S 19 AL 232/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AL 232/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 34/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 5/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Rücknahme- und Erstattungsentscheidung der Beklagten.

Der 1950 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit meldete sich am 22.06.2010 bei der Agentur für Arbeit C-Stadt arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Er legte eine von der Firma C. GmbH, C-Stadt, (nachfolgend Fa. C. GmbH) ausgestellte Arbeitsbescheinigung vom 03.08.2010 vor, wonach er dort vom 01.03.2008 bis zum 31.05.2010 als Einkäufer und Berater in Finanzen und Verwaltung in Vollzeit mit 40 Wochenstunden zu einem monatlichen Arbeitsentgelt von 3.900,00 Euro beschäftigt gewesen sei. Vom 05.04.2010 bis zum 15.06.2010 hatte er von der DAK Unternehmen Leben Krankengeld bezogen. Das Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. C. GmbH war vom Jobcenter C-Stadt mit einem Eingliederungszuschuss in Höhe von 70% der Aufwendungen gefördert worden.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 05.08.2010 Alg in Höhe von 45,22 Euro täglich für 360 Tage ab 22.06.2010, unterbrochen durch eine Sperrzeit bei Meldeversäumnis von einer Woche vom 14. bis 20.07.2010. Der Leistungsbezug wurde erneut unterbrochen wegen einer genehmigten Ortsabwesenheit ohne Leistungsbezug vom 04. bis 24.10.2010, in deren Anschluss dem Kläger mit Bescheid vom 13.12.2010 Alg weiterbewilligt wurde ab dem 25.10.2010. Mit Wirkung zum 07.07.2011 wurde die Bewilligung von Alg wegen Aufnahme einer Beschäftigung aufgehoben.

Mit Schreiben vom 28.03.2012 informierte das Hauptzollamt C-Stadt die Beklagte über ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Leistungsbetrug, weil sich aufgrund von Ermittlungen und sichergestellten Unterlagen u. a. der Verdacht ergeben habe, dass der Kläger nicht unter der von ihm angegebenen Anschrift in C-Stadt gewohnt und daher der Arbeitsvermittlung während des Bezugs von Alg nicht zur Verfügung gestanden habe. Nach Auswertung der vom Hauptzollamt zur Verfügung gestellten Unterlagen hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 12.04.2012 zu einer beabsichtigten Rücknahme der Bewilligung von Alg an und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Außerdem bat sie um Übersendung von Kopien der Kontoauszüge, aus denen sich die Überweisung des Gehaltes der Firma C. GmbH auf sein Konto entnehmen lasse. Da die Auswertung der Unterlagen des Hauptzollamtes ergeben hatte, dass die von der Fa. C. GmbH veranlassten Überweisungen jeweils deutlich niedriger waren als das zu errechnende Nettogehalt, wurde mit Schreiben vom 02.05.2012 auch die Fa. C. GmbH um einen Nachweis der Gehaltszahlungen gebeten. Diese beantwortete die Anfrage mit Schreiben vom 16.05.2012 dahingehend, dass der Kläger im fraglichen Zeitpunkt dort in Vollzeit beschäftigt gewesen und sein Gehalt in voller Höhe erhalten habe. Hierbei seien auf Wunsch des Klägers hinsichtlich seiner schlechten finanziellen Lage Teilzahlungen vor dem Monatsende getätigt worden.

Nachdem eine Terminvereinbarung zur Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten des Klägers in die Leistungsakten nicht zustande gekommen war, wurde diesem mit Schreiben vom 04.05.2012 die Möglichkeit der Einsichtnahme in der Woche vom 07. bis 11.05.2012 eingeräumt und es wurden ihm gleichzeitig Kopien der vollständigen Leistungsakte übersandt.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 08.05.2012, abgesandt am 09.05.2012 per Einschreiben sowohl an den Kläger als auch an seinen Bevollmächtigten, nahm die Beklagte die mit Bescheid vom 05.08.2010 vorgenommene Bewilligung von Alg ab 22.06.2010 sowie die mit Bescheid vom 13.12.2010 vorgenommene Bewilligung ab 25.10.2010 zurück und forderte vom Kläger die Erstattung des in der Zeit vom 22.06.2010 bis zum 06.07.2011 gezahlten Alg in Höhe von 16.053,10 Euro sowie der hierauf entfallenden Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 5.372,27 Euro und zur Pflegeversicherung in Höhe von 688,62 Euro, insgesamt also 22.113,99 Euro. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, der Kläger habe die Anschrift in C-Stadt lediglich als Postanschrift genutzt und sich nicht tatsächlich dort aufgehalten, es habe daher während des gesamten Leistungsbezugs an der nach § 119 SGB III erforderlichen unverzüglichen und direkten Erreichbarkeit gefehlt. Der Kläger habe in seinen Anträgen auf Alg somit vorsätzlich in wesentlicher Beziehung falsche Angaben gemacht.

