L 11 KA 122/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 33 KA 124/08
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 122/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sie über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates neu zu entscheiden hat. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang der Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger streitig.

Der als Facharzt für Innere Medizin in P niedergelassene Kläger ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und hat eine Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung von bis zu 85 Opiatabhängigen.

Am 25.03.2008 beantragte er unter Hinweis auf eine lange Warteliste und den zu erwartenden Druck auf seine Praxis eine Erweiterung der Genehmigung auf 120 Patienten. Die Beklagte bat die Kreisstelle P am 26.03.2008 um Auskunft wie folgt:

"In o. g. Angelegenheit bitten wir um Mitteilung, ob im Bereich Ihrer Kreisstelle noch Bedarf für die beantragten Behandlungen besteht oder ob diese Behandlungen bereits ausreichend sichergestellt sind. Wir möchten Sie höflich bitten, bei den Ärzten, die ihr Kontingent von 50 oder mehr Patienten noch nicht voll ausgeschöpft haben, anzufragen, ob sie noch bereit wären, weitere Patienten zu substituieren. Wir möchten Sie um eine detaillierte Aufstellung bitten, inwieweit jeder Arzt bereit Ist, sein Patientenkontingent auszuschöpfen. Als Anlage übersenden wir Ihnen das Schreiben der o. g. Antragsteller, die um eine Erhöhung der Substitutionsplätze bitten."

Hierauf teilte die Kreisstelle mit Schreiben vom 02.04.2008 mit: "In Beantwortung Ihres Schreibens vom 26.03.2008 dürfen wir Ihnen mitteilen, dass laut telefonischer Nachfrage folgende freie Therapieplätze gemeldet wurden:
Herr H - 15 freie Plätze
Herr I - 8 freie Plätze
Dr. P - 15 freie Plätze

Von einer Rückfrage bei den Herren Dres. G und T wurde aufgrund der Altersregelung abgesehen. Herr C nimmt seit Jahren keine Patienten mehr an."

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2008 den Antrag des Klägers ab; für eine Erhöhung des Patientenkontingents bestehe kein Bedarf.

Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs machte der Kläger unter dem 06.05. und 26.05.2008 geltend, die Ablehnung seines Antrags ignoriere die dargelegten Probleme der Patientenversorgung und stehe im Widerspruch zu den Feststellungen der Kreisstelle. Diese habe selber Engpässe festgestellt und in Rundschreiben an Kollegen appelliert, sich für die Behandlung Opiatabhängiger anzumelden. Schon in den Neunzigern und vor allem Anfang 2000 habe er als "Pionier der Substitution" in P mit 65 Methadonpatienten die dreifache Anzahl einer "normalen Praxis" betreut.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 17.06.2008 zurück. Nach Maßgabe der Richtlinie über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger solle ein Arzt in der Regel nicht mehr als 50 Opiatabhängige gleichzeitig substituieren. Da die Kreisstelle P noch freie und auch verfügbare Substitutionsplätze gemeldet habe, bestehe kein Anspruch auf eine Erhöhung der Patientenzahl. Zudem sei festzustellen, dass zwei Kollegen nach Beendigung ihrer Zulassung aus Altersgründen eine Ermächtigung für Substitutionsbehandlungen erteilt worden sei.

