L 5 KR 576/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 1/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 576/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 3/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Mit Urteil des BSG wurde Urteil des LSG geändert.
Zurückverwiesen. Neues Az = L 5 KR 702/13 = noch anhängig!
Auf die Berufung der Klägerin zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.09.2010 aufgehoben. Auf die Berufung des Klägers zu 2) wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.02.2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Berufungsverfahren - an das Sozialgericht Dortmund zurückverwiesen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte Zahlungen i.H.v. insgesamt 106.071,59 Euro, die aufgrund eines Schuldanerkenntnisses erfolgt sind, zurückzuzahlen hat.

Der 1954 geborene Kläger zu 2) (im Folgenden: Kläger) erhielt unter dem 07.01.1997 seitens der Beklagten die Zulassung, Versicherte mit orthopädischen Schuhzurichtungen und Schuhreparaturen zu versorgen. Grundlage dieser Zulassung war eine Ausnahmebewilligung der Bezirksregierung Arnsberg gemäß § 8 der Handwerksordnung. Die Zulassung der Beklagten war zunächst befristet bis zum 30.09.1997. In der Folgezeit wurde diese Befristung mehrfach verlängert. Nachdem der Kläger unter dem 20.12.1999 die Meisterprüfung im Orthopädieschuhmacherhandwerk bestanden hatte und entsprechend in die Handwerksrolle eingetragen worden war, ließ ihn die Beklagte mit Wirkung vom 23.12.1999 für die Anfertigung, Instandsetzung und Abgabe von orthopädieschuhtechnischen Hilfsmitteln für ihre Versicherten zu. Neben dem Hauptbetrieb in I erhielt der Kläger unter dem 22.05.2001 noch eine Zulassungserweiterung für einen Filialbetrieb in M.

Am 20.05.2008 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und am 21.05.2008 wurde der Geschäftsbetrieb gemäß § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Seit September 2008 ist die Klägerin zu 1) (im Folgenden: Klägerin) Inhaberin der Firma Orthopädie Schuhtechnik O. Betriebsleiter am Betriebssitz in M ist der Orthopädieschuhmachermeister L und Betriebsleiter am Betriebssitz in I ist der Kläger. Ausweislich des zwischen der Klägerin und dem Insolvenzverwalter geschlossenen Mietvertrages mietete sie sämtliche der Insolvenzmasse zugehörigen und zum Geschäftsbetrieb der Orthopädieschuhtechnik O notwendigen Gegenstände.

Nachdem der Beklagten erhebliche Ausgabensteigerungen für orthopädieschuhtechnische Leistungen aufgefallen waren, für die der Kläger als mit verantwortlich angesehen wurde, da er im Vergleich zu anderen Orthopädieschuhmachern deutlich höhere Kosten verursache, ermittelte die Beklagte für die Zeit von 1997 bis Juni 2001 mit ihr vom Kläger insgesamt abgerechnete Kosten i.H.v. 652.296,99 DM für 961 Behandlungsfälle. Verglichen mit den durchschnittlichen Fallwerten für entsprechende Versorgungen stellte die Beklagte einen Schaden durch zu hohe Abrechnungen i.H.v. 438.707,40 DM fest. Außerdem überprüfte die Beklagte 18 Versorgungsfälle und gelangte zu dem Ergebnis, es lägen zahlreiche Beanstandungen vor, wobei die Versorgungen nicht den Abrechnungen entsprächen und teilweise auch Mängel vorlägen. Von den für die überprüften Versorgungen in Rechnung gestellten 41.930,92 DM seien 14.395,42 DM zu Unrecht abgerechnet worden.

Aufgrund dieser Ermittlungen kam es am 20.07.2001 zu einer Unterredung der Beklagten mit dem Kläger. An dem Gespräch nahmen neben dem Kläger die Klägerin sowie vier Mitarbeiter der Beklagten teil. Der Kläger unterzeichnete folgende Erklärung:

1. Hiermit erkenne ich an, bei Versicherten der AOK Märkischer Kreis in zahlreichen Fällen Versorgungen von orthopädischen Maßschuhen und Zurichtungen an Konfektionsschuhen abgegeben zu haben, die den ärztlichen Verordnungen nicht entsprachen.

2. Außerdem wurden in einer Vielzahl von Fällen Kostenvoranschläge und Abrechnungen über die Versorgungen mit der AOK vorgenommen, die den Leistungen nicht entsprachen. Den daraus entstandenen Schaden i.H.v. 184.000,- DM bin ich bereit zurückzuzahlen.

3. Innerhalb von 10 Tagen teile ich der AOK Märkischer Kreis die Zahlungsmodalitäten mit.

4 ...

