L 8 R 197/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 1921/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 197/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 15.2.2012 geändert. Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 30.11.2011 wird abgelehnt, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für Zeiten ab dem 1.1.2007 geltend macht. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Von den Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Antragstellerin 5/6, die Antragsgegnerin 1/6. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.562,23 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, ein Personaldienstleistungsunternehmen, wehrt sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verpflichtung, Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 nachzuzahlen.

Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice Agenturen (CGZP) führte die Antragsgegnerin eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin durch und kam zu einer Nachforderung in Höhe von 18.248,92 Euro (Bescheid vom 30.11.2011). Zur Begründung führte sie aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und der bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer werde seit dem 1.1.2007 auf den Tarifvertrag zwischen der CGZP und dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister (AMP)/dem Bundesverband Deutscher Dienstleistungsunternehmen e.V. (BVD)/dem Arbeitgeberverband N verwiesen. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des Tarifvertrages hätten die Beiträge jedoch zutreffend nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers berechnet werden müssen. Die Höhe des insofern zusätzlich geschuldeten Arbeitsentgeltes sei zu schätzen gewesen. Hierzu sei sie befugt, weil eine Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen wäre. Eine Schätzung sei insbesondere von Nöten, da nach Angaben der Antragstellerin die Entleihbetriebe zu großen Teilen keine Angaben zu den Vergütungskonditionen vergleichbarer Arbeitnehmer gemacht hätten. Die Schätzung/Berechnung der Lohndifferenz wurde daher für die einzelnen Mitarbeiter mit Hilfe der Antragsgegnerin und deren Steuerberaterin nach einem im Bescheid näher beschriebenen Verfahren durchgeführt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Widerspruch. Zugleich hat sie einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie hat vorgetragen: Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 sei gegenwartsbezogen. Eine Rückwirkung lasse sich aus der tarifrechtlichen Rechtsprechung des BAG im Übrigen nicht ableiten. Da das BAG in seinem Beschluss bislang nicht bekannte Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation aufgestellt habe, komme eine Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 14.12.2010 zudem einer aus verfassungsrechtlichen Gründen verbotenen echten Rückwirkung gleich. Möglicherweise seien in den an die Arbeitnehmer geleisteten Zahlungen auch Einmalzahlungen enthalten gewesen, für die keine Beiträge gemeldet würden. Die Antragsgegnerin verletze in den CGZP-Fällen ihre Verpflichtung zur Amtsermittlung. Die Antragstellerin hat sich zudem auf die Bestandskraft vormaliger Prüfbescheide berufen sowie die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat vorgetragen:

Aufgrund der eindeutigen Aussagen des BAG im Beschluss vom 14.12.2010 sei die CGZP auch in den vor 2009 liegenden Zeiträumen nicht tariffähig gewesen. Der gute Glaube an die Tariffähigkeit werde nicht geschützt. Die nachgeforderten auf laufendes, geschuldetes Arbeitsentgelt erhobenen Beiträge seien zum Zeitpunkt der Verkündung des BAG-Beschlusses auch noch nicht verjährt gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 12.12.2011 gegen den Bescheid vom 30.11.2011 angeordnet (Beschluss vom 15.02.2012). Es überwiege vorliegend das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, da sich - entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ergäben.

Gegen den ihr am 21.2.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 1.3.2012 Beschwerde erhoben. Sie wiederholt und vertieft zur Begründung ihrer bisherigen Ausführungen.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.

Die Verwaltungsakte ist zum Verfahren beigezogen worden.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 30.11.2011 ist lediglich für die Monate Dezember 2005 bis Dezember 2006 zu entsprechen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER, juris und sozialgerichtsbarkeit.de; jeweils m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 30.11.2011, soweit die Antragsgegnerin damit Beiträge zur Sozialversicherung für die Zeit ab 1.1.2007 nachfordert.

1. Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern. Diese Vorschrift deckt Betriebsprüfungen außerhalb der turnusmäßigen Prüfungen von Amts wegen auch dann, wenn keiner der in § 28p Abs. 1 Sätze 2 oder 3 SGB IV ausdrücklich geregelten Ausnahmefälle (Antrag des Arbeitgebers, Unterrichtung durch die Einzugsstelle) vorliegt (vgl. Senat, Beschluss v. 18.2.2010, L 8 B 13/09 R ER, juris).

