Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 800/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 R 908/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 15.07.2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Versicherten für das Berufungsverfahren dem Grunde nach. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Versicherte ist der Sohn und Rechtsnachfolger des am 00.00.2017 verstorbenen Q (im Folgenden: Versicherter). Er wendet sich gegen die Rücknahme eines Rentenbescheides und die damit verbundene Erstattung.
Am 00.00.1993 verstarb die Ehefrau des Versicherten. Mit Antrag auf Hinterbliebenenrente vom 02.11.1993 beantragte der Versicherte Witwerrente. Der Versicherte bezog zu dieser sowie in der nachfolgenden Zeit, eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ein Ruhegehalt aus einem Beamtenverhältnis.
Der Versicherte kreuzte in seinem Rentenantrag unter Punkt 5.8 bei der Frage nach einem Anspruch auf "Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften" "Ja" an und gab seine Versorgungskasse und das entsprechende Aktenzeichen an. Unter Punkt 5.3 kreuzte er "Nein" an, was in dem Formularvordruck mit der Aufforderung verbunden ist, den Vordruck 4.0126 beizufügen. Bei der Frage nach dem Zahlungsweg gab der Versicherte an, dass er Beamter sei. Mit Datum vom gleichen Tag reichte der Versicherte eine Meldung zur Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten ein, in welcher er angab, dass er Versorgungsbezüge als Beamter von der Rheinischen Versorgungskasse L erhalte, ferner gab er auch dort das Aktenzeichen an. Bei dem Ausfüllen des Antrags war der Versicherte durch den Gemeindedirektor unterstützt worden.
Der im Februar 1923 geborene Versicherte war zuletzt als Gemeinderat tätig. Mit Bescheid vom 10.01.1994 bewilligte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Versicherte große Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau in Höhe von monatlich 318,84 DM. Das Ruhegehalt des Versicherten ist in dem Bescheid nicht berücksichtigt und gelangte nicht zur Anrechnung. Der Bescheid enthielt auf Seite 3 unter der Rubrik "Mitteilungspflichten" folgenden Hinweis:
"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluß auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind
- Arbeitsentgelt
- Einkommen aus selbständiger Tätigkeit
- Vergleichbares Einkommen
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.
Erwerbsersatzeinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen:
- Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Mutterschaftsgeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Arbeitslosengeld, Konkursausfallgeld und vergleichbare Leistungen
- Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
- Altersgeld und vorzeitiges Altersgeld der Altershilfe für Landwirte
- Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
- Leistungen nach § 10 Abs. 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes
- Ruhegehalt sowie Unfallruhegehalt und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis
- Rente von öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen
- Berufsschadensausgleich
- Vorstehende Leistungen, wenn sie von einem Träger im Ausland erbracht werden.
( ...)"
In der Anlage 8 des Bescheides mit der Überschrift "Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens" findet sich die Berechnung, ob sich das monatliche Einkommen aus Erwerbsersatzeinkommen - der Versichertenrente aus der vom Versicherte zusätzlich bezogenen gesetzlichen Versicherung - auf die Rentenzahlung auswirkt. Dieses Einkommen überstieg den Freibetrag nicht, so dass eine Anrechnung nicht erfolgte.
Nachdem die Beklagte im Rahmen einer Vergleichsmitteilung der Rheinischen Versorgungskassen am 23.12.2014 auf die Versorgungsbezüge des Versicherten hingewiesen wurde, forderte sie bei der Rheinischen Versorgungskasse eine Aufstellung der Bruttobezüge des Versicherten an. Noch bevor der Versicherte angehört wurde, vermerkte die Beklagte am 07.01.2015 in den Akten unter Hinweis auf den zuvor wiedergegebenen Bescheidtext: "Der Kläger [also der Versicherte] ist bösgläubig". Unter dem 22.01.2015 teilte sie dem Versicherten mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 10.01.1994 mit Wirkung ab dem 01.06.1993 zurückzunehmen, die laufende Rentenzahlung einzustellen und für die Zeit von September 1993 bis Januar 2015 eine Überzahlung in Höhe von 49.048,85 EUR zurückzufordern. Zur Begründung führte sie aus, der Versicherte habe erkennen müssen, dass das Ruhegehalt nicht auf die Witwerrente angerechnet worden war. Unter Anrechnung seines Einkommens ergebe sich kein Rentenanspruch.
