L 9 SO 55/14 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 232/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 55/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 02.01.2014 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b SGG in der seit dem 25.10.2013 geltenden Fassung ausgeschlossen. Vielmehr wäre in der Hauptsache die Berufung nach Maßgabe von §§ 143, 144 SGG ohne Zulassung statthaft. Auch wenn der Klageantrag nicht ganz eindeutig formuliert ist ("spätestens ab dem 01.12.2011"), begehrt der Kläger ausweislich der Klagebegründung die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) rückwirkend ab dem 30.07.2010. Unter Berücksichtigung der am 24.10.2013 erfolgten Nachzahlung des Mehrbedarfs für die Monate Januar bis März 2012 (190,74 Euro) und der Erledigung des Rechtsstreits insoweit (vgl. den Schriftsatz des Klägers vom 16.12.2013) begehrt der Kläger nunmehr noch Leistungen nach § 30 Abs. 1 SGB XII (17% der maßgeblichen Regelbedarfsstufe bzw. bis zum 31.12.2010 des maßgeblichen Regelsatzes, d.h. bis zum 31.12.2010 61,08 Euro monatlich und ab dem 01.01.2011 61,88 Euro monatlich) für die Zeit vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt deshalb den Betrag von 750,- Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) deutlich. Im Übrigen stehen laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Klageverfahren im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und auch zu keinem Zeitpunkt während des Klageverfahrens versprach (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)).

1. Die gegenwärtig noch anhängige Klage auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII bzw. höherer Leistungen für die Zeit vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 (zur Möglichkeit, die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII durch entsprechende, hier noch nicht erfolgte eindeutige Erklärung zum alleinigen Gegenstand einer sozialgerichtlichen Klage zu machen, vgl. BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 11) ist unbegründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 07.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2013 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII für die Zeit vor dem 01.01.2012.

Die Klage ist zwar nicht bereits deshalb ohne Aussicht auf Erfolg, weil der Kläger bis zum 31.12.2011 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom zuständige Jobcenter erhalten hat und dessen Beiladung nach § 75 Abs. 2 2. Alt SGG und Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG wegen der Bestandskraft der bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu. BSG, Urt. v. 19.05.1982 - 11 RA 37/81 -, juris Rn. 38). Vielmehr könnten Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 21 Satz 1 SGB XII nur dann von vornherein ausscheiden, wenn der Kläger tatsächlich als im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II Erwerbsfähiger bis zum 31.12.2011 dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen wäre (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 34), was in Anbetracht der aktenkundigen Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Nord, wonach der Kläger seit dem 08.05.2007 befristet voll erwerbsgemindert ist, zweifelhaft erscheint. Auch der Kenntnisgrundsatz (§ 18 SGB XII) stünde einer Leistungspflicht der Beklagten voraussichtlich nicht entgegen, da die Beklagte sich den beim Jobcenter gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II als Kenntnis der Hilfebedürftigkeit zurechnen lassen müsste (vgl. BSG, Urt. v. 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R -, juris Rn. 22 f.; Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 18 Rn. 45).

Da jedoch für den Zeitraum bis zum 31.12.2011 bestandskräftige Bewilligungsbescheide des zuständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende existieren, die konkludent die Regelung im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) enthalten, dass dem Kläger keine über die bewilligten Leistungen hinausgehenden Leistungen zustehen, und zudem die Anträge des Klägers verfahrensrechtlich abgeschlossen haben, könnte der Kläger für die Zeit vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 nur dann höhere Leistungen erhalten, wenn und soweit ihm ein Anspruch auf Aufhebung bzw. Korrektur der betreffenden Bewilligungsbescheide nach Maßgabe von § 44 SGB X oder § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X zustünde (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 34). Dies ist nicht der Fall. Zwar wäre die Beklagte als aktuell sachlich zuständiger Leistungsträger für den Erlass entsprechender Aufhebungs- bzw. Korrekturbescheide gemäß § 44 Abs. 3 SGB X bzw. § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X zuständig. Ein Anspruch auf Korrektur der im Zeitraum bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide kommt jedoch weder nach § 44 SGB X noch nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X in Betracht.

a) Ein Anspruch des Klägers aus § 44 SGB X scheidet aus mehreren Gründen aus.

aa) In Bezug auf den pauschalierten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII liegen bereits die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 und 2 SGB X nicht vor. § 44 SGB X setzt sowohl nach dem eindeutigen Wortlaut seines Absatzes 1 als auch nach seinem Absatz 2 voraus, dass der von der gewünschten Aufhebung betroffene, nicht begünstigende Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses, d.h. seiner Bekanntgabe, rechtswidrig war. Rückwirkende Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen ändern nichts an der ursprünglichen Rechtmäßigkeit eines Bescheides und können nur nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X zu einer Änderung der betreffenden Bescheide zugunsten des Adressaten führen (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.1996 - 11 RAr 101/94 -, juris Rn. 18; Beschl. v. 28.05.1997 - 8 RKn 27/95 -, juris Rn. 50 m.w.N.). Die hier mit Bescheid vom 15.04.2013 rückwirkend zum 30.07.2010 erfolgte Feststellung des Merkzeichens "G", die Voraussetzung für die Zuerkennung des pauschalierten Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII ist, führte daher unabhängig davon, ob der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII materiell-rechtlich überhaupt rückwirkend entstehen kann (dazu unten b) aa)), nicht dazu, dass die für den Zeitraum vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide als im Sinne von § 44 Abs. 1 und 2 SGB X rechtswidrig anzusehen sind.

bb) Die für den Zeitraum vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide waren auch nicht deshalb bereits bei ihrem Erlass im Sinne von § 44 Abs. 1 und 2 SGB X rechtswidrig, weil bei dem Kläger ein unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweichender Bedarf vorlag, der zu einer Erhöhung des Regelsatzes gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB XII in der bis zum 31.12.2010 geltende Fassung (SGB XII a.F.) bzw. § 27a Abs. 4 Satz 1 2. Alt. SGB XII hätte führen müssen (zu diesem Gesichtspunkt siehe BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 28 f., 33 f.). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein entsprechender unabweisbarer Bedarf bei dem Kläger im Zeitraum bis zum 31.12.2011 tatsächlich vorlag. Der Kläger hat insoweit auch nichts vorgetragen.

cc) Im Übrigen steht einer Korrektur der bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide auch die Rückwirkungssperre des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII entgegen.

Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wobei die Frist vom Beginn des Jahres aus zurück gerechnet wird, in dem die Rücknahme erfolgt oder beantragt wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X). § 116a SGB XII verkürzt den Zeitraum von vier Jahren auf ein Jahr. Soweit danach Leistungen für einen weiter zurückliegenden Zeitraum nicht zu erbringen sind, schließt dies die Rücknahme der nicht begünstigenden Verwaltungsakte von vornherein aus, denn einem Antragsteller, der über § 44 Abs. 4 SGB X, § 116a SGB XII keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme i.S.v. von § 44 Abs. 1 SGB X zugebilligt werden (siehe dazu zuletzt BSG, Urt. v. 26.06.2013 - B 7 AY 6/12 R -, juris Rn. 10).

Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Korrektur der für den Zeitraum vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide von vornherein aus. Der Kläger hat eine entsprechende Korrektur erst im April 2013 beantragt. Höhere Leistungen konnten deshalb nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII frühestens ab dem 01.01.2012 erbracht werden.

Wenn der Kläger bis zum 31.12.2011 nach dem SGB II leistungsberechtigt gewesen wäre, ergäbe sich im Übrigen nichts anderes. § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II enthält eine § 116a SGB XII entsprechende Regelung.

b) Der Kläger hat auch aus mehreren Gründen keinen Anspruch auf Korrektur der für die Zeit bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X.

aa) Es fehlt im Zeitraum vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 bereits an einer (rückwirkenden) wesentlichen Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zugunsten des Klägers, die durch eine teilweise Aufhebung der für diesen Zeitraum erlassenen Bewilligungsbescheide gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X umgesetzt werden könnte. Trotz der mit Bescheid vom 15.04.2013 rückwirkend zum 30.07.2010 erfolgten Feststellung des Merkzeichens "G" zugunsten des Klägers stand dem Kläger der pauschalierte Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII im Zeitraum bis zum 31.12.2011 nicht zu.