Mit Schreiben vom 27.07.2001 teilte der Kläger der Beklagten mit, zur Zurückzahlung von 184.000,- DM unterbreite er den Vorschlag, monatlich 3.000,- DM plus die Verzinsung von monatlich 613,30 Euro zurückzuzahlen. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin ein "unwiderrufliches Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB Zahlungsvereinbarung und Abtretungserklärung", das im Wesentlichen folgenden Inhalt hatte:

"Ich, der Schuldner O erkenne hiermit an, der AOK

184.000,- DM

aus Anlass von Fehlversorgungen und Falschabrechnungen zu schulden.

Der Schuldbetrag ist mit 4,00 v.H. seit dem 01.08.2001 zu verzinsen.

Die Krankenkasse nimmt das Anerkenntnis an.

Die Schuld wird in monatlichen Raten von 3.613,30 DM inklusive der Zinsen erstmals ab 15.08.2001 beglichen.

Die weiteren Zahlungen sind zum 15. eines Monats fällig.

Bleibt der Schuldner mit einer Rate länger als 14 Tage in Verzug, wird der dann noch bestehende Restbetrag sofort zur Zahlung fällig.

Zur Sicherung des unter 1. bezeichneten Anspruchs wird darauf hingewiesen, dass der AOK das Recht zur Aufrechnung mit den Ansprüchen der Schuldnerin im Falle des Zahlungsverzuges verbleibt. "

Das von der Beklagten bereits am 06.08.2001 unterzeichnete Schuldanerkenntnis wurde vom Kläger am 21.08.2001 unterschrieben und der Beklagten zurückgesandt.

Nachdem der Kläger zunächst fristgemäß die Raten gezahlt hatte, bat er im August 2002 im Hinblick auf einen Umsatzrückgang um eine Neuregelung der Rückzahlungsmodalitäten. Unter dem 21.08.2002 erklärte sich die Beklagte damit einverstanden, dass ab 15.09.2002 die monatlichen Ratenzahlungen i.H.v. 1.200,- Euro erfolgen. Bis dahin verbleibe es bei der bisherigen Absprache. Mangels Zahlung durch den Kläger wurden in der Folgezeit ab Mai 2003 die Zahlungen durch Verrechnungen seitens der Beklagten realisiert. Diese Verrechnungen wurden bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführt, wobei ausweislich der von der Beklagten übersandten Aufstellung noch ein Restbetrag von 861,15 Euro offen ist.

Im Dezember 2005 wandte der Kläger sich, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an die Beklagte und schlug vor, die Angelegenheit so zu erledigen, dass über die bereits geleisteten annähernd 60.000,- Euro keine weiteren Zahlungen mehr geschuldet würden. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin unter dem 09.01.2006 mit, sie wolle an der schuldrechtlichen Vereinbarung zwingend festhalten.

Am 03.01.2007 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und die Rückzahlung der bereits geleisteten Zahlungen sowie die Feststellung begehrt, zu weiteren Zahlungen nicht verpflichtet zu sein. Er hat vorgetragen, das Schuldanerkenntnis sei nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig, da es gegen die guten Sitten verstoße. Die Beklagte habe ihm zu keiner Zeit das Recht der Nachbesserung eingeräumt. Im Übrigen sei der Anerkennungsbetrag ungefähr zehnmal so hoch wie der überhaupt möglicherweise in Betracht kommende Schadensbetrag. Hinzu komme die Tribunalsituation. Selbst wenn das Anerkenntnis nicht nichtig sein sollte, seien die Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht, da das Schuldanerkenntnis nach § 812 BGB kondiziert werden könne.

Der Kläger hat eine Sicherungsübereignung vom 08.08.2007 vorgelegt, wonach zur Sicherung der aktuell valutierten Darlehensansprüche der L und auch etwaiger weiterer Darlehen die Forderung gegen die AOK in voller Höhe abgetreten werde, die im Falle der Verwertung bzw. Verrechnung nur bis zur Höhe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesamtforderung beansprucht werden dürfe. Während des Insolvenzverfahrens wurde die hier klageweise gegen die Beklagte geltend gemachte Forderung nochmals an die Klägerin abgetreten und die Abtretung alsdann von der Gläubigerversammlung genehmigt.

Durch Beschluss vom 14.05.2009 hat das SG L zum Verfahren beigeladen.

Durch Beschluss vom 02.09.2010 hat das SG die Beiladung aufgehoben und das Rubrum dahingehend geändert, dass Klägerin nunmehr allein L ist.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 106.071,59 Euro nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2008 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Abrechnungsverhalten des Klägers habe erhebliche Implausibilitäten aufgewiesen, was die Beklagte zum Anlass genommen habe, mit dem Kläger am 20.07.2001 ein Gespräch zu führen. Im Rahmen dieses Gesprächs habe er die Erklärung vom 20.07.2001 unterzeichnet und alsdann am 27.07.2001 Zahlungsmodalitäten zur Schadensbegleichung mitgeteilt. Erst unter dem 21.08.2008 habe er das Schuldanerkenntnis unterzeichnet. Dieser Zeitablauf verdeutliche, dass der Kläger hinreichend Gelegenheit gehabt habe, die Umstände seiner Erklärung zu reflektieren.