Diese Entscheidung hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf fristgerecht mit der Klage angegriffen und vorgetragen: Eine Rechtfertigung dafür, dass ein Arzt in der Regel nicht mehr als 50 Opiatabhängige gleichzeitig substituieren dürfe, sei nicht ersichtlich. Aus medizinischer und organisatorischer Sicht sei es möglich, eine weitaus höhere Anzahl an opiatabhängigen Patienten zu substituieren. Im Hinblick auf den bei der Behandlung opiatabhängiger Patienten regelmäßig eintretenden Patientenschwund sei es aus wirtschaftlicher Sicht und zur dauerhaften Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung ohnehin geboten, ein deutlich höheres Kontingent zuzuordnen. Darüber hinaus habe er aus Sicherstellungsgründen einen Anspruch auf Erhöhung seines Kontingents, da zwei der in P substituierenden Ärzten altersbedingt nicht mehr über eine Zulassung verfügten. Den sich durch die Beendigung der Zulassungen dieser Ärzte ergebenden Versorgungsbedarf habe die Kreisstelle P erkannt und in einem Rundschreiben im März 2008 ausdrücklich nach Ärzten gesucht, die bereit seien, Substitutionsbehandlungen durchzuführen. Insoweit habe die Beklagte den Sachverhalt hinsichtlich des Versorgungsbedarfs unvollständig und widersprüchlich ermittelt. Nicht nachvollziehbar sei, warum den ausgeschiedenen Ärzten Ermächtigungen zur Substitutionsbehandlung erteilt worden seien. Die Versorgung habe vorrangig durch zugelassene Ärzte zu erfolgen. Unter Vorlage eines Schreibens des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2007 hat der Kläger weiter ausgeführt, ca. 14 % der Substitutionsärzte versorgten zwischen 51 und 150 Patienten und ca. 1,5 % sogar über 150 Substitutionspatienten. Zu letzteren gehöre nach seiner Kenntnis auch einer der ausgeschiedenen Ärzte. Ergänzend hat er eine Statistik der Bundesopiumstelle zum Bedarf und zu Patientenzahl pro Arzt für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2008 vorgelegt, die nochmals eine deutliche Verschlechterung der Versorgungssituation belege:

Lfd. Nr. 7
Verwaltungsbezirk P
Subst. Ärzte insgesamt 7
Patienten insgesamt 750
Je Arzt 107,1
Je 100.000 Einwohner 346,5

Die Stadt P und die zuständige Kreisstelle der Beklagten hätten ausweislich des von ihm vorgelegten Zeitungsberichts vom 10.07.2010 ("Letztes Mittel Drogenambulanz") ein Versorgungsdefizit bestätigt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über seinen Antrag, die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger auf bis zu 120 Patienten zu erweitern, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Lediglich in geeigneten Ausnahmefällen könne sie zur Sicherstellung der Versorgung den Genehmigungsumfang erweitern, wobei jeweils eine richtlinienkonforme, d.h. qualitätsgesicherte Versorgung der Patienten gewährleistet sein müsse. Vor diesem Hintergrund habe sie bei ihrer Entscheidung, das Kontingent nicht auf 120 Patienten zu erhöhen, das oberste Ziel bei der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger berücksichtigt, nämlich eine qualitätsgesicherte Therapie, bei der es nicht um das alleinige Auswechseln des Opiates gehe, sondern vielmehr darum, für den Patienten die Suchtfreiheit zu erreichen. Nur wenn dieses Ziel nicht unmittelbar und zeitnah erreicht werden könne, sei die Substitution nach der einschlägigen Richtlinie im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzepts ggf. unter Einbeziehung begleitender psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlungs- oder psychosozialer Betreuungsmaßnahmen zulässig. Dies bedeute, dass die substitutionsgestützte Behandlung von Opiatabhängigen für den Arzt in aller Regel mit einem sehr hohen, auch zeitlichen Aufwand verbunden sei. Sie habe dem Kläger über die vom Normgeber vorgesehene Begrenzung auf 50 Patienten hinaus bereits 85 Patienten bewilligt. Damit sei den besonderen Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Versorgung als auch der konkreten Versorgungssituation im Planungsgebiet Rechnung getragen. Die Versorgung sei sichergestellt. Eine Erweiterung der Genehmigung über 85 Patienten hinaus scheide aus.

Das SG hat unter dem 02.02.2010 Auskünfte der (außer dem Kläger) im Planungsbereich P substituierenden Ärzte eingeholt, die auf die Frage nach den ihnen zugewiesenen Kontingenten, die aktuelle Patientenzahl und die rechtliche Grundlage (im Rahmen der Zulassung oder auf der Grundlage einer hierfür erteilten Ermächtigung) wie folgt geantwortet haben:

Ärzte - Kontingent - z.Z. Patientenzahl - Rechtsgrundlage

Dr. G - 0 - (noch 5 freie Plätze)
I - 80 Patienten - 64 Patienten - Zulassung
C - 3 Patienten - 1 Patient
C1 - 50 Patienten - 1 Patient - Zulassung
C2 - 60 Patienten - 54 Patienten - Ermächtigung
Dr. T -150 Patienten - 150 Patienten - Ermächtigung

