Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AY 14/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 145/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AY 4/13 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Zur Abgrenzung von § 4 und § 6 AsylbLG bei Leistungen für einen stationären Krankenhausaufenthalt (notwendige Operation im beschwerdefreien Intervall einer wiederkehrenden Erkrankung).
2.
Der sozialhilferechtliche Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB XII ist im AsylbLG nicht entsprechend anzuwenden.
Zur Abgrenzung von § 4 und § 6 AsylbLG bei Leistungen für einen stationären Krankenhausaufenthalt (notwendige Operation im beschwerdefreien Intervall einer wiederkehrenden Erkrankung).
2.
Der sozialhilferechtliche Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB XII ist im AsylbLG nicht entsprechend anzuwenden.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Übernahme von Kosten, die für eine stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin bei der Beigeladenen im Dezember 2008 entstanden sind.
Die am 00.00.2005 geborene Klägerin ist eines von mehreren Kindern der am 00.00.1990 in N (Kosovo) geborenen Suada E und des am 01.05.1990 geborenen, in V wohnhaften H.
Die Mutter der Klägerin lebte seit Ende der neunziger Jahre gemeinsam mit ihrer Herkunftsfamilie in der Bundesrepublik und bezog mit dieser - einschließlich der Klägerin - Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von der Beklagten. Der Vater der Klägerin erhielt (gemeinsam mit seiner Herkunftsfamilie) von der Stadt V durchgängig bis Ende 2009 ebenfalls Leistungen nach dem AsylbLG.
Einen Asylantrag stellte die Klägerin nicht. Aufenthaltsrechtlich wurden ihr von der Ausländerbehörde der Beklagten - von kurzen Unterbrechungen in den Jahren 2006 und 2007 abgesehen - zunächst durchgängig Duldungen nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt. Im Juli 2009 erhielt sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG.
Ab März 2007 bezog die Klägerin mit ihrer Mutter sowie ihrem am 00.00.2006 geborenen Bruder eine eigene Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten, wo sie dauerhaft zusammen lebten. Kontakte zu ihrem Vater in V hatte die Klägerin nur sporadisch. Eine gemeinsame elterliche Sorge (nach § 1626a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der bis zum 18.05.2013 geltenden Fassung) besteht nicht; die Klägerin hatte vielmehr gemäß § 1626a Abs. 2 BGB a.F. das alleinige elterliche Sorgerecht.
Die Beklagte gewährte der Klägerin, ihrer Mutter (und später auch den nachgeborenen weiteren Geschwistern) bis zum Ende des Jahres 2009 weiter Leistungen nach dem AsylbLG. Die Klägerin (sowie später die Geschwister) erhielten ungekürzte Grundleistungen nach Maßgabe des § 3 AsylbLG.
Seit August 2008 bemühte sich die Mutter der Klägerin - anwaltlich vertreten - für sich und ihre Kinder wiederholt um die Zuerkennung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Dies lehnte die Beklagte, zuletzt mit Bescheid vom 26.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2009, ab; das anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Münster (S 16 AY 1/09) durchgeführte Klageverfahren der Klägerin, ihres Bruders und der Mutter endete durch gerichtlichen Vergleich am 04.10.2011. Darin verpflichtete sich die Beklagte "zur Abdeckung der Klageforderung und des am 25.03.2010 gestellten Antrages nach § 44 SGB X zur Überprüfung der Bescheide für vier Jahre unstreitig ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen Betrag von 1.000,00 EUR" zu zahlen.
Seit ihrer Geburt befand sich die Klägerin mehrfach in stationärer Krankenhausbehandlung, wofür die Beklagte im Rahmen von § 4 AsylbLG die Kosten trug. Neben der Entbindung und Nachsorge im Rahmen einer Notfallbehandlung im evangelischen Krankenhaus I (vom 08.08.2005 bis zum 20.08.2005) fanden vier weitere stationäre Notfallbehandlungen vom 12.05.2006 bis zum 21.05.2006, vom 31.05.2006 bis zum 02.06.2006, vom 20.08.2007 bis zum 04.09.2007 und vom 28.03.2008 bis zum 31.03.2008 im D-hospital N statt. Die Behandlungen im D-hospital waren erforderlich wegen Lungenentzündung, Volumenmangel/Austrocknung, Dehydraton/Nahrungsverweigerung und Austrocknung/Magen-Darm-Infekt.
Zur Inanspruchnahme von Krankenbehandlungen wurden für die Klägerin von der Beklagten bis zum vierten Quartal 2008 regelmäßig - insgesamt 15 mal - quartalsweise sog. "Behandlungsausweise" ausgestellt. Diese Behandlungsausweise enthielten folgenden schriftlichen Zusatz: "Wichtige Hinweise für den Arzt/die Ärztin: Behandlungskosten einschließlich der Kosten für die Diagnose werden nur bei akuten Erkrankungen und bei Schmerzzuständen übernommen. Planbare/geplante stationäre Krankenhausaufenthalte/ambulante Operationen sind vorab zu genehmigen. " Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieser Behandlungsausweise wird auf das von der Beklagten vorgelegte Muster (Blatt 142 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin zuvor schon häufiger wegen wiederkehrender Mandel- bzw. Mittelohrentzündungen bei ihrem Kinderarzt Dr. K in Behandlung gewesen war, begab sie sich am 28.10.2008 einmalig in die ambulante Behandlung bei der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Stimm- und Sprachstörungen Dr. T. Diese diagnostizierte Serotympanon beidseits, adenoide Hyperplasie sowie Tonsillenhyperplasie.
Vor diesem Hintergrund wurde die Klägerin am 19.11.2008 (erstmals) bei der Beigeladenen ambulant behandelt. Dabei wurde ein Audiogramm erstellt und eine MRSA-Untersuchung durchgeführt. Daran schloss sich am 26.11.2008 eine vorstationäre Behandlung an, bei der die Ärzte der Beigeladenen Röntgenaufnahmen von der Klägerin fertigten und ein Aufklärungsgespräch für eine in Aussicht genommene Mandel- und Polypenoperation führten. Noch am gleichen Tag unterzeichnete die Mutter der Klägerin einen "Antrag auf Übernahme von Krankenhauskosten nach dem Bundessozialhilfegesetz" bezogen auf eine für den 01.12.2008 geplante stationäre Krankenhausaufnahme der Klägerin bei der Beigeladenen; diese Anzeige wurde in der Folgezeit nicht abgesandt.
Am 01.12.2008 wurde die Klägerin dann beim Beigeladenen stationär aufgenommen und operiert. Es wurden eine Parazentese beidseits mit Einlegen einer Paukendrainage (links) und eine Tonsillektomie beidseits durchgeführt. Am 08.12.2008 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. Für den Krankenhausaufenthalt stellte die Beigeladene der Mutter der Klägerin unter dem 16.02.2009 einen Betrag i.H.v. 2.136,40 EUR in Rechnung. Mangels Zahlung machte die Beigeladene die Forderung gerichtlich geltend. Das Amtsgericht (AG) Münster verurteilte die Mutter der Klägerin antragsgemäß, den Rechnungsbetrag an die Beigeladene zu zahlen (rechtskräftiges Urteil vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09); nach den Umständen des Falles sei - jedenfalls konkludent - ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen der sorgeberechtigten Mutter der Klägerin und der Beigeladenen zustande gekommen, aus dem die Mutter der Klägerin verpflichtet sei, die Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008 zu begleichen
Am 26.01.2009 übersandte die Beigeladene der Beklagten per Telefax eine Entlassungsmitteilung. Hierdurch erhielt die Beklagte erstmals Kenntnis von der stationären Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008. Der Ausdruck dieses Faxschreibens trägt folgende handschriftliche Bemerkung der Beklagten: "vorstationäre Behandlung am 26.11.2008 mit dickem Vermerk der Verwaltung für die HNO-Klinik nur Aufn. wenn Kostenzusage, da planbare Maßnahme".
Mit Schreiben vom 05.02.2009 erinnerte die Beigeladene die Beklagte an die Begleichung der Krankenhausbehandlungskosten. Mit Bescheid vom 06.02.2009 (gerichtet an die Mutter der Klägerin) lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme für den stationären Krankenhausaufenthalt im Dezember 2008 ab. Eine Übernahme sei von der vorherigen Zustimmung des Leistungsträgers abhängig. Es habe sich nicht um einen Notfall, sondern um einen planbaren Eingriff gehandelt. Die HNO-Klinik der Beigeladenen sei nach der vorstationären Behandlung am 26.11.2008 von deren eigener Verwaltung bereits darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin nur mit einer Kostenübernahmeerklärung des Sozialamtes stationär aufzunehmen sei; daran habe sich die HNO-Klinik leider nicht gehalten.
Die Klägerin legte (anwaltlich) Widerspruch ein. Nach § 4 AsylbLG reiche es aus, wenn die Krankheit entweder akut oder schmerzhaft sei. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte sei die Behandlung erforderlich gewesen, um Schmerzen zu beseitigen; ihre Mutter habe deshalb nicht zuwarten können, bis die Beklagte über einen Antrag entschieden hätte.
Die Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin sowie Sozialmedizin ihres Gesundheitsamtes Dr. T1 ein. In ihrer Stellungnahme vom 30.04.2009 führte diese aus, nach telefonischer Rücksprache mit dem Kinderarzt Dr. K sei die Operation prinzipiell geeignet und unerlässlich gewesen, um weitere schmerzhafte Infekte sowie evtl. gefährliche Folgeerkrankungen zu verhindern. Insbesondere sei die Dauer des stationären Aufenthalts wegen der Gefahr einer möglichen Nachblutung gerechtfertigt gewesen. Operationen dieser Art seien allerdings planbar; sie sollten möglichst in einem symptomarmen Intervall durchgeführt werden. Ein vorheriger Antrag auf Kostenübernahme sei sicher möglich gewesen. Wenn sie - die Ärztin - im Vorfeld in die Begutachtung der Kostenübernahme eingeschaltet worden wäre, hätte sie unter Berücksichtigung des § 6 AsylbLG eine Übernahme der Kosten empfohlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach dem Inhalt des beim Gesundheitsamt eingeholten Gutachtens habe es sich um einen planbaren Eingriff gehandelt. Ein vorheriger Kostenübernahmeantrag wäre der Klägerin deshalb möglich und zumutbar gewesen.
