S 10 R 583/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 10 R 583/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 87,30 EUR zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 87,30 EUR festgesetzt 4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für von der Klägerin gegenüber Versicherten der Beklagten erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis zum 03. Januar 2006 in Höhe von insgesamt 87,30 EUR.

Die Klägerin betreibt eine Sozialstation die Leistungen der häuslichen Krankenpflege durchführt. Mit der Beklagten besteht ein entsprechender Versorgungsvertrag gem. §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege- bzw. Haushaltshilfe).

Die Klägerin erbrachte für die Versicherten der Beklagten Frau H., Frau W., Frau P. und Frau E. Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Für die Versicherten lagen Verordnungen über die entsprechenden Leistungen vom 28. Dezember 2005, 27. Dezember 2005, 27. Dezember 2005 und 27. Dezember 2005 vor. Diese gingen mit den entsprechenden Anträgen der Versicherten auf die Genehmigung häuslicher Krankenpflege jeweils vom 28. Dezember 2005 bei der Beklagten am 04. Januar 2006 ein.

Mit entsprechenden Bescheiden gegenüber den Versicherten lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für den Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis zum 03. Januar 2006 jeweils ab. Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme seien nicht erfüllt, da die Verordnung später als drei Arbeitstage nach der Ausstellung (Vorlagefrist) bei der Beklagten eingegangen sei. Die Klägerin wurde entsprechend informiert. Gegenüber der Klägerin genehmigte die Beklagte die Leistungserbringung für die Zeit ab dem 04. Januar 2006.

Die Beklagte hat die erbrachten Leistungen für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis zum 03. Januar 2006 gegenüber der Klägerin nicht bezahlt.

Am 15. Februar 2006 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Potsdam Klage und trug vor, die Beklagte habe die erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für ihre Versicherten im Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis zum 03. Januar 2006 zu Unrecht nicht vergütet. Bei den Verordnungen für die Versicherten handle es sich um Folgeverordnungen. Die Kostenübernahmeverweigerung sei rechtswidrig. Die Beklagte habe keinerlei Zweifel, dass die Leistungen medizinisch notwendig seien, da es sich unstreitig um Dauerverordnungen handle. Die Beklagte habe sich zu Unrecht auf Nr. 24 der HKP-Richtlinien gestützt. Sie folgere im Umkehrschluss aus dieser Bestimmung, dass die Krankenkasse ein Ablehnungsrecht habe, wenn die Verordnung später als drei Arbeitstage eingeht. Dies könne nicht zutreffen. Denn die Regelung gebe nur dem Versicherten bzw. dem Pflegedienst aus Vertrauensschutzgründen ein Recht auf Kostenübernahme für den Fall, dass die Leistungen aufgrund einer ärztlichen Verordnung erbracht werden, bevor die Kasse die Kostenübernahme ablehnen konnte. Die Richtlinie stütze damit den Versicherten und den Pflegedienst, der im Vertrauen auf die Verordnung Leistungen erbringt. Das bedeute, dass sofern die Krankenkasse bei rechtzeitigem Verordnungseingang die Leistung ablehne, der Pflegedienst die bis dahin erbrachten Leistungen auch vergütet erhalte und gleichwohl auf der Grundlage von Nr. 24 der HKP-Richtlinien abrechnen könne. Umgekehrt gelte, dass die Krankenkasse die Leistung und ärztlicher Verordnung inhaltlich genehmigt wird, auch für die Zeit erbringen müsse, die vor Eingang der Verordnung liege, auch wenn die Verordnung später als drei Tage nach ihrer Ausstellung eingehe. Der Anspruch des Versicherten selbst entstehe aus § 37 Abs. 2 SGB V und könne nicht durch die HKP-Richtlinien ausgehebelt werden. Im Übrigen stelle die Berufung auf den verspäteten Eingang der vorstehenden Verordnungen sich als rechtsmissbräuchlich dar. Denn das angebliche Versäumnis sei nicht von der Klägerin zu vertreten. Es handle sich bei der streitigen Vertragsklausel nicht um eine Ausschlussfrist sondern um eine Vertrauensschutzregelung. Selbst wenn gem. § 5 Abs. 2 c des Vertrages bzw. der Ziffer 24 der HKP-Richtlinien eine Regelung mit Ausschlussfrist vorliegen sollte, würde nach der Rechtsprechung des BGH die Versäumung nur dann zum vollständigen Leistungsausschluss führen, wenn kein Entschuldigungsbeweis möglich sei. Hier sei die verspätete Vorlage von der Klägerin nicht zu vertreten. Vielmehr sei es Sache des Versicherten, die Anträge auf Kostenübernahme zu stellen. Dies ergebe sich aus § 5 Abs. 2 a Satz 3 des HKP-Vertrages. Im Übrigen sei die Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht nachvollziehbar. Auch nach dem Schreiben des Bundesverbandes der AOK vom 25. September 1999 sei deutlich, dass die Vorlagefrist kein Leistungsausschuss für medizinisch notwendige Leistungen bedeute. Auch im Rahmen der Leistungen der ambulanten Pallitativversorgung normiere eine inhaltsgleiche Regelung keine Ausschlussfrist für notwendige Leistungen der Versorgung. Eine entsprechende Beschlussbegründung habe der Gemeinsame Bundesausschuss am 20. Dezember 2007 getroffen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 87,30 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

