L 17 U 89/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 705/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 89/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 17.01.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer systematischen Vergiftung mit Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Blausäure, Phosgen, Chlorwasserstoff, Ameisensäure, Ammoniak, Dioxin und Arsen als Berufskrankheit (BK) nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1953 geborene Kläger arbeitete in der Zeit vom 15.04.1985 ist zum Jahre 2003 bei der Firma Q GmbH in X als Chemiearbeiter. Bis 1996 war er dort in der Produktion von Kunststoffen für die Automobilindustrie, danach in der Qualitätskontrolle tätig. Das Unternehmen stellte Zubehörteile für die Automobilindustrie her.

Schon vor diesem Verfahren hatte der Kläger die Anerkennung verschiedener BKen und Arbeitsunfälle beantragt, die von der Beklagten abgelehnt wurden. Die nachfolgenden Klage- und Berufungsverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) blieben - teilweise auch schon in Überprüfungsverfahren - erfolglos.

Mit Schriftsatz vom 15.02.2017 meldete der Kläger einen BK-Verdacht in Bezug auf die BKen nach den Nr. 1201 (Erkrankungen durch Kohlenmonoxid) und 1109 (Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen). Rein vorsorglich stellte er auch "nochmals ein Antrag auf systematische Vergiftung mit Blausäure-Phosgen-Dioxin-Benzol zusammen". Zur Akte gelangten diverse Unterlagen aus den vorangegangenen Verfahren u.a.

- ein ausgefüllter Fragebogen des Klägers vom 01.03.2016 zur BK 1317
- ein ausgefüllter Fragebogen des Klägers vom 12.08.1996
- Berichte des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der BG Chemie, vom 02.10.1996 und 29.01.1999
- Informationen des Klägers über seine Tätigkeit bei der Firma Q vom 26.10.1996
- Konzentrationsmessungen vom Arbeitsplatz (Gase und Dämpfe in Mischung mit Luft) durch den TAD der BG Chemie vom 01.03.1988, 19.04.1988, 26.10.1988, 01.09.1988

Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition des Klägers bezüglich einer BK 1201 bei der Firma Q ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 15.03.2017 aufgrund der Aktenlage und in Kenntnis der Produktionsverhältnisse aus den zahlreichen vorangegangenen Feststellungsverfahren aus, der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei der Firma Q keiner Kohlenmonoxidbelastung ausgesetzt gewesen, in dem Unternehmen sei zu keinem Zeitpunkt Kohlenmonoxid eingesetzt worden, auch sei im Produktionsprozess kein Kohlenmonoxid entstanden. Die vorliegenden Messberichte ergäben hierfür keinerlei Anhaltspunkte.

Mit Bescheid vom 27.03.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1201 (Erkrankungen durch Kohlenmonoxid) und die Gewährung entsprechender Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes sei der Kläger während des gesamten Beschäftigungszeitraums bei der Firma Q zu keiner Zeit einer Exposition gegenüber Kohlenmonoxid ausgesetzt gewesen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, der Präventionsdienst habe offenkundig falsche Angaben gemacht und gelogen. Es habe eine Vergiftung durch Blausäure, Benzol, Phosgen und Dioxin stattgefunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ihrer Meinung nach bestehe keine Veranlassung zu unterstellen, dass der Präventionsdienst im Rahmen seiner Stellungnahme falsche oder gelogene Angaben gemacht habe.

Hiergegen hat der Kläger 02.08.2018 vor dem SG Klage erhoben. Er hat weiterhin behauptet, er sei bei der Tätigkeit für die Firma Q systematisch, auch mit Kohlenmonoxid, vergiftet worden. Bei der Verarbeitung von Bakelit-, Farfen- und Klangharzen sowie von Baumwollfaserflusen entstünden bei der Herstellung Kohlendioxid, Kohlenmonoxid Ameisensäure und Ammoniak. Zur Stützung seines Klagebegehrens hat er u.a. Betriebsanweisungen gemäß Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und TRGS 555 zu produktionsbedingten Stäuben, bestehend aus Baumwollfaserflusen und Phenolharzen, zu Bakelit-, Farfen- und Klangharzen, zu Suprasec VM 50 und zu Methylenchlorid (Spülmittel) vorgelegt, außerdem einen Ausdruck vom 04.01.2016 aus dem Emissionskataster Luft, des Landesumweltamtes NRW, Stand 1996/1997, sowie eine eigene Stellungnahme vom 08.03.2012 zur Arbeitsplatzexposition bei der Firma Q vorgelegt. Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

das Vorliegen einer Berufskrankheit im Zusammenhang mit den Stoffen Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Blausäure, Phosgen, Chlorwasserstoff, Ameisensäure, Ammoniak, Dioxin und Arsen festzustellen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Entscheidungen für rechtmäßig gehalten.

Mit Schreiben vom 19.09.2011 hat das SG die Beteiligten zu der Absicht, durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, gehört.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 1201 sei nicht gegeben, da die erforderliche berufliche Einwirkung durch Kohlenmonoxid nicht nachgewiesen sei. Im Übrigen sei die Klage unzulässig, da die Beklagte lediglich über das Vorliegen einer BK 1201 entschieden habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe in dem Gerichtsbescheid vom 17.01.2018 verwiesen.