Dagegen hat am 26.05.2009 zunächst die Mutter der Klägerin (ebenfalls anwaltlich) in eigenem Namen Klage vor dem SG Münster erhoben. Die Klägerin habe starke Ohrenschmerzen gehabt. Es habe sich um eine Notfallbehandlung gehandelt, was auch die Beigeladene bestätigen werde. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten stimme nicht mit dem zwischenzeitlich vom SG eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. K über.
Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat der Prozessbevollmächtigte von Mutter und Klägerin mit Schriftsatz vom 21.09.2009 erklärt, die Beklagte habe durch Adressierung der Bescheide an die Mutter Anlass zur Klageerhebung durch diese gegeben. Er halte es für sachdienlich, im Wege der Klageänderung die (jetzige) Klägerin als solche zu führen. Das SG hat daraufhin im Dezember 2010 das Rubrum entsprechend geändert und die Beteiligten darüber informiert.
Die Klägerin hat (nach der sinngemäßen Fassung ihres Begehrens durch das Sozialgericht) beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 06.02. und 08.05.2009 zu verurteilen, die Behandlungskosten des Universitätsklinikums N für die stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sei ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin und nicht deren Mutter die vorliegende Klage führen müsse. Im Übrigen hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie auf den Inhalt der von ihr eingeholten Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes verwiesen. Ergänzend hat sie vorgetragen, eine akute Erkrankung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 HS 1 Var. 1 AsylbLG lasse sich definieren als ein unvermittelt auftretender, schnell und heftig verlaufender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedürfe. Eine solche akute Erkrankung habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Zwar könnten akute Krankheitszustände auch im Falle einer chronischen Erkrankung auftreten. Die chronische Erkankung selbst falle jedoch nicht unter den Begriff "akute Erkrankung" im hier maßgebenden Sinne. Unter einem Schmerzzustand im Sinne von § 4 Abs. 1, 2. Var. AsylbLG sei ein mit einer aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigung einhergehender, unangenehmer Sinnes- und Gefühlszustand zu verstehen, der aus medizinischen Gründen der Behandlung bedürfe. Den Ausführungen des Gesundheitsamtes folgend, habe bei der Klägerin zwar eine chronische Erkrankung vorgelegen, diese habe aber keine sofortige und damit unaufschiebbare medizinische Behandlung erfordert. Auch nach § 6 AsylbLG könne ein Anspruch auf Kostenübernahme nicht hergeleitet werden. Nach ihrer Entstehungsgeschichte handle es sich um eine eng auszulegende Auffangvorschrift, die nur in den Fällen zur Anwendung gelange, in denen die in §§ 3, 4 und 5 AsylbLG geregelten Leistungen nicht ausreichten. Nach § 6 AsylbLG lasse sich unter einer chronischen Erkrankung ein sich sehr langsam entwickelnder, über mindestens acht bis zehn Wochen anhaltender, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand verstehen, der seinerseits aus einer akuten Erkrankung hervorgehen könne. Im Rahmen von § 6 AsylbLG komme es darauf an, ob die Behandlung zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich (gewesen) sei. Es müssten also außergewöhnliche Umstände vorliegen. Solche seien im Falle der Klägerin aber nicht feststellbar. Es habe sich insbesondere nicht um einen Notfall gehandelt, welcher einen vorherigen Antrag bei der Beklagten unmöglich gemacht habe. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus den Angaben der Beigeladenen in dem Kostenübernahmeantrag; dort sei die Behandlung der Klägerin als Normalfall eingeordnet worden. Dies decke sich im Ergebnis auch mit den Erkenntnissen des (vom Gericht bestellten) Sachverständigen Dr. K.
Das SG hat zunächst einen Befundbericht vom 08.03.2011 bei Dr. T angefordert. Anschließend hat es ein Sachverständigengutachten bei dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. K vom 15.06.2011 eingeholt. Auf den Befundbericht und das Sachverständigengutachten wird Bezug genommen (Blatt 62 f., 67 f. und 70-76 der Gerichtsakten).
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat das SG den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.11.2011 (der Beklagten zugestellt am 17.11.2011) hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Behandlungskosten i.H.v. 2.136,40 EUR für die stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Bei der Klägerin habe eine akute Erkrankung mit Schmerzzuständen im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylbLG vorgelegen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K sei eine sofortige mandelentfernende Operation der Klägerin erforderlich gewesen. Die Beklagte habe mit ihren eigenen Mitteln nicht rechtzeitig helfen können. Sie stelle die Operationsnotwendigkeit ohnehin weiter in Abrede. Die Klägerin habe sich in dieser Situation in anspruchsunschädlicher Weise selbst geholfen.
Dagegen richtet sich die am 13.12.2011 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist weiterhin der Auffassung, es habe weder eine akute, sofort ärztlich behandlungsbedürftige Erkrankung vorgelegen, geschweige denn eine Notfallsituation. Der Sachverständige Dr. K habe keineswegs eine sofortige mandelentfernende Operation für notwendig gehalten. Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 1 AsylbLG; denn diese Vorschrift setze voraus, dass die Kostenübernahme zuvor beim Leistungsträger beantragt werde, damit dieser die Leistungsvoraussetzungen prüfen könne. Die Klägerin habe jedoch vorab keinen Antrag gestellt, obwohl ihr dies rechtzeitig möglich gewesen wäre. Gegen die Höhe der Behandlungskosten als solches bestünden keine Einwände.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 04.11.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG zutreffend. Sie habe die Beigeladene aufgesucht, weil sie Schmerzen gehabt habe.
Die (mit Beschluss des Senats vom 19.04.2013 zu dem Verfahren hinzugezogene) Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag und äußert sich in der Sache nicht.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge des Beklagten, Patientenakte der Beigeladenen über die Klägerin sowie Prozessakten des SG Münster S 16 AY 1/09 und des AG Münster - 5 C 2954/09), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, die Kosten für die bei der Beigeladenen im Dezember 2008 durchgeführte stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
1. Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 06.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2009 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme der angefallenen Behandlungskosten insgesamt abgelehnt hat. Die dagegen gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4, § 56 SGG) statthaft (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R Rn. 10).
Auf Klägerseite ist die Klägerin (gesetzlich vertreten durch ihre Mutter) beteiligt. Zwar hat ursprünglich nicht sie, sondern ihre (anwaltlich vertretene) Mutter im eigenen Namen Klage erhoben. Durch die Erklärung des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 21.09.2009 ist es jedoch zu einem Beteiligtenwechsel auf Klägerseite gekommen. Diese Klageänderung im Sinne von § 99 SGG ist zulässig, weil sich die Beklagte anschließend rügelos zur Sache eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG). Sie ist zugleich prozessökonomisch und damit sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG). Denn nur die Klägerin selbst, nicht aber deren Mutter kann einen Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten gegenüber der Beklagten haben; aus den in Betracht zu ziehenden leistungsrechtlichen Vorschriften (des AsylbLG) erwachsen stets nur individualisierte Leistungsansprüche der jeweiligen Berechtigten (vgl. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 2 Rn. 151). Die zivilrechtlich denkbare (dazu z.B. Hamdan in jurisPK-BGB, § 1629 Rn. 4) und vom AG Münster im Urteil vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09 rechtskräftig festgestellte Verpflichtung der Mutter der Klägerin zur Zahlung der Behandlungskosten an die Beigeladene ändert daran grundsätzlich nichts. Allenfalls können sich hieraus Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Leistungsanspruches ergeben (dazu weiter unten).
Der Zulässigkeit der Klage steht mit Blick auf die fehlende Prozessfähigkeit der Klägerin (§ 72 Abs. 1 und Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 104 ff. BGB) schließlich nicht entgegen, dass diese im Verfahren allein von ihrer Mutter und nicht zugleich von ihrem (mit der Mutter nicht verheirateten) Vater vertreten wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R Rn. 19 ff.). Denn der Mutter der Klägerin steht das Sorgerecht alleine zu, weil die Voraussetzungen eines gemeinsamen Sorgerechts des § 1626a Abs. 1 BGB in der bis zum 18.05.2013 geltenden Fassung nicht vorliegen (§ 1626a Abs. 2 BGB a.F.).
2. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig; die Klägerin ist durch sie im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Denn sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme der für die stationäre Krankenhausbehandlung bei der Beigeladenen im Dezember 2008 entstandenen Kosten. Dieser Anspruch folgt zwar - entgegen dem SG - nicht aus § 4 AsylbLG; ergibt sich jedoch aus § 6 AsylbLG.
a) Da die Klägerin im Dezember 2008 über eine aufenthaltsrechtliche Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügte, gehörte sie zum maßgebenden Zeitpunkt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Andere - ggf. vorrangige - Vorschriften als solche des AsylbLG, aus denen sich ein Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.
aa) Ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 264 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) oder § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. den Vorschriften des Fünften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) kommt nicht in Betracht. Die Klägerin war im Dezember 2008 noch keine drei Jahre alt und erfüllte damit nicht die nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erforderliche 48-monatige Vorbezugszeit mit Grundleistungen i.S.v. § 3 AsylbLG. Auch der (nachträglich) am 04.10.2011 im weiteren Verfahren S 16 AY 1/09 geschlossene Vergleich führt nicht dazu, dass die Kläger so zu behandeln wäre, als hätte sie im fraglichen Zeitraum bereits im Bezug von Analogleistungen gestanden. Zwar hatte sie - ebenso wie ihre Mutter und ihr Bruder - in jenem Verfahren einen Anspruch auf Analogleistungen auch für den hier fraglichen Zeitraum geltend gemacht. Dieser Anspruch sollte im Wege des dort geschlossenen Vergleiches auch mit einer pauschalen Nachzahlung i.H.v. 1.000,00 EUR (für alle dortigen Kläger insgesamt) abgegolten werden. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung dieses Betrages erfolgte aber ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und zudem ohne entsprechende Abänderung der (bestandskräftigen) Leistungsbewilligungen nach § 3 AsylbLG. Damit die wurde materielle Rechtslage, die mangels Erfüllung der Vorbezugszeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG gerade Leistungen entsprechend dem SGB XII an die Klägerin verbietet, durch den Vergleich vom 04.10.2011 nicht rückwirkend umgestaltet.
bb) Auch eine Anwendung von § 39 SGB V scheidet aus. Denkbar wäre ein Leistungsanspruch nach dieser Vorschrift im Rahmen einer Familienversicherung nach § 10 SGB V allenfalls dann, wenn der Vater der Klägerin Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Der Vater der Klägerin bezog in der fraglichen Zeitraum jedoch ebenfalls Leistungen nach dem AsylbLG; er war deshalb nicht Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung.
b) Die Beklagte ist der für die Klägerin sowohl sachlich als auch örtlich zuständige Leistungsträger nach dem AsylbLG.