Hiergegen legte der Kläger am 06.06.2012 Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 11.06.2012 beantwortete die Fa. C. GmbH eine Nachfrage der Beklagten nach den regelmäßigen Arbeitszeiten des Klägers und seinen Urlaubs- und Krankheitstagen dahingehend, dass der Kläger dort in Vollzeit mit 40 Stunden in der Woche bei einer Regelzeit von 8.30 bis 17.30 Uhr gearbeitet habe und wegen seiner Behinderung 27 Tage Jahresurlaub gehabt habe, die er verteilt auf 12 Monate in Anspruch genommen habe. Die Fehlzeiten wegen Krankheit müssten beim Steuerberater nachgefragt werden. Eine weitere Nachfrage der Beklagten nach den konkret beantragten und genehmigten Urlaubstagen vom 12.06.2012 wurde von der Fa. C. GmbH nicht beantwortet.

In der Begründung des Widerspruchs führte der Bevollmächtigte des Klägers, soweit sie sich auf die Beschäftigung bei der Fa. C. GmbH bezog, aus, der in C-Stadt wohnhafte Kläger habe vom 01.03.2008 bis zum 31.05.2010 bei der Fa. C. GmbH in C-Stadt gearbeitet und das Arbeitsverhältnis sei durch den Arbeitgeber am 29.04.2010 zum 31.05.2010 gekündigt worden. Dabei habe der Kläger monatlich 3.900,00 Euro verdient. Die weiteren Ausführungen bezogen sich auf die Frage der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung während des Bezugs von Alg.

Im Verlauf des Klageverfahrens wertete die Beklagte weitere Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes C-Stadt aus, zu deren Inhalt auf Blatt 155 ff. Bezug genommen wird.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2012, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 223 bis 232 der Leistungsakte Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde nach umfangreichen Ausführungen zur nach Ansicht der Beklagten ordnungsgemäßen Anhörung des Klägers und zur fehlenden Verfügbarkeit des Klägers für die Arbeitsvermittlung während des Leistungsbezuges auch als fraglich angesehen, ob der Kläger überhaupt, wie in der Arbeitsbescheinigung der Fa. C. GmbH bescheinigt worden war, in der Zeit vom 01.03.2008 bis zum 31.05.2010 als Einkäufer und Berater für Finanzen und Verwaltung 40 Stunden pro Woche zu einem Gehalt von 3.900,00 Euro monatlich beschäftigt gewesen sei und eine Anwartschaft auf Alg erworben habe. Dabei wurde Bezug genommen auf ein früheres Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Fa. C. GmbH und eine hierüber ausgestellte Arbeitsbescheinigung aus dem Jahre 2003 sowie die Beschreibung der Tätigkeit durch den Kläger in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt. Damals habe er angegeben, Prospekte an Fachgeschäfte verteilt und beim Verpacken von Waren geholfen zu haben bei einem Arbeitsentgelt von 2.000 Euro monatlich. Für die Annahme, dass das Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. C. GmbH in der Zeit vom 01.03.2008 bis zum 31.05.2010 nicht wie angegeben ausgeübt worden sei, spreche auch die Tatsache, dass nur ein Teil des vertraglich zustehenden Nettolohns auf das Konto des Klägers überwiesen worden sei. Die Begründung für eine teilweise Barauszahlung des Arbeitsentgeltes mit einer ungünstigen finanziellen Situation des Klägers sei nicht nachvollziehbar, da er nach eigenen Angaben für die in C-Stadt genutzte Wohnung keine Miete zu entrichten gehabt habe und sein Gehalt im Verhältnis zu dem früheren Arbeitsverhältnis nahezu verdoppelt gewesen sei. Außerdem habe die Fa. C. GmbH nicht einmal die vom Kläger in Anspruch genommenen Urlaubstage in den Jahren 2008 bis 2010 angeben können, sodass sich insgesamt der Verdacht verstärke, dass der Kläger dort nur in einem Scheinbeschäftigungsverhältnis gestanden habe.

