Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 R 1295/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 89/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.2015 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des Bescheides vom 20.10.2014 verurteilt, der Klägerin höhere Altersrente ab dem 1.7.1997 unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,55 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 Entgeltpunkte zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eine höhere Altersrente unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,55 für zusätzlich ermittelte 6,3828 Entgeltpunkte (EP).
Die Klägerin wurde am 23.12.1923 in Sosnowiec in Polen als polnische Staatsbürgerin geboren. In der Zeit vom 15.11.1939 bis Mai 1945 war sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen ihrer Freiheit beraubt bzw. in ihrer Freiheit beeinträchtigt. Von Februar 1941 bis Mai 1943 legte sie im Ghetto Sosnowiec, das sich seinerzeit in Oberschlesien und damit einem dem Deutschen Reich eingegliederten Gebiet befand, eine Beitragszeit zurück, die später von der Beklagten als Ghettobeitragszeit im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) anerkannt wurde. Seit dem 28.7.1948 lebt sie in Israel und ist israelische Staatsangehörige. Sie ist Verfolgte i.S.d. § 1 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz [BEG]).
Die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte ihr mit Bescheid vom 26.2.1991 ab dem 1.4.1990 aufgrund eines am 30.9.1984 eingetretenen Leistungsfalles vorgezogenes Altersruhegeld gemäß § 25 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) alter Fassung (a.F.) unter Berücksichtigung der Zeit vom 1.1.1956 bis zum 31.12.1979 aufgrund nachgezahlter freiwilliger Beiträge gemäß Art. 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherung (DV-DISVA) vom 20.11.1978 und einesdurch Einzahlung im Jahr 1990 erworbenen Beitrags der Höherversicherung mit einem Wert von 840,00 DM.
Mit Bescheid vom 14.2.2000 berechnete die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz das Altersruhegeld der Klägerin mit Wirkung vom 1.4.1990 neu unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Februar 1941 bis Mai 1943 sowie von Ersatzzeiten vom 15.11.1939 bis Januar 1941 und von Juni 1943 bis zum 31.5.1945. Dabei wandte sie die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) an und nahm anschließend eine Umwertung nach § 307 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vor, aus der sich 31,0256 persönliche EP (pEP) ergaben.
Mit Bescheid vom 30.1.2007 berücksichtigte die Beklagte zusätzlich die Zeit vom 1.6. bis 30.6.1945 als Ersatzzeit. Es ergaben sich 31,3127 pEP. Den auf die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten über den 30.6.1945 hinaus gerichteten Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid v. 21.8.2007). Die hiergegen erhobene Klage (Sozialgericht [SG] Düsseldorf, S 15 R 297/07) nahm die Klägerin zurück.
Auf Antrag der Klägerin, ihr Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren, stellte die Beklagte die Rente der Klägerin unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 1.7.1945 bis zum 31.12.1949 neu fest (Bescheid v. 24.10.2012). Es ergaben sich 37,6955 pEP, auf welche die Beklagte den Zugangsfaktor (ZF) 1,0 anwandte. In dem Bescheid heißt es auf Seite 1 unter anderem wörtlich wie folgt:
"[ ] Ihr bisheriges Altersruhegeld wird neu festgestellt. Die erhöhte Rente beginnt am 1.1.2005. [ ].
Gründe für die Neufeststellung Die Gewährung der Rente erfolgt aufgrund des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in dem Ghetto (ZRBG). Die Rente beginnt nach § 44 Abs. 4 SGB X am 1.1.2005 [ ]"
Auf Seite 2 des Bescheides wird unter anderem ausgeführt:
"Die vom 1.2.1941 bis 31.5.1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto wurden nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in einem Ghetto (ZRBG) als "Ghetto-Beitragszeiten" anerkannt. Für diese Zeiten gelten Beiträge als gezahlt."
Gegen den Bescheid vom 24.10.2012 erhob die Klägerin am 1.11.2012 Widerspruch. Die Neufeststellung müsse auf den 1.7.1997 zurückwirken. Auf die gegenüber dem Bescheid vom 30.1.2007 aufgrund des ZRBG hinzugetretenen 6,3828 EP sei ein erhöhter ZF anzuwenden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid v. 20.6.2013).
Dagegen hat die Klägerin am 23.7.2013 bei dem SG Düsseldorf Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat.
Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte die Rückwirkung ihrer Neufeststellung auf den 1.7.1997 gemäß § 3 ZRBG anerkannt (Bescheid v. 20.10.2014).
Die Klägerin hat zur Begründung der Klage vorgetragen, auf die zusätzlich anerkannten 6,3828 EP sei der sich aus dem Zeitraum von Vollendung des 65. Lebensjahres (möglicher Rentenbeginn am 1.5.1988) bis zum tatsächlichen Rentenbeginn am 1.7.1997 ergebende erhöhte ZF von 1,55 anzuwenden. Das gelte auch angesichts des Umstandes, dass diese EP nur auf der zusätzlichen Anerkennung von Ersatzzeiten beruhten. Auch nach den Arbeitsanweisungen der Deutschen Rentenversicherung zu § 3 ZRBG (Ziff. R 8.2.) komme es nicht darauf an, wie viele EP tatsächlich auf die Ghetto-Beitragszeit entfielen. Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des 13. Senates des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 3.5.2005 (B 13 RJ 34/04 R) zu Bestandsrenten, wonach eine Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Personengruppen zu einer verfassungsrechtlich zu vermeidenden Ungleichbehandlung führe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 und des Bescheides vom 20.10.2014 zu verurteilen, die aufgrund der mit den Bescheiden vom 24.10.2012 und 20.10.2014 zusätzlich angerechneten rentenrechtlichen Zeiten ermittelten Entgeltpunkten in Höhe von 6,3828 bei der Rentenberechnung mit dem Zugangsfaktor 1,5500 rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass bereits durch den bindenden Bescheid vom 30.1.2007 die zuvor anerkannten Zeiten einer Ghetto-Beschäftigung in Zeiten nach dem ZRBG umgewandelt worden seien. Bei der Neuberechnung durch den Bescheid vom 24.10.2012 seien keine zusätzlichen EP, die im Zusammenhang mit der Anerkennung von ZRBG-Zeiten gestanden hätten, anerkannt worden. Daher sei auf diese EP der erhöhte ZF nicht anzuwenden.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil v. 13.10.2015). Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das der Klägerin am 8.1.2016 zugestellte Urteil hat diese am 27.1.2016 Berufung eingelegt. Erstmals mit dem Bescheid vom 24.10.2012 habe die Beklagte die Beitragszeiten in Sosnowiec als Ghetto-Beitragszeiten (§ 2 ZRBG) anerkannt. Folglich beruhten die zusätzlich wegen der Anrechnung von Verfolgungsersatzzeiten in der Rente enthaltenen EP allein auf Ghetto-Beitragszeiten und seien mit einem höheren ZF zu vervielfältigen. Noch im Widerspruchsbescheid vom 21.8.2007 habe die Beklagte dagegen die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 8.9.2005 (B 13 RJ 20/02 R) abgelehnt, weil sie, die Klägerin, insoweit keinen verfolgungsbedingten Schaden in der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten habe. Eine Ungleichbehandlung verschiedener Verfolgtengruppen bei gleichem Verfolgungsschicksal sei zudem vor dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu rechtfertigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.2015 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des Bescheides vom 20.10.2014 zu verurteilen, der Klägerin höhere Altersrente ab dem 1.7.1997 unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,5500 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 Entgeltpunkte zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die Altersrente der Klägerin sei nach Inkrafttreten des ZRBG mehrfach neu berechnet worden. Die mit Bescheid vom 24.10.2012 hinzugetretenen EP beruhten ausschließlich auf der Anerkennung von Ersatzzeiten. Sie seien daher nicht mit einem gemäß § 3 Abs. 2 ZRBG zu ermittelnden höheren ZF zu multiplizieren. Die Anwendung dieser Norm setze nämlich voraus, dass durch die (erstmalige) Anerkennung von mindestens einem Monat Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG Entgeltpunkte zusätzlich erzielt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Akten und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie ist zulässig und insbesondere gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, Abs. 3, 64 Abs. 1, 3, 63 SGG). Die vollständig abgefasste erstinstanzliche Entscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8.1.2016 zugestellt worden. Ihre Berufungsschrift ist bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 27.1.2016 eingegangen.