Die örtliche Zuständigkeit beruht auf § 10a Abs. 2 AsylbLG. Denn es handelt sich bei der begehrten Leistung um eine solche in einer stationären Einrichtung. Eine stationäre Krankenhausbehandlung ist ein Hauptanwendungsfall des § 10a Abs. S. 1, 1. Var. AsylbLG (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 10a AsylbLG Rn. 10). Da die Voraussetzungen des § 10a Abs. 2 S. 2 und S. 3 AsylbLG ersichtlich nicht vorliegen, hängt die örtliche Zuständigkeit mithin davon ab, wo die Klägerin vor der Aufnahme bei der Beigeladenen zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt (g.A.) hatte.
Nach allen ersichtlichen Umständen sowie unter Berücksichtigung der Legaldefinition des § 10a Abs. 3 AsylbLG hatte die Klägerin ihren g.A. im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Abzustellen ist insoweit auf den g.A. ihrer Mutter. Zwar war die Klägerin im Dezember 2008 keine Neugeborene im Sinne von § 10a Abs. 3 S. 5 AsylbLG mehr. Allerdings ist auch nach den allgemeinen Regeln (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 98 Rn. 56) für die Bestimmung des g.A. von Kindern derjenige ihrer Eltern maßgebend. Da die Eltern der Klägerin getrennt lebten, könnten beide Elternteile einen g.A. für die Klägerin begründet haben; nach allen vorliegenden Informationen und auch nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestanden allerdings kaum Kontakte der Klägerin zu ihrem Vater. Im Übrigen spricht auch das Fehlen einer gemeinsamen elterliche Sorge bzw. die alleinige elterliche Sorge der Mutter im Sinne von § 1626a BGB zumindest für eine weit überwiegende Bindung der Klägerin an ihre Mutter statt an ihren Vater. Insgesamt ist deshalb für die Klägerin allein auf den g.A. ihrer Mutter abzustellen.
Insoweit geht der Senat nach allen ihm vorliegenden Erkenntnissen unter Berücksichtigung von § 10a Abs. 3 S. 2 AsylbLG davon aus, dass sich der g.A. der Mutter im Dezember 2008 im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten befand. Denn dort lebte die Mutter - mit ihrer Herkunftsfamilie - schon seit Jahren. Eine Fiktion nach § 10a Abs. 3 S. 4 AsylbLG greift nicht ein; denn es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass eine abweichenden Zuweisungsentscheidung nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG vorgelegen hätte. Vielmehr hat die Mutter der Klägerin ersichtlich nie einen Asylantrag gestellt; sie war daher auch nicht entsprechend zu verteilen. Für die Klägerin selbst gilt nichts anderes.
Ohnehin liegen keine wesentliche Indizien gegen einen g.A. der Mutter und damit auch der Klägerin im fraglichen Zeitraum im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten vor. Insbesondere stand seinerzeit ein Zusammenziehen der Familie an einem Ort außerhalb Münsters (z.B. in V, dem Wohnort des Vaters) nicht im Raum. So gab die Mutter der Klägerin noch im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vom 04.10.2011 an, weder die eine noch die andere Ausländer- bzw. Asylbewerberleistungsbehörde wolle eine Zustimmung zu einem Zuzug des jeweils anderen Teils der Familie erteilen. Für einen zukunftsoffenen Verbleib der Klägerin und ihrer Mutter im Zuständigkeitsbereich der Beklagten spricht überdies deren weiterhin bestehende Anbindung an die Herkunftsfamilie der Mutter.
Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (AG AsylbLG NRW).
c) Entgegen der Auffassung des SG folgt der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Kostenübernahme nicht aus § 4 AsylbLG.
§ 4 Abs. 2 AsylbLG scheidet schon nach seinem Wortlaut ersichtlich als Anspruchsgrundlage aus. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG sind nicht erfüllt. Denn der stationäre Aufenthalt der Klägerin bei der Beigeladenen im Dezember 2008 erfolgte nicht zur "Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände".
aa) Unter einer akuten Erkrankung versteht man einen unvermutet auftretenden, schnell und heftig verlaufenden, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf (so z.B. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 4 Rn. 28; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 4 AsylbLG Rn. 4 - beide m.w.N.). Dabei fällt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/4451 S. 9) unter den Begriff der ärztlichen Behandlung nicht nur die ambulante, sondern auch die stationäre Behandlung in einem Krankenhaus.
Ausgehend von dieser - zwischen den Beteiligten nicht umstrittenen - Definition bedarf es einer Abgrenzung ggf. leistungsauslösender akuter gegenüber nicht akuten und damit chronischen Erkrankungen; Letztere werden nicht von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erfasst. Diese Abgrenzung hat nach medizinischen Kriterien und ggf. unter Zuhilfenahme medizinischen Sachverstandes stattzufinden (vgl. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 4 Rn. 29).
Vor diesem Hintergrund erschien zwar die Behandlung der Klägerin - wie auch das SG ausgeführt hat - als solche medizinisch erforderlich (dazu auch unten d). Gleichwohl handelte es sich - offensichtlich - nicht um eine Akutbehandlung. Denn sowohl nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K als auch nach der Beurteilung der Amtsärztin Dr. T1 wurde die Klägerin nicht während einer akuten Krankheitsphase stationär behandelt, sondern - wie es für einen solchen chirurgischen Eingriff indiziert ist - während eines beschwerdefreien Intervalls. Die Angaben der Mutter der Klägerin anlässlich der Anamnese durch den Sachverständigen Dr. K bestätigt dies; danach erfolgte die Vorstellung der Klägerin bei der Beigeladenen zu einem Zeitpunkt, in dem keine akuten Beschwerden auftraten. Aus diesem Grund lag bei der Klägerin im Vorfeld ihrer stationären Behandlung gerade kein schnell und heftig verlaufender, regelwidriger Körper- bzw. Geisteszustand vor. Ohnehin war es das erklärte Ziel der Maßnahme, gerade die "chronische" Mandelentzündung der Klägerin dauerhaft zu beheben. Es ging damit nicht um eine Akut- geschweige denn um eine Notfallbehandlung, sondern um die Therapie einer chronifizierten oder zumindest häufig wiederkehrenden Entzündung.
bb) Auch unter dem Gesichtspunkt der Behandlung eines (hier chronischen bzw. regelmäßig wiederkehrenden) Schmerzzustandes ergibt sich kein Anwendungsbereich von § 4 (Abs. 1 S. 1) AsylbLG. Unter einem Schmerzzustand versteht man einen mit einer aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigung verknüpften, unangenehmen Sinnes- und Gefühlszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf. Dabei kann an dieser Stelle offen bleiben, ob (wie bei der Behandlung von Erkrankungen) nur die Behandlung von akuten oder auch von chronischen bzw. wiederkehrenden Schmerzen vom Gesetz erfasst ist (vgl. z.B. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 4 AsylbLG Rn. 5, § 4 Rn. 32 f.; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 4 AsylbLG Rn. 14 - beide m.w.N.).
Denn ein akuter Schmerzzustand lag im Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin sowohl nach den Feststellungen des Dr. K als auch nach den Ausführungen der Amtsärztin Dr. T1 (die zuvor telefonisch Rücksprache mit dem Kinderarzt der Klägerin gehalten hatte) nicht vor. Die Operation erfolgte vielmehr in einem beschwerdefreien Intervall. Insoweit gelten die hier zur akuten Erkrankung gemachten Ausführungen (oben aa) entsprechend. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe Schmerzen gehabt und sich deswegen in die Behandlung der Beigeladenen begeben, so mag dies zutreffen. Die (kurzfristige) Behebung von Schmerzen war jedoch weder Anlass noch Ziel des operativen Eingriffs. Es bestand auch kein chronischer Schmerzzustand (wie er beispielsweise im Rahmen einer Krebserkrankung auftreten kann).
cc) Schließlich ist auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen - insbesondere im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - eine erweiternde (verfassungskonforme) Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 nicht geboten. Dafür bestünde allenfalls dann Anlass, wenn sich der von der Klägerin erhobene Anspruch nicht aus § 6 AsylbLG ergäbe. Diese Vorschrift bildet eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift im Sinne einer Öffnungsklausel mit dem Ziel, den unterschiedlichen Lebenssachverhalten und der nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gebotenen Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Einzelfall gerecht zu werden (vgl. dazu Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 20 f. und § 4 Rn. 21-23 m.w.N. sowie Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 6 AsylbLG Rn. 1; vgl. in anderem Zusammenhang auch BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. Rn. 207 f.).
d) Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Behandlungskosten nach § 6 Abs. 1 AsylbLG sind jedoch erfüllt.
aa) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Beklagte nicht schon vor, sondern erst nach deren Abschluss Kenntnis von der Behandlung der Klägerin erhalten hat.
(1) Die Frage, ob der Kenntnisgrundsatz (§ 18 SGB XII, früher § 5 Bundessozialhilfegesetz) im AsylbLG entsprechende Anwendung findet, ist bislang nicht abschließend geklärt. Sie wird vornehmlich im Rahmen von § 4 AsylbLG aufgeworfen, stellt sich jedoch bei § 6 AsylbLG in gleicher Weise.