Hiergegen hat der Kläger am 10.08.2012 Klage erhoben. In seiner erst nach einer Betreibensaufforderung gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgegebenen Klagebegründung hat der Kläger seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und zum Teil vertieft, insbesondere rügt er weiterhin eine nicht ordnungsgemäße Anhörung. Auch habe er der Arbeitsvermittlung durchgängig zur Verfügung gestanden, insbesondere habe er alle Mitteilungen der Beklagten unverzüglich persönlich zur Kenntnis genommen und sei für die Beklagte jederzeit erreichbar gewesen im Sinne von § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Erreichbarkeitsanordnung. Hiergegen spreche nicht, dass aus den Kontoauszügen hervorgehe, "dass für einen Einkauf oder das Abheben von Geld an einem Geldautomaten in C-Stadt kein Geld abgehoben worden sei". Dies sage nichts über seine Wohnverhältnisse aus. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte durch Übergabe eines Schriftsatzes vom 27.02.2017 vorgetragen, der Vorwurf eines betrügerischen Zusammenwirkens werde zurückgewiesen. Der Kläger habe für den streitigen Zeitraum bei der Fa. C. GmbH entsprechend seines Arbeitsvertrages gearbeitet und Nachweise für die Gehaltszahlungen lägen vor. Die Daten in den Kontoauszügen besagten nichts über die tatsächlichen Arbeits- und Wohnverhältnisse, zumal der Kläger seinen Lohn zum Teil in bar erhalten habe. Es habe Tage gegeben, an denen der Kläger plötzlich krankheitsbedingt nicht habe weiterarbeiten und auch nicht mehr selbst nach Hause fahren können. An diesen Tagen sei er von seinem Chef, Herrn D., zu seiner C-Stadter Wohnung gefahren worden.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 08.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie gehe weiterhin davon aus, dass der Kläger während des Bezugs von Alg nicht in C Stadt gewohnt habe und somit nicht verfügbar gewesen sei. Sie gehe außerdem davon aus, dass der Kläger entgegen der vorgelegten Arbeitsbescheinigung in der Zeit vom 01.03.2008 bis zum 31.05.2010 nicht als Einkäufer und Berater in Finanzen und Verwaltung für die Fa. C. GmbH versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, sodass er auch keine Anwartschaft auf Alg erworben habe. Die Entscheidung der Beklagten gehe auf Feststellungen des Hauptzollamtes C-Stadt sowie eigene Ermittlungen zurück. In der Erwiderung auf die Klagebegründung weist die Beklagte darauf hin, dass der Bevollmächtigte des Klägers im Widerspruchsverfahren keine weitere Akteneinsicht gefordert habe, sodass davon auszugehen sei, dass ihm die übersandten Kopien aus der Leistungsakte zur Begründung des Widerspruchs ausgereicht hatten. Eine Durchsicht der Kontounterlagen habe ergeben, dass der Kläger in der Zeit vor 2008 mit seiner Kontokarte zahlreiche Einkäufe usw. in A-Stadt und Umgebung gemacht habe und dieses Verhaltensmuster sich anschließend unverändert fortgesetzt habe. In der Zeit von 2008 bis 2010 sei keine einzige Nutzung der Kontokarte in C-Stadt erfolgt und den Kontoauszügen sei zu entnehmen, dass der Kläger auch an ganz normalen Arbeitstagen innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit die Kontokarte in A-Stadt genutzt habe. Die Fa. C. GmbH sei offenbar auf die Frage nach genauen Urlaubstagen bzw. den Nachweis von Fehltagen nicht vorbereitet gewesen, da der Kläger nach Überzeugung der Beklagten offenbar "durchgehend" Urlaub gehabt habe. Ferner verweist die Beklagte auf die durch das Hauptzollamt durchgeführte Vernehmung der Zeugin E., die in der Zeit von August 2009 bis März 2010 als Auszubildende bei der Fa. C. GmbH tätig gewesen sei, den Kläger auf einem Lichtbild wiedererkannt und ausgesagt habe, der Kläger sei einmal pro Woche oder auch einmal in zwei Wochen dort gewesen, habe im Büro telefoniert und sei an den betreffenden, wechselnden Tagen für ein bis zwei Stunden anwesend gewesen. Es habe deshalb mangels Verfügbarkeit bzw. mangels einer Anwartschaft kein Anspruch auf Alg bestanden.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Leistungsakten (Band II und III), der jeweils auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 08.05.2012 ist auch in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 09.07.2012 gefunden hat (§ 95 SGG), zumindest im Ergebnis zu Recht ergangen. Die Beklagte hat mit diesen Bescheiden zu Recht die Leistungsbewilligungen vom 05.08.2010 und 13.12.2010 zurückgenommen und ebenfalls zu Recht die Erstattung des für die Zeiträume 22.06.2010 bis 13.07.2010, 21.07.2010 bis 03.10.2010 und 25.10.2010 bis 06.07.2011 gezahlten Alg zuzüglich der hierauf entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung verlangt.