Durch Urteil vom 22.09.2010 hat das SG die Klage der Klägerin abgewiesen. Die Voraussetzungen des allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 812 BGB seien nicht erfüllt.

Gegen das ihr am 06.10.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.11.2010 Berufung eingelegt (L5 KR 576/10).

Der Kläger hat am 03.11.2010 ebenfalls Berufung eingelegt (L 5 KR 594/10).

Durch Beschluss vom 29.11.2010 hat der Senat die beiden Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Unter dem 22.12.2010 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Klageänderung von Amts wegen bzw. die Annahme eines Parteiwechsels von Amts wegen nicht in Betracht komme und der Beschluss des Sozialgerichts vom 02.09.2010 einen Verfahrensfehler darstellen dürfte, der im Hinblick auf die Berufung der Klägerin eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nahelegen dürfte. Die Berufung des früheren Klägers dürfte dagegen unzulässig sein, da kein ihn betreffendes sozialgerichtliches Urteil vorliege; vielmehr sei dieses Verfahren noch erstinstanzlich anhängig.

Auf entsprechenden Antrag des Klägers sind die Akten an das SG Dortmund zurückgesandt worden. Das SG hat durch Beschluss vom 30.05.2011 den Beschluss vom 02.09.2010 aufgehoben und das Rubrum wiederum geändert.

Durch Urteil vom 08.02.2012, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das ihm am 17.02.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.03.2012 Berufung eingelegt (L 5 KR 137/12).

Am 29.11.2012 hat der Kläger die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vom 22.09.2010 zurückgenommen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 29.11.2012 die Verfahren L 5KR 576/10 und L 5 KR 137/12 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es sei nicht zulässig, dass sie seitens des Sozialgerichts von Amts wegen durch einen Beschluss in die klägerische Rolle hineingezogen worden sei. Das Sozialgericht habe vielmehr entsprechend § 265 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung verfahren müssen. Ihre Berufung sei schon deshalb begründet, weil eine Entscheidung gegen sie als Klägerin nicht habe ergehen dürfen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.09.2010 aufzuheben bzw. für gegenstandslos zu erklären.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.02.2012 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 106.071,59 Euro nebst 8 % Zinsen über dem Basiszins seit dem 16.05.2008 zu zahlen.

Der Kläger meint, bei dem Schuldanerkenntnis handle es sich nicht um ein vergleichsähnlich wirkendes Anerkenntnis mit dem sämtliche Einwendungen gegen das Grundgeschäft ausgeschlossen seien. Vielmehr sei der Kläger hier "überfahren" worden. Eine Zahlungsverpflichtung habe deshalb nicht bestanden. Das Schuldanerkenntnis sei unwirksam. Wenn lediglich 10 Einzelstücke mangelhaft gewesen und erwähnt worden seien, könne nicht ein Pauschalbetrag vom Gesamtumsatz als Schaden geltend gemacht werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Kläger sei bereits während seiner anfänglichen befristeten Zulassung hinsichtlich seines Abrechnungsverhaltens und seiner Leistungserbringung auffällig gewesen. Bezogen auf das Abrechnungsverhalten sei festzustellen, dass der Kläger im Vergleich zu seinen Fachkollegen je Abrechnungsfall weitaus höhere Kosten in Rechnung gestellt habe. Neben dieser Betrachtungsweise habe die Beklagte im Vorfeld zu den Gesprächen mit dem Kläger versucht, die statistisch auffälligen Überschreitungen einzelfallbezogen zu hinterfragen und im Rahmen von Stichproben Versichertenbefragungen vorgenommen. Die bei den Versicherten durchgeführten Prüfungen hätte die erhebliche statistische Auffälligkeit des Abrechnungsverhaltens des Klägers untermauert. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen habe die Beklagte sodann das Gespräch mit dem Kläger gesucht. Der Kläger habe daraufhin in dem Gespräch am 20.07.2011 die Fehlabrechnungen eingestanden und ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt, den Schaden wieder gut zu machen Es liege somit ein hinreichender Leistungsgrund vor, so dass keine Kondizierbarkeit gegeben sei. Der Kläger habe auch hinreichend Gelegenheit gehabt, die Rechtsangelegenheit bereits vor Zahlung des ersten Betrages an die Beklagte rechtlich prüfen zu lassen. Es sei auch keine unverhältnismäßig hohe Zahlung vom Kläger verlangt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des Verfahrens L 5 KR 594/10 sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das sozialgerichtliche Urteil vom 22.09.2010 sowie die Berufung des Klägers gegen das Urteil vom 08.02.2012 sind zulässig und i.S. einer Zurückverweisung auch begründet.