Die wohl überwiegender Meinung (OVG Lüneburg, Urteil vom 17.01.2001 - 4 LB 1109/01 Rn. 36 ff (45 f.); OVG NRW, Beschluss vom 28.05.2008 - 12 A 702/07 Rn. 27 f. m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, Stand November 2011, § 4 Rn. 15 und § 2 Rn. 117 (Stand 2006), aber: § 1 Rn. 128 (Stand 2006); zumindest offen gelassen: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 4 AsylbLG Rn. 8-10 sowie SG Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2011 - S 42 (19,44,7) AY 2/05 a.E.) geht von einer fehlenden Anwendbarkeit des Kenntnisgrundsatzes aus. Hierfür spricht zunächst der Gesetzeswortlaut (nicht nur des § 4 AsylbLG, sondern auch) des § 6 AsylbLG; er bietet keinerlei Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer vorherigen Kenntniserlangung des Leistungsträgers. Zudem hat der Gesetzgeber mit der Herausnahme der Asylbewerberleistungen aus dem Recht der Sozialhilfe bewusst einen Sonderweg beschritten und (nur) dort, wo er es für erforderlich hielt, auf andere Vorschriften des Verfahrens- oder des Sozialhilferechts verwiesen (z.B. § 9 und § 7 Abs. 4 AsylbLG); eine (planwidrige) Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des Kenntnisgrundsatzes rechtfertigen könnte, ist deshalb nicht feststellbar. Ohnehin unterscheiden sich die beiden Leistungssysteme von ihrer Zielrichtung her deutlich: Die Sozialhilfe ist auf die Eingliederung und "Teilhabe" der Betroffenen ausgerichtet, wohingegen es im AsylbLG nur um die notdürftige Sicherstellung des Bedarfs für einen (angenommenerweise) vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik geht (dazu insb. OVG Lüneburg a.a.O. Rn. 39). Hinzu kommt, dass das Erfordernis einer vorherigen Kenntniserlangung der Behörde bzw. ein Antragserfordernis in der Regel dazu gedacht ist, ein in dem jeweiligen Sozialleistungszweig etabliertes "Leistungserbringungssystem" zu schützen bzw. möglichst umfassend zur Geltung zu bringen (z.B. Auswahl der richtigen Leistung der Eingliederungshilfe oder der Gesetzlichen Krankenversicherung). Gleichzeitig sollen diese Erfordernisse den Betroffenen schützen, damit er im Falle einer Selbstbeschaffung nicht dem Risiko ausgesetzt ist, nachträglich seine Kosten nicht erstattet zu erhalten (so z.B. bei § 13 Abs. 3 SGB V). Derartige Schutzgedanken greifen im AsylbLG nicht Platz. Denn im AsylbLG ist das Leistungserbringungsrecht nur ansatzweise normiert (vgl. z.B. für ambulante Leistungen § 4 Abs. 3 AsylbLG). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Die Gegenansicht (Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 4; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII, Stand August 2004, § 4 AsylbLG Rn. 24 ff.; Hohm in GK-AsylbLG, Stand 2006 § 1 Rn. 117; VG Münster, Urteil vom 18.10.2005 - 5 K 5424/03 und - ohne Begründung - LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.01.2010 - L 23 AY 1/07 Rn. 36; SG Hildesheim, Urteil vom 03.09.2012 - S 42 AY 13/09 Rn. 7 unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.), die den Kenntnisgrundsatz im AsylbLG (generell) für anwendbar hält, überzeugt den Senat nicht. Der Hinweis auf ein Ineinandergreifen von Unterbringung (Aufnahmeeinrichtungen) und vorrangiger Gewährung von Sachleistungen (einzig hierauf stellt Coseriu a.a.O. ab) vermag nicht zu begründen, warum ggf. medizinisch notwendige Leistungen, deren Inanspruchnahme dem Inhalt und der Höhe nach gerechtfertigt waren, nicht auch im Nachhinein zu ersetzen sein sollen. Die Bezugnahme auf ein allgemeines Strukturprinzip der Sozialhilfe "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" (so VG Münster a.a.O. Rn. 14 ff.) ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R Rn. 13 m.w.N.) ohnehin als überholt anzusehen.
(2) Anderes ergibt sich für den vorliegenden Einzelfall auch nicht ausnahmsweise aus dem Inhalt der von der Beklagten der Klägerin ausgestellten Behandlungsscheine. Denn der darin enthaltene Hinweis auf das Genehmigungserfordernis bei planbaren Maßnahmen richtet sich schon vom Wortlaut her nicht an die Klägerin bzw. deren Mutter, sondern an den behandelnden Arzt bzw. die behandelnde Ärztin, die ggf. eine Überweisung zur stationären Krankenhausbehandlung ausstellen könnten. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob der Umstand, dass die stationären (Notfall-)Behandlungen vor Dezember 2008 stets ohne vorherigen Antrag von der Beklagten bezahlt wurden, in diesem Zusammenhang zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind.
bb) Die Leistungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 AsylbLG sind erfüllt.
(1) § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG setzt in dem hier fraglichen Zusammenhang in tatbestandlicher Hinsicht voraus, dass es sich bei der stationären Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008 um eine Maßnahme handelte, welche zur Sicherung ihrer Gesundheit und/oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse eines Kindes unerlässlich war.
Zur Unerlässlichkeit der in Rede stehenden Maßnahme kommt es darauf an, ob der geltend gemachte Bedarf nach medizinischen Maßstäben unverzüglich und noch während des voraussichtlichen Aufenthalts des Ausländers in Deutschland zu decken ist (Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 57 ff.). Vor dem Hintergrund der von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erfassten Fallgestaltungen können dabei nicht nur Maßnahmen zur Beseitigung akuter Krankheitszustände in Betracht kommen, sondern auch und gerade solche, die unabhängig von der aktuellen Situation den Gesundheitszustand erhalten bzw. eine Verschlechterung verhindern sollen.
Dies zu Grunde legend, war die Behandlung zur Sicherung der Gesundheit der Klägerin unerlässlich. Denn nach der insoweit einheitlichen und unmittelbar nachvollziehbaren Beurteilung der Amtsärztin Dr. T1 und des Sachverständigen Dr. K bestand nach dem Beschwerdebild der Klägerin zwar keine notfallmäßige, gleichwohl aber eine zwingende Indikation für die durchgeführte Operation, um weitere schmerzhafte Infekte und evtl. gefährliche Folgeerkrankungen zu verhindern. Auch zum Umfang des Eingriffs hatten weder der Sachverständige noch die Amtsärztin Bedenken gegen die Vorgehensweise der Beigeladenen. Können wiederholte Mittelohrentzündungen zu (ggf. irreversiblen) Hörschäden führen, geht es schließlich auch um die Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1, 3. Var. AsylbLG. Die Klägerin hatte im Dezember 2008 ihr drittes Lebensjahr noch nicht vollendet und befand sich somit in einer für die Sprachentwicklung bedeutsamen Lebensphase; gleichzeitig ist für eine ungehinderte Sprachentwicklung die Hörfähigkeit unabdingbar. Insofern war das operative Einschreiten nicht zeitlich unbegrenzt aufschiebbar. Da zudem keine Anhaltspunkte dafür greifbar sind, dass zur Zeit der Operation mit einer nicht erst langfristigen Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin (bzw. ihrer Mutter) in der Bundesrepublik zu rechnen war, kann auch nicht angenommen werden, dass die Behandlung bis zu einer etwaigen Ausreise bzw. Abschiebung hätte aufgeschoben werden können.
(2) Auf Rechtsfolgenseite eröffnet § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG dem Leistungsträger einen Ermessensspielraum. Offen bleiben kann, ob es sich dabei von vornherein nur um ein Auswahl- oder auch um ein Entschließungsermessen handelt (vgl. dazu einerseits Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 6 AsylbLG Rn. 8 und andererseits Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 38 - beide m.w.N.). Denn sowohl ein (etwaiges) Entschließungs- als auch das Auswahlermessen ist jedenfalls auf Null reduziert.
Dass die Beklagte in der vorliegenden Situation zur Sicherung der Gesundheit der Klägerin überhaupt tätig werden musste und damit ihr Entschließungsermessen entsprechend reduziert war, folgt bereits aus den vorstehenden Ausführungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG. Denn bei unterbliebener, die Ursachen der Erkrankung angehender Behandlung hätte die Gefahr einer (möglicherweise irreversiblen) schwereren gesundheitlichen Schädigung der Klägerin bestanden; nicht nur mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, sondern auch auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wäre eine Leistungsversagung für die notwendige Behandlung deshalb rechtswidrig gewesen.
Auch hinsichtlich des Auswahlermessens ist von vornherein nicht erkennbar, dass der Beklagten anstelle der Ermöglichung einer stationären Krankenhausbehandlung andere Handlungsalternativen zu Gebote gestanden hätten. Insofern waren nach der übereinstimmenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. K und der Amtsärztin Dr. T1 Art, Inhalt und zeitlicher Umfang der Krankenhausbehandlung der Klägerin ohne Alternative. Die Beklagte hat überdies in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe gegen die Höhe der Abrechnung der Beigeladenen keine Einwände, so dass ein Anspruch der Klägerin, sollte er dem Grunde nach bestehen, auch in dieser Höhe bestehe. Im Hinblick auf nur die konkreten Behandlungskosten ist für den Senat nicht erkennbar, dass eine andere Entscheidung (etwa durch Bestimmung eines anderen Krankenhauses für die Operation) hätte getroffen werden können. Dies deckt sich im Übrigen mit den Ausführungen der Amtsärztin Dr. T1, sie hätte bei rechtzeitiger Befassung der Behandlung bei der Beigeladenen (und damit auch den daraus erwachsenden Kosten) zugestimmt.
(3) Mit Blick auf die Rechtsfolge ist die Entscheidung des SG auch insoweit nicht zu beanstanden, als es die Beklagte zur Übernahme der entstandenen Kosten i.H.v. 2.136,40 EUR verurteilt hat. Denn zum einen sieht § 6 Abs. 1 S. 2 AsylbLG nicht nur die Gewährung von Sachleistungen, sondern ausdrücklich auch von Geldleistungen vor. Im Übrigen entspricht die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der durch die Behandlung bei der Beigeladenen entstandenen Kosten der Handhabung, wie sie im Rahmen des (vergleichbaren) Dreiecksverhältnisses zwischen Leistungsberechtigtem, Leistungsträger und Leistungserbringer im Sozialhilferecht üblich ist (dazu BSG, Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R Rn. 15 ff.). Rechtstechnisch handelt es sich um einen Schuldbeitritt (BSG a.a.O. Rn. 25). Allein der Umstand, dass im Bereich des AsylbLG - anders als im SGB XII - das "Leistungserbringungsrecht" nur ansatzweise normiert ist, ändert an der grundsätzlichen systematischen Einordnung der Leistungsbeziehung zwischen Beteiligten nichts.
