L 19 AS 1477/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 536/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1477/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 394/13 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 28.06.2013 wird als unzulässig verworfen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 30.04.2013.

Der alleinstehende Kläger ist selbständiger Rechtsanwalt. Die Bruttowarmmiete seiner Wohnung beträgt ab dem 01.01.2013 331,00 EUR monatlich. Die Warmwasserversorgung erfolgt zentral über die Heizung.

Seit 2007 bezieht der Kläger durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 07.11.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.11.2012 bis zum 30.04.2013 vorläufig in Höhe von insgesamt 673,00 EUR monatlich (342,00 EUR Regelbedarf + 331,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III. Der Beklagte ging von einem Gesamtbedarf des Klägers in Höhe von insgesamt 705,00 EUR monatlich (374,00 EUR Regelbedarf + 331,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) aus. Auf diesen Gesamtbedarf rechnete er ein Erwerbseinkommen in Höhe von 32,00 EUR an. Von den geschätzten Betriebseinnahmen in Höhe von 140,00 EUR monatlich zog der Beklagte einen Freibetrag von 108,00 EUR ab.

Durch Änderungsbescheid vom 24.11.2012 erhöhte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 30.04.2013 auf 681,00 EUR monatlich (350,00 EUR Regelbedarf + 331,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung). Der Beklagte ging bei der Ermittlung des Leistungsanspruches von einem Gesamtbedarf in Höhe von 713,00 EUR monatlich (382,00 EUR Regelbedarf + 331,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) aus und zog von diesem Gesamtbedarf ein Einkommen von 32,00 EUR ab. Unter der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides ist hinzugefügt: "Soweit Ihnen die Leistungen bisher vorläufig (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 SGB III) bewilligt wurden, bleibt die Vorläufigkeit bestehen."

Gegen den Änderungsbescheid vom 24.11.2012 legte der Kläger Widerspruch ein. Er machte die Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfes geltend. Durch Widerspruchsbescheid vom 28.01.2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 12.02.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Berlin vom 25.04.2012 - S 55 AS 29349/11 und S 55 AS 9238/12 zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der maßgeblichen Regelbedarfe für alleinstehende Leistungsberechtigte und die dazu ergangene Literatur sowie die vorausgegangenen Gutachten lieferten hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Änderungsbescheid vom 24.11.2012 betreffend den angesetzten Regelbedarf rechtswidrig sei. Die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe sei nicht durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 12.07.2012 - B 14 AS 153/11 R geklärt. Das Bundessozialgericht habe in dieser Entscheidung die Gutachten von Dr. C und Prof. Dr. N nicht mit der erforderlichen Objektivität diskutiert. Auch sei die Entscheidung in der Wissenschaft wie auch in der Rechtsprechung auf erheblichen Widerspruch gestoßen.

Durch Gerichtsbescheid vom 28.06.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der ab dem 09.01.2011 festgesetzte Regelbedarf für Alleinstehende sei verfassungsgemäß. Der Kläger habe keinen expliziten Klageantrag gestellt. Das Sozialgericht hat die Berufung für statthaft gehalten. Das Begehren sei im Wege der Auslegung zu ermitteln. Eine konkrete Bezifferung sei aus dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Lasse sich nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für die Beschränkung der Berufung erfüllt seien, sei zugunsten des Klägers die Grundregel des § 143 SGG anzuwenden.

Gegen den ihm am 02.07.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.08.2013 Berufung eingelegt und mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 S. 3 SGG beantragt.

Er verfolgt sein Begehren weiter.

Der Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Der Kläger ist mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Das persönliche Erscheinen des Klägers, der hinreichend Gelegenheit hatte, sich schriftsätzlich zu äußern, war nicht zum Zweck einer weiteren Sachverhaltsaufklärung angeordnet worden.

Die Berufung des Klägers ist unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.

Eine Berufung ist zulässig, wenn ihr Wert bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) oder wiederkehrende Leistungen oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).

Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung - wie im vorliegenden Fall - bestimmt sich der Beschwerdewert i.S.v. § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGG allein nach dem Geldbetrag, den das erstinstanzliche Gericht versagt hat und der vom Berufungsführer weiter verfolgt wird. Maßgebend ist die Leistung, die im Streit ist. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen bleiben bei der Berechnung außer Betracht (vgl. BSG Urteile vom 27.07.2004 - B 7 AL 104/03 R und 11.05.1999 - B 11/10 AL 1/98 R). Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 24.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2013. Gegenstand des Verfahrens ist daher das Begehren des Klägers auf Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 30.04.2013.

Der für die Dauer von vier Monaten streitige Leistungsanspruch ist vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht beziffert worden. Bei einem unbezifferten Klageantrag hat das Berufungsgericht den Beschwerdewert zu ermitteln. Dabei ist eine überschlägige Berechnung unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens ausreichend (vgl. BSG Urteile vom 14.08.2008 - B 5 R 39/07 R und 02.06.2004 - B 7 AL 38/03 R; siehe auch BSG Beschluss vom 24.02.2011 - B 14 AS 143/10 B; zur Auslegung eines unbezifferten Klageantrags BGH Urteil vom 08.07.1993 - III ZR 153/92). Es ist nicht ausschließlich auf den Vortrag eines Berufungsführers zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung, nach § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 ZPO (BSG Urteil vom 17.11.2005 - B 11a/10 AL 57/04 R) abzustellen, sondern der Antrag in der Berufungsschrift ist mit dem Antrag vor dem Sozialgericht zu vergleichen. Andernfalls könnte ein Berufungsführer durch eine entsprechende Antragstellung im Berufungsverfahren die mit dem § 144 Abs. 1 SGG verfolgt Beschränkung des Berufungszugangs beliebig unterlaufen (vgl. BSG Beschluss vom 04.07.2011 - B 14 AS 30/11 B m.w.N.).