Gemäß § 159 Abs. 1 SGG in der ab 01.01.2012 geltenden und hier anzuwendenden Fassung kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,

2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Die Zurückverweisung beruht auf § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG, denn das SG hat nicht in der Sache über die vom Kläger am 03.01.2007 erhobene Klage entschieden.

Durch die Urteile vom 22.09.2010 und 08.02.2012 hat das SG nicht über die von dem Kläger am 03.01.2007 erhobene Klage entschieden. Denn das SG ist zu Unrecht im Urteil vom 22.09.2010 auf der Klägerseite von einem Parteiwechsel kraft Gesetzes ausgegangen und hat den Kläger deshalb nicht mehr als Beteiligten "behandelt". Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 265 Zivilprozessordnung (ZPO) hat die Veräußerung der streitbefangenen Forderung an die Klägerin entgegen der Beurteilung des SG keinen Einfluss auf den Fortgang des Rechtsstreits. Der Kläger war vielmehr - auch wenn er nur Zahlung an die Klägerin verlangen kann - weiterhin allein prozessführungsbefugt (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 141 Rdz. 18b; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 17).

Gleichwohl ist der Rechtsstreit seit dem 02.09.2010 so geführt worden, als sei nunmehr Frau L anstelle des Herrn O alleinige Klägerin. Die Prozessführungsbefugnis der Klägerin folgt auch nicht aus § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Denn eine Zustimmung der Beklagten lag nicht vor. Das SG hat vielmehr ohne Anhörung der Beteiligten fälschlicherweise einen Parteiwechsel kraft Gesetzes angenommen und durch Beschluss vom 02.09.2010 ohne vorherige Anhörung der Beteiligten das Rubrum entsprechend geändert.

Die Fortsetzung des Verfahrens einem Scheinbeteiligten gegenüber kann aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht unbeachtet bleiben. Die faktische Entfernung des "richtigen" Beteiligten aus dem Verfahren stellt einen fortwirkenden und von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensfehler dar, der die Abwicklung des Prozessrechtsverhältnisses unter den ursprünglichen Beteiligten unterbrochen hat und somit seinem ordnungsgemäßen Abschluss entgegensteht (vgl. BSG SozR 3-3900 § 4 Nr. 2). Letztlich ist mithin durch Urteil vom 22.09.2010 nicht über die Klage des Klägers in der Sache entschieden worden.

An der fehlenden Entscheidung in der Sache über die Klage des Klägers ändert das Urteil vom 08.02.2012 nichts, denn dieses Urteil ist nichtig. Das SG hat das Verfahren faktisch so behandelt, als sei der Rechtsstreit zurückverwiesen worden. Eine Zurückverweisung setzt jedoch zwingend ein Urteil des Berufungsgerichts i.S.d. § 159 SGG voraus; ein solches lag jedoch nicht vor. Eine erneute Führung des Verfahrens durch das Sozialgericht während des Berufungsverfahrens scheidet aus. Die Berufung der Klägerin vom 02.11.2010 und des Klägers vom 03.11.2010 war zur Zeit der Urteilsverkündung am 08.02.2012 noch anhängig, so dass das SG nicht zum zweiten Mal voll umfänglich über die Klage entscheiden konnte. Die gleichwohl erfolgte Entscheidung durch Urteil stellt einen so groben Verfahrensverstoß dar, dass es sich bei dem Urteil um ein nichtiges und damit wirkungsloses Urteil handelt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 125 SGG Rdz. 5b). Ein solches nichtiges Urteil ist zwar nicht der materiellen, aber der formellen Rechtskraft fähig und konnte daher grundsätzlich mit der Berufung angefochten werden, stellt aber keine Entscheidung in der Sache dar (vgl. Keller a.a.O. Rdz. 5c). Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse der Kläger an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens, die zu einem wirkungslosen Urteil führte, für eine Zurückverweisung entschieden. Das SG hat seiner Entscheidung gemäß § 159 Abs. 2 SGG zugrundezulegen, dass allein der Kläger gemäß § 265 Abs. 2 ZPO prozessführungsbefugt ist, aber die Zahlung nur an die Zessionarin verlangen kann, die beizuladen ist.

Durch die Aufhebung des Urteils vom 22.09.2010 (im Sinne einer Zurückverweisung) hat der Antrag der Klägerin, das o.g. Urteil für gegenstandlos zu erklären, seine Erledigung gefunden.

Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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