Anderes ergibt sich insoweit auch nicht wegen des Urteils des AG Münster vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09. Danach ist zivilrechtlich zwar nicht die Klägerin, sondern deren Mutter Schuldnerin der Forderung aus dem Krankenhausbehandlungsvertrag. Doch selbst wenn die Mutter die Kosten gegenüber der Beigeladenen bereits beglichen hätte, würde dies dem Anspruch der Klägerin auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung nicht entgegenstehen (vgl. entsprechend für den Bereich der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R Rn. 25).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
III. Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist die Übernahme von Kosten, die für eine stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin bei der Beigeladenen im Dezember 2008 entstanden sind.
Die am 00.00.2005 geborene Klägerin ist eines von mehreren Kindern der am 00.00.1990 in N (Kosovo) geborenen Suada E und des am 01.05.1990 geborenen, in V wohnhaften H.
Die Mutter der Klägerin lebte seit Ende der neunziger Jahre gemeinsam mit ihrer Herkunftsfamilie in der Bundesrepublik und bezog mit dieser - einschließlich der Klägerin - Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von der Beklagten. Der Vater der Klägerin erhielt (gemeinsam mit seiner Herkunftsfamilie) von der Stadt V durchgängig bis Ende 2009 ebenfalls Leistungen nach dem AsylbLG.
Einen Asylantrag stellte die Klägerin nicht. Aufenthaltsrechtlich wurden ihr von der Ausländerbehörde der Beklagten - von kurzen Unterbrechungen in den Jahren 2006 und 2007 abgesehen - zunächst durchgängig Duldungen nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt. Im Juli 2009 erhielt sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG.
Ab März 2007 bezog die Klägerin mit ihrer Mutter sowie ihrem am 00.00.2006 geborenen Bruder eine eigene Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten, wo sie dauerhaft zusammen lebten. Kontakte zu ihrem Vater in V hatte die Klägerin nur sporadisch. Eine gemeinsame elterliche Sorge (nach § 1626a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der bis zum 18.05.2013 geltenden Fassung) besteht nicht; die Klägerin hatte vielmehr gemäß § 1626a Abs. 2 BGB a.F. das alleinige elterliche Sorgerecht.
Die Beklagte gewährte der Klägerin, ihrer Mutter (und später auch den nachgeborenen weiteren Geschwistern) bis zum Ende des Jahres 2009 weiter Leistungen nach dem AsylbLG. Die Klägerin (sowie später die Geschwister) erhielten ungekürzte Grundleistungen nach Maßgabe des § 3 AsylbLG.
Seit August 2008 bemühte sich die Mutter der Klägerin - anwaltlich vertreten - für sich und ihre Kinder wiederholt um die Zuerkennung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Dies lehnte die Beklagte, zuletzt mit Bescheid vom 26.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2009, ab; das anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Münster (S 16 AY 1/09) durchgeführte Klageverfahren der Klägerin, ihres Bruders und der Mutter endete durch gerichtlichen Vergleich am 04.10.2011. Darin verpflichtete sich die Beklagte "zur Abdeckung der Klageforderung und des am 25.03.2010 gestellten Antrages nach § 44 SGB X zur Überprüfung der Bescheide für vier Jahre unstreitig ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen Betrag von 1.000,00 EUR" zu zahlen.
Seit ihrer Geburt befand sich die Klägerin mehrfach in stationärer Krankenhausbehandlung, wofür die Beklagte im Rahmen von § 4 AsylbLG die Kosten trug. Neben der Entbindung und Nachsorge im Rahmen einer Notfallbehandlung im evangelischen Krankenhaus I (vom 08.08.2005 bis zum 20.08.2005) fanden vier weitere stationäre Notfallbehandlungen vom 12.05.2006 bis zum 21.05.2006, vom 31.05.2006 bis zum 02.06.2006, vom 20.08.2007 bis zum 04.09.2007 und vom 28.03.2008 bis zum 31.03.2008 im D-hospital N statt. Die Behandlungen im D-hospital waren erforderlich wegen Lungenentzündung, Volumenmangel/Austrocknung, Dehydraton/Nahrungsverweigerung und Austrocknung/Magen-Darm-Infekt.
Zur Inanspruchnahme von Krankenbehandlungen wurden für die Klägerin von der Beklagten bis zum vierten Quartal 2008 regelmäßig - insgesamt 15 mal - quartalsweise sog. "Behandlungsausweise" ausgestellt. Diese Behandlungsausweise enthielten folgenden schriftlichen Zusatz: "Wichtige Hinweise für den Arzt/die Ärztin: Behandlungskosten einschließlich der Kosten für die Diagnose werden nur bei akuten Erkrankungen und bei Schmerzzuständen übernommen. Planbare/geplante stationäre Krankenhausaufenthalte/ambulante Operationen sind vorab zu genehmigen. " Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieser Behandlungsausweise wird auf das von der Beklagten vorgelegte Muster (Blatt 142 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin zuvor schon häufiger wegen wiederkehrender Mandel- bzw. Mittelohrentzündungen bei ihrem Kinderarzt Dr. K in Behandlung gewesen war, begab sie sich am 28.10.2008 einmalig in die ambulante Behandlung bei der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Stimm- und Sprachstörungen Dr. T. Diese diagnostizierte Serotympanon beidseits, adenoide Hyperplasie sowie Tonsillenhyperplasie.
Vor diesem Hintergrund wurde die Klägerin am 19.11.2008 (erstmals) bei der Beigeladenen ambulant behandelt. Dabei wurde ein Audiogramm erstellt und eine MRSA-Untersuchung durchgeführt. Daran schloss sich am 26.11.2008 eine vorstationäre Behandlung an, bei der die Ärzte der Beigeladenen Röntgenaufnahmen von der Klägerin fertigten und ein Aufklärungsgespräch für eine in Aussicht genommene Mandel- und Polypenoperation führten. Noch am gleichen Tag unterzeichnete die Mutter der Klägerin einen "Antrag auf Übernahme von Krankenhauskosten nach dem Bundessozialhilfegesetz" bezogen auf eine für den 01.12.2008 geplante stationäre Krankenhausaufnahme der Klägerin bei der Beigeladenen; diese Anzeige wurde in der Folgezeit nicht abgesandt.
Am 01.12.2008 wurde die Klägerin dann beim Beigeladenen stationär aufgenommen und operiert. Es wurden eine Parazentese beidseits mit Einlegen einer Paukendrainage (links) und eine Tonsillektomie beidseits durchgeführt. Am 08.12.2008 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. Für den Krankenhausaufenthalt stellte die Beigeladene der Mutter der Klägerin unter dem 16.02.2009 einen Betrag i.H.v. 2.136,40 EUR in Rechnung. Mangels Zahlung machte die Beigeladene die Forderung gerichtlich geltend. Das Amtsgericht (AG) Münster verurteilte die Mutter der Klägerin antragsgemäß, den Rechnungsbetrag an die Beigeladene zu zahlen (rechtskräftiges Urteil vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09); nach den Umständen des Falles sei - jedenfalls konkludent - ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen der sorgeberechtigten Mutter der Klägerin und der Beigeladenen zustande gekommen, aus dem die Mutter der Klägerin verpflichtet sei, die Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008 zu begleichen
Am 26.01.2009 übersandte die Beigeladene der Beklagten per Telefax eine Entlassungsmitteilung. Hierdurch erhielt die Beklagte erstmals Kenntnis von der stationären Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008. Der Ausdruck dieses Faxschreibens trägt folgende handschriftliche Bemerkung der Beklagten: "vorstationäre Behandlung am 26.11.2008 mit dickem Vermerk der Verwaltung für die HNO-Klinik nur Aufn. wenn Kostenzusage, da planbare Maßnahme".
Mit Schreiben vom 05.02.2009 erinnerte die Beigeladene die Beklagte an die Begleichung der Krankenhausbehandlungskosten. Mit Bescheid vom 06.02.2009 (gerichtet an die Mutter der Klägerin) lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme für den stationären Krankenhausaufenthalt im Dezember 2008 ab. Eine Übernahme sei von der vorherigen Zustimmung des Leistungsträgers abhängig. Es habe sich nicht um einen Notfall, sondern um einen planbaren Eingriff gehandelt. Die HNO-Klinik der Beigeladenen sei nach der vorstationären Behandlung am 26.11.2008 von deren eigener Verwaltung bereits darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin nur mit einer Kostenübernahmeerklärung des Sozialamtes stationär aufzunehmen sei; daran habe sich die HNO-Klinik leider nicht gehalten.
Die Klägerin legte (anwaltlich) Widerspruch ein. Nach § 4 AsylbLG reiche es aus, wenn die Krankheit entweder akut oder schmerzhaft sei. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte sei die Behandlung erforderlich gewesen, um Schmerzen zu beseitigen; ihre Mutter habe deshalb nicht zuwarten können, bis die Beklagte über einen Antrag entschieden hätte.
Die Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin sowie Sozialmedizin ihres Gesundheitsamtes Dr. T1 ein. In ihrer Stellungnahme vom 30.04.2009 führte diese aus, nach telefonischer Rücksprache mit dem Kinderarzt Dr. K sei die Operation prinzipiell geeignet und unerlässlich gewesen, um weitere schmerzhafte Infekte sowie evtl. gefährliche Folgeerkrankungen zu verhindern. Insbesondere sei die Dauer des stationären Aufenthalts wegen der Gefahr einer möglichen Nachblutung gerechtfertigt gewesen. Operationen dieser Art seien allerdings planbar; sie sollten möglichst in einem symptomarmen Intervall durchgeführt werden. Ein vorheriger Antrag auf Kostenübernahme sei sicher möglich gewesen. Wenn sie - die Ärztin - im Vorfeld in die Begutachtung der Kostenübernahme eingeschaltet worden wäre, hätte sie unter Berücksichtigung des § 6 AsylbLG eine Übernahme der Kosten empfohlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach dem Inhalt des beim Gesundheitsamt eingeholten Gutachtens habe es sich um einen planbaren Eingriff gehandelt. Ein vorheriger Kostenübernahmeantrag wäre der Klägerin deshalb möglich und zumutbar gewesen.
Dagegen hat am 26.05.2009 zunächst die Mutter der Klägerin (ebenfalls anwaltlich) in eigenem Namen Klage vor dem SG Münster erhoben. Die Klägerin habe starke Ohrenschmerzen gehabt. Es habe sich um eine Notfallbehandlung gehandelt, was auch die Beigeladene bestätigen werde. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten stimme nicht mit dem zwischenzeitlich vom SG eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. K über.
Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat der Prozessbevollmächtigte von Mutter und Klägerin mit Schriftsatz vom 21.09.2009 erklärt, die Beklagte habe durch Adressierung der Bescheide an die Mutter Anlass zur Klageerhebung durch diese gegeben. Er halte es für sachdienlich, im Wege der Klageänderung die (jetzige) Klägerin als solche zu führen. Das SG hat daraufhin im Dezember 2010 das Rubrum entsprechend geändert und die Beteiligten darüber informiert.
Die Klägerin hat (nach der sinngemäßen Fassung ihres Begehrens durch das Sozialgericht) beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 06.02. und 08.05.2009 zu verurteilen, die Behandlungskosten des Universitätsklinikums N für die stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sei ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin und nicht deren Mutter die vorliegende Klage führen müsse. Im Übrigen hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie auf den Inhalt der von ihr eingeholten Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes verwiesen. Ergänzend hat sie vorgetragen, eine akute Erkrankung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 HS 1 Var. 1 AsylbLG lasse sich definieren als ein unvermittelt auftretender, schnell und heftig verlaufender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedürfe. Eine solche akute Erkrankung habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Zwar könnten akute Krankheitszustände auch im Falle einer chronischen Erkrankung auftreten. Die chronische Erkankung selbst falle jedoch nicht unter den Begriff "akute Erkrankung" im hier maßgebenden Sinne. Unter einem Schmerzzustand im Sinne von § 4 Abs. 1, 2. Var. AsylbLG sei ein mit einer aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigung einhergehender, unangenehmer Sinnes- und Gefühlszustand zu verstehen, der aus medizinischen Gründen der Behandlung bedürfe. Den Ausführungen des Gesundheitsamtes folgend, habe bei der Klägerin zwar eine chronische Erkrankung vorgelegen, diese habe aber keine sofortige und damit unaufschiebbare medizinische Behandlung erfordert. Auch nach § 6 AsylbLG könne ein Anspruch auf Kostenübernahme nicht hergeleitet werden. Nach ihrer Entstehungsgeschichte handle es sich um eine eng auszulegende Auffangvorschrift, die nur in den Fällen zur Anwendung gelange, in denen die in §§ 3, 4 und 5 AsylbLG geregelten Leistungen nicht ausreichten. Nach § 6 AsylbLG lasse sich unter einer chronischen Erkrankung ein sich sehr langsam entwickelnder, über mindestens acht bis zehn Wochen anhaltender, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand verstehen, der seinerseits aus einer akuten Erkrankung hervorgehen könne. Im Rahmen von § 6 AsylbLG komme es darauf an, ob die Behandlung zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich (gewesen) sei. Es müssten also außergewöhnliche Umstände vorliegen. Solche seien im Falle der Klägerin aber nicht feststellbar. Es habe sich insbesondere nicht um einen Notfall gehandelt, welcher einen vorherigen Antrag bei der Beklagten unmöglich gemacht habe. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus den Angaben der Beigeladenen in dem Kostenübernahmeantrag; dort sei die Behandlung der Klägerin als Normalfall eingeordnet worden. Dies decke sich im Ergebnis auch mit den Erkenntnissen des (vom Gericht bestellten) Sachverständigen Dr. K.
Das SG hat zunächst einen Befundbericht vom 08.03.2011 bei Dr. T angefordert. Anschließend hat es ein Sachverständigengutachten bei dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. K vom 15.06.2011 eingeholt. Auf den Befundbericht und das Sachverständigengutachten wird Bezug genommen (Blatt 62 f., 67 f. und 70-76 der Gerichtsakten).
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat das SG den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.11.2011 (der Beklagten zugestellt am 17.11.2011) hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Behandlungskosten i.H.v. 2.136,40 EUR für die stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Bei der Klägerin habe eine akute Erkrankung mit Schmerzzuständen im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylbLG vorgelegen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K sei eine sofortige mandelentfernende Operation der Klägerin erforderlich gewesen. Die Beklagte habe mit ihren eigenen Mitteln nicht rechtzeitig helfen können. Sie stelle die Operationsnotwendigkeit ohnehin weiter in Abrede. Die Klägerin habe sich in dieser Situation in anspruchsunschädlicher Weise selbst geholfen.
Dagegen richtet sich die am 13.12.2011 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist weiterhin der Auffassung, es habe weder eine akute, sofort ärztlich behandlungsbedürftige Erkrankung vorgelegen, geschweige denn eine Notfallsituation. Der Sachverständige Dr. K habe keineswegs eine sofortige mandelentfernende Operation für notwendig gehalten. Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 1 AsylbLG; denn diese Vorschrift setze voraus, dass die Kostenübernahme zuvor beim Leistungsträger beantragt werde, damit dieser die Leistungsvoraussetzungen prüfen könne. Die Klägerin habe jedoch vorab keinen Antrag gestellt, obwohl ihr dies rechtzeitig möglich gewesen wäre. Gegen die Höhe der Behandlungskosten als solches bestünden keine Einwände.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 04.11.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG zutreffend. Sie habe die Beigeladene aufgesucht, weil sie Schmerzen gehabt habe.
Die (mit Beschluss des Senats vom 19.04.2013 zu dem Verfahren hinzugezogene) Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag und äußert sich in der Sache nicht.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge des Beklagten, Patientenakte der Beigeladenen über die Klägerin sowie Prozessakten des SG Münster S 16 AY 1/09 und des AG Münster - 5 C 2954/09), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, die Kosten für die bei der Beigeladenen im Dezember 2008 durchgeführte stationäre Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
1. Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 06.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2009 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme der angefallenen Behandlungskosten insgesamt abgelehnt hat. Die dagegen gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4, § 56 SGG) statthaft (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R Rn. 10).
Auf Klägerseite ist die Klägerin (gesetzlich vertreten durch ihre Mutter) beteiligt. Zwar hat ursprünglich nicht sie, sondern ihre (anwaltlich vertretene) Mutter im eigenen Namen Klage erhoben. Durch die Erklärung des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 21.09.2009 ist es jedoch zu einem Beteiligtenwechsel auf Klägerseite gekommen. Diese Klageänderung im Sinne von § 99 SGG ist zulässig, weil sich die Beklagte anschließend rügelos zur Sache eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG). Sie ist zugleich prozessökonomisch und damit sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG). Denn nur die Klägerin selbst, nicht aber deren Mutter kann einen Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten gegenüber der Beklagten haben; aus den in Betracht zu ziehenden leistungsrechtlichen Vorschriften (des AsylbLG) erwachsen stets nur individualisierte Leistungsansprüche der jeweiligen Berechtigten (vgl. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 2 Rn. 151). Die zivilrechtlich denkbare (dazu z.B. Hamdan in jurisPK-BGB, § 1629 Rn. 4) und vom AG Münster im Urteil vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09 rechtskräftig festgestellte Verpflichtung der Mutter der Klägerin zur Zahlung der Behandlungskosten an die Beigeladene ändert daran grundsätzlich nichts. Allenfalls können sich hieraus Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Leistungsanspruches ergeben (dazu weiter unten).
Der Zulässigkeit der Klage steht mit Blick auf die fehlende Prozessfähigkeit der Klägerin (§ 72 Abs. 1 und Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 104 ff. BGB) schließlich nicht entgegen, dass diese im Verfahren allein von ihrer Mutter und nicht zugleich von ihrem (mit der Mutter nicht verheirateten) Vater vertreten wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R Rn. 19 ff.). Denn der Mutter der Klägerin steht das Sorgerecht alleine zu, weil die Voraussetzungen eines gemeinsamen Sorgerechts des § 1626a Abs. 1 BGB in der bis zum 18.05.2013 geltenden Fassung nicht vorliegen (§ 1626a Abs. 2 BGB a.F.).
2. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig; die Klägerin ist durch sie im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Denn sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme der für die stationäre Krankenhausbehandlung bei der Beigeladenen im Dezember 2008 entstandenen Kosten. Dieser Anspruch folgt zwar - entgegen dem SG - nicht aus § 4 AsylbLG; ergibt sich jedoch aus § 6 AsylbLG.
a) Da die Klägerin im Dezember 2008 über eine aufenthaltsrechtliche Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügte, gehörte sie zum maßgebenden Zeitpunkt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Andere - ggf. vorrangige - Vorschriften als solche des AsylbLG, aus denen sich ein Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.
aa) Ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 264 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) oder § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. den Vorschriften des Fünften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) kommt nicht in Betracht. Die Klägerin war im Dezember 2008 noch keine drei Jahre alt und erfüllte damit nicht die nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erforderliche 48-monatige Vorbezugszeit mit Grundleistungen i.S.v. § 3 AsylbLG. Auch der (nachträglich) am 04.10.2011 im weiteren Verfahren S 16 AY 1/09 geschlossene Vergleich führt nicht dazu, dass die Kläger so zu behandeln wäre, als hätte sie im fraglichen Zeitraum bereits im Bezug von Analogleistungen gestanden. Zwar hatte sie - ebenso wie ihre Mutter und ihr Bruder - in jenem Verfahren einen Anspruch auf Analogleistungen auch für den hier fraglichen Zeitraum geltend gemacht. Dieser Anspruch sollte im Wege des dort geschlossenen Vergleiches auch mit einer pauschalen Nachzahlung i.H.v. 1.000,00 EUR (für alle dortigen Kläger insgesamt) abgegolten werden. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung dieses Betrages erfolgte aber ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und zudem ohne entsprechende Abänderung der (bestandskräftigen) Leistungsbewilligungen nach § 3 AsylbLG. Damit die wurde materielle Rechtslage, die mangels Erfüllung der Vorbezugszeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG gerade Leistungen entsprechend dem SGB XII an die Klägerin verbietet, durch den Vergleich vom 04.10.2011 nicht rückwirkend umgestaltet.
bb) Auch eine Anwendung von § 39 SGB V scheidet aus. Denkbar wäre ein Leistungsanspruch nach dieser Vorschrift im Rahmen einer Familienversicherung nach § 10 SGB V allenfalls dann, wenn der Vater der Klägerin Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Der Vater der Klägerin bezog in der fraglichen Zeitraum jedoch ebenfalls Leistungen nach dem AsylbLG; er war deshalb nicht Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung.
b) Die Beklagte ist der für die Klägerin sowohl sachlich als auch örtlich zuständige Leistungsträger nach dem AsylbLG.
