämlich aus seiner (dann: krankhaften) Fehlvorstellung mit fremder Hilfe lösen (vgl zu dieser Anspruchsvoraussetzung: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61, juris-Rdnr 14; BSG, Urteil vom 6.9.2001, Az B 5 RJ 42/00 R, juris-Rdnr 23). Dabei ist es ihm nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. P trotz der bestehenden somatoformen Schmerzstörung sowie der Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen zumutbar und möglich, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Falle der Inanspruchnahme einer entsprechenden (psychotherapeutischen und medikamentösen) Therapie kann der Kläger sich von seiner Fehlvorstellung binnen drei bis sechs Monaten lösen. Die Ausführungen des Dr. P sind widerspruchsfrei. Der Sachverständige hat durchgängig die Auffassung vertreten, dass der Kläger unter einer Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen und einer somatoformen Schmerzstörung leide, die Fehlvorstellung, nicht mehr arbeiten zu können, jedoch überwiegend bewusstseinsnah ablaufe. Deswegen hat er durchgängig und nachvollziehbar gemeint, dem Kläger sei zumutbar und möglich, sich mit fremder Hilfe von dieser Fehlvorstellung zu lösen. Damit harmoniert, dass die somatoforme Schmerzstörung nur von geringer Ausprägung ist.
Überdies haben die als Sachverständige gehörten Nervenärzte den Kläger - trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen und unter Berücksichtigung seiner Fehleinschätzung der eigenen Erwerbsfähigkeit - für in der Lage gehalten, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten regelmäßig zu verrichten (vgl BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 8).
Es liegt ersichtlich kein Sonderfall vor, in dem trotz der Fähigkeit, mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können, (in erweiternder Auslegung von § 43 Abs 3 SGB VI) nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen wegen einer unwiderleglich vermuteten Verschlossenheit des Arbeitsmarktes volle Erwerbsminderung anzunehmen ist ("Seltenheitsfall", "Katalogfall"; vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28f; BSGE 109, 189ff = SozR 4-2600 § 43 Nr 16 ) oder die Beklagte zur Widerlegung einer vermuteten Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zur Abwendung des Rentenanspruchs eine konkrete Tätigkeit benennen muss, die der Kläger mit seinem Leistungsvermögen noch regelmäßig verrichten kann ("Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen"; "schwere spezifische Leistungseinschränkung"; vgl zuletzt: BSG, Urteil vom 9.5.2012, Az B 5 R 68/11 R, juris-Rdnr 28 ff mwN). Denn die beim Kläger erwiesenen Leistungseinschränkungen sind überwiegend Folgen seiner Übergewichtigkeit und in ihrer Ausprägung derzeit noch eher geringfügig, so dass er nicht nur leichte, sondern gelegentlich durchaus noch körperlich mittelschwere Arbeiten verrichten kann. In einem solchen Fall kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Spektrum für die noch möglichen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich eingeschränkt ist. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen etwa nicht mehr diejenigen körperlich leichten Verrichtungen auszuführen vermag, die in den Arbeitsfeldern ungelernter Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem Kläger nicht zu, weil er nicht vor dem 2.1.1961, sondern 1980 geboren wurde, § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Sätze 1 und 3, 193 Abs 1 Satz 1 SGG. Der Senat hat davon abgesehen, den Kläger an den Gerichtskosten zu beteiligen, obwohl er den Rechtsstreit nach Hinweis des Vorsitzenden auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit fortgeführt hat, § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG. Er hat das konkrete Verhalten des Klägers vor dem Hintergrund des im Termin gewonnenen unmittelbaren Eindrucks als noch nicht in hohem Maße uneinsichtig bewertet.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Tatbestand:
Streitig ist Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1980 geborene Kläger erlernte von August 1998 bis Januar 2001 den Beruf des Industriemechanikers und arbeitete anschließend im deutschen Steinkohlenbergbau, zuletzt als Maschinenhauer 2 unter Tage. Nachdem er im November 2007 arbeitsunfähig erkrankt war und eine von der Beklagten gewährte stationäre Heilbehandlungsmaßnahme (14.2. bis zum 6.3.2008) die Arbeitsfähigkeit nicht wieder herstellen konnte, kehrte der Kläger zum 31.12.2008 ab und beantragte im Januar 2009 unter Hinweis auf Bandscheiben- und Kniebeschwerden sowie einen Bluthochdruck Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die von der Beklagten beauftragte Gutachterin A diagnostizierte ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei Wirbelsäulenverschleiß und Bandscheibenvorwölbungen, beidseits Kniegelenksbeschwerden bei Verschleiß und Verdacht auf Meniskusschaden, Bluthochdruck, Hinweise auf einen subklinischen (leicht verlaufenden) Diabetes mellitus, massives Übergewicht mit entzündeter Fettleber, ein überempfindliches Bronchialsystem sowie eine Hausstaubmilbenallergie. Der Kläger könne trotz dieser Gesundheitsstörungen noch acht Stunden täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten (Gutachten vom 4.3.2009). Dieser Einschätzung folgend bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente für Bergleute auf Zeit (Bescheid vom 8.4.2009), lehnte jedoch die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab (Bescheid vom 20.3.2009; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2009).