Die Berufung der Klägerin ist auch in der Sache erfolgreich. Die gegen den Bescheid vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des nach § 96 SGG Gegenstand gewordenen Bescheides vom 20.10.2014 zulässig erhobene Anfechtungs-, Leistungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 i.V.m. § 56 SGG; BSG, Urteil v. 19.4.2011, B 13 R 8/11 R, juris) ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf teilweise Rücknahme der überprüften Bescheide durch die Beklagte gemäß § 44 Abs. 1 SGB X und Gewährung einer höheren Altersrente ab dem 1.7.1997 unter Berücksichtigung eines erhöhten ZF von 1,55 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 EP nach § 44 SGB X i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 3 ZRBG.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, u.a. dann mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist. Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat die aufgrund des Bescheides vom 24.10.2012 hinzugetretenen 6,3828 EP zu Unrecht lediglich mit dem ZF 1,0 berücksichtigt.
Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI ist der ZF für EP, die noch nicht Grundlage von pEP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0. Ergänzend hierzu bestimmt § 3 Abs. 2 ZRBG, dass für die Ermittlung des ZF die Wartezeit als mit Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt und die Rente wegen Alters bis zum Rentenbeginn als nicht in Anspruch genommen gilt. Der Anwendungsbereich des ZRBG ist im Falle der Klägerin eröffnet (1.). Das gilt auch eingedenk des Umstandes, dass die Klägerin sog. "Bestandsrentnerin" ist, d.h. bei Inkrafttreten des ZRBG bereits eine Rente bezog, in der die nunmehr als Ghettobeitragszeiten anerkannten Beschäftigungszeiten bereits berücksichtigt waren (2.). Der aufgrund der Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG erhöhte ZF erfasst alle der Rente zugrundeliegenden EP (3.). Die Bestandskraft des Bescheides vom 30.1.2007 steht der Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG im vorliegenden Fall nicht entgegen (4.). Das führt dazu, dass auf die gegenüber diesem Bescheid hinzu getretenen 6,3828 EP der ZF von 1,5550 anzuwenden ist (5.), und zwar ab dem 1.7.1997 (6.).
1. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 ZRBG gilt für Versicherte, die Ghettobeitragszeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG zurückgelegt haben. Das ist bei der Klägerin, die in der Zeit von Februar 1941 bis März 1943 während ihres zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Sosnowiec eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat, der Fall und ist dementsprechend von der Beklagten anerkannt worden.
2. Der Anwendung von § 3 Abs. 2 ZRBG steht nicht entgegen, dass die Zeit von Februar 1941 bis März 1943 bereits von der LVA Rheinprovinz mit Bescheid vom 14.2.2000 und damit vor Verkündung des ZRBG als Beitragszeit anerkannt worden ist. Zwar mag der Gesetzgeber des ZRBG maßgeblich diejenigen Versicherten im Blick gehabt haben, die aufgrund des bestehenden Auslandsrentenrechts zuvor von der Zahlbarmachung ihrer Rentenansprüche ausgeschlossen waren (vgl. BT-Drucks. 14/8583, S. 5). Indessen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass "Bestandsrentner" von den durch das ZRBG begründeten Ansprüchen und Vorteilen ausgenommen werden sollten. Eine derartige Benachteiligung gegenüber den "Neurentnern" wäre auch mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar (vgl. BSG, Urteil v. 3.5.2005, B 13 RJ 3404 R, BSGE 94, 294 ff. zur eingeschränkten Anwendbarkeit des § 306 SGB VI bei Bestandsrenten). Bestätigt wird diese Sichtweise nicht zuletzt durch das Erste ZRBG-Änderungsgesetz, das mit Einfügung von § 3 Abs. 4 und 5 ZRBG den Gedanken einer möglichst umfassenden materiellen Gleichstellung aller Verfolgten mit Ghettobeitragszeiten nachdrücklich unterstrichen hat. Dementsprechend erläutern die Arbeitsanweisungen der Deutschen Rentenversicherung, dass für Personen, deren Rente bereits vor dem 1.7.1997 begann und bei denen zusätzlich erstmalig Zeiten nach dem ZRBG berücksichtigt werden können, der erhöhte ZF für die zusätzlichen EP ermittelt wird, die sich aufgrund der Neufestsetzung der Rente nach dem ZRBG ab 1.7.1997 ergeben (Arbeitsanweisung zu § 3 ZRBG R.5, Stand Juli 2015 bzw. R.8, Stand März 2013).
3. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 ZRBG und der aufgrund ihrer Anwendung erhöhte ZF erfasst alle der Rente zugrunde liegenden EP, nicht nur die EP für ZRBG-Beitragszeiten (ebenso KomGRV, Stand September 2014, § 3 ZRBG Anm. 3). Damit ist der erhöhte ZF auch auf die EP für die mit Bescheid vom 24.10.2012 zusätzlich anerkannten Ersatzzeiten anzuwenden. Auch dies folgt wiederum unmittelbar daraus, dass § 3 Abs. 2 ZRBG nicht zwischen Ghettobeitrags- und sonstigen Rentenzeiten differenziert sowie aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG: Bei einem "Neurentner" fände der erhöhte ZF ebenfalls auf alle EP für Ghettobeitragszeiten und zusätzlich anerkannte Ersatzzeiten Anwendung. Dass bei der Klägerin der erhöhte ZF auf die EP für Ghettobeitragszeiten nicht anzuwenden ist, liegt nicht an § 3 Abs. 2 ZRBG, sondern beruht darauf, dass diese EP bereits zuvor Grundlage von pEP einer Rente waren (§ 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
4. Zu Unrecht hält die Beklagte dem die Bestandskraft (§ 77 SGG) des Bescheides vom 30.1.2007 entgegen. Insoweit kann offenbleiben, ob die Beklagte die erstmalig mit Bescheid vom 24.10.2012 zusätzlich anerkannten Ersatzzeiten bereits im Bescheid vom 30.1.2007 hätte rentensteigernd berücksichtigen müssen. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rechtsauffassung der Beklagten zutrifft, wonach § 3 Abs. 2 ZRBG nur bei der erstmaligen Anerkennung von mindestens einem Monat Ghettobeitragszeit zum Tragen kommt. Schließlich kann unentschieden bleiben, ob die Beklagte die Rente der Klägerin bereits im Bescheid vom 30.1.2007 unter Anwendung der Vorschriften des ZRBG hätte neu feststellen müssen. Denn ausgehend vom insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) der Klägerin ist diese Neufeststellung auf der Grundlage des ZRBG erstmals mit Bescheid vom 24.10.2012 erfolgt. Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut des Bescheides, demzufolge (erstmals) die vom 1.2.1941 bis 31.5.1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto als Ghettobeitragszeiten anerkannt wurden. Der Bescheid vom 30.1.2007 enthält eine solche Regelung ebenso wenig wie eine Anerkennung der Ersatzzeiten vom 1.7.1945 bis zum 31.12.1949. Hieran muss die Beklagte sich festhalten lassen, zumal sie sich selbst nachdrücklich auf die Bestandskraft dieses Bescheides beruft.
5. Daraus folgt, dass die weiteren auf den zusätzlichen Ersatzzeiten beruhenden 6,3828 EP nicht - wie die Beklagte dies mit Bescheid vom 24.10.2012 mithin zu Unrecht getan hat - mit dem ZF 1,0, sondern mit dem ZF 1,5500 zu berücksichtigen waren. Bei Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG sind diejenigen EP mit dem erhöhten ZF zu berücksichtigen, die nicht bereits Gegenstand einer am 30.6.1997 gezahlten Rente waren, sondern die sich nach Hinzutreten der Ghettobeitrags- und Ersatzzeiten und Neufeststellung ergeben (ebenso: KomGRV, a.a.O., Anm. 3). Die mit dem erhöhten ZF zu berücksichtigen EP ergeben sich damit aus einer Differenz der ab 1.7.1997 und der bis 30.6.1997 anerkannten EP. Letztere hat die Beklagte bestandskräftig mit Bescheid vom 30.1.2007 auf 31,3127 pEP festgestellt. Aufgrund der Neufeststellung der Rente nach dem ZRBG ergaben sich 37,6955 pEP. Die Differenz beträgt mithin die mit der Klage geltend gemachten 6,3828 pEP. Diese sind mit dem ZF 1,5500 zu berücksichtigen, da die Klägerin diese EP für 110 Monate nicht in Anspruch genommen hat (Zeitraum vom 1.5.1988 bis zum 30.6.1997; 110 Monate x 0,005 = 0,55).