Der Kläger hat sein Begehren in der Berufungsschrift nicht konkret beziffert. Nach einem Hinweis des Senats, wonach Bedenken gegen die Statthaftigkeit der Berufung bestehen, hat der Kläger zunächst seinen geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen im Schriftsatz vom 03.09.2013 auf mindestens 125 EUR monatlich beziffert. Nach dem Hinweis des Senats darauf, dass nur ein Leistungsanspruch von vier Monaten Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist (weshalb auch bei einer monatlichen Beschwer von 125 EUR der Berufungsstreitwert nicht erreicht würde) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 04.09.2013 einen Gesamtanspruch in Höhe von 1.050,00 EUR monatlich geltend gemacht. Abgesehen davon, dass es sich hierbei - wie schon die vom Kläger präsentierte Berechnung im Schriftsatz vom 03.09.2013 zeigt - um einen willkürlichen und damit unbeachtlichen Vortrag zur Erreichung des Berufungsstreitwerts handeln dürfte, sind maßgebend für die Ermittlung der Beschwer nicht die vom Kläger im Berufungsverfahren geäußerte Größenvorstellung, sondern die im erstinstanzlichen Verfahren geäußerten Vorstellungen. Eine zur Zeit der Einlegung der Berufung die Wertgrenze nicht übersteigende Berufung wird durch spätere Erhöhungen des Beschwerdewerts - selbst wenn nicht von einer willkürlichen Streitwerterhöhung ausgegangen wird - nicht statthaft (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl., § 144 Rn 20 m.w.N.).

Aus den schriftlichen Äußerungen des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren kann nicht entnommen werden, dass er ein um 187,50 EUR monatlich erhöhtes Arbeitslosengeld II begehrt hat. Der Ansatz eines Betrags von mehr 187,50 EUR ist aber erforderlich, um ein Überschreiten der Beschwer von 750,00 EUR anzunehmen (4 x 187,50 EUR = 750,00 EUR). Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass der bei der Ermittlung seines Gesamtbedarfs angesetzte Regelbedarf von 382,00 EUR zu gering sei und ihm ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehe. Dabei hat er eingeräumt, dass der Ansatz von 382,00 EUR als Regelbedarf für Alleinstehende den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Unter Berufung auf die Gutachten von Prof. Dr. N und Dr. C sowie die Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Berlin hat er die Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende geltend gemacht. Weitere Bedenken gegen die Ermittlung seines Leistungsanspruchs durch den Beklagten sind den Einlassungen des Klägers nicht zu entnehmen. Der Kläger hat die Höhe eines Regelbedarfs, der nach seiner Meinung den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, zwar nicht beziffert. Jedoch kann aus seiner Bezugnahme auf die Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Berlin (Beschluss vom 25.04.2012 - S 55 AS 9238/12) geschlossen werden, dass er der Auffassung gewesen ist, der Regelbedarf für Alleinstehende weise für 2011 einen normativen Fehlbetrag von mindestens 35,37 EUR, für 2012 von mindestens 36,07 EUR (vgl. Sozialgericht Berlin Beschluss vom 25.04.2012 - S 55 AS 9238/12 Rn 129) und für 2013 von mindestens 36,88 EUR (2,26 % Erhöhung nach der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2013 - BGBl. I 2012, 2173) auf. Das Sozialgericht Berlin hat nämlich unter Zugrundelegung der Gutachten von Prof. Dr. N und Dr. C einen normativen Fehlbetrag von mindestens 35,37 EUR bzw. für 2012 von 36,07 EUR ermittelt. Insoweit ist dem Vorbringen des Klägers eine Mindestgrenze für seinen geltend gemachten höheren Leistungsanspruch zu entnehmen, die für die Bestimmung der Beschwer heranzuziehen ist (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 06.10.2011 - L 2 AS 292/11 B m.w.N.; BGH Beschluss vom 30.09.2003 - VI ZR 78/03, vgl. auch BSG Beschluss vom 09.08.1995 - 9 RVs 7/94). Unter Zugrundelegung der monatlichen Mindestgrenze von 36,88 EUR beläuft sich die Beschwer des Klägers auf 147,52 EUR (vier Monate x 36,88 EUR).

Die Regelung des § 144 Abs. 1 S. 2 SGG greift zu Gunsten des Klägers nicht ein, da Gegenstand des angefochtenen Bescheides keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr sind.

Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist weder dem Tenor noch den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils zu entnehmen. Das Sozialgericht hat vielmehr ausweislich seiner Urteilsbegründung (zu Unrecht) unterstellt, dass die Berufung zulässig sei. Die bei zulässiger Berufung übliche Rechtsmittelbelehrung stellt keine positive Entscheidung über die Zulassung der Berufung dar (BSG Beschluss vom 22.07.2010 - B 4 AS 77/10 B und Urteil vom 23.07.1998 - B 1 KR 24/96 R).

Über den vom Kläger gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht zu entscheiden. Die Vorschrift des § 105 Abs. 2 S. 3 SGG (Einlegung eines Rechtsmittels und Antrag auf mündliche Verhandlung) stand einer Verwerfung der Berufung als unstatthaft nicht entgegen, da diese Vorschrift nur für statthafte Rechtsmittel gilt (zu den Fallgestaltungen vergl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 105 Rn 16/17.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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