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 08.09.2010 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Ablehnung des Erweiterungsantrages könne nicht allein auf die Auskunft der Kreisstelle P gestützt werden. Der Beklagten stehe zwar ein Beurteilungsspielraum zu, sie müsse ihr Beurteilungsergebnis jedoch auf fundierte Ermittlungen gründen. Auf freie Behandlungskapazitäten anderer Leistungsträger könne nur verwiesen werden, wenn es sich nicht lediglich um potentielle, sondern um reale Versorgungsangebote handele, wozu eine konkrete Ermittlung und Feststellung der noch freien Versorgungskapazitäten erforderlich sei. Würden Leistungserbringer befragt, so müssten deren möglicherweise interessenorientierte Angaben an Hand der zugänglichen weiteren Unterlagen verifiziert werden. Die Beklagte hätte daher die mitgeteilten freien Substitutionsplätze etwa anhand der Genehmigungen und der Behandlungsanzeigen überprüfen müssen. Zu berücksichtigen seien auch die sich aus den Statistiken der BundesopiumsteIle ergebenden Erkenntnisse.

Mit ihrer hiergegen fristgerecht eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor: Bei der Beurteilung, ob bzw. inwieweit eine Erweiterung der Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger über die bisherigen Umfang hinaus erteilt werden könne, stehe ihr ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dieser beziehe sich auf den Bedarf und auf die qualitätsgesicherte Versorgung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, welche sich aus der Beschränkung der Patientenzahl ergibt. Die Kreisstelle P habe etwa zwei Jahre vor dem SG eine Befragung bei drei Ärzten durchgeführt und festgestellt, dass 38 freie Substitutionsplätze zur Verfügung gestanden hätten. Sie - die Beklagte - habe ihren Beurteilungsspielraum weder willkürlich noch sachwidrig ausgeübt, wenn sie nach Befragung vor Ort mittels schlussfolgernder Bewertung davon ausgehe, dass eine Genehmigungserweiterung weder aus Bedarfsgesichtspunkten noch unter Qualitätssicherungsaspekten geboten sei, zumal sich die freien Kapazitäten zum Zeitpunkt der Abfrage des SG im Februar 2010 sogar auf 78 Substitutionsplätze beliefen. Damit bleibe festzustellen, dass das SG auf dieselben Ermittlungsmethoden wie sie - die Beklagte - zurückgegriffen habe. Demzufolge habe weder zum Zeitpunkt der Antragsablehnung in 2008 noch im laufenden gerichtlichen Verfahren Anfang 2010 objektiv ein Versorgungsdefizit bei der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger im Bereich der Kreisstelle P bestanden. Ohnehin habe das SG seine Überprüfungskompetenz überschritten, indem es Ermittlungen der Beklagten als unzureichend angesehen und durch eigene Ermittlungsergebnisse ersetzt habe. Soweit zu prüfen sei, ob und inwieweit die Versorgung bei der Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen sichergestellt sei, könnten nicht die für eine Sonderbedarfszulassung geltenden Maßstäbe herangezogen werden. Zu berücksichtigen sei, dass die genehmigte Anzahl von Patienten nicht überschritten werden dürfe. Innerhalb des genehmigten Kontingentes kämen Behandlungsanmeldungen und -abmeldungen im laufenden Quartal regelmäßig vor. Wenn der Auffassung des SG folgend weitere Ermittlungen, z. B. die Überprüfung der Behandlungsanzeigen gemäß § 7 Abs. 2 der maßgeblichen Richtlinie, durchgeführt werden müssten, seien auch diese Ergebnisse als relativ zu bezeichnen. Theoretisch könne sich die Anzahl der im Rahmen der Substitution behandelten Patienten täglich anpassen. Im Übrigen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger bereits Inhaber einer Genehmigung zur Substitutionsbehandlung von bis zu 85 Patienten sei. Damit werde sowohl den besonderen Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Versorgung im Hinblick auf die Beschränkung der Patientenzahlen, als auch der konkreten Versorgungssituation im Planungsbereich Rechnung getragen.