Die örtliche Zuständigkeit beruht auf § 10a Abs. 2 AsylbLG. Denn es handelt sich bei der begehrten Leistung um eine solche in einer stationären Einrichtung. Eine stationäre Krankenhausbehandlung ist ein Hauptanwendungsfall des § 10a Abs. S. 1, 1. Var. AsylbLG (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 10a AsylbLG Rn. 10). Da die Voraussetzungen des § 10a Abs. 2 S. 2 und S. 3 AsylbLG ersichtlich nicht vorliegen, hängt die örtliche Zuständigkeit mithin davon ab, wo die Klägerin vor der Aufnahme bei der Beigeladenen zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt (g.A.) hatte.
Nach allen ersichtlichen Umständen sowie unter Berücksichtigung der Legaldefinition des § 10a Abs. 3 AsylbLG hatte die Klägerin ihren g.A. im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Abzustellen ist insoweit auf den g.A. ihrer Mutter. Zwar war die Klägerin im Dezember 2008 keine Neugeborene im Sinne von § 10a Abs. 3 S. 5 AsylbLG mehr. Allerdings ist auch nach den allgemeinen Regeln (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 98 Rn. 56) für die Bestimmung des g.A. von Kindern derjenige ihrer Eltern maßgebend. Da die Eltern der Klägerin getrennt lebten, könnten beide Elternteile einen g.A. für die Klägerin begründet haben; nach allen vorliegenden Informationen und auch nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestanden allerdings kaum Kontakte der Klägerin zu ihrem Vater. Im Übrigen spricht auch das Fehlen einer gemeinsamen elterliche Sorge bzw. die alleinige elterliche Sorge der Mutter im Sinne von § 1626a BGB zumindest für eine weit überwiegende Bindung der Klägerin an ihre Mutter statt an ihren Vater. Insgesamt ist deshalb für die Klägerin allein auf den g.A. ihrer Mutter abzustellen.
Insoweit geht der Senat nach allen ihm vorliegenden Erkenntnissen unter Berücksichtigung von § 10a Abs. 3 S. 2 AsylbLG davon aus, dass sich der g.A. der Mutter im Dezember 2008 im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten befand. Denn dort lebte die Mutter - mit ihrer Herkunftsfamilie - schon seit Jahren. Eine Fiktion nach § 10a Abs. 3 S. 4 AsylbLG greift nicht ein; denn es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass eine abweichenden Zuweisungsentscheidung nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG vorgelegen hätte. Vielmehr hat die Mutter der Klägerin ersichtlich nie einen Asylantrag gestellt; sie war daher auch nicht entsprechend zu verteilen. Für die Klägerin selbst gilt nichts anderes.
Ohnehin liegen keine wesentliche Indizien gegen einen g.A. der Mutter und damit auch der Klägerin im fraglichen Zeitraum im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten vor. Insbesondere stand seinerzeit ein Zusammenziehen der Familie an einem Ort außerhalb Münsters (z.B. in V, dem Wohnort des Vaters) nicht im Raum. So gab die Mutter der Klägerin noch im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vom 04.10.2011 an, weder die eine noch die andere Ausländer- bzw. Asylbewerberleistungsbehörde wolle eine Zustimmung zu einem Zuzug des jeweils anderen Teils der Familie erteilen. Für einen zukunftsoffenen Verbleib der Klägerin und ihrer Mutter im Zuständigkeitsbereich der Beklagten spricht überdies deren weiterhin bestehende Anbindung an die Herkunftsfamilie der Mutter.
Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (AG AsylbLG NRW).
c) Entgegen der Auffassung des SG folgt der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Kostenübernahme nicht aus § 4 AsylbLG.
§ 4 Abs. 2 AsylbLG scheidet schon nach seinem Wortlaut ersichtlich als Anspruchsgrundlage aus. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG sind nicht erfüllt. Denn der stationäre Aufenthalt der Klägerin bei der Beigeladenen im Dezember 2008 erfolgte nicht zur "Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände".
aa) Unter einer akuten Erkrankung versteht man einen unvermutet auftretenden, schnell und heftig verlaufenden, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf (so z.B. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 4 Rn. 28; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 4 AsylbLG Rn. 4 - beide m.w.N.). Dabei fällt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/4451 S. 9) unter den Begriff der ärztlichen Behandlung nicht nur die ambulante, sondern auch die stationäre Behandlung in einem Krankenhaus.
Ausgehend von dieser - zwischen den Beteiligten nicht umstrittenen - Definition bedarf es einer Abgrenzung ggf. leistungsauslösender akuter gegenüber nicht akuten und damit chronischen Erkrankungen; Letztere werden nicht von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erfasst. Diese Abgrenzung hat nach medizinischen Kriterien und ggf. unter Zuhilfenahme medizinischen Sachverstandes stattzufinden (vgl. Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 4 Rn. 29).
Vor diesem Hintergrund erschien zwar die Behandlung der Klägerin - wie auch das SG ausgeführt hat - als solche medizinisch erforderlich (dazu auch unten d). Gleichwohl handelte es sich - offensichtlich - nicht um eine Akutbehandlung. Denn sowohl nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K als auch nach der Beurteilung der Amtsärztin Dr. T1 wurde die Klägerin nicht während einer akuten Krankheitsphase stationär behandelt, sondern - wie es für einen solchen chirurgischen Eingriff indiziert ist - während eines beschwerdefreien Intervalls. Die Angaben der Mutter der Klägerin anlässlich der Anamnese durch den Sachverständigen Dr. K bestätigt dies; danach erfolgte die Vorstellung der Klägerin bei der Beigeladenen zu einem Zeitpunkt, in dem keine akuten Beschwerden auftraten. Aus diesem Grund lag bei der Klägerin im Vorfeld ihrer stationären Behandlung gerade kein schnell und heftig verlaufender, regelwidriger Körper- bzw. Geisteszustand vor. Ohnehin war es das erklärte Ziel der Maßnahme, gerade die "chronische" Mandelentzündung der Klägerin dauerhaft zu beheben. Es ging damit nicht um eine Akut- geschweige denn um eine Notfallbehandlung, sondern um die Therapie einer chronifizierten oder zumindest häufig wiederkehrenden Entzündung.
bb) Auch unter dem Gesichtspunkt der Behandlung eines (hier chronischen bzw. regelmäßig wiederkehrenden) Schmerzzustandes ergibt sich kein Anwendungsbereich von § 4 (Abs. 1 S. 1) AsylbLG. Unter einem Schmerzzustand versteht man einen mit einer aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigung verknüpften, unangenehmen Sinnes- und Gefühlszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf. Dabei kann an dieser Stelle offen bleiben, ob (wie bei der Behandlung von Erkrankungen) nur die Behandlung von akuten oder auch von chronischen bzw. wiederkehrenden Schmerzen vom Gesetz erfasst ist (vgl. z.B. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 4 AsylbLG Rn. 5, § 4 Rn. 32 f.; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 4 AsylbLG Rn. 14 - beide m.w.N.).
Denn ein akuter Schmerzzustand lag im Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin sowohl nach den Feststellungen des Dr. K als auch nach den Ausführungen der Amtsärztin Dr. T1 (die zuvor telefonisch Rücksprache mit dem Kinderarzt der Klägerin gehalten hatte) nicht vor. Die Operation erfolgte vielmehr in einem beschwerdefreien Intervall. Insoweit gelten die hier zur akuten Erkrankung gemachten Ausführungen (oben aa) entsprechend. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe Schmerzen gehabt und sich deswegen in die Behandlung der Beigeladenen begeben, so mag dies zutreffen. Die (kurzfristige) Behebung von Schmerzen war jedoch weder Anlass noch Ziel des operativen Eingriffs. Es bestand auch kein chronischer Schmerzzustand (wie er beispielsweise im Rahmen einer Krebserkrankung auftreten kann).
cc) Schließlich ist auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen - insbesondere im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) - eine erweiternde (verfassungskonforme) Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 nicht geboten. Dafür bestünde allenfalls dann Anlass, wenn sich der von der Klägerin erhobene Anspruch nicht aus § 6 AsylbLG ergäbe. Diese Vorschrift bildet eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift im Sinne einer Öffnungsklausel mit dem Ziel, den unterschiedlichen Lebenssachverhalten und der nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gebotenen Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Einzelfall gerecht zu werden (vgl. dazu Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 20 f. und § 4 Rn. 21-23 m.w.N. sowie Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 6 AsylbLG Rn. 1; vgl. in anderem Zusammenhang auch BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. Rn. 207 f.).
d) Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Behandlungskosten nach § 6 Abs. 1 AsylbLG sind jedoch erfüllt.
aa) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Beklagte nicht schon vor, sondern erst nach deren Abschluss Kenntnis von der Behandlung der Klägerin erhalten hat.
(1) Die Frage, ob der Kenntnisgrundsatz (§ 18 SGB XII, früher § 5 Bundessozialhilfegesetz) im AsylbLG entsprechende Anwendung findet, ist bislang nicht abschließend geklärt. Sie wird vornehmlich im Rahmen von § 4 AsylbLG aufgeworfen, stellt sich jedoch bei § 6 AsylbLG in gleicher Weise.
