L 5 KR 414/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 49 (44) KR 68/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 414/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.04.2013 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der klagende Rentenversicherungsträger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung seiner Aufwendungen für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme des Versicherten C in Höhe von 2.660,33 Euro.

Der am 00.00.1942 geborene und bei der Klägerin renten- und bei der Beklagten krankenversicherte C wurde vom 13.08. bis 31.08.2007 stationär wegen einer hochgradigen Aortenklappenstenose behandelt. Am 23.08.2007 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Anschlussheilbehandlung. Diese leitete diesen Antrag am gleichen Tag an die Deutsche Rentenversicherung Rheinland weiter, die ihrerseits diesen Antrag am 27.08.2007 der Klägerin mit der Begründung übersandte, wegen mindestens eines Beitrags zur knappschaftlichen Rentenversicherung sei deren Zuständigkeit gegeben.

Unter dem 29.08.2007 bewilligte die Klägerin dem Versicherten eine Anschlussheilbehandlung, die dieser vom 31.08. bis 22.09.2007 absolvierte.

Am 18.10.2007 beantragte der Versicherte bei der Klägerin die Gewährung von Regelaltersrente, die ihm mit Wirkung ab 01.10.2007 bewilligt wurde. Das Begehren der Klägerin auf Erstattung der Aufwendungen für die medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Höhe von 2.660,33 Euro lehnte die Beklagte ab (Schreiben vom 06.10.2008, 02.12.2008).

Die Klägerin hat am 20.03.2009 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben.

Sie hat die Ansicht vertreten, ihr stehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 14 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu. Sie selbst sei materiell-rechtlich nicht zur Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme an den Versicherten verpflichtet gewesen, weil der Ausschlussgrund des § 12 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorgelegen habe. Dieser Ausschlussgrund sei - über den Wortlaut hinausgehend - auch dann anzunehmen, wenn die Beantragung einer Rente wegen Alters oder einer Rente von wenigstens zwei Dritteln der Vollrente innerhalb der nächsten sechs Monate vor Antritt der begehrten Reha-Maßnahme auch nur beabsichtigt gewesen sei. Außerdem seien die Voraussetzungen der §§ 9, 10 SGB VI nicht erfüllt, weil Sinn und Zweck einer Reha-Maßnahme - die Eingliederung in das Erwerbsleben - bei dem 65-jährigen Versicherten ohnehin nicht mehr hätten erreicht werden können. Soweit die Beklagte einwende, sie, die Klägerin, sei gar nicht der zweitangegangene Träger gewesen, verweise sie auf § 3 Abs. 4 der Gemeinsamen Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation über die Ausgestaltung des in § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) bestimmten Verfahrens. Hiernach könne innerhalb eines Sozialleistungsbereichs unter Wahrung der Entscheidungsfrist nach § 14 Abs. 2 SGB IX eine nochmalige Weiterleitung des Antrags erfolgen. Im Übrigen lasse sich der Erstattungsanspruch auch auf § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stützen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 2.660,33 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat entgegnet: Die Klägerin sei bereits nicht zweitangegangener Träger i.S.d. § 14 SGB IX. § 3 Abs. 4 der Gemeinsamen Empfehlungen binde sie als Krankenkasse nicht. Der Ausschlussgrund des § 12 SGB VI liege nicht vor, weil der Versicherte weder tatsächlich eine Rente bezogen noch zum Zeitpunkt der Durchführung der Reha-Maßnahme beantragt habe. Die von der Klägerin vorgenommene erweiternde Auslegung dieser Vorschrift sei ausgeschlossen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 22.04.2013 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihr am 07.06.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.06.2013 Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht sie geltend: Die Voraussetzungen der §§ 9 ff. SGB VI seien im Falle des Versicherten C nicht erfüllt gewesen; sein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben habe bereits festgestanden. Sie sei deshalb materiell-rechtlich nicht zur Leistung verpflichtet gewesen. Dies habe das Sozialgericht verkannt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.04.2013 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr 2.660,33 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, weil das Sozialgericht sie zugelassen hat. Sie ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Aufwendungen für die medizinische Rehabilitationsmaßnahme des Versicherten C in Höhe von 2.660,33 Euro.

