L 7 AS 433/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 1044/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 433/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13.11.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt nach dem im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 20.08.2015 weitere Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der am 00.00.1967 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Er erhielt im Zeitraum vom 01.10.2010 bis zum 31.03.2011 und vom 01.04.2012 bis zum 30.09.2012 in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau D G (geboren 00.00.1971) und seiner Tochter O (geboren 00.00.1996), mit denen er ein Eigenheim in L in der N Straße bewohnt, Grundsicherung. Der Sohn L (geboren 00.00.1991), der ebenfalls dort wohnt, verzichtete von April 2010 März 2011 auf Leistungen nach dem SGB II. Ab April 2011 berücksichtigte der Beklagte den Sohn wiederum als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und gewährte ihm Leistungen. Dabei legte der Beklagte Leistungen für Unterkunft von (kopfteilig) 104,16 EUR bzw. 104,15 EUR (Hauslast 416,62 EUR) sowie Heizkosten (112,50 EUR) von (kopfteilig) 28,13 EUR (Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2011 - Bescheid vom 05.11.2010) und ab April 2012 von 101,18 EUR bzw. 101,17 EUR (insgesamt 404,69 EUR) zugrunde. Heizkosten berücksichtigte der Beklagte im Bescheid vom 02.04.2012 für die Zeit ab April 2012 nicht. Aus dem am 10.04.2012 erlassenen Änderungsbescheid für die Zeit von Mai bis Juli 2012 ergaben sich keine Änderungen für den Kläger.

Mit Bescheiden vom 17.10.2012 wies der Beklagte die mit Schreiben vom 03.12.2010, 26.04.2012 und 08.05.2012 erhobenen Widersprüche, die der Kläger nicht begründete, zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 14.11.2012 Klage bei dem Sozialgericht Aachen erhoben. Mit Schriftsatz vom 24.0.2013 hat er mitgeteilt, das Recht auf Akteneinsicht nach § 24 SGB X sei in einer Vielzahl von Verfahren vorsätzlich nicht gewährt worden. Diese könne nur bis zum Abschluss des Vorverfahrens nachgeholt werden. Die Akteneinsicht sei bisher noch nicht vollständig erfolgt. Bedingt durch diese rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Akteneinsicht könne er die Klage nicht begründen.

Der Kläger hat beantragt:

"Ich beantrage, das Verfahren auszusetzen. Ich beziehe mich insoweit auf meinen Klageantrag im Verfahren S 8 AS 752/11. Hilfsweise beantrage ich, für Recht zu erkennen."

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden vom 17.10.2012.

Der Kläger hat am 20.08.2013 von 9.30 Uhr bis 15.55 Uhr beim Sozialgericht Akteneinsicht genommen. Zur Verfügung gestanden haben dabei die Gerichtsakten S 8 AS 971/12, S 8 AS 1044/12, S 8 AS 424/13, S 8 AS 797/13, S 8 AS 752/11, S 8 AS 152/12 sowie sieben Bände Verwaltungsakten aus dem Verfahren S 8 AS 424/13 und fünf Bände aus dem Verfahren S 8 AS 152/12. Den zweiten, vom Kläger für den 22.08.2013 erbetenen Termin zur Akteneinsicht, hat der Kläger nicht wahrgenommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.11.2013 abgewiesen. Eine Entscheidung in der Sache sei trotz des im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Aussetzungsantrages möglich gewesen. Die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 S. 2 SGG lägen nicht vor. Diese Vorschrift beziehe sich allein auf Verfahrens- und Formfehler nach § 41 SGB X, die nicht schon nach § 42 SGB X unbeachtlich seien. Hierzu zähle die von dem Kläger behauptete vorenthaltene Akteneinsicht nicht. Vielmehr liege dann ein Verstoß gegen den in § 128 Abs. 2 SGG verankerten Grundsatz rechtlichen Gehörs vor, welcher zur Folge habe, dass die der Kenntnis des Beteiligten entzogenen Vorgänge nicht im Rahmen der Entscheidungsfindung verwertet werden dürften. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers sei hier jedoch nicht ersichtlich. Der Kläger habe am 20.08.2013 in der Zeit von 09:30 bis 15:55 Uhr auf der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Akteneinsicht genommen. Sämtliche Verfahrensakten zu den bei dem Sozialgericht anhängigen Klageverfahren sowie sämtliche von dem Beklagten übersandten Verwaltungsakten hätten zur Verfügung gestanden. Einen weiteren Termin zur Akteneinsicht am 22.08.2013 habe der Kläger nicht wahrgenommen. Zudem habe der Kläger auch im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor dem LSG Nordrhein-Westfalen (L 7 AS 81/13 B ER) Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Beklagten genommen. Somit sei dem Recht auf Akteneinsicht hinreichend Rechnung getragen worden.