Sie legt in der Sache dar, die Vergütung der Klägerin ergebe sich aus dem Rahmenvertrag über die einheitliche Versorgung mit Hauskrankenpflege. Danach würden gem. § 32 Abs. 2 bewilligte Leistungen und die Leistungen im Rahmen der vorläufigen Kostenübernahme gem. § 5 Abs. 3 des Vertrages vergütet. Als Leistungsgrundlage für die häusliche Krankenpflege sei in § 5 des Rahmenvertrages unter anderem geregelt, dass die Krankenkasse die Kosten vom ärztlich festgelegten Leistungsbeginn bis zur Entscheidung über die Genehmigung übernehme, wenn die vollständig ausgefüllte Verordnung am 02. (Anmerkung: jetzt am 03.) der Ausstellung folgenden Arbeitstages vorliege (vorläufige Kostenübernahme). Ziffer 24 der HKP-Richtlinien sei hinsichtlich der Vorlagefrist bei der Beklagten zwingend auf alle Behandlungsfälle anzuwenden, auch wenn der Anspruch auf häusliche Krankenpflege dem Grunde nach unstreitig sei. Die Rahmenempfehlungen des Bundesverbandes der AOK lägen bis heute nicht vor. Rahmenempfehlungen seien nicht erzwingbar.

Durch Übergabe der Klägerin lag der Vertrag gem. §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege- bzw. Haushaltshilfe) sowie die Vertragsänderung vom 01.09.2005 vor. Wegen des Inhalts des Vertrages wird auf Blatt 37 bis 61 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Durch Übergabe der Klägerin lag dem Gericht die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Versorgung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung vor. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 92 – 103 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Gericht hat den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Frage der Beschlussbegründung der Ziffer 24 der HKP-Richtlinien befragt. Wegen des Inhalts der Stellungnahmen des Gemeinsamen Bundesausschusses wird auf Blatt 62 -64, 70 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß erhobene Klage ist zulässig. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 87,30 EUR gegenüber der Beklagten.

Gemäß des Versorgungsvertrages gem. §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege- bzw. Haushaltshilfe) zwischen der Klägerin und der Beklagten richtet sich die Vergütung gem. § 32 Abs. 1 nach der Vergütungsvereinbarung – vorbehaltlich Abs. 4 -.

Gem. § 32 Abs. 2 des Vertrages werden die von der zuständigen Krankenkasse bewilligten Leistungen vergütet. Dies gilt auch dann, wenn die Leistungen im Rahmen der vorläufigen Kostenübernahme (§ 5 Abs. 2 c) erbracht wurden. Der Vergütungsanspruch setzt voraus, dass die Leistungen von dem vertraglich vereinbarten Personal erbracht wurden (Vertragsgrundformel/Leistungserbringung).

Generell sind die Krankenkassen gem. § 34 des Vertrages verpflichtet die Rechnungen grundsätzlich bargeldlos und innerhalb von 3 Wochen zu begleichen.

Die Klägerin hat aus dem Vertrag einen Anspruch auf Bezahlung der gegenüber den Versicherten der Beklagten erbrachten, unstreitig medizinisch notwendigen und dem Grunde nach bewilligten Leistungen, die sich gegenüber den Versicherten der Beklagten erbracht hat.

Dem steht auch nicht der Inhalt der HKP-Richtlinien entgegen. In der HKP-Richtlinie zur Verordnung von häuslicher Krankenpflege gem. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V ist in Ziffer 24 geregelt:

"Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132 a Abs. 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Das nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132 a Abs. 1 SGB V."