Mit Bescheid vom 08.06.2015 hob die Beklagte den Bescheid vom 10.01.1994 auf und forderte vom Versicherten für die Zeit von Juni 1993 bis Juli 2015 Rentenleistungen i.H.v. 31039,35 EUR zurück. Der Versicherte habe in grob fahrlässiger Weise nicht erkannt, dass sein Ruhegehalt keine Berücksichtigung gefunden habe. Im Rahmen des Ermessens habe die Beklagte ein eigenes Mitverschulden zu berücksichtigen und habe deshalb die Rückforderung von 49048,85 EUR auf den Betrag von 31039,35 EUR reduziert.
Dagegen legte der Versicherte am 07.02.2015 Widerspruch ein und führte aus, der Vorwurf grober Fahrlässigkeit sei unzutreffend. Die Fehlerhaftigkeit des seinerzeitigen Rentenbescheides falle allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2015 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.
Dagegen hat der Versicherte am 14.10.2015 Klage erhoben. Mit Urteil vom 15.07.2016 hat das Sozialgericht Aachen den Bescheid vom 08.06.2015 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 15.09.2015 aufgehoben. Es fehle für eine Rücknahme an den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Der Bescheid vom 10.01.1994 beruhe nicht auf Angaben, welche der Versicherte vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht habe. In dem Rentenantrag und dem Antrag für die Krankenversicherung der Rentner sei auf das Ruhegehalt hingewiesen worden. Es sei nicht zum Nachteil des Versicherten auszulegen, dass er das von ihm bezogene Ruhegehalt im Antrag unzutreffenderweise unter den Begriff "Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften" subsumiert habe. Entscheidend sei, dass er auf das von ihm bezogene Erwerbsersatzeinkommen unter Angabe des Aktenzeichens der Versorgungskasse hingewiesen habe. Auch habe der Versicherte nicht grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10.01.1994 verkannt. In den Mitteilungspflichten in dem Bescheid von 1994 werde lediglich darauf hingewiesen, dass Einkommen bzw. Ersatzerwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben "könne".
Gegen das ihr am 14.09.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.10.2016 bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass der Versicherte als Gemeindeamtsrat in rechtlichen Begriffen nicht ganz unbeschlagen sei. Zudem habe er falsche Angaben gemacht, indem er das Ruhegehalt als Hinterbliebenenversorgung angegeben habe. Die Beklagte selbst habe den ursprünglichen Antrag allerdings inzwischen vernichtet. Die Angaben beruhten daher auf der Einsichtnahme in ein Exemplar, welches der Versicherte im Rahmen des Verhandlungstermins vor dem Sozialgericht vorgelegt habe. In Ziffer 7.5 der Anlage 4.0126 zu dem Rentenantrag hätte der Versicherte das Ruhegehalt richtigerweise angeben müssen. Wörtlich führt die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung aus: "Es ist anzunehmen, dass der Kläger [also der Versicherte] seinerzeit dort ebenfalls eine unrichtige Angaben gemacht hat." Die Beklagte räumt ein: Sie bestreite nicht, dass sie aufgrund der vom Versicherten gemachten Angaben in der Ziffer 5.8 des Antrags sowie in dem Vordruck, welcher der Meldung zur Krankenversicherung der Rentner diente, weitere Sachverhaltsermittlung hätte anstellen müssen, in deren Verlauf die Unrichtigkeit der Angaben durch den Versicherten vermutlich offenkundig geworden wäre. Dieses Fehlverhalten ändere allerdings an dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nichts und sei im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt worden. Ferner hätte der Versicherte die Fehlerhaftigkeit des Bescheides erkennen müssen. Alle Informationen, die dem Versicherten im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung und dem Rentenbescheid gegeben worden seien, hätten zum Ausdruck gebracht, dass Ruhegehalt ein auf die Witwerrente anrechenbares Einkommen darstelle. Ein Fehlen in dem Bescheid hätte der Versicherte daher erkennen müssen. Zudem sei aus der Anlage 8 des Rentenbescheides ersichtlich gewesen, dass auch solche Einkommen Erwähnung fänden, welche sich im Ergebnis nicht auf die Höhe der Witwerrentenzahlung auswirken würden. Die Nichterwähnung der Pension hätte dem Versicherten daher auffallen müssen.