§ 30 Abs. 1 SGB XII setzt in seiner hier anwendbaren, ab dem 07.12.2006 geltenden Fassung voraus, dass die leistungsberechtigte Person durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens "G" nachweist. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger erst mit Erlass des Feststellungsbescheids vom 15.04.2013. Im Zeitraum bis zum 31.12.2011 konnte der Kläger in Ermangelung eines bereits bis dahin erlassenen Feststellungsbescheids oder eines bis dahin erteilten Schwerbehindertenausweises das Merkzeichen "G" nicht nachweisen. Dass die Feststellung des Merkzeichens "G" aufgrund des Bescheids vom 15.04.2013 auf den 30.07.2010 zurückwirkt, ändert nichts daran, dass der von § 30 Abs. 1 SGB XII verlangte Nachweis erst mit Erlass dieses Bescheids möglich ist.

Zur bis zum 06.12.2006 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII, die auf den "Besitz" eines Ausweises mit dem Merkzeichen "G" abstellte, hat das BSG entschieden, dass der Zeitpunkt der Feststellungswirkung des Merkzeichens für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 SGB XII nicht relevant war, sondern ein Anspruch auf einen pauschalierten Mehrbedarf nicht bestand, solange der Hilfeempfänger nicht im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" war. Es hat dabei u.a. auf § 40 Abs ... 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) abgestellt, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen erst mit Vorliegen der im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen entstehen. Ferner hat es hervorgehoben, dass die Regelung Nachweiszwecken und damit der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität dient und die bei Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Feststellungswirkung des Merkzeichens "G" stets notwendige rückwirkende Leistungsgewährung diesem Zweck zuwiderliefe (zum Ganzen BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 15 ff.).

Auch nach der seit dem 07.12.2006 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII kommt es nicht darauf, zu welchem Zeitpunkt der entsprechende Bescheid oder Ausweis das Merkzeichen "G" (rückwirkend) feststellt oder wann dessen Voraussetzungen vorlagen. Eine Änderung der Rechtslage ist nur insoweit eingetreten, als nun nicht mehr nur ein Ausweis, sondern auch der Bescheid der zuständigen Behörde als Nachweis ausreicht. Der Gesetzgeber wollte damit ausschließlich Nachteile beseitigen, die daraus entstehen, dass zwischen dem Erlass des Feststellungsbescheids und der Ausstellung des Ausweises ein längerer Zeitraum liegt und die Zuerkennung des Mehrbedarfs bereits ab dem Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids ermöglichen (vgl. BT-Drucks 16/2711, S. 111 zu Nr. 8). Eine sachliche Änderung dahingehend, dass nunmehr ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII rückwirkend ab dem im Feststellungsbescheid geregelten Zeitpunkt der Feststellung des Merkzeichens "G" zu gewähren sein sollte, sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erfolgen. Vielmehr wird in der Begründung des Gesetzentwurfs weiterhin der Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität angeführt und entscheidend auf den Nachweis des Merkzeichens "G" abgestellt. Vor diesem Hintergrund sind die genannten Argumente des BSG auch für die seit dem 07.12.2006 geltende Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII einschlägig (zum Ganzen ausführlich und überzeugend LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.09.2013 - L 2 SO 404/13 -, juris Rn. 28 ff.).

bb) Im Übrigen steht die Rückwirkungssperre von einem Jahr gemäß § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII auch einer Korrektur der für den Zeitraum bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X entgegen.