Durch die Ziffer 24 der HKP-Richtlinien wird die Vergütung der Klägerin für die erbrachten und medizinisch notwendigen Leistungen nicht beschränkt.

Denn die Ziffer 24 begründet keine Ausschlussfrist, sofern die notwendige Leistung erbracht und die Verordnung erst später als am dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird.

Generell bedürfen zwar die vom Versicherten durch Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung beantragten Leistungen der Genehmigung durch die Krankenkasse, diese dürfen nur dann genehmigt werden, wenn diese genehmigungsfähig nach Ziffer 20, 21, 22 und 23 der HKP-Richtlinien sind. Die zu erbringenden Leistungen, die der Sicherung der ärztlichen Behandlung dienen sollen, müssen jedoch unverzüglich erbracht werden.

Ausgehend davon wird auch die Leistung nicht erst ab der Beantragung bzw. der Entscheidung bzw. Genehmigung über die Leistung erbracht sondern ab dem Zeitpunkt der Verordnung. Denn sonst würde dies dazu führen, dass der betroffene Versicherte bis zur Entscheidung über die Genehmigung ohne die verordneten medizinisch notwendigen Leistungen stehen würde.

Daher regelt Ziffer 24 der HKP-Richtlinien folgerichtig, dass bis zur Entscheidung über die Genehmigung die verordneten und vom Pflegedienst entsprechend erbrachten Leistungen auch dann vergütet werden, wenn sich bei Prüfung der Verordnung für die Krankenkasse nachträglich herausstellt, dass die Leistung nicht genehmigungsfähig war.

Daher ist die Regelung – wie die Klägerin richtig vorträgt – eine Schutzvorschrift für den Pflegedienst und für die Versicherten, jedoch keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist für die vor der Vorlage der Verordnung zu erbringende Leistung.

Denn dies würde sowohl dem Sinn als auch dem Zweck der HKP-Richtlinien und dem gesamten System der häuslichen Krankenpflege widersprechen. Dies würde sogar soweit führen, dass für die verordneten und von der häuslichen Krankenpflege erbrachten Leistungen, die medizinisch notwendig sind im Gegensatz zu den tatsächlich nicht medizinisch notwendigen Leistungen eine Vergütung verwehrt würde.

Dies ist aber nicht Sinn und Zweck der Regelung. Denn dies würde m Verhältnis eines Versicherten zu seiner bedeuten, dass dieser schlechter gestellt wäre, wenn er eine medizinisch begründet notwendige Verordnung erhalten würde, als der Versicherte, der medizinisch nicht notwendige Leistungen in Anspruch genommen hat.

Auch die Recherchen der Kammer zur Beschlussbegründung von Ziffer 24 der HKP-Richtlinien führen zu keiner anderen Entscheidung. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat mit seiner Beschlussbegründung über die Änderung der Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege vom 21. Dezember 2004 gerade keine Aussage darüber getroffen, dass es sich um eine Ausschlussfrist in der von der Beklagten getroffenen Auslegung handeln solle.

Im Übrigen zeigt sich auch, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in seinen tragenden Gründen zu dem Beschluss über die Erstfassung der Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung vom 20. Dezember 2007 ausdrücklich dargelegt hat, dass die in § 8 der SAPV-Richtlinie getroffene Entscheidung inhaltlich der Ziffer 24 der HKP-Richtlinien entspricht. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat jedoch in seiner Beschlussbegründung wörtlich dargelegt:

"Mit ihr wird keine Ausschlussfrist für notwendige Leistungen der SAPV normiert. Auch wenn die Verordnung verspätet eingereicht wird, besteht bei vorliegen der Voraussetzung Anspruch SAPV bereits vom ärztlich festgestellten Leistungsbeginn an."

Nach alledem ergibt sich, dass entgegen der Auslegung der Beklagten Ziffer 24 der HKP-Richtlinien keine Ausschlussfrist normiert. Das Gericht verweist außerdem auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 27. März 2002 zum Aktenzeichen S 4 KR 200/01. Schon die dortigen Entscheidungsgründe setzen sich zutreffend Weise mit dem Nichtvorliegens einer Ausschlussfrist auseinander.

Daher war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a in Verbindung mit § 154 VwGO.

Der Wert des Streitgegenstandes bestimmt sich nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da Berufungszulassungsgründe gem. § 144 SGG nicht vorlagen.
Rechtskraft
Aus
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