Der Versicherte ist am 00.00.2017 verstorben. Der Versicherte hatte seinem Sohn, dem jetzigen Kläger, am 01.05.2014 eine Vorsorgevollmacht erteilt, welche auch für die Vertretung vor Gericht und über den Tod hinaus gilt.
Das Landessozialgericht hat am 01.06.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Versicherte hat in dem Berufungsverfahren eine Kopie des Rentenantrags vom 02.11.1993 zu den Akten gereicht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten in dem Erörterungstermin am 01.06.2018 ihr Einverständnis dazu gegeben haben.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Rücknahme des Bescheides vom 10.01.1994 war nach § 45 Abs. 3 SGB X der Beklagten nicht mehr möglich.
Nach § 45 Abs. 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Zwar kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde; dies gilt allerdings nur unter den Voraussetzungen von § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X, dessen Voraussetzungen fehlen. Die Beweislast liegt insofern bei der Beklagten (dazu Schütze, in: von Wulffen/Schütze -Hrsg.-, SGB X, 2014, § 45 Rn. 38; LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.11.2011 - L 4 KR 39/08 -, juris Rn. 87).
Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Satz 3 Nr. 2 SGB X). Das Ruhegehalt war allein auf dem Vordruck 4.0126 anzugeben, welcher bei der Beklagten - und nach den Angaben des Klägers auch bei diesem - nicht mehr vorliegt. In dem Antrag auf Hinterbliebenenrente selbst war das Ruhegehalt nicht anzugeben, eine eigenständige Frage zu dem Ruhegehalt gibt es in dem Antrag nicht.
Eine Vermutung, wie sie die Beklagte anstellt, dass "anzunehmen [sei], dass der Kläger [also der Versicherte] seinerzeit dort ebenfalls eine unrichtige Angaben gemacht hat", verbietet sich; für eine solche Vermutung gibt es keine rechtliche Grundlage, zudem ist auch die Anknüpfung falsch. Die Beklagte behauptet das Vorliegen einer falschen Angabe, ohne dafür eine Tatsache benennen zu können. Der Versicherte hat - objektiv falsch - in dem Antrag unter der Rubrik "Hinterbliebenenversorgung" "ja" angekreuzt und die Rheinische Versorgungskasse angegeben. Wieso daraus (zwingend) folgen soll, er habe auf der nicht mehr vorliegenden Anlage 4.0126 zum Ruhegehalt eine falsche Angabe gemacht, erschließt sich nicht im Ansatz. Vielmehr hat der Versicherte der Beklagten hier - womöglich zusätzlich zu der richtigen Angabe in der Anlage, das Gegenteil lässt sich nicht mehr beweisen - einen entscheidenden Hinweis gegeben. Zudem lässt sich den Angaben des Versicherten in dem Antrag selbst ohne Zweifel entnehmen, dass der Versicherte Beamter war und bei Rentenantragstellung 70 Jahre. Schließlich hat der Versicherte in einem am gleichen Tag ausgefüllten Vordruck zur Meldung zur Krankenversicherung der Rentner bei der dort enthaltenen Frage nach den Versorgungsbezügen zutreffende Angaben gemacht.
Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass der Versicherte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Insoweit besteht zunächst im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind (zum Gesamten Schütze, in: von Wulffen/Schütze -Hrsg-, SGB X, 2014, § 45 Rn. 56 m.w.N.) wovon der Senat hier, in Ermangelung auch nur einer Tatsache, die dagegen spricht, ausgehen muss. Andererseits sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren. Dem entsprechend ist der Begünstigte rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen; dies gilt auch für umfangreiche Bescheide, worauf die Beklagte in diesem Punkt zutreffend hinweist. Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht.
Zur Überzeugung des Senats steht nicht fest, dass die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides derart offensichtlich war. Bezugspunkt des Kennenmüssens ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Von dem Versicherten müsste hier verlangt werden, dass er das Fehlen einer Information - der fehlerhaften Nichterwähnung des Ruhegehaltes - hätte erkennen müssen. Im Rahmen des Erkennensmüssens gibt es mehrere Stufen, welche je mit höheren Ansprüchen an den Adressaten verbunden sind. Am einfachsten zu erkennen sein dürften in der Regel falsche (ausdrückliche) Angaben in einem Bescheid. Auf der nächsten Stufe kommen Änderungen, ohne dass der Anlass zu erkennen wäre (so etwa BSG vom 21.05.1974 - 7 RKg 8/73 -, es lag ein Sachverhalt zugrunde, in welchem ohne weitere Geburt das Kindergeld erhöht und im Buchungstext ein weiteres Kind genannt war.) Anspruchsvoller ist bereits das Erkennen von Widersprüchen - innerhalb des Bescheides oder auch zu Auskünften, welche im Rahmen der Antragsbearbeitung gegeben wurden (siehe dazu etwa VGH Baden-Württemberg vom 04.03.1996 - 7 S 2275/95 -, dort heißt es aber auch -a.a.O., juris Rn. 32 -: "Allerdings kann [ ...] dem Versicherten nicht bereits vorgehalten werden, die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ergebe sich ohne weiteres aus dessen Inhalt, insbesondere aus dem im Bescheid aufgeführten Zahlenwerk. [ ...] Allerdings mußten sich dem Versicherten aufgrund der sonstigen Umstände Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheides aufdrängen").
Noch anspruchsvoller zu erkennen ist das (rechtswidrige) Fehlen von Informationen in einem Bescheid, welches hier vom Versicherten zu verlangen wäre. Dies setzt nämlich das positive Wissen voraus, dass die fehlende Information, hier das Ruhegehalt, an sich in dem Bescheid enthalten sein müsste. Dabei handelt es sich sicher nicht um Allgemeinwissen; zwar wird der Versicherte als Gemeindeamtsrat mit behördlichen Vorgängen vertraut und im Umgang mit rechtlichen Begriffen nicht ungeübt gewesen sein, rentenrechtliche Kenntnisse hatte er aber deshalb nicht, wie sich daran zeigt, dass er den Antrag nicht selbst, sondern mit Unterstützung durch den Gemeindedirektor ausgefüllt hat.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis in dem Bescheid, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben können. Daraus ergibt sich nicht, dass diese zwingend in dem Bescheid Erwähnung finden müssen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass der Versicherte der in dem Bescheid vorgenommenen Berechnung hinsichtlich der Rente des Versicherten aus seiner gesetzlichen Rentenversicherung entnehmen konnte, dass solche Renten auch dann Erwähnung in dem Bescheid finden, wenn es im rechnerischen Ergebnis nicht zu einer Anrechnung kommt. Dass dies ebenso auch für Ruhegehälter gilt, dem Versicherten allerdings nicht "ins Auge springen", zumal er - jedenfalls aus seiner Sicht und etwas anderes kann die Beklagte nicht beweisen - zutreffende Angaben gemacht hatte.
Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht daher den Bescheid vom 08.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2015 aufgehoben; die Berufung der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Versicherte ist der Sohn und Rechtsnachfolger des am 00.00.2017 verstorbenen Q (im Folgenden: Versicherter). Er wendet sich gegen die Rücknahme eines Rentenbescheides und die damit verbundene Erstattung.
Am 00.00.1993 verstarb die Ehefrau des Versicherten. Mit Antrag auf Hinterbliebenenrente vom 02.11.1993 beantragte der Versicherte Witwerrente. Der Versicherte bezog zu dieser sowie in der nachfolgenden Zeit, eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ein Ruhegehalt aus einem Beamtenverhältnis.
Der Versicherte kreuzte in seinem Rentenantrag unter Punkt 5.8 bei der Frage nach einem Anspruch auf "Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften" "Ja" an und gab seine Versorgungskasse und das entsprechende Aktenzeichen an. Unter Punkt 5.3 kreuzte er "Nein" an, was in dem Formularvordruck mit der Aufforderung verbunden ist, den Vordruck 4.0126 beizufügen. Bei der Frage nach dem Zahlungsweg gab der Versicherte an, dass er Beamter sei. Mit Datum vom gleichen Tag reichte der Versicherte eine Meldung zur Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten ein, in welcher er angab, dass er Versorgungsbezüge als Beamter von der Rheinischen Versorgungskasse L erhalte, ferner gab er auch dort das Aktenzeichen an. Bei dem Ausfüllen des Antrags war der Versicherte durch den Gemeindedirektor unterstützt worden.
Der im Februar 1923 geborene Versicherte war zuletzt als Gemeinderat tätig. Mit Bescheid vom 10.01.1994 bewilligte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Versicherte große Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau in Höhe von monatlich 318,84 DM. Das Ruhegehalt des Versicherten ist in dem Bescheid nicht berücksichtigt und gelangte nicht zur Anrechnung. Der Bescheid enthielt auf Seite 3 unter der Rubrik "Mitteilungspflichten" folgenden Hinweis:
"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluß auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind
- Arbeitsentgelt
- Einkommen aus selbständiger Tätigkeit
- Vergleichbares Einkommen
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.
Erwerbsersatzeinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen:
- Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Mutterschaftsgeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Arbeitslosengeld, Konkursausfallgeld und vergleichbare Leistungen
- Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
- Altersgeld und vorzeitiges Altersgeld der Altershilfe für Landwirte
- Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
- Leistungen nach § 10 Abs. 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes
- Ruhegehalt sowie Unfallruhegehalt und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis
- Rente von öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen
- Berufsschadensausgleich
- Vorstehende Leistungen, wenn sie von einem Träger im Ausland erbracht werden.
( ...)"
In der Anlage 8 des Bescheides mit der Überschrift "Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens" findet sich die Berechnung, ob sich das monatliche Einkommen aus Erwerbsersatzeinkommen - der Versichertenrente aus der vom Versicherte zusätzlich bezogenen gesetzlichen Versicherung - auf die Rentenzahlung auswirkt. Dieses Einkommen überstieg den Freibetrag nicht, so dass eine Anrechnung nicht erfolgte.
Nachdem die Beklagte im Rahmen einer Vergleichsmitteilung der Rheinischen Versorgungskassen am 23.12.2014 auf die Versorgungsbezüge des Versicherten hingewiesen wurde, forderte sie bei der Rheinischen Versorgungskasse eine Aufstellung der Bruttobezüge des Versicherten an. Noch bevor der Versicherte angehört wurde, vermerkte die Beklagte am 07.01.2015 in den Akten unter Hinweis auf den zuvor wiedergegebenen Bescheidtext: "Der Kläger [also der Versicherte] ist bösgläubig". Unter dem 22.01.2015 teilte sie dem Versicherten mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 10.01.1994 mit Wirkung ab dem 01.06.1993 zurückzunehmen, die laufende Rentenzahlung einzustellen und für die Zeit von September 1993 bis Januar 2015 eine Überzahlung in Höhe von 49.048,85 EUR zurückzufordern. Zur Begründung führte sie aus, der Versicherte habe erkennen müssen, dass das Ruhegehalt nicht auf die Witwerrente angerechnet worden war. Unter Anrechnung seines Einkommens ergebe sich kein Rentenanspruch.