2. Es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass die Antragsgegnerin dem Grunde nach verpflichtet ist, für die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer höhere als die bislang entrichteten Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu entrichten.

a) Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d Satz 1 und 2 SGB IV) zu entrichten. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

b) Die von der Antragstellerin auf dieser Grundlage für den Streitzeitraum zu entrichtenden Beiträgen sind nach dem Arbeitsentgelt zu berechnen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde (§ 10 Abs. 4 AÜG in der hier maßgeblichen Fassung von Art. 6 Nr. 5 Buchst. b) des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2002, BGBl. I S. 4607; sog. equal-pay-Prinzip). Diese Rechtsfolge sah (und sieht auch nach geltendem Recht) § 10 Abs. 4 AÜG für den Fall vor, dass der Verleiher, hier die Antragstellerin, mit den Leiharbeitnehmern eine nach § 9 Nr. 2 AÜG unwirksame Vereinbarung geschlossen hatte.

aa) Nach § 9 Nr. 2 AÜG konnte ein Tarifvertrag vom equal-pay-Prinzip abweichende Regelungen zulassen. Zudem konnten im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser Möglichkeit haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer nach den unwidersprochenen Feststellungen der Antragsgegnerin Gebrauch gemacht, indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die zwischen der CGZP und den genannten Arbeitgeberverbänden geschlossenen Tarifverträge verwiesen haben.

bb) Diese Vereinbarung war voraussichtlich unwirksam.

(1) § 9 Nr. 2 AÜG setzt für den Fall einer Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien einen wirksamen Tarifvertrag voraus. Das gilt auch, wenn die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbart wird (vgl. Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl. 2010, § 9 Rdnr. 102; vgl. auch BT-Drs. 17/5238, S. 16 zu Buchst. d); a.A. Kilian, NZS 2011, 851 [852]). Dafür sprechen der Wortlaut ("Geltungsbereich"), aber auch der Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung zum equal-pay-Prinzip.

(2) Die Unwirksamkeit der genannten Tarifverträge folgt daraus, dass die CGZP im Streitzeitraum weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) noch eine tariffähige Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 2 und 3 TVG war. Neben dem Beschluss des BAG v. 14.12.2010 (1 ABR 19/10, NZA 2011, 289) folgt dies aus dem Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg v. 9.1.2012 (24 TaBV 1285/11 u.a., DB 2012, 69), der inzwischen rechtskräftig ist (BAG, Beschluss v. 22.5.2012, 1 ABN 27/12, juris). Mit der Rechtskraft dieses Beschluss steht fest, dass die CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen v. 11.12.2002 und 5.12.2005 nicht tariffähig war (BAG, Beschluss v. 23.5.2012, 1 AZB 58/11, zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen).

c) Die Beitragsansprüche sind gegebenenfalls unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind.

aa) Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsent-geltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht - anders als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (BSG, Urteil v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-2400 § 23a Nr. 5; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschluss v. 11.9.2008, 1 BvR 2007/05, SozR 4-2400 § 22 Nr. 3).

bb) Auch im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und nicht etwa § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV anwendbar, wonach bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt der Beitragsanspruch erst mit Zufluss entsteht. In der Literatur wird insoweit zwar die Auffassung vertreten, der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 wirke konstitutiv mit der Folge, dass Arbeitsentgelt- und Beitragsansprüche erst ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten. Es handele sich somit nicht um Ansprüche auf laufendes Arbeitsentgelt, für die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip gelte, sondern um nachträglich rückwirkende Lohnerhöhungen, die wie Einmalzahlungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zu behandeln seien (vgl. Plagemann/Brand, NJW 2011, 1488 [1490 f.]; Tuengerthal/Andorfer, BB 2011, 2939 [2940]). Der Senat folgt dieser Ansicht jedoch nicht (wie hier: Berchtold, SozSich 2012, 70 [71]). Aus der Vorlagepflicht nach § 97 Abs. 5 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ergibt sich vielmehr, dass die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch feststellt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, 10 AZR 665/05, NZA 2007, 448 [451], Rdnr. 22).

d) Gegen die Geltendmachung der Beitragsnachforderung in einem Summenbescheid (§ 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV) auf der Basis einer Schätzung des equal-pay-Lohnes (§ 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV) bestehen keine ernsthaften Bedenken.

aa) Nach § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Beitrag in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Das ist hier der Fall. Die Aufzeichnungspflichten umfassen nicht nur das gezahlte, sondern auch das beitragspflichtige Arbeitsentgelt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Beitragsverfahrensverordnung bzw. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 der bis zum 30.6.2006 geltenden Beitragsüberwachungsverordnung), hier also den equal-pay-Lohn. Diesen hat die Antragstellerin erkennbar nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet. Die Aufbewahrungsfristen nach § 28f Abs. 1 Satz 1 und 4 SGB IV) waren bei Durchführung der jetzt streitbefangenen Betriebsprüfung auch noch nicht abgelaufen. Auf ein Verschulden seitens der Antragstellerin kommt es nicht an (BSG, Urteil v. 7.2.2002, B 12 KR 12/01 R, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3).