Die wohl überwiegender Meinung (OVG Lüneburg, Urteil vom 17.01.2001 - 4 LB 1109/01 Rn. 36 ff (45 f.); OVG NRW, Beschluss vom 28.05.2008 - 12 A 702/07 Rn. 27 f. m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, Stand November 2011, § 4 Rn. 15 und § 2 Rn. 117 (Stand 2006), aber: § 1 Rn. 128 (Stand 2006); zumindest offen gelassen: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 4 AsylbLG Rn. 8-10 sowie SG Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2011 - S 42 (19,44,7) AY 2/05 a.E.) geht von einer fehlenden Anwendbarkeit des Kenntnisgrundsatzes aus. Hierfür spricht zunächst der Gesetzeswortlaut (nicht nur des § 4 AsylbLG, sondern auch) des § 6 AsylbLG; er bietet keinerlei Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer vorherigen Kenntniserlangung des Leistungsträgers. Zudem hat der Gesetzgeber mit der Herausnahme der Asylbewerberleistungen aus dem Recht der Sozialhilfe bewusst einen Sonderweg beschritten und (nur) dort, wo er es für erforderlich hielt, auf andere Vorschriften des Verfahrens- oder des Sozialhilferechts verwiesen (z.B. § 9 und § 7 Abs. 4 AsylbLG); eine (planwidrige) Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des Kenntnisgrundsatzes rechtfertigen könnte, ist deshalb nicht feststellbar. Ohnehin unterscheiden sich die beiden Leistungssysteme von ihrer Zielrichtung her deutlich: Die Sozialhilfe ist auf die Eingliederung und "Teilhabe" der Betroffenen ausgerichtet, wohingegen es im AsylbLG nur um die notdürftige Sicherstellung des Bedarfs für einen (angenommenerweise) vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik geht (dazu insb. OVG Lüneburg a.a.O. Rn. 39). Hinzu kommt, dass das Erfordernis einer vorherigen Kenntniserlangung der Behörde bzw. ein Antragserfordernis in der Regel dazu gedacht ist, ein in dem jeweiligen Sozialleistungszweig etabliertes "Leistungserbringungssystem" zu schützen bzw. möglichst umfassend zur Geltung zu bringen (z.B. Auswahl der richtigen Leistung der Eingliederungshilfe oder der Gesetzlichen Krankenversicherung). Gleichzeitig sollen diese Erfordernisse den Betroffenen schützen, damit er im Falle einer Selbstbeschaffung nicht dem Risiko ausgesetzt ist, nachträglich seine Kosten nicht erstattet zu erhalten (so z.B. bei § 13 Abs. 3 SGB V). Derartige Schutzgedanken greifen im AsylbLG nicht Platz. Denn im AsylbLG ist das Leistungserbringungsrecht nur ansatzweise normiert (vgl. z.B. für ambulante Leistungen § 4 Abs. 3 AsylbLG). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Die Gegenansicht (Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 4; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII, Stand August 2004, § 4 AsylbLG Rn. 24 ff.; Hohm in GK-AsylbLG, Stand 2006 § 1 Rn. 117; VG Münster, Urteil vom 18.10.2005 - 5 K 5424/03 und - ohne Begründung - LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.01.2010 - L 23 AY 1/07 Rn. 36; SG Hildesheim, Urteil vom 03.09.2012 - S 42 AY 13/09 Rn. 7 unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.), die den Kenntnisgrundsatz im AsylbLG (generell) für anwendbar hält, überzeugt den Senat nicht. Der Hinweis auf ein Ineinandergreifen von Unterbringung (Aufnahmeeinrichtungen) und vorrangiger Gewährung von Sachleistungen (einzig hierauf stellt Coseriu a.a.O. ab) vermag nicht zu begründen, warum ggf. medizinisch notwendige Leistungen, deren Inanspruchnahme dem Inhalt und der Höhe nach gerechtfertigt waren, nicht auch im Nachhinein zu ersetzen sein sollen. Die Bezugnahme auf ein allgemeines Strukturprinzip der Sozialhilfe "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" (so VG Münster a.a.O. Rn. 14 ff.) ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R Rn. 13 m.w.N.) ohnehin als überholt anzusehen.
(2) Anderes ergibt sich für den vorliegenden Einzelfall auch nicht ausnahmsweise aus dem Inhalt der von der Beklagten der Klägerin ausgestellten Behandlungsscheine. Denn der darin enthaltene Hinweis auf das Genehmigungserfordernis bei planbaren Maßnahmen richtet sich schon vom Wortlaut her nicht an die Klägerin bzw. deren Mutter, sondern an den behandelnden Arzt bzw. die behandelnde Ärztin, die ggf. eine Überweisung zur stationären Krankenhausbehandlung ausstellen könnten. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob der Umstand, dass die stationären (Notfall-)Behandlungen vor Dezember 2008 stets ohne vorherigen Antrag von der Beklagten bezahlt wurden, in diesem Zusammenhang zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind.
bb) Die Leistungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 AsylbLG sind erfüllt.
(1) § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG setzt in dem hier fraglichen Zusammenhang in tatbestandlicher Hinsicht voraus, dass es sich bei der stationären Krankenhausbehandlung der Klägerin im Dezember 2008 um eine Maßnahme handelte, welche zur Sicherung ihrer Gesundheit und/oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse eines Kindes unerlässlich war.
Zur Unerlässlichkeit der in Rede stehenden Maßnahme kommt es darauf an, ob der geltend gemachte Bedarf nach medizinischen Maßstäben unverzüglich und noch während des voraussichtlichen Aufenthalts des Ausländers in Deutschland zu decken ist (Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 57 ff.). Vor dem Hintergrund der von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erfassten Fallgestaltungen können dabei nicht nur Maßnahmen zur Beseitigung akuter Krankheitszustände in Betracht kommen, sondern auch und gerade solche, die unabhängig von der aktuellen Situation den Gesundheitszustand erhalten bzw. eine Verschlechterung verhindern sollen.
Dies zu Grunde legend, war die Behandlung zur Sicherung der Gesundheit der Klägerin unerlässlich. Denn nach der insoweit einheitlichen und unmittelbar nachvollziehbaren Beurteilung der Amtsärztin Dr. T1 und des Sachverständigen Dr. K bestand nach dem Beschwerdebild der Klägerin zwar keine notfallmäßige, gleichwohl aber eine zwingende Indikation für die durchgeführte Operation, um weitere schmerzhafte Infekte und evtl. gefährliche Folgeerkrankungen zu verhindern. Auch zum Umfang des Eingriffs hatten weder der Sachverständige noch die Amtsärztin Bedenken gegen die Vorgehensweise der Beigeladenen. Können wiederholte Mittelohrentzündungen zu (ggf. irreversiblen) Hörschäden führen, geht es schließlich auch um die Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1, 3. Var. AsylbLG. Die Klägerin hatte im Dezember 2008 ihr drittes Lebensjahr noch nicht vollendet und befand sich somit in einer für die Sprachentwicklung bedeutsamen Lebensphase; gleichzeitig ist für eine ungehinderte Sprachentwicklung die Hörfähigkeit unabdingbar. Insofern war das operative Einschreiten nicht zeitlich unbegrenzt aufschiebbar. Da zudem keine Anhaltspunkte dafür greifbar sind, dass zur Zeit der Operation mit einer nicht erst langfristigen Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin (bzw. ihrer Mutter) in der Bundesrepublik zu rechnen war, kann auch nicht angenommen werden, dass die Behandlung bis zu einer etwaigen Ausreise bzw. Abschiebung hätte aufgeschoben werden können.
(2) Auf Rechtsfolgenseite eröffnet § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG dem Leistungsträger einen Ermessensspielraum. Offen bleiben kann, ob es sich dabei von vornherein nur um ein Auswahl- oder auch um ein Entschließungsermessen handelt (vgl. dazu einerseits Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 6 AsylbLG Rn. 8 und andererseits Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 6 Rn. 38 - beide m.w.N.). Denn sowohl ein (etwaiges) Entschließungs- als auch das Auswahlermessen ist jedenfalls auf Null reduziert.
Dass die Beklagte in der vorliegenden Situation zur Sicherung der Gesundheit der Klägerin überhaupt tätig werden musste und damit ihr Entschließungsermessen entsprechend reduziert war, folgt bereits aus den vorstehenden Ausführungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG. Denn bei unterbliebener, die Ursachen der Erkrankung angehender Behandlung hätte die Gefahr einer (möglicherweise irreversiblen) schwereren gesundheitlichen Schädigung der Klägerin bestanden; nicht nur mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, sondern auch auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wäre eine Leistungsversagung für die notwendige Behandlung deshalb rechtswidrig gewesen.
Auch hinsichtlich des Auswahlermessens ist von vornherein nicht erkennbar, dass der Beklagten anstelle der Ermöglichung einer stationären Krankenhausbehandlung andere Handlungsalternativen zu Gebote gestanden hätten. Insofern waren nach der übereinstimmenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. K und der Amtsärztin Dr. T1 Art, Inhalt und zeitlicher Umfang der Krankenhausbehandlung der Klägerin ohne Alternative. Die Beklagte hat überdies in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe gegen die Höhe der Abrechnung der Beigeladenen keine Einwände, so dass ein Anspruch der Klägerin, sollte er dem Grunde nach bestehen, auch in dieser Höhe bestehe. Im Hinblick auf nur die konkreten Behandlungskosten ist für den Senat nicht erkennbar, dass eine andere Entscheidung (etwa durch Bestimmung eines anderen Krankenhauses für die Operation) hätte getroffen werden können. Dies deckt sich im Übrigen mit den Ausführungen der Amtsärztin Dr. T1, sie hätte bei rechtzeitiger Befassung der Behandlung bei der Beigeladenen (und damit auch den daraus erwachsenden Kosten) zugestimmt.
(3) Mit Blick auf die Rechtsfolge ist die Entscheidung des SG auch insoweit nicht zu beanstanden, als es die Beklagte zur Übernahme der entstandenen Kosten i.H.v. 2.136,40 EUR verurteilt hat. Denn zum einen sieht § 6 Abs. 1 S. 2 AsylbLG nicht nur die Gewährung von Sachleistungen, sondern ausdrücklich auch von Geldleistungen vor. Im Übrigen entspricht die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der durch die Behandlung bei der Beigeladenen entstandenen Kosten der Handhabung, wie sie im Rahmen des (vergleichbaren) Dreiecksverhältnisses zwischen Leistungsberechtigtem, Leistungsträger und Leistungserbringer im Sozialhilferecht üblich ist (dazu BSG, Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R Rn. 15 ff.). Rechtstechnisch handelt es sich um einen Schuldbeitritt (BSG a.a.O. Rn. 25). Allein der Umstand, dass im Bereich des AsylbLG - anders als im SGB XII - das "Leistungserbringungsrecht" nur ansatzweise normiert ist, ändert an der grundsätzlichen systematischen Einordnung der Leistungsbeziehung zwischen Beteiligten nichts.
Anderes ergibt sich insoweit auch nicht wegen des Urteils des AG Münster vom 30.06.2010 - 5 C 2954/09. Danach ist zivilrechtlich zwar nicht die Klägerin, sondern deren Mutter Schuldnerin der Forderung aus dem Krankenhausbehandlungsvertrag. Doch selbst wenn die Mutter die Kosten gegenüber der Beigeladenen bereits beglichen hätte, würde dies dem Anspruch der Klägerin auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung nicht entgegenstehen (vgl. entsprechend für den Bereich der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R Rn. 25).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
III. Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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