L 1 KR 75/15 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 27/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 75/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 09.01.2015 wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfeentscheidung vom 27.03.2015), ist unbegründet.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat mit drei Berufsrichtern, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) beimisst.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Die Prozessbevollmächtigten, die, wie sich ihrem Vorbringen entnehmen lässt, die Beschwerde im eigenen Namen und nicht im Namen der Beklagten mit dem Ziel der Festsetzung eines höheren Streitwerts erhoben haben, sind beschwerdebefugt. Sie können gemäß § 32 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), § 68 Abs. 1 GKG aus eigenem Recht die Heraufsetzung des Streitwertes geltend machen.

b) Die Beschwerde ist nach Maßgabe von § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR offensichtlich übersteigt. Bei der im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von mindestens 40.000,00 EUR stünde den Beschwerdeführern ein wesentlich höherer Gebührenanspruch zu als bei dem vom SG festgesetzten Streitwert von 5.000,00 EUR.

c) Die Beschwerde ist im Anschluss an die am 13.01.2015 erfolgte Zustellung des Beschlusses des SG fristgerecht bereits am 19.01.2015 eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass die an dem Beschluss angefügte Rechtsmittelbelehrung wegen des dort enthaltenen Verweises auf die Möglichkeit der Einlegung der Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) unzutreffend ist (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 5 Satz 5 GKG).

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Denn das SG hat den Streitwert zutreffend auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 HS 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Danach ist in Verfahren vor einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit, in dem der Kläger - wie hier die Klägerin - nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört, gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 HS 1 SGG das GKG anzuwenden. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG wird der Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss festgesetzt, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich, wie hier durch Klagerücknahme, das Verfahren anderweitig erledigt.

a) Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).

Dieser Auffangstreitwert wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig zugrunde gelegt, wenn ein Auskunftsverlangen streitgegenständlich ist (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 87/09 R -, juris Rn. 26; Beschl. v. 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B -, juris Rn. 11; Urt. v. 22.04.2015 - B 3 KR 2/14 R -, juris Rn. 23 und Tenor). Zwar dienen Auskunftsklagen in der Regel dazu, Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welcher Höhe Ansprüche auf Geldleistungen bestehen. Der Anspruch auf Geldleistungen, der mit der Auskunftsklage vorbereitet werden soll, ist nach § 52 Abs. 1 GKG grundsätzlich auch bei der Bestimmung des Streitwerts für die Auskunftsklage zu berücksichtigen.

Dies gilt gerade auch für eine Stufenklage, wie sie die Klägerin hier erhoben hat, sei es weil man insoweit § 44 GKG anwendet und entsprechend dieser Vorschrift auf den - nach Auskunftserteilung auf der ersten Stufe auf der zweiten Stufe geltend zu machenden - Geldleistungsanspruch als den höheren Anspruch abstellt (so BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R -, juris Rn. 47), sei es weil man - wie in der hier vorliegenden Konstellation - bis zur Beendigung des Rechtsstreits nur über den Auskunftsanspruch gestritten hat und daher dessen Wert allein für maßgeblich hält, diesen aber mit Blick auf den - zukünftig denkbaren - Geldleistungsanspruch bestimmt (so BSG, Urt. v. 28.11.2013 - B 3 KR 27/12 R -, juris Rn. 54). Im Regelfall wird man aber den Wert des Geldleistungsanspruchs weder bestimmen noch schätzen können, denn ein Auskunftsanspruch wird gerade deshalb geltend gemacht, weil Grund und Umfang eines möglichen Geldleistungsanspruchs unklar sind. Dann ist nach der unmissverständlichen Anordnung des § 52 Abs. 2 GKG der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR anzusetzen, weil der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Diese Vorschrift macht weitreichende Schätzungen "ins Blaue hinein" entbehrlich und auch unzulässig, wenn für die Bestimmung des wertmäßigen Interesses an der Klage keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen. Insoweit unterscheidet sich das sozialgerichtliche Verfahren grundlegend vom zivilgerichtlichen Verfahren, das einen Auffangstreitwert nicht kennt.