Unter dem 10.05.2011 hat die Beklagte mitgeteilt, eine aktuelle Abfrage über freie Kapazitäten habe ergeben, dass derzeit ca. 60 freie Methadon-Substitutionsplätze zur Verfügung stünden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.09.2010 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor: Angesichts der ihm grundgesetzlich eingeräumte Rechtsweggarantie begegne es erheblichen Bedenken, wenn der Beklagten hinsichtlich der Prüfung, ob und ggf. inwieweit "geeignete Fälle zur Sicherstellung der Versorgung" vorliegen, ein nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt werde. Dies müsse mit Rücksicht auf die Gesundheit der zu behandelnden Substitutionspatienten, des Interesses der Versichertengemeinschaft an der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung und nicht zuletzt wegen seiner wirtschaftlichen Interessen erheblich in Zweifel gezogen werden. Letztendlich könne dies dahinstehen, da die Beklagte die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsfigur des unbestimmten Rechtsbegriffs mit Beurteilungsspielraum verkenne. Selbst wenn ein Beurteilungsspielraum angenommen werde, stehe den Gerichten eine Überprüfungskompetenz dahingehend zu, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liege. Zu Recht werfe das SG der Beklagten vor, dass die Auskunft der Kreisstelle keine hinreichende Grundlage für die Entscheidung biete. Diese könne keine belastbare Aussage darüber treffen, wie sich die Versorgungssituation für Substitutionspatienten im Raum P darstelle. Zutreffend weise das SG darauf hin, dass diese Zahlen an Hand der bekannten Genehmigungen und der Behandlungsanzeigen hätten überprüft werden müssen. Zutreffend ziehe es überdies Parallelen zur Sonderbedarfsprüfung, bei der ebenfalls das reale und nicht das potentielle Versorgungsangebot entscheidend sei. Dies sei insbesondere bei der hier zu beurteilenden Versorgungssituation von erheblicher Relevanz, da zumindest zwei Substitutionsbehandlern zwar ein Patientenkontingent zugewiesen worden sei, diese jedoch keine ernsthafte Substitutionsbehandlung durchführten. Mit der realen Versorgungssituation habe der Umfang der ausgesprochenen Substitutionsgenehmigungen und die Anzahl der freien Plätze nichts zu tun. Das Vorbringen der Beklagten, es läge im Raum P kein Versorgungsdefizit bei der Substitutionsbehandlung vor, sei sachlich unzutreffend und werde sich auch bei der von der Beklagten nunmehr erneut vorzunehmenden Ermittlung des Sachverhaltes nicht erhärten lassen. Sofern die Beklagte darauf hinweise, die Anzahl der freien Plätze zur Substitutionsbehandlung könne täglich wechseln, stelle dies einen Umstand dar, der möglicherweise bei der Sachverhaltsermittlung durch entsprechende statistische Methoden zu berücksichtigen sei. Zu verweisen sei schließlich auf das Rundschreiben der Beklagten (Kreisstelle P) aus Oktober 2012, mit dem "nochmals" daran erinnert werde, dass "für P immer noch Kolleginnen gesucht (würden), die die Methadon-Substitution durchführen wollen".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte entschieden (§§ 33, 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Beim Streit über die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zu erteilende Genehmigung zur Methadon-Substitution wie auch über die Erweiterung der mit der Genehmigung zugewiesenen Kontingente handelt es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 62/94 -).

Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144, 151 SGG frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2008, mit der sie die Erweiterung der Genehmigung zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger abgelehnt hat, ist rechtswidrig. Der Kläger ist dadurch i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Einwendungen werden insofern vom Kläger nicht erhoben. Der Bescheid verstößt indes gegen das materielle Recht.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung. Ob für sein Begehren die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Entscheidung und damit die Richtlinie in der Fassung vom 17.01.2006 (veröffentlicht im BAnZ 2006 Nr. 48, S. 1523), in Kraft getreten am 01.04.2006, zuletzt geändert am 24.11.2011 (veröffentlicht im BAnZ 2012 Nr. 31, S. 747), in Kraft getreten am 24.02.2012, maßgeblich ist, kann dahinstehen. Die einschlägigen Bestimmungen galten wortgleich bereits in der zum Zeitpunkt der Antragstellung ab 01.04.2006 geltenden Fassung der Richtlinie vom 17.01.2006 (BAnZ 2006 Nr. 48 S. 1523).