Mit der Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiter verfolgt und auf die zahlreichen Gesundheitsstörungen, damit verbundene Schmerzen und seine durchgängige Arbeitsunfähigkeit hingewiesen. Selbst bei Alltagsverrichtungen benötige er die Hilfe seiner Frau.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20.3.09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.09 zu verurteilen, bei ihm ab 22.1.09 einen Zustand von voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung anzunehmen und ihm die Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die behandelnden Ärzte befragt und als Sachverständige Internisten Dr. B, Orthopäden Dr. I, Anästhesistin und Schmerztherapeutin C und - auf Antrag des Klägers - Arzt für Orthopädie, Rheumaorthopädie und Unfallchirurgie Dr. B1 beauftragt, das Leistungsvermögen des Klägers zu beurteilen. Auf der Grundlage des Beweisergebnisses hat es die Klage abgewiesen: Es sei nicht bewiesen, dass der Kläger nicht mehr imstande sei, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Übereinstimmend hielten die Sachverständigen - einschließlich des vom Kläger ausgewählten Dr. B1 - ihn noch für in der Lage, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Umhergehen mindestens 6 Stunden täglich unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten (Urteil vom 18.3.2011).
Mit seiner Berufung trägt der Kläger ergänzend vor, seine Leistungsfähigkeit - besonders seine Konzentrationsfähigkeit - habe nochmals nachgelassen; es beständen Unruhe-, Erregungs- und Schmerzzustände. Er könne nicht mehr richtig atmen; das Gehen sei sehr problematisch, zudem könne er kaum noch sitzen. Die Schmerzen strahlten in die Arme aus; Hände und Finger seien taub.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Gelsenkirchen vom 18.3.2011 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2009 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Behandelnder Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. X hat mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert habe, weil ein Schlafapnoe-Syndrom hinzugekommen sei. Der Kläger sei nicht mehr der Lage, noch 6 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten (Befundbericht vom 8.1.2011). Behandelnder Internist, Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologe und Umweltmedizin Dr. F hat ergänzt, aus lungenfachärztlicher Sicht habe sich der Gesundheitszustand allenfalls leicht verschlechtert; eine leichte körperliche Tätigkeit sei vollschichtig möglich. Durch ein mögliches Schlafapnoe-Syndrom könne die Daueraufmerksamkeit bei noch nicht eingeleiteter Therapie eingeschränkt sein (Befundbericht vom 5.9.2011).