§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X verweist für die Fälle des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X u.a. auf § 44 Abs. 4 SGB X. Dies bedeutet, dass auch in den Anwendungsfällen des § 48 Abs. 1 SGB X bei weit in der Vergangenheit liegenden Änderungen die Rückwirkung zugunsten des Betroffenen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X) auf vier Jahr begrenzt ist (BSG, Urt. v. 27.03.2007 - B 13 R 58/06 R -, juris Rn. 25). Damit wird sichergestellt, dass eine rückwirkende Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte mit Dauerwirkung bei (rückwirkenden) Änderungen zugunsten des Leistungsempfängers in nicht weitergehendem Maße möglich ist als bei von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakten.

Dementsprechend muss auch die im Sozialhilferecht gemäß § 116a SGB XII verschärfte Rückwirkungssperre bei Aufhebungen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X entsprechend gelten. Insoweit kann nichts anderes gelten als für § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II (dazu Aubel, in: jurisPK-SGB II, § 40 Rn. 25 f.). Zwar scheint der Wortlaut des § 116a SGB XII auf den ersten Blick enger gefasst zu sein, indem ausdrücklich auf die "Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts" (vgl. insoweit § 44 Abs. 2 SGB X) abgestellt wird, wohingegen § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II allgemein eine Abweichung von den Vorschriften des SGB X normiert. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 116a SGB XII auf Aufhebungen nach § 44 Abs. 1 und 2 SGB X ist damit aber nicht verbunden. Die Nennung der "Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts" erfolgte offensichtlich deshalb, weil die Rückwirkungssperre in § 44 SGB X geregelt ist und § 44 SGB X die Rücknahme rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakte zum Gegenstand hat. Es handelt sich damit um eine unnötige Doppelung und nicht um ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal (vgl. Greiser, in: jurisPK-SGB XII, § 116a Rn. 43). Der eigentliche Regelungsgehalt des § 116a SGB XII besteht vielmehr in der Modifikation des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X für Leistungen nach dem SGB XII. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X kann deshalb auch im Rahmen der Verweisung gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X nur modifiziert zur Anwendung kommen. Dies folgt vor allem auch aus dem Sinn und Zweck des § 116a SGB XII, wie er sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt. Darin heißt es, die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sei für die Leistungen des SGB XII, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts dienten und dabei im besonderen Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollten (so genannter Aktualitätsgrundsatz), zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und interessengerecht (vgl. BT-Drucks 17/3404, S. 129). Diese Überlegungen sind auch in Bezug auf die rückwirkende Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X einschlägig. Es erschließt sich auch nicht, warum bei infolge wesentlicher Änderungen der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordenen Verwaltungsakten in weitergehendem Umfang Leistungen nachzuzahlen sein sollen als bei von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakten. In Anbetracht der im Wesentlichen gleichen Interessenlage wäre hierfür ein gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG tragfähiger sachlicher Grund nicht ersichtlich.

c) Die vom Kläger u.a. in seiner Beschwerdebegründung angeführten Erwägungen führen zu keiner anderen Bewertung. Der Kläger, der keine einzige Norm zitiert, argumentiert an den gesetzlichen Vorgaben vorbei und beschränkt sich im Wesentlichen auf den Einwand, Sinn der rückwirkenden Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" sei einzig und allein die rückwirkende Zuerkennung des pauschalierten Mehrbedarfs gewesen, so dass diese rückwirkende Feststellung ab dem 30.07.2010 völlig sinnlos sei, wenn eine Gewährung nur ab dem 01.01.2012 möglich wäre. Enttäuschte Erwartungen können einen Anspruch entgegen den genannten gesetzlichen Bestimmungen aber nicht begründen.