Die Richtlinie benennt in Anlage I die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anerkannten ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und - soweit zur sachgerechten Anwendung der neuen Methode erforderlich - die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche Behandlung (so § 1 Abs. 1 der Richtlinie).

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der in die o.a. Bestimmungen unter Nr. 2 eingebundene Substitutionsrichtlinie (Substitutions-RL) dürfen Substitutionen in der vertragsärztlichen Versorgung nur von solchen Ärzten durchgeführt werden, die gegenüber der KV ihre fachliche Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) oder die Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 5 Abs. 3 BtMVV nachgewiesen haben und denen die KV eine Genehmigung zur Substitution erteilt hat. § 11 Substitutions-RL normiert in Abs. 3 und Abs. 5 Satz 2 die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Genehmigung zu erteilen ist. Nach § 11 Abs. 4 Substitutions-RL gilt:

Die Anzahl der vertragsärztlich durchzuführenden Substitutionsbehandlungen sind je Arzt begrenzt (Satz 1). Ein Arzt soll in der Regel nicht mehr als fünfzig Opiatabhängige gleichzeitig substituieren (Satz 2). Die KV kann, was vorliegend zwischen den Beteiligten streitig ist, in geeigneten Fällen zur Sicherstellung der Versorgung den Genehmigungsumfang erweitern (Satz 3).

Die Wortfolge "zur Sicherstellung der Versorgung" impliziert, dass eine ausreichende (wirtschaftliche und zweckmäßige) Versorgung der gesetzlich Versicherten auf der Grundlage der bestehenden Genehmigungen entgegen dem Sicherstellungsauftrag (§ 72 SGB V) nicht gewährleistet ist, so dass der auf ambulante Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) gerichtete Anspruch des Versicherten, wozu nach der Präambel zur Substitutions-RL im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzepts auch eine Substitutionsbehandlung gehört, nicht erfüllt werden kann.

Der Umfang der Sachaufklärungspflicht wird durch § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorgegeben. Die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen. Die Amtsermittlungspflicht gilt insofern nicht schrankenlos. Die Pflicht der Beklagten zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 20 SGB X) und zur Darstellung der für ihre Entscheidung maßgeblichen Gründe (§ 35 SGB X) wird dadurch näher bestimmt, inwieweit entscheidungserhebliche Umstände von den Beteiligten vorgetragen werden. Auf der Grundlage von §§ 20, 21 SGB X ist die Beklagte zwar verpflichtet, den Sachverhalt erschöpfend zu ermitteln, doch endet die Sachaufklärungspflicht jedenfalls da, wo weitere Bemühungen im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar sind oder die Mitwirkungspflicht eines des Verfahrensbeteiligten die Amtsermittlungspflicht begrenzt (Senat, Urteil vom 18.02.1998 - L 11 Ka 152/97 - zum Sonderbedarf; nachgehend BSG, Beschluss vom 30.10.1998 - B 6 KA 39/98 B -).

Bei der Beurteilung, ob und inwieweit ein "geeigneter" (Bedarfs-)Fall zur Sicherstellung der Versorgung vorübergehend oder auf Dauer besteht, verfügt die Beklagte über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum, der sich zunächst auf den Umfang der erforderlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen bezieht. Darüber hinaus hat die Beklagte einen Beurteilungsspielraum aber auch bei der schlussfolgernden Bewertung, ob und inwieweit der Versorgungsbedarf bereits durch das Leistungsangebot der zugelassenen Ärzte, die über die erforderliche Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger verfügen, gedeckt ist oder ob (ggf. befristet) ein Versorgungsbedarf besteht. Einen Beurteilungsspielraum hat sie hingegen nicht bei der Frage, wie weit sie ihre Ermittlungen erstreckt. Denn der Umfang ihrer Ermittlungen ist durch § 21 SGB X vorgegeben; die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, d.h. so weit gehen, wie sich weitere Ermittlungen als erforderlich aufdrängen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X). In diesem Bereich ist kein Raum für die Annahme eines Beurteilungsspielraums (BSG, Urteil vom 02.09.2009 - B 6 KA 21/08 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.04.2007 - L 10 KA 48/06 -; nachgehend BSG, Urteil vom 05.11.2008 - B 6 KA 10/08 R -). Ein "gerichtsfester" Beurteilungsspielraum ist der Beklagten nur nach Maßgabe vorgenannter Grundsätze eingeräumt.