bb) Soweit derzeit erkennbar, ist die Höhe der geschuldeten Arbeitsentgelte nach dem equal-pay-Prinzip für den Rentenversicherungsträger, auf den es entscheidend ankommt (vgl. Senat, Urteil vom 28.04.2010, L 8 R 30/09, Juris), nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand festzustellen (§ 28f Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB VI). Die Antragstellerin ist den dahingehenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid auch nicht entgegengetreten.

cc) Auch gegen die Höhe der Schätzung bestehen im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Bedenken. Die An-tragsgegnerin hat im Bescheid detailliert dargestellt, wie sie die Schätzung im Einzelnen vorgenommen hat. Die Berechnungen sind nach der Feststellung im Protokoll zur Schlussbesprechung vom 15.11.2011 darüber hinaus auch in Zusammenarbeit mit der Antragstellerin und deren Steuerberaterin durchgeführt und eingehend mit ihr erörtert worden. Die Antragstellerin ist ihnen im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz auch nicht entgegengetreten.

3. Der Senat kann im vorliegenden Fall dahinstehen lassen, inwieweit die Bindungswirkung (§ 77 SGG) von Bescheiden aus früheren Betriebsprüfungen denselben Zeitraum betreffende Nachforderungen grundsätzlich entgegenstehen können (vgl. hierzu Senat, Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER m.w.N.; Hauck in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts [2012], S. 166). Denn ein derartiger Bescheid ist von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren nicht vorgelegt worden.

4. Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht entgegen.

a) Der gute Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, namentlich an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, wird grundsätzlich nicht geschützt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, a.a.O. Rdnr. 23). Der Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP zu in der Vergangenheit liegenden Zeiträumen steht auch nicht das Verbot der echten Rückwirkung von Rechtsfolgen auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt bzw. das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes entgegen (vgl. im Einzelnen LAG Berlin, Beschluss v. 9.1.2012, a.a.O., Rdnr. 176 ff.).

b) Die Rechtsprechung, wonach ein Arbeitgeber sich bis zur Mitteilung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Einzugsstelle auf die bisherige Rechtsprechung verlassen darf (vgl. BSG, Urteil v. 18.11.1980, 12 RK 59/79, SozR 2200 § 1399 Nr. 13), lässt sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643 [1647]) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn es gab vor dem 14.12.2010 weder eine sozial- noch eine arbeitsgerichtliche höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die CGZP als tariffähig anzusehen war.

5. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher lediglich insoweit anzuordnen, als Beitragsansprüche für die Zeit vor dem 1.1.2007 nach gegenwärtigem Sachstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt sind.

a) Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung v. 23.1.2006 (BGBl. I, S. 86) wurden im Jahr 2006 Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen waren, in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wurde, ausgeübt worden ist. Damit sind alle im Jahr 2006 fällig gewordenen Beitragsansprüche mit Ablauf des 31.12.2010 nach der Regelverjährungsfrist verjährt.

b) Demgegenüber bestehen zumindest ernsthafte Zweifel, ob die Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eingreift, wonach Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem sie fällig geworden sind. Zwar kommt diese Vorschrift auch dann zum Tragen, wenn der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bei ihrer Fälligkeit noch nicht vorlag, jedoch bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist (BSG, Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7), wobei bedingter Vorsatz ausreicht (BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Ob die Antragstellerin indessen vor Eintritt der Verjährung für die im Jahr fällig gewordenen Beiträge für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2006 am 31.12.2010 bereits den Eintritt einer rückwirkenden Beitragspflicht für möglich gehalten hat, kann nur nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles festgestellt werden. Allein der Umstand, dass der Beschluss des BAG am 14.12.2010 verkündet worden ist, reicht insoweit nicht aus. Einzelfallbezogene Feststellungen der Antragsgegnerin sind hierzu bislang nicht getroffen worden.

6. Es ist nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für den Antragsteller verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind nicht erkennbar.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren gemäß § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechts-schutz von einem Viertel des Hauptsachenstreitwerts auszugehen (zuletzt: Senat, Beschluss v. 21.2.2012, L 8 R 1047/11 B ER, juris).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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