Die Kammer habe nach Prüfung der streitgegenständlichen Bescheide vom 05.11.2010 und 02.04.2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2012 keinerlei Anhaltspunkte für deren Rechtswidrigkeit. Auch der Kläger selbst habe nicht ansatzweise dargelegt, in welcher Hinsicht die angegriffenen Bescheide von ihm beanstandet würden. In der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2013 habe er lediglich ganz pauschal erklärt, dass sowohl der Bewilligungsbescheid vom 05.11.2010 als auch der Bewilligungsbescheid vom 02.04.2012 "fehlerhaft" seien ohne dies weiter zu konkretisieren. Vor diesem Hintergrund sei von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 SGG abzusehen und es auf die zutreffenden Darlegungen des Beklagten in den Widerspruchsbescheiden vom 17.10.2012 Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 17.12.2013 zugestellte Urteil hat er am 15.01.2014 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13.11.2013 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 05.11.2010 und 02.04.2012 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 17.10.2012 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 und vom 01.04.2012 bis 30.09.2012 weitere Kosten für Unterkunft und Heizung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Entscheidung des Sozialgerichts.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 25.06.2015 um Darlegung gebeten, in welcher Höhe tatsächlich weitere Heizkosten über den vom Beklagten übernommenen Betrag hinaus entstanden sind und um Vorlage von Belegen gebeten. Der Kläger hat die Abrechnung der S Vertrieb AG Kundenservice vom 04.06.2013 für den Zeitraum vom 27.04.2012 bis 07.05.2013 vorgelegt, wonach sich für den Strom ein Restguthaben in Höhe von 44,83 EUR ergibt. Ausgehend davon, dass zwischen der S und ihm die Aufteilung der Verbräuche auf die einzelnen Jahre streitig sei, könne keine Schlussrechnung als Grundlage für den Verbrauch herangezogen werden. Der durchschnittliche Verbrauch habe in den letzten sechs Jahren bei 2.600 kwh gelegen.

Mit Schreiben vom 29.07.2015 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG beabsichtigt ist, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausdrücklich keinen Sachantrag gestellt habe. Der Kläger hat mit Schreiben vom 20.08.2015 beantragt, weitere Heizkosten bzw. weitere Kosten für die Unterkunft zu gewähren. Beispielsweise seien im Zeitraum von November 2010 bis März 2011 keine Kosten für Unterkunft für seinen Sohn L übernommen worden, obwohl dieser zur Bedarfsgemeinschaft gehört habe. Die Schlussrechnung könne nicht als Berechnungsgrundlage für die tatsächlichen Heizkosten dienen. Dies würde zu einem Trugschluss führen. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung trotz komplexer Sach- und Rechtslage lege einen Ermessensfehler nahe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten vorbereitenden Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt, die Verfahrensakte L 6 AS 1255/12 B ER sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten.

II.

Der Senat konnte die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, weil der Fall keine Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine weitere mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint. Die Anhörung der Beteiligten hierzu erfolgte mit Schreiben vom 29.07.2015.

Das Sozialgericht hat den Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 S. 2 SGG wegen "verwehrter Akteneinsicht" zu Recht abgelehnt. Eine Versagung der Akteneinsicht nach § 25 SGB X im Verwaltungsverfahren kann wegen der Sachnähe zum Recht auf rechtliches Gehör wie die Anhörung nach § 24 SGB X behandelt werden und somit in entsprechender Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz geheilt werden (BSG, Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 15/01 R; BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 6/07 R; Siefert in v. Wulfen, SGB X, § 25 Rn. 44; Schütze, a.a.O., § 41 Rn. 16 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 114 Rn. 3b; Anhang § 54 Rn. 33b). Hinsichtlich des Vortrags des Klägers, die Akteneinsicht sei im gerichtlichen Verfahren nicht vollständig gewährt worden, verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Urteil, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2, 4 SGG).

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klage war unzulässig. Der Kläger hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht keinen § 92 Abs. 1 S. 3 SGG genügenden (Sach)Antrag gestellt.

Nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGG muss der Kläger den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zudem soll die Klage einen bestimmten Sachantrag enthalten (S. 3). Die Anforderungen des S. 1 sind bereits erfüllt, wenn der Sachverhalt, über den das Gericht entscheiden soll, angegeben oder umrissen werden. Die Klage soll jedoch einen bestimmten Antrag enthalten, da erst mit der Angabe des Gegenstands des Klagebegehrens und der Stellung eines bestimmten Antrags das Gericht in die Lage versetzt wird, den Streitgegenstand des Verfahrens zu bestimmen. Zwar ist die Stellung eines bestimmten Antrags nach § 92 Abs. 1 S. 3 SGG nur eine Sollvorschrift, nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen jedoch für die Zulässigkeit einer Klage zwingend. Notwendig ist daher, dass bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung klar wird, welches Ziel verfolgt wird (Jaritz, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 92 Rn. 46; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 92 Rn. 12; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 92 Rn. 3,1).

Der Antrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2013 genügt diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat nur einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen Verweigerung der Akteneinsicht durch den Beklagten gestellt und hilfsweise beantragt, "für Recht zu erkennen". Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung konnte das Sozialgericht weder erkennen noch durch Auslegung ermitteln, für wen der Kläger welche(n) Anspruch (Ansprüche) geltend macht. Im Klageverfahren kann in dem Hilfsantrag bei wohlwollender Auslegung kein Sachantrag auf Zahlung weiterer Kosten für Unterkunft und Heizung gesehen werden. Der Kläger hat im Klageverfahren keine materiell-rechtlichen Einwände gegen die streitgegenständlichen Bescheide vorgebracht. Der (erst) im Berufungsverfahren mit Schreiben vom 20.08.2015 gestellte Sachantrag führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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