6. Der Anspruch auf Gewährung und Auszahlung der Rente ab dem 1.7.1997 folgt aus § 3 Abs. 3 ZRBG.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eine höhere Altersrente unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,55 für zusätzlich ermittelte 6,3828 Entgeltpunkte (EP).
Die Klägerin wurde am 23.12.1923 in Sosnowiec in Polen als polnische Staatsbürgerin geboren. In der Zeit vom 15.11.1939 bis Mai 1945 war sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen ihrer Freiheit beraubt bzw. in ihrer Freiheit beeinträchtigt. Von Februar 1941 bis Mai 1943 legte sie im Ghetto Sosnowiec, das sich seinerzeit in Oberschlesien und damit einem dem Deutschen Reich eingegliederten Gebiet befand, eine Beitragszeit zurück, die später von der Beklagten als Ghettobeitragszeit im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) anerkannt wurde. Seit dem 28.7.1948 lebt sie in Israel und ist israelische Staatsangehörige. Sie ist Verfolgte i.S.d. § 1 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz [BEG]).
Die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte ihr mit Bescheid vom 26.2.1991 ab dem 1.4.1990 aufgrund eines am 30.9.1984 eingetretenen Leistungsfalles vorgezogenes Altersruhegeld gemäß § 25 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) alter Fassung (a.F.) unter Berücksichtigung der Zeit vom 1.1.1956 bis zum 31.12.1979 aufgrund nachgezahlter freiwilliger Beiträge gemäß Art. 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherung (DV-DISVA) vom 20.11.1978 und einesdurch Einzahlung im Jahr 1990 erworbenen Beitrags der Höherversicherung mit einem Wert von 840,00 DM.
Mit Bescheid vom 14.2.2000 berechnete die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz das Altersruhegeld der Klägerin mit Wirkung vom 1.4.1990 neu unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Februar 1941 bis Mai 1943 sowie von Ersatzzeiten vom 15.11.1939 bis Januar 1941 und von Juni 1943 bis zum 31.5.1945. Dabei wandte sie die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) an und nahm anschließend eine Umwertung nach § 307 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vor, aus der sich 31,0256 persönliche EP (pEP) ergaben.
Mit Bescheid vom 30.1.2007 berücksichtigte die Beklagte zusätzlich die Zeit vom 1.6. bis 30.6.1945 als Ersatzzeit. Es ergaben sich 31,3127 pEP. Den auf die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten über den 30.6.1945 hinaus gerichteten Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid v. 21.8.2007). Die hiergegen erhobene Klage (Sozialgericht [SG] Düsseldorf, S 15 R 297/07) nahm die Klägerin zurück.
Auf Antrag der Klägerin, ihr Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren, stellte die Beklagte die Rente der Klägerin unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 1.7.1945 bis zum 31.12.1949 neu fest (Bescheid v. 24.10.2012). Es ergaben sich 37,6955 pEP, auf welche die Beklagte den Zugangsfaktor (ZF) 1,0 anwandte. In dem Bescheid heißt es auf Seite 1 unter anderem wörtlich wie folgt:
"[ ] Ihr bisheriges Altersruhegeld wird neu festgestellt. Die erhöhte Rente beginnt am 1.1.2005. [ ].
Gründe für die Neufeststellung Die Gewährung der Rente erfolgt aufgrund des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in dem Ghetto (ZRBG). Die Rente beginnt nach § 44 Abs. 4 SGB X am 1.1.2005 [ ]"
Auf Seite 2 des Bescheides wird unter anderem ausgeführt:
"Die vom 1.2.1941 bis 31.5.1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto wurden nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in einem Ghetto (ZRBG) als "Ghetto-Beitragszeiten" anerkannt. Für diese Zeiten gelten Beiträge als gezahlt."
Gegen den Bescheid vom 24.10.2012 erhob die Klägerin am 1.11.2012 Widerspruch. Die Neufeststellung müsse auf den 1.7.1997 zurückwirken. Auf die gegenüber dem Bescheid vom 30.1.2007 aufgrund des ZRBG hinzugetretenen 6,3828 EP sei ein erhöhter ZF anzuwenden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid v. 20.6.2013).
Dagegen hat die Klägerin am 23.7.2013 bei dem SG Düsseldorf Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat.
Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte die Rückwirkung ihrer Neufeststellung auf den 1.7.1997 gemäß § 3 ZRBG anerkannt (Bescheid v. 20.10.2014).