Dementsprechend ist auch für das vorliegende Klageverfahren der Auffangstreitwert anzusetzen. Zwar hat die Klägerin in ihrem Antrag zu 2. mögliche Erstattungsansprüche geltend gemacht. Es waren jedoch keinerlei Anhaltspunkte für die Bestimmung der Höhe dieser Ansprüche vorhanden. Dem Vortrag der Beteiligten konnte zur Höhe der auf der 2. Stufe der Klage geltend gemachten Geldleistungsansprüche nichts entnommen werden. Genügende Anhaltspunkte für die Bestimmung möglicher Geldleistungsansprüche der Klägerin ergaben sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht aus dem von der Klägerin eingeholten und zu den Akten gereichten Gutachten des Augenoptikermeisters T vom 07.03.2008. Ziel und Inhalt dieses Gutachtens bestanden allein darin, Unregelmäßigkeiten bei der Gewährung und Abrechnung von Leistungen der Beklagten aufzuzeigen, die Anlass für weitere Ermittlungen im Hinblick auf die Berechtigung der bereits geltend gemachten und abgerechneten Vergütungsansprüche der Beklagten gaben. Bestandteil dieser weiteren Ermittlungen waren u.a. die klageweise geltend gemachten Auskunftsansprüche. Ob und in welchem Umfang der Klägerin Erstattungsansprüche ihrer Auffassung nach möglicherweise zustanden, konnte dem Gutachten weder entnommen werden, noch bot das Gutachten eine taugliche Grundlage für eine Schätzung insoweit. Die Klägerin hat zwar auf Anfrage des Senats vom 07.07.2015 mitgeteilt, dass sich die in dem Gutachten vom 07.03.2008 genannten Fälle (lediglich) auf Versicherte der Klägerin bezögen, jedoch einschränkend hinzugefügt, dass es sich nach dortiger Wahrnehmung nicht um 114 konkretisierte Fälle, sondern nur um 57 Vorgänge handele. Diesem Vorbringen haben die Beschwerdeführer nicht widersprochen, so dass - auch hinsichtlich der in Prozessstandschaft verfolgten Sachverhalte - nicht im Ansatz bekannt ist, zu wie vielen Fällen/Vorgängen die Klägerin insgesamt Auskunft begehrt hat.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in einem Parallelverfahren. Danach ist der Wert des möglichen Erstattungsanspruchs auf der zweiten Stufe mit rund 50,00 EUR pro Versorgung, zu der mit der Auskunftsklage Angaben bzw. Unterlagen angefordert werden, anzusetzen und für den Wert des Auskunftsanspruchs hiervon ein Abschlag von einem Drittel vorzunehmen ist (BSG, Urt. v. 28.11.2013 - B 3 KR 27/12 R -, juris Rn. 54). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung (so bereits im Beschluss vom 24.03.2015 - L 1 KR 482/14 B -, juris Rn. 32 f.; ebenso jetzt auch der 16. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.11.2015 - L 16 KR 497/14 B -), wenngleich das BSG nicht angegeben hat, wie es auf den Wert von 50,00 Euro pro Versorgung kommt. Hier steht jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht fest, zu wie vielen Versorgungsfällen die Klägerin Angaben bzw. Unterlagen gefordert hat. Die Anzahl der betroffenen Versorgungsfälle kann auch nicht geschätzt werden, weil es hierfür an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

Der Sachverhalt ist im Beschwerdeverfahren auch nicht weiter aufzuklären, um eine hinreichende tatsächliche Grundlage für eine Schätzung zu erhalten. Der Senat hat bereits entschieden, dass allein wegen der Streitwertfestsetzung grundsätzlich keine gerichtlichen Beweisermittlungen und -erhebungen geboten sind (Beschluss vom 24.03.2015 - L 1 KR 482/14 B -, juris Rn. 36)

b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR nicht zu multiplizieren, weil die Klägerin die Klage nicht nur aus eigenem Recht, sondern in Prozessstandschaft auch für acht weitere Krankenkassen geführt hat. § 39 Abs. 1 GKG, wonach in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, soweit nichts anderes bestimmt ist, ist nicht einschlägig. Zwar kann nach § 39 Abs. 1 GKG auch eine Zusammenrechnung von Auffangstreitwerten nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgen (so die wohl herrschende Meinung, vgl. statt vieler BSG, Beschl. v. 19.09.2006 - B 6 KA 30/06 B -, juris Rn. 2 f.). Voraussetzung ist jedoch, dass tatsächlich mehrere Streitgegenstände vorliegen, deren Wert nach § 52 Abs. 1 GKG nicht im Einzelnen zu bestimmen ist. Dies war hier nicht der Fall.

Der Streitgegenstand wird durch den geltend gemachten prozessualen Anspruch, d.h. durch den Klageantrag und den Klagegrund im Sinne eines bestimmten Sachverhalts bestimmt. Dem Klageantrag liegt die Rechtsbehauptung zugrunde, das Gericht habe im Sinne des Antrags zu entscheiden (vgl. insoweit BSG, Beschl. v. 22.04.2008 - B 1 SF 1/08 R -, juris Rn. 26 m.w.N.).

Ausgehend von diesem prozessualen Streitgegenstandbegriff lag bei der hier erhobenen Stufenklage auf jeder Stufe ein Streitgegenstand vor. Die Klägerin hat auf jeder Stufe einen einzigen Antrag gestellt. Dieser bezog sich auch auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich auf sämtliche Leistungs- und Abrechnungsvorgänge im Abrechnungszeitraum 2001 bis 2003 über Berechtigungsscheine und aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Dass diese Abrechnungs- und Leistungsvorgänge nicht nur Versicherte der Klägerin, sondern auch Versicherte anderer Krankenkassen, die die Klägerin zur Durchführung des Klageverfahren ermächtigt hatten, umfassten, zwingt nicht zur Aufspaltung des klagegegenständlichen Lebenssachverhalts oder des gestellten einheitlichen Antrags. Eine solche Aufspaltung wäre tatsächlich gar nicht möglich gewesen, da, wie bereits ausgeführt, vollkommen unklar war, wie viele Versorgungsfälle letztlich betroffen waren, so dass auch die jeweiligen Versicherten und ihre Kassenzugehörigkeit nicht identifiziert werden konnten. Die Ermächtigung der anderen Kassen betraf nur die Frage, ob die Klägerin materiell-rechtlich berechtigt war, über alle Abrechnungsvorgänge Auskunft zu erhalten, auch wenn sie u.U. nicht ihre eigenen Versicherten betrafen. Der Streitgegenstand ist jedoch unabhängig von den einschlägigen materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen zu bestimmen, denn im sozialgerichtlichen Verfahren gilt kein materiell-rechtlicher Streitgegenstandbegriff (vgl. Leitherer, in: Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 95 Rn. 5).

Schließlich lässt sich auch nicht dahingehend argumentieren, dass unterschiedliche Streitgegenstände vorgelegen hätten, wenn die anderen Krankenkassen selbst eine entsprechende Klage erhoben hätten. Bei dieser Sachlage wären bereits unterschiedliche Anträge gegeben gewesen, so dass allein deshalb unterschiedliche Streitgegenstände anzunehmen wären. Hier hat die Klägerin jedoch einen einheitlichen Antrag gestellt.

c) Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht erstattungsfähig (§ 68 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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