Mit Bescheid vom 08.06.2015 hob die Beklagte den Bescheid vom 10.01.1994 auf und forderte vom Versicherten für die Zeit von Juni 1993 bis Juli 2015 Rentenleistungen i.H.v. 31039,35 EUR zurück. Der Versicherte habe in grob fahrlässiger Weise nicht erkannt, dass sein Ruhegehalt keine Berücksichtigung gefunden habe. Im Rahmen des Ermessens habe die Beklagte ein eigenes Mitverschulden zu berücksichtigen und habe deshalb die Rückforderung von 49048,85 EUR auf den Betrag von 31039,35 EUR reduziert.
Dagegen legte der Versicherte am 07.02.2015 Widerspruch ein und führte aus, der Vorwurf grober Fahrlässigkeit sei unzutreffend. Die Fehlerhaftigkeit des seinerzeitigen Rentenbescheides falle allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2015 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.
Dagegen hat der Versicherte am 14.10.2015 Klage erhoben. Mit Urteil vom 15.07.2016 hat das Sozialgericht Aachen den Bescheid vom 08.06.2015 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 15.09.2015 aufgehoben. Es fehle für eine Rücknahme an den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Der Bescheid vom 10.01.1994 beruhe nicht auf Angaben, welche der Versicherte vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht habe. In dem Rentenantrag und dem Antrag für die Krankenversicherung der Rentner sei auf das Ruhegehalt hingewiesen worden. Es sei nicht zum Nachteil des Versicherten auszulegen, dass er das von ihm bezogene Ruhegehalt im Antrag unzutreffenderweise unter den Begriff "Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften" subsumiert habe. Entscheidend sei, dass er auf das von ihm bezogene Erwerbsersatzeinkommen unter Angabe des Aktenzeichens der Versorgungskasse hingewiesen habe. Auch habe der Versicherte nicht grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10.01.1994 verkannt. In den Mitteilungspflichten in dem Bescheid von 1994 werde lediglich darauf hingewiesen, dass Einkommen bzw. Ersatzerwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben "könne".
Gegen das ihr am 14.09.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.10.2016 bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass der Versicherte als Gemeindeamtsrat in rechtlichen Begriffen nicht ganz unbeschlagen sei. Zudem habe er falsche Angaben gemacht, indem er das Ruhegehalt als Hinterbliebenenversorgung angegeben habe. Die Beklagte selbst habe den ursprünglichen Antrag allerdings inzwischen vernichtet. Die Angaben beruhten daher auf der Einsichtnahme in ein Exemplar, welches der Versicherte im Rahmen des Verhandlungstermins vor dem Sozialgericht vorgelegt habe. In Ziffer 7.5 der Anlage 4.0126 zu dem Rentenantrag hätte der Versicherte das Ruhegehalt richtigerweise angeben müssen. Wörtlich führt die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung aus: "Es ist anzunehmen, dass der Kläger [also der Versicherte] seinerzeit dort ebenfalls eine unrichtige Angaben gemacht hat." Die Beklagte räumt ein: Sie bestreite nicht, dass sie aufgrund der vom Versicherten gemachten Angaben in der Ziffer 5.8 des Antrags sowie in dem Vordruck, welcher der Meldung zur Krankenversicherung der Rentner diente, weitere Sachverhaltsermittlung hätte anstellen müssen, in deren Verlauf die Unrichtigkeit der Angaben durch den Versicherten vermutlich offenkundig geworden wäre. Dieses Fehlverhalten ändere allerdings an dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nichts und sei im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt worden. Ferner hätte der Versicherte die Fehlerhaftigkeit des Bescheides erkennen müssen. Alle Informationen, die dem Versicherten im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung und dem Rentenbescheid gegeben worden seien, hätten zum Ausdruck gebracht, dass Ruhegehalt ein auf die Witwerrente anrechenbares Einkommen darstelle. Ein Fehlen in dem Bescheid hätte der Versicherte daher erkennen müssen. Zudem sei aus der Anlage 8 des Rentenbescheides ersichtlich gewesen, dass auch solche Einkommen Erwähnung fänden, welche sich im Ergebnis nicht auf die Höhe der Witwerrentenzahlung auswirken würden. Die Nichterwähnung der Pension hätte dem Versicherten daher auffallen müssen.