Die Klägerin hat zur Begründung der Klage vorgetragen, auf die zusätzlich anerkannten 6,3828 EP sei der sich aus dem Zeitraum von Vollendung des 65. Lebensjahres (möglicher Rentenbeginn am 1.5.1988) bis zum tatsächlichen Rentenbeginn am 1.7.1997 ergebende erhöhte ZF von 1,55 anzuwenden. Das gelte auch angesichts des Umstandes, dass diese EP nur auf der zusätzlichen Anerkennung von Ersatzzeiten beruhten. Auch nach den Arbeitsanweisungen der Deutschen Rentenversicherung zu § 3 ZRBG (Ziff. R 8.2.) komme es nicht darauf an, wie viele EP tatsächlich auf die Ghetto-Beitragszeit entfielen. Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des 13. Senates des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 3.5.2005 (B 13 RJ 34/04 R) zu Bestandsrenten, wonach eine Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Personengruppen zu einer verfassungsrechtlich zu vermeidenden Ungleichbehandlung führe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 und des Bescheides vom 20.10.2014 zu verurteilen, die aufgrund der mit den Bescheiden vom 24.10.2012 und 20.10.2014 zusätzlich angerechneten rentenrechtlichen Zeiten ermittelten Entgeltpunkten in Höhe von 6,3828 bei der Rentenberechnung mit dem Zugangsfaktor 1,5500 rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass bereits durch den bindenden Bescheid vom 30.1.2007 die zuvor anerkannten Zeiten einer Ghetto-Beschäftigung in Zeiten nach dem ZRBG umgewandelt worden seien. Bei der Neuberechnung durch den Bescheid vom 24.10.2012 seien keine zusätzlichen EP, die im Zusammenhang mit der Anerkennung von ZRBG-Zeiten gestanden hätten, anerkannt worden. Daher sei auf diese EP der erhöhte ZF nicht anzuwenden.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil v. 13.10.2015). Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das der Klägerin am 8.1.2016 zugestellte Urteil hat diese am 27.1.2016 Berufung eingelegt. Erstmals mit dem Bescheid vom 24.10.2012 habe die Beklagte die Beitragszeiten in Sosnowiec als Ghetto-Beitragszeiten (§ 2 ZRBG) anerkannt. Folglich beruhten die zusätzlich wegen der Anrechnung von Verfolgungsersatzzeiten in der Rente enthaltenen EP allein auf Ghetto-Beitragszeiten und seien mit einem höheren ZF zu vervielfältigen. Noch im Widerspruchsbescheid vom 21.8.2007 habe die Beklagte dagegen die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 8.9.2005 (B 13 RJ 20/02 R) abgelehnt, weil sie, die Klägerin, insoweit keinen verfolgungsbedingten Schaden in der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten habe. Eine Ungleichbehandlung verschiedener Verfolgtengruppen bei gleichem Verfolgungsschicksal sei zudem vor dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu rechtfertigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.2015 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des Bescheides vom 20.10.2014 zu verurteilen, der Klägerin höhere Altersrente ab dem 1.7.1997 unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,5500 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 Entgeltpunkte zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die Altersrente der Klägerin sei nach Inkrafttreten des ZRBG mehrfach neu berechnet worden. Die mit Bescheid vom 24.10.2012 hinzugetretenen EP beruhten ausschließlich auf der Anerkennung von Ersatzzeiten. Sie seien daher nicht mit einem gemäß § 3 Abs. 2 ZRBG zu ermittelnden höheren ZF zu multiplizieren. Die Anwendung dieser Norm setze nämlich voraus, dass durch die (erstmalige) Anerkennung von mindestens einem Monat Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG Entgeltpunkte zusätzlich erzielt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Akten und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie ist zulässig und insbesondere gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, Abs. 3, 64 Abs. 1, 3, 63 SGG). Die vollständig abgefasste erstinstanzliche Entscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8.1.2016 zugestellt worden. Ihre Berufungsschrift ist bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 27.1.2016 eingegangen.