Das Gericht hat als Sachverständige Dr. M, Ärztin für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Nervenarzt Dr. P und den Orthopäden C1 eingeschaltet: Gegenüber den Vorgutachten habe sich keine wesentliche Verschlechterung ergeben. Der Kläger könne noch 6 Stunden und mehr körperlich leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten verrichten, wenn seine qualitativen Leistungseinschränkungen berücksichtigt würden. Er habe die durch den objektiven Befund nicht begründbare Vorstellung, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen zu können. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat Dr. P ergänzend erläutert, beim Kläger liege eine somatoforme Störung vor, nicht aber eine Konversionsneurose. Die Vorstellung des Klägers, er könne nicht mehr arbeiten, sei nicht krankhaft. Ihm sei zumutbar und möglich, therapeutische Schritte in die Wege zu leiten, um sich von dieser Fehlvorstellung zu lösen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses verweist der Senat auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch den Bescheid vom 20.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2009 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nicht beschwert, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig, weil die Beklagte zu Recht abgelehnt hat, dem Kläger Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Nach § 43 Abs 2 S 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs 2 S 2 SGB VI. Voll erwerbsgemindert ist außerdem, wer (nur) teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs 1 S 2 SGB VI), wenn ihm ein Teilzeitarbeitsplatz weder zur Verfügung steht noch binnen eines Jahres vom Rentenversicherungsträger angeboten werden kann. Das Bundessozialgericht (BSG) hat nämlich die gesetzlichen Vorgaben durch Richterrecht entsprechend ergänzt (BSGE 43,79 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Diese Rechtsprechung betrifft Versicherte, die (nur) teilweise erwerbsgemindert sind, weil sie in einem zumutbaren Beruf noch mindestens 3 Stunden, jedoch nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich einsetzbar und damit nur noch zu Teilzeitarbeit von weniger als 6 Stunden täglich fähig sind. Für diesen Personenkreis hat das BSG den Versicherungsschutz der gesetzlichen Rentenversicherung erweitert und neben die gesetzlich versicherten Güter der Erwerbs- und Berufsfähigkeit diejenigen der Erwerbs- und Berufsmöglichkeit gestellt und damit die gesetzlich versicherten Risiken der Krankheit und Behinderung um das Risiko der Unvermittelbarkeit auf dem (Teilzeit-) Arbeitsmarkt ergänzt (Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sog "Arbeitsmarktrente" zu gewähren (BSGE 78, 207ff = SozR 3-2600 § 43 Nr 13; BSG SozR3-2200 § 1276 Nr 3). Erwerbsgemindert ist dagegen - unabhängig von der Situation am (Teilzeit-)Arbeitsmarkt - in der Regel nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, § 43 Abs 3 SGB VI.
Nach diesen Grundsätzen besteht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil der Kläger nicht einmal teilweise erwerbsgemindert ist. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs 1 S 2 SGB VI. Eine so weit gehende zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit lässt sich beim Kläger nach dem Beweisergebnis nicht feststellen.
Die Fähigkeit des Klägers, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, wird durch Auswirkungen folgender Gesundheitsstörungen beeinträchtigt:
- Somatoforme Schmerzstörung,
- Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen,
- Adipositas, Hepatopathie, Asthma bronchiale, essentieller Hypertonus, Gastroduodenitis, Verdacht auf ein (bisher nicht therapiertes) Schlafapnoe-Syndrom,
- Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorwölbungen ohne neurologische Ausfälle, Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule durch Verschleiß der Zwischenwirbelgelenke des lumbosacralen Überganges ohne Beleg für Nervenwurzelreizungen oder Kompressionserscheinungen, ohne objektivierbare Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule,
- beginnender Verschleiß im rechten Hüftgelenk noch ohne arthrosetypische Bewegungseinschränkung
- Arthrose in der inneren Hälfte des rechten Kniegelenks ohne Reizzustand und ohne Funktionsdefizite
Dass beim Kläger (ausschließlich) die so umschriebenen Krankheits- bzw. Behinderungszustände vorliegen, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen Dr. M, C1 und Dr. P fest. Sie haben den Kläger persönlich untersucht und ihre Diagnosen unter Einbeziehung sämtlicher aktenkundiger medizinischer Unterlagen und eingehender Würdigung des Klagevorbringens gestellt. Weitergehende, die Leistungsfähigkeit des Klägers einschränkende Gesundheitsstörungen haben weder die behandelnden Ärzte noch die in erster Instanz eingeschalteten Sachverständigen Dr. B, Dr. I, C und Dr. B1 festgestellt. Die vom behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. X fachfremd diagnostizierte Depression konnte durch Dr. P nicht bestätigt werden. Auch ein anderer Arzt hat diese Diagnose nicht gestellt. Der Kläger behauptet überdies selbst nicht, durch eine Depression wesentlich in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Auch das von Dr. X fachfremd diagnostizierte Schlaf-apnoe-Syndrom ist bisher nicht belegt, es besteht bisher lediglich eine Verdachtsdiagnose. Das ergibt sich aus den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. M und des behandelnden Arztes Dr. F. Soweit letzterer und - im Verwaltungsverfahren - die Ärztin A darüber hinaus von einer Hausstaubmilbenallergie ausgehen, kann offen bleiben, ob diese Krankheit sicher vorliegt. Denn daraus resultiert nach der Bewertung dieser Ärzte keine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Trotz seiner Gesundheitsstörungen und der sich daraus nachweislich ergebenden Leistungsbeeinträchtigungen ist der Kläger nach dem übereinstimmenden Urteil aller Sachverständigen noch im Stande, regelmäßig mindestens 6 Stunden und mehr körperlich leichte, zeitweise sogar mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von bis zu 15 kg, im Sitzen, Stehen oder Gehen zu verrichten. Die Körperhaltung muss dabei nicht frei wählbar sein, es genügen gelegentliche Haltungswechsel. Nicht mehr zumutbar sind Arbeiten mit Klettern, Kriechen, häufigem Bücken, Tätigkeiten auf Gerüsten oder Leitern, Tätigkeiten im Freien ohne Witterungsschutz, Arbeiten unter Einfluss starker Kälte oder in Zugluft oder mit Temperaturschwankungen oder Nässe, Tätigkeiten mit starkem Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeit sowie in Nachtschicht.