Der Versicherte ist am 00.00.2017 verstorben. Der Versicherte hatte seinem Sohn, dem jetzigen Kläger, am 01.05.2014 eine Vorsorgevollmacht erteilt, welche auch für die Vertretung vor Gericht und über den Tod hinaus gilt.
Das Landessozialgericht hat am 01.06.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Versicherte hat in dem Berufungsverfahren eine Kopie des Rentenantrags vom 02.11.1993 zu den Akten gereicht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten in dem Erörterungstermin am 01.06.2018 ihr Einverständnis dazu gegeben haben.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Rücknahme des Bescheides vom 10.01.1994 war nach § 45 Abs. 3 SGB X der Beklagten nicht mehr möglich.
Nach § 45 Abs. 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Zwar kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde; dies gilt allerdings nur unter den Voraussetzungen von § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X, dessen Voraussetzungen fehlen. Die Beweislast liegt insofern bei der Beklagten (dazu Schütze, in: von Wulffen/Schütze -Hrsg.-, SGB X, 2014, § 45 Rn. 38; LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.11.2011 - L 4 KR 39/08 -, juris Rn. 87).
Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Satz 3 Nr. 2 SGB X). Das Ruhegehalt war allein auf dem Vordruck 4.0126 anzugeben, welcher bei der Beklagten - und nach den Angaben des Klägers auch bei diesem - nicht mehr vorliegt. In dem Antrag auf Hinterbliebenenrente selbst war das Ruhegehalt nicht anzugeben, eine eigenständige Frage zu dem Ruhegehalt gibt es in dem Antrag nicht.
Eine Vermutung, wie sie die Beklagte anstellt, dass "anzunehmen [sei], dass der Kläger [also der Versicherte] seinerzeit dort ebenfalls eine unrichtige Angaben gemacht hat", verbietet sich; für eine solche Vermutung gibt es keine rechtliche Grundlage, zudem ist auch die Anknüpfung falsch. Die Beklagte behauptet das Vorliegen einer falschen Angabe, ohne dafür eine Tatsache benennen zu können. Der Versicherte hat - objektiv falsch - in dem Antrag unter der Rubrik "Hinterbliebenenversorgung" "ja" angekreuzt und die Rheinische Versorgungskasse angegeben. Wieso daraus (zwingend) folgen soll, er habe auf der nicht mehr vorliegenden Anlage 4.0126 zum Ruhegehalt eine falsche Angabe gemacht, erschließt sich nicht im Ansatz. Vielmehr hat der Versicherte der Beklagten hier - womöglich zusätzlich zu der richtigen Angabe in der Anlage, das Gegenteil lässt sich nicht mehr beweisen - einen entscheidenden Hinweis gegeben. Zudem lässt sich den Angaben des Versicherten in dem Antrag selbst ohne Zweifel entnehmen, dass der Versicherte Beamter war und bei Rentenantragstellung 70 Jahre. Schließlich hat der Versicherte in einem am gleichen Tag ausgefüllten Vordruck zur Meldung zur Krankenversicherung der Rentner bei der dort enthaltenen Frage nach den Versorgungsbezügen zutreffende Angaben gemacht.
Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass der Versicherte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Insoweit besteht zunächst im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind (zum Gesamten Schütze, in: von Wulffen/Schütze -Hrsg-, SGB X, 2014, § 45 Rn. 56 m.w.N.) wovon der Senat hier, in Ermangelung auch nur einer Tatsache, die dagegen spricht, ausgehen muss. Andererseits sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren. Dem entsprechend ist der Begünstigte rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen; dies gilt auch für umfangreiche Bescheide, worauf die Beklagte in diesem Punkt zutreffend hinweist. Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht.
Zur Überzeugung des Senats steht nicht fest, dass die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides derart offensichtlich war. Bezugspunkt des Kennenmüssens ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Von dem Versicherten müsste hier verlangt werden, dass er das Fehlen einer Information - der fehlerhaften Nichterwähnung des Ruhegehaltes - hätte erkennen müssen. Im Rahmen des Erkennensmüssens gibt es mehrere Stufen, welche je mit höheren Ansprüchen an den Adressaten verbunden sind. Am einfachsten zu erkennen sein dürften in der Regel falsche (ausdrückliche) Angaben in einem Bescheid. Auf der nächsten Stufe kommen Änderungen, ohne dass der Anlass zu erkennen wäre (so etwa BSG vom 21.05.1974 - 7 RKg 8/73 -, es lag ein Sachverhalt zugrunde, in welchem ohne weitere Geburt das Kindergeld erhöht und im Buchungstext ein weiteres Kind genannt war.) Anspruchsvoller ist bereits das Erkennen von Widersprüchen - innerhalb des Bescheides oder auch zu Auskünften, welche im Rahmen der Antragsbearbeitung gegeben wurden (siehe dazu etwa VGH Baden-Württemberg vom 04.03.1996 - 7 S 2275/95 -, dort heißt es aber auch -a.a.O., juris Rn. 32 -: "Allerdings kann [ ...] dem Versicherten nicht bereits vorgehalten werden, die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ergebe sich ohne weiteres aus dessen Inhalt, insbesondere aus dem im Bescheid aufgeführten Zahlenwerk. [ ...] Allerdings mußten sich dem Versicherten aufgrund der sonstigen Umstände Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheides aufdrängen").
Noch anspruchsvoller zu erkennen ist das (rechtswidrige) Fehlen von Informationen in einem Bescheid, welches hier vom Versicherten zu verlangen wäre. Dies setzt nämlich das positive Wissen voraus, dass die fehlende Information, hier das Ruhegehalt, an sich in dem Bescheid enthalten sein müsste. Dabei handelt es sich sicher nicht um Allgemeinwissen; zwar wird der Versicherte als Gemeindeamtsrat mit behördlichen Vorgängen vertraut und im Umgang mit rechtlichen Begriffen nicht ungeübt gewesen sein, rentenrechtliche Kenntnisse hatte er aber deshalb nicht, wie sich daran zeigt, dass er den Antrag nicht selbst, sondern mit Unterstützung durch den Gemeindedirektor ausgefüllt hat.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis in dem Bescheid, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben können. Daraus ergibt sich nicht, dass diese zwingend in dem Bescheid Erwähnung finden müssen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass der Versicherte der in dem Bescheid vorgenommenen Berechnung hinsichtlich der Rente des Versicherten aus seiner gesetzlichen Rentenversicherung entnehmen konnte, dass solche Renten auch dann Erwähnung in dem Bescheid finden, wenn es im rechnerischen Ergebnis nicht zu einer Anrechnung kommt. Dass dies ebenso auch für Ruhegehälter gilt, dem Versicherten allerdings nicht "ins Auge springen", zumal er - jedenfalls aus seiner Sicht und etwas anderes kann die Beklagte nicht beweisen - zutreffende Angaben gemacht hatte.
Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht daher den Bescheid vom 08.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2015 aufgehoben; die Berufung der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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