Das Ergebnis ist im Falle des Klägers auch nicht unbillig. Die rückwirkende Gewährung eines pauschalierten Mehrbedarfs widerspricht im Grundsatz dem auf Behebung gegenwärtiger Notlagen ausgerichteten System der Sozialhilfe (vgl. BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 26). Einen tatsächlich ungedeckten Bedarf hat der Kläger nicht dargelegt. Dementsprechend verfängt auch nicht der Hinweis auf die nicht seinem Einfluss unterliegende Dauer des Verfahrens zur Feststellung des Merkzeichens "G" (vgl. zu diesem Einwand auch BSG, a.a.O., Rn. 27 f., 30 f.). Zudem hat er die betreffenden Bewilligungsbescheide bestandskräftig werden lassen und unterliegt deshalb der verfassungsmäßigen (vgl. Aubel, in: jurisPK-SGB II, § 40 Rn. 24) verschärften Rückwirkungssperre gemäß § 116a SGB XII.

Schließlich ist auch nicht deshalb von hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auszugehen, weil schwierige Rechtsfragen im Streit stünden. Vielmehr lassen sich alle aufgeworfenen Rechtsfragen mit der bisherigen Rechtsprechung und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung ohne weiteres beantworten.

2. Prozesskostenhilfe ist auch nicht deshalb zu bewilligen, weil die Beklagte den mit dem Bescheid vom 07.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2013 bereits bewilligten Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.03.2012 erst nach Klageerhebung am 24.10.2013 an den Kläger ausgezahlt hat. Auch insoweit fehlt es an hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Zwar hat der Kläger, der die unterbliebene Auszahlung des Mehrbedarfs für das erste Quartal 2012 ausdrücklich in seiner Klagebegründung gerügt hat, bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens entgegen der Auffassung des SG eindeutig auch eine insoweit statthafte allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG erhoben. Diese war jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Insoweit kann dahinstehen, ob dies bereits daraus folgt, dass der für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung maßgebliche Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs (vgl. hierzu statt vieler LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.03.2012 - L 19 AS 2033/11 B -, juris Rn. 16 m.w.N.; siehe insoweit auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10 -, juris Rn. 14 m.w.N.) erst eingetreten ist, nachdem die Beklagte Gelegenheit hatte, zum Prozesskostenhilfegesuch Stellung zu nehmen (so LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.), und zu diesem Zeitpunkt,. d.h. in jedem Fall nach dem 24.10.2013, infolge der Nachzahlung des Mehrbedarfs in Höhe von (190,74 Euro) kein Bedürfnis mehr für eine Zahlungsklage bestand. Für Erhebung dieser Klage bestand vielmehr von Anfang an kein Bedürfnis, weil es einen einfacheren Weg gab, die Nachzahlung für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.03.2012 ohne gerichtliche Hilfe zu erreichen.

Spätestens aus dem Widerspruchsbescheid ergab sich, dass die Beklagte bereit war, dem Kläger ab dem 01.01.2012 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren. Hiervon ist der Kläger selbst im Übrigen bereits in der Widerspruchsbegründung ausgegangen. Dementsprechend beruhte die Gewährung einer Nachzahlung lediglich für die Zeit ab dem 01.04.2012 für den Kläger erkennbar auf einem Irrtum. Hätte der Kläger die Beklagte auf diesen offensichtlichen Fehler aufmerksam gemacht, hätte diese ihm ohne weiteres auch den Mehrbedarf für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.03.2012 ausgezahlt. Dies zeigt auch der spätere Geschehensablauf. Die Beklagte hat nicht nur eingeräumt, dass ihr ein Fehler unterlaufen ist, sie hat auch umgehend, nachdem sie vom Kläger in der Klageschrift auf den Fehler aufmerksam gemacht worden ist, die Nachzahlung angewiesen. Vor diesem Hintergrund hätte es der Klage insoweit nicht bedurft. Vielmehr hätte ein Hinweis außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens genügt.

Unabhängig von der Unzulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage wäre insoweit auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht im Sinne von § 73a Abs. 1 SGG I.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich gewesen. Vielmehr hätte sich der Kläger durch eine Rückfrage bei der Beklagten insoweit selbst helfen können (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15.07.2010 - 1 BvR 2681/09 -, juris Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19.08.2010 - 1 BvR 1179/09 -, juris Rn. 17).

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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