Die Klägerin kann ihren Anspruch zunächst nicht mit Erfolg auf § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX stützen. Diese Vorschrift bestimmt, dass der für die Leistung zuständige Rehabilitationsträger dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Vorschriften zu erstatten hat. Rehabilitationsträger i.S. dieser Bestimmung sind nach den §§ 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 4, 5 Nr. 1 SGB IX sowohl die Klägerin als gesetzlicher Rentenversicherungsträger wie auch die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse.

§ 14 SGB IX räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte vom Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die begehrte Maßnahme hätte beanspruchen können. Die Regelung begründet einen Ausgleich dafür, dass der zweitangegangene Reha-Träger bei Vorliegen eines entsprechenden Reha-Bedarfs die erforderlichen Reha-Leistungen (spätestens nach drei Wochen) selbst dann erbringen muss, wenn er der Meinung ist, hierfür nicht zuständig zu sein. Dabei handelt es sich um eine gleichsam aufgedrängte Zuständigkeit. Diese in § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGB IX geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die vergleichbar der Regelung des § 107 SGB X einen endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der Reha-Träger untereinander ist jedoch eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt. Den Ausgleich bewirkt der Anspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (vgl. hierzu Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - vom 08.09.2009, B 1 KR 9/09 R m.w.N.).

Allerdings scheitert der Anspruch der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daran, dass es die doppelte Weiterleitung des Antrags und damit einen drittangegangenen Träger - wie hier die Klägerin - gar nicht geben dürfte. Zwar hätte die DRV Bund das Verfahren tatsächlich nicht an die Klägerin weiterleiten dürfen. Ziel des § 14 SGB IX ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nämlich, dass möglichst schnell über einen Rehabilitationsantrag eines Versicherten entschieden wird, ohne dass es - wie in der vor Inkrafttreten des § 14 SGB IX liegenden Zeit - zu einem Streit der Versicherungsträger untereinander über die Zuständigkeit kommt und aus diesem Grund die Leistung an den Versicherten gar nicht oder erst mit Verzögerung erbracht wird (vgl. allgemeine Auffassung; vgl. z.B. Knittel, SGB IX, 8. Aufl. 2014, § 14 Rdn. 16 mit ausdrücklichem Hinweis auf die Gesetzesbegründung). § 14 SGB IX sieht daher nur eine einmalige Weiterleitung eines Rehabilitationsantrags vor. Der Träger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, ist in jedem Fall zur Leistung verpflichtet und nicht berechtigt, den Antrag seinerseits weiterzuleiten. Für den Fall einer rechtswidrigen nochmaligen Weiterleitung durch den zweitangegangenen Träger (hier die DRV Bund) erscheint es nach Sinn und Zweck des § 14 SGB IX geboten, dem drittangegangenen Träger den umfassenden Erstattungsanspruch des § 14 Absatz 4 Satz 1 SGB IX einzuräumen, weil sein Verhalten das Interesse des Versicherten an einer zügigen Entscheidung über den Rehabilitationsantrag gewahrt hat und das - um ein anderes Verhalten eines drittangegangenen Trägers zu vermeiden - "honoriert" werden muss (vergl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.06.2015, Az.: L 1/4 KR 437/12, anhängig BSG Az.: B 1 KR 27/15 R).

Indes scheitert der auf § 14 Absatz 4 Satz 1 SGB IX gestützte Erstattungsanspruch der Klägerin daran, dass die Klägerin selbst für die Durchführung der vom Versicherten beantragte Rehabilitationsmaßnahme in Form der Anschlussheilbehandlung zuständig, weil materiell-rechtlich zur Leistung verpflichtet, gewesen ist. Der Anspruch des Versicherten gegen die Klägerin auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in Form der Anschlussheilbehandlung ergibt sich aus den §§ 9 - 11 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI); dieser Anspruch wird nicht durch § 12 Absatz 1 Nr. 2 SGB VI ausgeschlossen.

Gemäß § 9 Absatz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung u.a. Leistungen der medizinischen Rehabilitation, um

1. den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und

2. dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben einzugliedern.