Die hiernach gebotenen Ermittlungen zur Bedarfslage müssen sich an der Versorgungsrealität ausrichten (BSG, Urteil vom 02.09.2009 - B 6 KA 21/08 R -). Nur eine Versorgung, die den zur Inanspruchnahme berechtigten Opiatabhängigen tatsächlich zur Verfügung steht, kann ihren Versorgungsbedarf decken. Insofern gilt nichts anderes als im Rahmen der Ermittlung von Sonderbedarf. Solange die Versorgung nicht real gewährt wird oder keine Bereitschaft der über die erforderliche Genehmigung verfügenden Ärzte zur Leistungserbringung im Wege der vollständigen Ausschöpfung ihrer Kontingente besteht, kann ein geeigneter Fall i.S.d § 11 Abs. 4 Satz 3 Substitutions-RL vorliegen, der im Einzelfall den Beurteilungsspielraum dahin reduziert, dass eine bereits erteilte Genehmigung zu erweitern ist. Je nach Sachlage sind in Zulassungsstreitigkeiten Ermittlungen zu Wartezeiten (BSG, Urteil vom 02.09.2009 - B 6 KA 21/08 R -), Leistungsangeboten von konkurrierenden Ärzten (BSG, a.a.O.), Entfernungen (BSG, a.a.O.) usw. geboten. Soweit dem Umfang der Leistungserbringung durch die bereits zugelassenen Ärzte entscheidende Bedeutung beimessen wird, muss das Beurteilungsergebnis auf ausreichend fundierte Ermittlungen gegründet sein. Hierzu ist es erforderlich, diejenigen Ärzte bzw. Praxen, die solche Leistungen möglicherweise bereits erbringen bzw. erbringen können, zu befragen und deren Angaben, da diese interessenorientiert sein könnten, anhand ihnen zugänglicher weiterer Unterlagen - insbesondere der sog. Anzahlstatistiken - zu verifizieren (BSG, Urteile vom 08.12.2010 - B 6 KA 36/09 R - und 05.11.2008 - B 6 KA 10/08 R -). Verfügen diese Ärzte über freie Kapazitäten, so ist bei der Frage der Deckung des Versorgungsangebots zu prüfen, ob (noch) Bereitschaft besteht, die freien Plätze in Gänze oder in Anteilen zu nutzen oder ob und ggf. aus welchen Gründen (etwa auch wegen Nichterfüllung der Behandlungsvoraussetzungen) Patienten abgewiesen werden. Der Beklagten obliegt es insofern, diejenigen Ärzte bzw. Praxen, die solche Leistungen erbringen (dürfen) zu befragen und das Ergebnis zu bewerten, weshalb die Ermittlung nicht ersetzend oder ergänzend vom angerufenen Gericht durchzuführen sind.