Dabei brauchte das Gericht nicht darüber zu entscheiden, ob der Kläger in der Zeit des Bezugs von Alg vom 22.06.2010 bis zum 06.07.2011 arbeitslos gewesen ist im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) – die Angabe von §§ des SGB III bezieht sich jeweils auf die bis zum 31.03.2011 geltende und daher hier anzuwendende Fassung des SGB III –, insbesondere also ob er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden hat im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 5 SGB III in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Erreichbarkeitsanordnung. Denn das Gericht ist auf der Grundlage der von der Beklagten durchgeführten Sachermittlungen und der von ihr ausgewerteten Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes C-Stadt davon überzeugt, dass der Kläger bereits deshalb keinen Anspruch auf Alg hatte, weil er die hierfür erforderliche Anwartschaftszeit (§ 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III) nicht erfüllt hat.

Nach § 123 Abs. 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Nach § 124 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg, in der Regel also mit dem Tag vor der persönlichen Arbeitslosmeldung. Im Fall des Klägers lief die Rahmenfrist somit vom 22.06.2008 bis 21.06.2010. In dieser Zeit stand der Kläger aber zur Überzeugung der Kammer nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Beklagten. Nach § 24 SGB III stehen Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Für Beschäftigte beginnt das Versicherungspflichtverhältnis mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis und endet mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind versicherungspflichtige Beschäftigte Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Diese Voraussetzung hat der Kläger in der Zeit vom 22.06.2008 bis zum 04.04.2010, dem Tag vor Beginn des Krankengeldbezugs, zur Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt.

Der auch in § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) definierte Begriff der Beschäftigung ist vor allem gekennzeichnet durch Freiwilligkeit sowie persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, die sich in der Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers und der Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers auswirkt. Allerdings ist ein Beschäftigungsverhältnis nur anzunehmen, wenn die Beschäftigung, mit Ausnahme von Zeiten z. B. der Arbeitsunfähigkeit, des Urlaubs oder einer Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes, tatsächlich ausgeübt wird (Brand, SGB III, 7. Auflage 2015, § 25 Rn. 3 f.). Ob eine abhängige Beschäftigung oder z. B. eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wird zwar zunächst anhand der vertraglichen Vereinbarungen geprüft. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse aber hiervon ab, ist ausschließlich von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen. Ist also z. B. dem Anstellungsvertrag eine Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers zu entnehmen, wird hiervon in der täglichen Praxis aber tatsächlich kein Gebrauch gemacht, liegt keine abhängige Beschäftigung vor (a.a.O., Rn. 8). Das Gleiche gilt, wenn zwar – was im Falle des Klägers nicht geprüft worden ist – ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, dieser aber von den Beteiligten nicht tatsächlich in der Praxis umgesetzt wird, insbesondere also, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich im arbeitsvertraglichen Umfang als Beschäftigter tätig ist. So jedoch verhält es sich zur Überzeugung der Kammer im Falle des vom Kläger geltend gemachten Beschäftigungsverhältnisses bei der Fa. C. GmbH.

Auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes C-Stadt sowie der von der Beklagten als Band III ihrer Verwaltungsakten vorgelegten Bankunterlagen der F. über die Kontobewegungen auf dem vom Kläger bei der früheren G. Bank unterhaltenen Konto xxx1 aus der Zeit von Januar 2006 bis April 2011 ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger das behauptete Beschäftigungsverhältnis nicht ausgeübt hat, sondern nur sporadisch und besuchsweise die Fa. C. GmbH aufgesucht hat, keinesfalls also in Vollzeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit zwischen 8.30 Uhr und 17.30 Uhr dort in C Stadt als "Einkäufer und Berater in Finanzen und Verwaltung" gearbeitet hat. Zweifel ergeben sich bereits an einer ausreichenden Qualifikation der Klägers für eine solche Tätigkeit, da er nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt und sich bei den Beratungsgesprächen bei der Agentur für Arbeit, wie die Beratungsvermerke ausweisen, jeweils nur mit Hilfe eines Dolmetscher verständigen konnte (vgl. hierzu z. B. die Beratungsvermerke vom 22.07.2010 und 09.09.2010, Blatt 36 und 24 Leistungsakte). Doch selbst wenn diese Bedenken zurückgestellt würden, weil der Kläger mit Kunden im türkischen und arabischen Sprachkreis Kontakt zu halten gehabt hätte, zeigen die Bargeldabhebungen an Bankautomaten und mit der Kontokarte bezahlte Einkäufe anhand der Daten, Uhrzeiten und der Orte der Transaktionen eindeutig, dass der Kläger nicht zu den von ihm und der Fa. C. GmbH behaupteten regelmäßigen Arbeitszeiten in C-Stadt gewesen sein kann. Beispielhaft seien hierzu die folgenden Buchungen angeführt:
• Mo., 10.03.2008, 15.52 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mo., 05.05.2008, 16.08 Uhr – H.-Tankstelle H-Stadt
• Fr., 16.05.2008, 14.52 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mi., 21.05.2008, 13.47 Uhr – J-Tankstelle J-Stadt
• Do., 05.06.2008, 14.47 Uhr – K-Station A-Stadt
• Di., 10.06.2008, 15.14 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mo., 16.06.2008, 12.16 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mi., 02.07.2008, 11.42 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Do., 03.07.2008, 12.23 Uhr – J-Tankstelle J-Stadt
• Di., 08.07.2008, 12.44 Uhr – K-Station A-Stadt
• Do., 12.03.2009, 14.47 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Do., 26.03.2009, 15.29 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mi., 13.05.2009, 15.32 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Fr., 18.09.2009, 15.51 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mo., 26.10.2009, 13.29 Uhr – Geldautomat A-Stadt
• Mi., 04.11.2009, 10.25 Uhr – L-Markt J-Stadt
• Fr., 06.11.2009, 15.02 Uhr – M. A-Stadt-X.
Im Übrigen wird diesbezüglich auf Band III, Blatt 136 bis 183, verwiesen.