Hier ist nicht zweifelhaft, dass der Versicherte der Anschlussheilbehandlung bedurfte, um den Auswirkungen der hochgradigen Aortenklappenstenose, die mit dem operativ eingebrachten Aortenklappenersatz behandelt worden ist, auf seine Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken. Ziel der Anschlussheilbehandlung war es auch, Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu verhindern. Auch die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass die vom Versicherten absolvierte Anschlussheilbehandlung grundsätzlich den oben dargelegten Voraussetzungen für eine medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu ihren Lasten entsprach. Lediglich wegen des bereits absehbaren, kurz bevorstehenden Ausscheidens des Versicherten aus dem Erwerbsleben wegen Erreichens der Altersgrenze will die Klägerin den Anwendungsbereich des § 9 Absatz 1 SGB VI reduzieren. Systematisch handelt es sich dabei aber um die Schaffung eines - gegenüber der Regelung in § 12 SGB VI - weiteren, neuen Ausschlussgrundes, denn auch die Klägerin kann nicht leugnen, dass der Versicherte die Voraussetzungen des § 9 Absatz 1 SGB VI erfüllt hat.

§ 12 Absatz 1 SGB VI führt enumerativ Fälle auf, in den Leistungen der Teilhabe ausgeschlossen sind (" ...werden nicht erbracht"). Zwar umfassen Leistungen zur Teilhabe auch Leistungen der medizinischen Rehabilitation (vergl. §§ 4, 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)). Indes ist keiner der hier geregelten Ausschlussgründe einschlägig; den Fall des (bevorstehenden) Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, den die Klägerin für sich nutzbar machen will, regelt § 12 Absatz 1 Nr. 2 SGB VI und verlangt entweder das Beziehen einer Rente wegen Alters von wenigstens zwei Dritteln der Vollrente oder aber die Stellung eines Antrags auf eine solche Rente. Im Zeitpunkt der Beantragung der Anschlussheilbehandlung am 23.08.2007, der Entscheidung über diesen Antrag und auch während der Durchführung dieser Maßnahme waren die Voraussetzungen im Falle des Versicherten nicht erfüllt.

Somit stellt sich die Ansicht der Klägerin, auch das hier absehbare Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben als Ausschlussgrund zu berücksichtigen, entweder als Schaffung eines weiteren Ausschlussgrundes neben den in den Nrn. 1-5 des § 12 Absatz 1 SGB VI oder als eine Erweiterung des in § 12 Absatz 1 Nr. 2 geregelten Auschlussgrundes dar. Auch in der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, der Leistungsausschluss greife auch dann, wenn der Antragsteller im Antrag auf Teilhabeleistungen angebe, dass er innerhalb der nächsten 6 Monate beabsichtige, einen Rentenantrag in Höhe von wenigstens zwei Dritteln der Vollrente stellen zu wollen (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 12 SGB VI, Rn. 37 ohne nähere Begründung unter Verweis auf LSG Mainz v 21.5.1997, L 6a 10/97).

Regelt aber der Gesetzgeber explizit - wie hier - den Fall des (bevorstehenden) Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, indem er exakt die Voraussetzungen normiert, unter denen dieser Umstand für die Gewährung von Teilhabeleistungen Bedeutung entfalten soll, verbietet es sich, den Anwendungsbereich des betroffenen Ausschlussgrundes auszuweiten. Ohnehin ist unklar, von welchen konkreten Voraussetzungen die Klägerin den weitergehenden Ausschluss des Anspruchs des Versicherten auf Teilhabeleistungen abhängig machen will und auf welchen Erwägungen diese weiteren Voraussetzungen beruhen sollen. So ist z.B. unklar, welcher zeitliche Rahmen bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben noch für den Ausschlussgrund erheblich sein soll und welcher Grad an Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben für die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Rehabilitationsantrag zu treffende Entscheidung gelten soll. Es liegt auf der Hand, dass die Festlegung derartiger Voraussetzungen originäre Aufgabe des Gesetzgebers ist. Die Normierung solcher Voraussetzungen durch ein Gericht ginge weit über das Maß zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung hinaus.

Die Voraussetzungen der §§ 10, 11 SGB VI sind offensichtlich erfüllt, ein Auschlussgrund nach § 12 SGB VI ist - wie dargelegt - nicht gegeben, deshalb bestand der Anspruch des Versicherten gegen die Klägerin auf Gewährung der stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Ein Erstattungsanspruch gemäß den §§ 102ff SGB X scheidet ebenfalls aus, weil die Klägerin - wie dargelegt - selbst zur Leistung verpflichtet war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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