Vorgenannte Grundsätze können indes nicht unbesehen auf vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Die Behandlung drogenabhängiger Patienten bedingt eine Sondersituation, die sich z.B. an "Imageproblemen" und erhöhtem Personal- und Einbruchsschutzaufwand der jeweiligen Praxis ausmachen läßt. Dies könnte darauf hindeuten, dass dem Vermeidungsverhalten des Konkurrenten und damit dem Gesichtspunkt der interessenorientierten Beurteilung der Versorgungssituation eher geringere Bedeutung beizumessen ist. Indessen kann nicht pauschal angenommen werden, dass in Fällen einer Konkurrenzsituation substituierender Vertragsärzte eine durch Eigeninteressen bestimmte Ausrichtung der angefragten Auskunft ausgeschlossen ist. Demzufolge ist die Beklagte in solchen Fallgestaltungen gehalten, den Sachverhalt dahin zu ermitteln, ob und inwieweit die im Planbereich subtituierenden Ärzte ihr Kontingent auszuschöpfen. Dies ist namentlich deswegen angezeigt, weil der Kläger schon im Verwaltungsverfahren auf von der Kreisstelle P selbst festgestellte Versorgungsengpässe hingewiesen hat. Die Beklagte hat dies auch zutreffend erkannt und deswegen die Kreisstelle mit Schreiben vom 26.03.2008 richtigerweise um Zweierlei gebeten, nämlich

"bei den Ärzten, die ihr Kontingent von 50 oder mehr Patienten noch nicht voll ausgeschöpft haben, anzufragen, ob sie noch bereit wären, weitere Patienten zu substituieren."

und eine detaillierte Aufstellung vorzulegen,

"inwieweit jeder Arzt bereit ist, sein Patientenkontingent auszuschöpfen."

Dem ist die Kreisstelle indes nicht nachgekommen. Sie hat mit Schreiben vom 02.04.2008 lediglich mitgeteilt, dass drei namentlich benannte Ärzte noch je 15, 8 und 15 freie Plätze zur Verfügung haben. Hierauf gestützt hat die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 05.05.2008 abgelehnt.

Die Auskunft der Kreisstelle ist keine geeignete Grundlage, um einen Bedarf zu verneinen und damit den Antrag des Klägers auf Erweiterung des Genehmigungsumfangs abzulehnen. Die mitgeteilte Erkenntnis, dass die benannten Ärzte noch freie Plätze haben, ist nicht entscheidungserheblich. Wesentlich ist, ob sie bereit sind, das ihnen zugewiesene Kontingent auszuschöpfen und ggf. warum nicht. Hinzu kommt, dass die Auskunft der Kreisstelle auf einer telefonischen Nachfrage beruht. Insoweit bleibt unklar, ob die Fragestellung der Beklagten aus dem Schreiben vom 26.03.2008 weitergegeben oder aber modifiziert worden ist. Nicht unbeachtlich ist ferner, dass unklar ist, wer die entsprechenden Auskünfte gegeben hat (Arzt ? Helferin ?). Schließlich lässt sich der Auskunft nicht entnehmen, ob die Kreisstelle nur bei den drei benannten Ärzten oder bei allen substituierenden Ärzten angefragt hat.

Die Beklagte ist allerdings nicht verpflichtet, die Auskünfte mit der Datenlage der zum Geschäftsbereich des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) gehörenden Bundesopiumstelle, die das Substitutionsregister nach § 5a BtMVV führt, abzugleichen. Die Meldepflicht des Arztes gemäß § 5a Abs. 2 BtMVV erstreckt sich auf alle Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wird. Da die registrierten Daten nicht zwischen privaten/privat-versicherten und gesetzlich versicherten Patienten, die auch zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen gemäß § 5 Substitutions-RL zu melden sind, unterscheiden, lassen sie keine Rückschlüsse auf die Bedarfslage gesetzlich Versicherter zu, auf die es hier allein ankommt (vgl. auch § 11 Abs. 4 Satz 1 Substitutions-RL).

Bei ihrer neuen Entscheidung wird die Beklagte die Rundschreiben der Kreisstelle P von März 2008 und Oktober 2012 zu berücksichtigen haben. So heißt es im vom Vorsitzenden der Kreisstelle unterzeichneten Rundschreiben vom 09.10.2012:

"Zum Schluss möchte ich noch einmal daran erinnern, dass für P immer noch KollegInnen gesucht werden, die die Methadon-Substitution durchführen wollen".

Auch soweit die Beklagte auf die Regelanzahl von 50 Patienten gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 der Substitutions-RL und die Gewährleistung der besonderen Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Versorgung hinweist, besteht ein von ihr aufzulösender Widerspruch infolge der - nach Aktenlage erteilten - Zuweisung eines Kontingents von bis zu 150 Patienten für Dr. T.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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