Bestätigt wird die Überzeugung der Kammer durch die Bekundungen der vom 24.08.2009 bis 02.03.2010 bei der Fa. C. als Auszubildende beschäftigten E. Diese hat angegeben, in der meisten Zeit sei neben ihr nur noch Herr D. anwesend gewesen. Der Kläger sei zunächst einmal zu Besuch gekommen, später sei er ihr vorgestellt worden und sei dann vielleicht einmal pro Woche und dann auch nur für ein bis zwei Stunden dort gewesen. Bei der Vorstellung sei ihr nicht gesagt worden, was der Kläger dort genau machen solle. Sie habe ihn im Büro telefonieren gesehen und habe für den Kläger und Herrn N. Kaffee kochen müssen. Hinzu kommt, dass der Kläger als Zeuge im Rechtsstreit S 11 AL 160/06 vor dem Sozialgericht Darmstadt, dessen Gegenstand ein früheres Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Fa. C. GmbH in den Jahren 2002 und 2003 war, am 09.12.2010 bekundet hat, er habe insgesamt ca. ein bis zwei Jahre dort gearbeitet, von der angeblich von 2008 bis 2010 erneut ausgeübten Beschäftigung bei dieser Firma aber nichts erwähnt hat (Blatt 216 Leistungsakte). Ebenfalls berücksichtigt hat die Kammer, dass es der Fa. C. GmbH offenbar nicht möglich war, anhand ihrer Personakten die vom Kläger in Anspruch genommenen Urlaubstage und Tage der Arbeitsunfähigkeit konkret zu benennen und der Beklagten mitzuteilen. Sie hat sich insoweit auf ungenaue Angaben beschränkt.

Auch die Zeit des Krankengeldbezugs vom 05.04.2010 bis zum 15.06.2010 war unabhängig davon, dass allein hierdurch die Anwartschaftszeit nicht erfüllt werden konnte – keine Zeit der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Dies ist nach § 26 Abs. 2 SGB III nur der Fall, wenn die Person unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezugs versicherungspflichtig war oder eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen bzw. eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt hat. Dies war im Falle des Klägers aber gerade nicht der Fall gewesen.

Die Bewilligung von Alg durch die Beklagte aufgrund des Antrages vom 22.06.2010 war somit zu Unrecht erfolgt.

Nach § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein von der Beklagten erlassener begünstigender Verwaltungsakt, wozu Bewilligungsbescheide über Alg gehören, zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kammer zulasten des Klägers erfüllt, denn er hat mit der Angabe eines Beschäftigungsverhältnisses bei der Fa. C. GmbH und der Vorlage der objektiv unzutreffenden Arbeitsbescheinigung gegenüber der Beklagten unrichtige Angaben gemacht und hierdurch die rechtswidrige Bewilligung von Alg verursacht. Dies geschah zur Überzeugung der Kammer vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig, weil der Kläger gewusst haben muss, dass er tatsächlich nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hatte. Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten, denn die vollständige Kenntnis aller Tatsachen, welche die Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen für die Vergangenheit rechtfertigen, hatte sie frühestens nach Durchführung des der Rücknahmeentscheidung vorgeschaltenen Anhörungsverfahrens.

Auch soweit der Kläger geltend macht, er sei vor Erteilung der Rücknahme- und Erstattungsentscheidung nicht ordnungsgemäß nach § 24 SGB X angehört worden, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung. Zwar könnte fraglich sein, ob die Anhörung vor Erteilung des Bescheides vom 08.05.2012 ordnungsgemäß erfolgt ist, weil die Beklagte diesen Bescheid bereits erteilt hat, bevor der Bevollmächtigte des Klägers den ihm für die laufende Woche vom 07. bis 11.05.2012 eingeräumten Zeitraum für eine Akteneinsicht ausschöpfen konnte. Auch die Übersendung der Kopien der Leistungsvorgänge konnte hierfür nicht genügen, weil die Beklagte dem Bevollmächtigten anschließend einen ausreichenden Zeitraum zur Äußerung hätte einräumen und gegebenenfalls hierfür eine Frist hätte setzen müssen. Allerdings wäre dieser Mangel im Anhörungsverfahren geheilt, weil die Anhörung jedenfalls aufgrund der Durchführung des Widerspruchsverfahrens, in dem sich der Kläger ausreichend zur Sache äußern konnte, als nachgeholt anzusehen ist und die Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 24 SGB X somit nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X unbeachtlich ist.

Die Erstattungsforderung bezüglich des zu Unrecht gezahlten Alg folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X, diejenige auf Erstattung der hierauf entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung aus § 335 Abs. 1 und 5 SGB III. Auch die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung sieht die Kammer nach eigener Überprüfung und Überzeugungsbildung als zutreffend errechnet an, Einwendungen hiergegen sind auch von der Klägerseite nicht erhoben worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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