Dies steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der sozialmedizinischen Bewertung des Sachverhalts durch die Sachverständigen Dr. M, C1 und Dr. P fest, die unter angemessener Berücksichtigung der Beschwerdeschilderung des Klägers keine weiteren Leistungseinschränkungen feststellen konnten. Solche haben auch die in erster Instanz gehörten Sachverständigen Dr. B, Dr. I, C und Dr. B1 nicht festgestellt. Soweit die Sachverständige C nur noch leichte Tätigkeiten für möglich hält, hat Hauptsachverständiger Dr. B das nicht für überzeugend gehalten und wird hierin durch die zweitinstanzliche Beweisaufnahme bestätigt. Dem entspricht, dass dem Kläger nach der stationären Heilbehandlung (14.2. - 6.3.2008) leichte bis mittelschwere Arbeiten, zeitweise im Stehen oder Gehen, überwiegend im Sitzen, bei Vermeidung langer Strecken, monotonem Stehen, Zwangshaltungen, häufigem Heben und Tragen, Bewegen von Lasten )10 kg, häufigem Bücken und Beugen zugemutet wurden (Entlassungsbericht vom 8.3.2008).
Der behandelnde Arzt Dr. F hält den Kläger ebenfalls noch für in der Lage, täglich 6 Stunden körperlich leichte Tätigkeiten verrichten. Die Beschränkung auf "leichte" Tätigkeiten begründet er nicht; sie ist durch die Beurteilungen der gerichtlichen Sachverständigen widerlegt. Soweit der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. X den Kläger wegen seiner "erheblichen gesundheitlichen Störungen" für nicht mehr im Stande hält, zumindest noch 6 Stunden leichten Tätigkeiten nachzugehen, überzeugt diese allgemein gehaltene sozialmedizinische Einordnung nicht. Die "erheblichen gesundheitlichen Störungen" sind von den gerichtlichen Sachverständigen gesehen und berücksichtigt worden. Diese verfügen - im Gegensatz zu Dr. X - über ausreichende Erfahrungen bei der Beurteilung sozialmedizinischer Fragestellungen, insbesondere bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit. Die Sachverständigen haben aus den einzelnen beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen die jeweils daraus resultierenden Leistungseinschränkungen überzeugend hergeleitet. Dr. X hat dagegen nicht (nachvollziehbar) begründet, weshalb aus den bekannten Gesundheitsstörungen über die von den Sachverständigen angenommenen qualitativen Leistungseinschränkungen auch eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter 6 Stunden arbeitstäglich resultieren soll.
Eine Einschränkung der täglichen Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten auf weniger als sechs Stunden folgt nicht aus der durch objektive Befunde nicht nachvollziehbaren Vorstellung des Klägers, nicht mehr erwerbstätig sein zu können (vgl dazu BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 8 ff). Es lässt sich nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass diese Vorstellung auf einer Krankheit oder einer Behinderung beruht, § 43 Abs 1 S 2 und Abs 2 S 2 SGB VI. Vielmehr spricht mehr dafür, dass diese Vorstellung nicht Folge einer psychischen Erkrankung ist (vgl zu dem insoweit geltenden strengen Maßstab: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 11; BSG, Urteil vom 20.10.2004, Az B 5 RJ 48/03 R, juris-Rdnr 30), sondern ihr eine (bewusstseinsnahe) Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit zugrunde liegt. Berechtigte Zweifel am Vorliegen einer neurotischen Fehlhaltung hat Dr. P für den Senat nachvollziehbar und überzeugend unter anderem damit begründet, dass der Kläger sich nicht (ausreichend) mit dieser Situation auseinandersetzt und auch keine therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. Selbst eine medikamentöse Behandlung fehlt vollständig. Es mangelt damit an einem die Leistungsfähigkeit krankheitsbedingt einschränkenden Leidensdruck. Weitere nicht zu beseitigende Zweifel daran, dass die Fehlvorstellung des Klägers (überwiegend) krankheitsbedingt ist, ergeben sich aus seinem von den Sachverständigen (Dr. B, C, C1, Dr. M) beschriebenen aggravierenden bzw demonstrativen Verhalten (vgl zu diesem Kriterium: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 11; BSG, Urteil vom 20.10.2004, Az B 5 RJ 48/03 R, juris-Rdnr 30). Dr. P hat diese Verhaltensmuster zwar (auch) auf die Persönlichkeitsstörung und die somatoforme Schmerzstörung des Klägers zurückgeführt, hat aber gleichwohl Aggravationstendenzen nicht ausschließen können.
Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung wäre, stünde dem Kläger kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Er kann sich nämlich aus seiner (dann: krankhaften) Fehlvorstellung mit fremder Hilfe lösen (vgl zu dieser Anspruchsvoraussetzung: BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61, juris-Rdnr 14; BSG, Urteil vom 6.9.2001, Az B 5 RJ 42/00 R, juris-Rdnr 23). Dabei ist es ihm nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. P trotz der bestehenden somatoformen Schmerzstörung sowie der Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen zumutbar und möglich, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Falle der Inanspruchnahme einer entsprechenden (psychotherapeutischen und medikamentösen) Therapie kann der Kläger sich von seiner Fehlvorstellung binnen drei bis sechs Monaten lösen. Die Ausführungen des Dr. P sind widerspruchsfrei. Der Sachverständige hat durchgängig die Auffassung vertreten, dass der Kläger unter einer Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und vermeidenden Anteilen und einer somatoformen Schmerzstörung leide, die Fehlvorstellung, nicht mehr arbeiten zu können, jedoch überwiegend bewusstseinsnah ablaufe. Deswegen hat er durchgängig und nachvollziehbar gemeint, dem Kläger sei zumutbar und möglich, sich mit fremder Hilfe von dieser Fehlvorstellung zu lösen. Damit harmoniert, dass die somatoforme Schmerzstörung nur von geringer Ausprägung ist.
Überdies haben die als Sachverständige gehörten Nervenärzte den Kläger - trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen und unter Berücksichtigung seiner Fehleinschätzung der eigenen Erwerbsfähigkeit - für in der Lage gehalten, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten regelmäßig zu verrichten (vgl BSG, Urteil vom 1.7.1964, Az 11/1 RA 158/61 juris-Rdnr 8).
Es liegt ersichtlich kein Sonderfall vor, in dem trotz der Fähigkeit, mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können, (in erweiternder Auslegung von § 43 Abs 3 SGB VI) nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen wegen einer unwiderleglich vermuteten Verschlossenheit des Arbeitsmarktes volle Erwerbsminderung anzunehmen ist ("Seltenheitsfall", "Katalogfall"; vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28f; BSGE 109, 189ff = SozR 4-2600 § 43 Nr 16 ) oder die Beklagte zur Widerlegung einer vermuteten Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zur Abwendung des Rentenanspruchs eine konkrete Tätigkeit benennen muss, die der Kläger mit seinem Leistungsvermögen noch regelmäßig verrichten kann ("Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen"; "schwere spezifische Leistungseinschränkung"; vgl zuletzt: BSG, Urteil vom 9.5.2012, Az B 5 R 68/11 R, juris-Rdnr 28 ff mwN). Denn die beim Kläger erwiesenen Leistungseinschränkungen sind überwiegend Folgen seiner Übergewichtigkeit und in ihrer Ausprägung derzeit noch eher geringfügig, so dass er nicht nur leichte, sondern gelegentlich durchaus noch körperlich mittelschwere Arbeiten verrichten kann. In einem solchen Fall kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Spektrum für die noch möglichen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich eingeschränkt ist. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen etwa nicht mehr diejenigen körperlich leichten Verrichtungen auszuführen vermag, die in den Arbeitsfeldern ungelernter Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem Kläger nicht zu, weil er nicht vor dem 2.1.1961, sondern 1980 geboren wurde, § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Sätze 1 und 3, 193 Abs 1 Satz 1 SGG. Der Senat hat davon abgesehen, den Kläger an den Gerichtskosten zu beteiligen, obwohl er den Rechtsstreit nach Hinweis des Vorsitzenden auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit fortgeführt hat, § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG. Er hat das konkrete Verhalten des Klägers vor dem Hintergrund des im Termin gewonnenen unmittelbaren Eindrucks als noch nicht in hohem Maße uneinsichtig bewertet.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
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