Die Berufung der Klägerin ist auch in der Sache erfolgreich. Die gegen den Bescheid vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des nach § 96 SGG Gegenstand gewordenen Bescheides vom 20.10.2014 zulässig erhobene Anfechtungs-, Leistungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 i.V.m. § 56 SGG; BSG, Urteil v. 19.4.2011, B 13 R 8/11 R, juris) ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf teilweise Rücknahme der überprüften Bescheide durch die Beklagte gemäß § 44 Abs. 1 SGB X und Gewährung einer höheren Altersrente ab dem 1.7.1997 unter Berücksichtigung eines erhöhten ZF von 1,55 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 EP nach § 44 SGB X i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 3 ZRBG.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, u.a. dann mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist. Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat die aufgrund des Bescheides vom 24.10.2012 hinzugetretenen 6,3828 EP zu Unrecht lediglich mit dem ZF 1,0 berücksichtigt.
Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI ist der ZF für EP, die noch nicht Grundlage von pEP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0. Ergänzend hierzu bestimmt § 3 Abs. 2 ZRBG, dass für die Ermittlung des ZF die Wartezeit als mit Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt und die Rente wegen Alters bis zum Rentenbeginn als nicht in Anspruch genommen gilt. Der Anwendungsbereich des ZRBG ist im Falle der Klägerin eröffnet (1.). Das gilt auch eingedenk des Umstandes, dass die Klägerin sog. "Bestandsrentnerin" ist, d.h. bei Inkrafttreten des ZRBG bereits eine Rente bezog, in der die nunmehr als Ghettobeitragszeiten anerkannten Beschäftigungszeiten bereits berücksichtigt waren (2.). Der aufgrund der Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG erhöhte ZF erfasst alle der Rente zugrundeliegenden EP (3.). Die Bestandskraft des Bescheides vom 30.1.2007 steht der Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG im vorliegenden Fall nicht entgegen (4.). Das führt dazu, dass auf die gegenüber diesem Bescheid hinzu getretenen 6,3828 EP der ZF von 1,5550 anzuwenden ist (5.), und zwar ab dem 1.7.1997 (6.).
1. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 ZRBG gilt für Versicherte, die Ghettobeitragszeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG zurückgelegt haben. Das ist bei der Klägerin, die in der Zeit von Februar 1941 bis März 1943 während ihres zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Sosnowiec eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat, der Fall und ist dementsprechend von der Beklagten anerkannt worden.
2. Der Anwendung von § 3 Abs. 2 ZRBG steht nicht entgegen, dass die Zeit von Februar 1941 bis März 1943 bereits von der LVA Rheinprovinz mit Bescheid vom 14.2.2000 und damit vor Verkündung des ZRBG als Beitragszeit anerkannt worden ist. Zwar mag der Gesetzgeber des ZRBG maßgeblich diejenigen Versicherten im Blick gehabt haben, die aufgrund des bestehenden Auslandsrentenrechts zuvor von der Zahlbarmachung ihrer Rentenansprüche ausgeschlossen waren (vgl. BT-Drucks. 14/8583, S. 5). Indessen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass "Bestandsrentner" von den durch das ZRBG begründeten Ansprüchen und Vorteilen ausgenommen werden sollten. Eine derartige Benachteiligung gegenüber den "Neurentnern" wäre auch mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar (vgl. BSG, Urteil v. 3.5.2005, B 13 RJ 3404 R, BSGE 94, 294 ff. zur eingeschränkten Anwendbarkeit des § 306 SGB VI bei Bestandsrenten). Bestätigt wird diese Sichtweise nicht zuletzt durch das Erste ZRBG-Änderungsgesetz, das mit Einfügung von § 3 Abs. 4 und 5 ZRBG den Gedanken einer möglichst umfassenden materiellen Gleichstellung aller Verfolgten mit Ghettobeitragszeiten nachdrücklich unterstrichen hat. Dementsprechend erläutern die Arbeitsanweisungen der Deutschen Rentenversicherung, dass für Personen, deren Rente bereits vor dem 1.7.1997 begann und bei denen zusätzlich erstmalig Zeiten nach dem ZRBG berücksichtigt werden können, der erhöhte ZF für die zusätzlichen EP ermittelt wird, die sich aufgrund der Neufestsetzung der Rente nach dem ZRBG ab 1.7.1997 ergeben (Arbeitsanweisung zu § 3 ZRBG R.5, Stand Juli 2015 bzw. R.8, Stand März 2013).
3. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 ZRBG und der aufgrund ihrer Anwendung erhöhte ZF erfasst alle der Rente zugrunde liegenden EP, nicht nur die EP für ZRBG-Beitragszeiten (ebenso KomGRV, Stand September 2014, § 3 ZRBG Anm. 3). Damit ist der erhöhte ZF auch auf die EP für die mit Bescheid vom 24.10.2012 zusätzlich anerkannten Ersatzzeiten anzuwenden. Auch dies folgt wiederum unmittelbar daraus, dass § 3 Abs. 2 ZRBG nicht zwischen Ghettobeitrags- und sonstigen Rentenzeiten differenziert sowie aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG: Bei einem "Neurentner" fände der erhöhte ZF ebenfalls auf alle EP für Ghettobeitragszeiten und zusätzlich anerkannte Ersatzzeiten Anwendung. Dass bei der Klägerin der erhöhte ZF auf die EP für Ghettobeitragszeiten nicht anzuwenden ist, liegt nicht an § 3 Abs. 2 ZRBG, sondern beruht darauf, dass diese EP bereits zuvor Grundlage von pEP einer Rente waren (§ 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
4. Zu Unrecht hält die Beklagte dem die Bestandskraft (§ 77 SGG) des Bescheides vom 30.1.2007 entgegen. Insoweit kann offenbleiben, ob die Beklagte die erstmalig mit Bescheid vom 24.10.2012 zusätzlich anerkannten Ersatzzeiten bereits im Bescheid vom 30.1.2007 hätte rentensteigernd berücksichtigen müssen. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rechtsauffassung der Beklagten zutrifft, wonach § 3 Abs. 2 ZRBG nur bei der erstmaligen Anerkennung von mindestens einem Monat Ghettobeitragszeit zum Tragen kommt. Schließlich kann unentschieden bleiben, ob die Beklagte die Rente der Klägerin bereits im Bescheid vom 30.1.2007 unter Anwendung der Vorschriften des ZRBG hätte neu feststellen müssen. Denn ausgehend vom insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) der Klägerin ist diese Neufeststellung auf der Grundlage des ZRBG erstmals mit Bescheid vom 24.10.2012 erfolgt. Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut des Bescheides, demzufolge (erstmals) die vom 1.2.1941 bis 31.5.1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto als Ghettobeitragszeiten anerkannt wurden. Der Bescheid vom 30.1.2007 enthält eine solche Regelung ebenso wenig wie eine Anerkennung der Ersatzzeiten vom 1.7.1945 bis zum 31.12.1949. Hieran muss die Beklagte sich festhalten lassen, zumal sie sich selbst nachdrücklich auf die Bestandskraft dieses Bescheides beruft.
5. Daraus folgt, dass die weiteren auf den zusätzlichen Ersatzzeiten beruhenden 6,3828 EP nicht - wie die Beklagte dies mit Bescheid vom 24.10.2012 mithin zu Unrecht getan hat - mit dem ZF 1,0, sondern mit dem ZF 1,5500 zu berücksichtigen waren. Bei Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG sind diejenigen EP mit dem erhöhten ZF zu berücksichtigen, die nicht bereits Gegenstand einer am 30.6.1997 gezahlten Rente waren, sondern die sich nach Hinzutreten der Ghettobeitrags- und Ersatzzeiten und Neufeststellung ergeben (ebenso: KomGRV, a.a.O., Anm. 3). Die mit dem erhöhten ZF zu berücksichtigen EP ergeben sich damit aus einer Differenz der ab 1.7.1997 und der bis 30.6.1997 anerkannten EP. Letztere hat die Beklagte bestandskräftig mit Bescheid vom 30.1.2007 auf 31,3127 pEP festgestellt. Aufgrund der Neufeststellung der Rente nach dem ZRBG ergaben sich 37,6955 pEP. Die Differenz beträgt mithin die mit der Klage geltend gemachten 6,3828 pEP. Diese sind mit dem ZF 1,5500 zu berücksichtigen, da die Klägerin diese EP für 110 Monate nicht in Anspruch genommen hat (Zeitraum vom 1.5.1988 bis zum 30.6.1997; 110 Monate x 0,005 = 0,55).
6. Der Anspruch auf Gewährung und Auszahlung der Rente ab dem 1.7.1997 folgt aus § 3 Abs. 3 ZRBG.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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