Gegen den ihm am 23.01.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.02.2018 Berufung eingelegt. Er meint die von ihm vorgelegten Betriebsanweisungen wie auch die Messungen des Landesumweltamtes NRW bestätigten Kohlenmonoxid bei der Firma Q. Die Hallen seien im Frühling, Herbst und Winter mit Gasheizung und offener Flamme geheizt worden. Dies habe zur Abspaltung von Giften geführt. Im Übrigen seien sie in der Halle täglich Dieselstapler gefahren. Beim Abflämmen von Teilen sei es zu Verbrennungen von Chemikalien gekommen. Er beantrage, toxikologische, epidemiologische und biologische forensische Untersuchungen bei der Firma Q durchzuführen. Die Beklagte habe es schuldhaft versäumt, rechtzeitig entsprechende Beweise zu erheben. Die Pflicht der Arbeitgeber, die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten sicherzustellen, rechtfertige deshalb eine Beweislastumkehr.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 17.01.2018 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2017 zu verurteilen, bei ihm eine BK 1201 (bzw. eine BK im Zusammenhang mit den Stoffen Kohlendioxid, Blausäure, Phosgen, Chlorwasserstoff, Ameisensäure, Ammoniak, Dioxin und Arsen) anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig. Sie habe hinreichende Ermittlungen angestellt. Nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 15.03.2017 seien aufgrund der Prüfung des Vorliegens anderer BKen bei dem Kläger in den vergangenen 20 Jahren detaillierte Arbeitsplatzexpertisen erstellt worden. Zu keinem Zeitpunkt sei Kohlenmonoxid eingesetzt worden oder im Produktionsprozess entstanden. Eine Exposition gegenüber Kohlenmonoxid sei demnach auszuschließen. Insoweit komme es auf die Frage der Beweislast überhaupt nicht an.

Mit Beschluss vom 21.03.2018 hat der Senat die Entscheidung über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin übertragen. Dieser Beschluss ist dem Kläger am 28.03.2018 und der Beklagten am 29.03.2018 zugestellt worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Sache in der Besetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzender und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß § 153 Abs. 5 SGG vorliegen. Die Vorschrift lautet: "Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet". Ein Fall des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG liegt vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Das SG hat auch verfahrensfehlerfrei durch Gerichtsbescheid entschieden. Insbesondere sind die Beteiligten vorher gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger die Anerkennung einer BK im Zusammenhang mit den Stoffen Kohlendioxid, Blausäure, Phosgen, Chlorwasserstoff, Ameisensäure, Ammoniak, Dioxin und Arsen begehrt, hat das SG zutreffend entschieden, dass die Klage unzulässig war. Insoweit wird wegen der Begründung gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe in dem angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen. Diese macht sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Eigen.

Soweit der Kläger die Anerkennung einer BK 1201 begehrt, hat die Berufung ebenfalls keinen Erfolg. Denn der Kläger ist durch den Bescheid 27.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2017 nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 1201.

Unter den Tatbestand der BK 1201 fallen Erkrankungen durch Kohlenmonoxid. Zur Anerkennung einer BK muss zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge hingegen genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R -, 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R -, 15.09.2011 - B 2 U 25/10 -, 02.04.2009 - B 2 U 9/08 - und 31.01.2012 - B 2 U/11 R -). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine 1307 nicht vor (BSG, Urteile vom 30.10.2007, a.a.O., und vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R).

Der geltend gemachte Klageanspruch scheitert bereits am Nachweis der schädigenden Einwirkung. Eine Exposition des Klägers mit Kohlenmonoxid während seiner Tätigkeit bei der Firma Q konnte nicht nachgewiesen werden. Nach der auf der umfangreichen Aktenlage und auf der durch zahlreiche vorangegangene Feststellungsverfahren erlangten Kenntnis der Produktionsverhältnisse beruhenden plausiblen Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 15.03.2017 war der Kläger während seiner ganzen Beschäftigungszeit bei der Firma Q keiner Belastung durch Kohlenmonoxid ausgesetzt. Auch Arbeitsplatzmessungen vom 01.03.1988, 19.04.1988, 26.10.1988 und 01.09.1988 hatten keine Hinweise auf Kohlenmonoxid ergeben. Die vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Betriebsanweisungen gemäß der GefStoffV und TRGS 555 zu produktionsbedingten Stäuben, bestehend aus Baumwollfaserflusen und Phenolharzen, zu Bakelit-, Farfen- und Klangharzen, zu Suprasec VM 50 und zu Methylenchlorid (Spülmittel) sind als Beweis für eine Exposition mit Kohlenmonoxid nicht geeignet. Hiernach kann zwar bei produktionsbedingten Stäuben, bestehend aus Baumwollfaserflusen und Phenolharzen, Bakelit-, Farfen- und Klangharzen und bei Suprasec VM 50 im Brandfall Kohlenmonoxid entstehen. Es ist allerdings nicht nachgewiesen, dass ein entsprechender Brandfall am früheren Arbeitsplatz des Klägers stattgefunden hat. Im Übrigen würde auch im Brandfall die bloße Möglichkeit, dass Kohlenmonoxid entstehen könnte, für den Vollbeweis einer entsprechenden Exposition nicht ausreichen. Die vorgelegten Unterlagen aus dem Emissionskataster des Landesumweltamtes NRW ergeben zwar für die Firma Q CO Emissionen. Dies beweist aber ebenfalls nicht, dass der Kläger entsprechenden Emissionen ausgesetzt war. Die in der Firma durchgeführten Messungen hatten jedenfalls keine entsprechenden Emissionen ergeben. Da der Nachweis im Blut auch nur rasch nach der Exposition möglich (siehe Merkblatt zur BK 1201, IV), der Kläger aber schon seit 2003 nicht mehr bei der Firma Q beschäftigt ist, lässt sich ein Nachweis auch nicht mehr führen.

Der Senat sieht auch keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten. Aktuelle Ermittlungen in dem Betrieb sind nicht mehr zielführend. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass entsprechende Nachweise (wegen Versäumnissen der Beklagten) nicht mehr geführt werden können. Die objektive Beweislast trägt der Kläger (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, § 118, Rn. 6). Eine Beweislastumkehr, wie von ihm beantragt, ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved