L 2 AS 1342/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 741/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1342/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 03.06.2013 aufgehoben. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin H, 00000 N, bewilligt.

Gründe:

I.

Die Klägerin bezieht von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheid vom 11.07.2012 bewilligte dieser ihr für den Zeitraum 01.08.2012 bis 31.01.2013 Leistungen in Höhe von monatlich 871,93 Euro. Mit Bescheid vom 14.08.2012 wurde dieser Bescheid für den Monat September 2012 teilweise aufgehoben. Die Leistungen wurden auf 742,95 Euro reduziert. Hintergrund der Neuberechnung war eine im August 2012 erfolgte Guthabenauszahlung von 119,90 Euro auf Heiz- und Warmwasserkosten aufgrund einer Heiz- und Betriebskostenabrechnung vom 12.07.2012.

Die Bevollmächtigte Klägerin legte gegen den Änderungsbescheid am 04.09.2012 per Telefax Widerspruch ein und bat zur Begründung um Akteneinsicht. Die angekündigte Vollmacht lag diesem Widerspruch nicht bei. Mit Schreiben vom 18.09.2012 wies der Beklagte auf die fehlende Vollmacht hin. Bevor über den Antrag auf Akteneinsicht entschieden werden könne, müsse diese vorgelegt werden. Zur Übersendung wurde eine Frist bis zum 04.10.2012 gesetzt. Die Bevollmächtigte wurde darauf hingewiesen, dass der Beklagte aufgrund des bekannten Sachverhalts entscheiden werde, wenn eine Antwort bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegen würde. Er - der Beklagte - gehe dann davon aus, dass die Klägerin sich nicht mehr zur Sache äußern wolle.

Nachdem eine Vollmacht nicht vorgelegt wurde, verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2012 den Widerspruch als unzulässig. Der Widerspruch sei durch einen vollmachtlosen Vertreter erhoben worden. Handlungen einer hierzu nicht bevollmächtigten Person seien aber prozessrechtlich unwirksam. Da die Klägerin bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist keine Vollmacht zu den Akten gereicht habe, sei der angefochtene Bescheid bestandskräftig geworden.

Die Klägerin hat hiergegen am 19.11.2012 Klage erhoben. Sie beantragt, den Bescheid vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2012 aufzuheben und ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der eingelegte Widerspruch sei zulässig, weil sie ihrer Bevollmächtigten noch im August 2012 eine Prozessvollmacht erteilt habe, die wegen ihrer, der Klägerin, bekannten Erkrankung zunächst nicht an die Bevollmächtigte habe weitergeleitet werden können. Eine diesbezügliche Vollmacht vom 16.08.2012 und vom 17.08.2012 hat sie zu den Akten gereicht.

Mit Beschluss vom 03.06.2013 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte habe zu Recht den Nachweis einer Bevollmächtigung gefordert. Die Befugnis dazu ergebe sich § 13 Abs. 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 62 SGB X. Der Beklagte sei daher auch dazu berechtigt, den Widerspruch als unzulässig zu verwerfen. Der Mangel der Vollmacht könne auch nicht mehr durch Vorlage im Gerichtsverfahren geheilt werden. Aus dem Vortrag der Klägerin, sie sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen, ergebe sich keine andere Beurteilung, weil unverständlich sei, dass sie dazu in der Lage gewesen sei, eine Vollmacht zu erteilen, sie diese aber nicht habe vorlegen können.

Gegen den am 06.06.2013 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am Montag, den 08.07.2013 Beschwerde eingelegt. Unter Berücksichtigung ihrer Erkrankung sei die angesetzte Frist unangemessen kurz gewesen. Zudem habe auch kein Zweifel an der Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten bestanden, weil diese die Klägerin in sämtlichen Angelegenheiten vertreten habe.

II.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Unrecht abgelehnt.

Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, erhalten gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem SGB II und kann die Kosten der Prozessführung nicht selbst aufbringen. Die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Rechtsstandpunkt des Klägers für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Die Erfolgsaussichten dürfen dabei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden. Es reicht eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit, die auch bei nur teilweise zu bejahender Erfolgsaussicht dazu führt, dass in den gerichtskostenfreien Verfahren Prozesskostenhilfe uneingeschränkt zu gewähren ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73a RdNr.7a f.).

Jedenfalls hinsichtlich des Antrags auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2012 ist eine solche Erfolgswahrscheinlichkeit gegeben, weil an der Berechtigung des Beklagten, den Widerspruch als unzulässig zu verwerfen, erhebliche Zweifel bestehen. Fehlt es aber an einer solchen Berechtigung und hat die Behörde - wie hier - nicht in der Sache entschieden, sind die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Prüfung des Klagebegehrens gehindert (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95; LSG Rheinland-Pfalz, Teilurteil vom 30.09.2010 - L 1 AL 122/09, juris). Der Widerspruchsbescheid ist dann isoliert aufzuheben.

Zutreffend ist das Sozialgericht zwar davon ausgegangen, dass der Mangel der Vollmacht nicht durch Vorlage einer Vollmacht im gerichtlichen Verfahren geheilt werden kann, wenn der Widerspruch wegen der fehlenden Vollmacht bereits als unzulässig verworfen worden ist (vgl. hierzu LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.2013 - L 3 AS 98/13, juris). Dies gilt auch für den Fall, dass die nachträglich vorgelegte Vollmacht - wie hier - bereits während des Widerspruchsverfahrens erteilt worden ist. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides ist insoweit eine heilende rückwirkende Genehmigung des Handelns des vollmachtlosen Vertreters ausgeschlossen (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, aaO; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.01.2013 - L 25 AS 1146/11 B PKH; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 04.11.2008 - L 4 KA 3/07, juris).

An der Berechtigung des Beklagten, den Widerspruch als unzulässig zu verwerfen, bestehen hier aber erhebliche Zweifel, weil der Beklagte die Bevollmächtigte der Klägerin nicht ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen hat. Ist eine Prozessvollmacht nicht zu den Akten gereicht worden, bedarf es, damit der Widerspruch ohne weitere Sachprüfung als unzulässig verworfen werden kann, einer vorherigen Aufforderung an den vollmachtlosen Vertreter, binnen einer bestimmten Frist die Vollmacht vorzulegen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Diese Aufforderung ist mit dem Hinweis zu verbinden, dass anderenfalls das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird. Im gerichtlichen Verfahren wird dieser Hinweis, wenn ein Rechtsmittel wegen der fehlenden Vollmacht als unzulässig verworfen werden soll, wegen der damit verbundenen Aufklärungs- und Warnfunktion verlangt (vgl. BSG, Beschluss vom 16.07.2003 - B 13 RJ 83/02 B; Urteil vom 13.12.2000 - B 6 KA 29/00 R, juris). Wegen der auch im Verwaltungsverfahren geltenden Gebote der Klarheit und Fairness des Verfahrens ist der Hinweis auch im Widerspruchsverfahren erforderlich, wenn die Behörde beabsichtigt, den Widerspruch bei Nichtvorlage der Vollmacht als unzulässig zu verwerfen (LSG Rheinland-Pfalz, aaO; Schleswig-Holsteinisches LSG,aO). Spätestens mit Erhalt dieses Hinweises kann der Prozessvertreter erkennen, dass das Fehlen der Vollmacht zur Zurückweisung des Rechtsmittels führen und in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr geheilt werden kann (Schleswig-Holsteinisches LSG, aaO).

Der Beklagte hat der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zwar mit Schreiben vom 18.09.2012 eine Frist zur Vorlage der Vollmacht gesetzt, einen ausdrücklichen Hinweis, dass anderenfalls der Widerspruch als unzulässig verworfen werden wird, hat er aber nicht erteilt, sondern lediglich auf die Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage hingewiesen. Ob dieser Hinweis die erforderliche Anhörungs- und Warnfunktion erfüllt, ist äußerst zweifelhaft, weil eine "Entscheidung nach Aktenlage" auch die Möglichkeit einer Sachentscheidung beinhaltet (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, aaO; Schleswig-Holsteinisches LSG, aO). Besondere weitere Umstände, die dazu führen, dass die Prozessbevollmächtigte den Hinweis des Beklagten hier nur dahingehend verstehen konnte, dass der Widerspruch als unzulässig verworfen werden wird (vgl. hierzu LSG Rheinland-Pfalz, aaO; Schleswig-Holsteinisches LSG, aaO) liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

Insbesondere die Formulierung des Beklagten, er gehe davon aus, dass sich die Bevollmächtigte nicht weiter äußern wolle, wenn sie bis zum 04.10.2012 nicht antworten werde, spricht vielmehr gerade für eine beabsichtigte Sachentscheidung.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig und die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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