S 31 AS 1309/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 31 AS 1309/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 2527/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung der Überprüfungsbescheide vom 15. Januar 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.05.2013 verurteilt, der Klägerin unter Abänderung der Bescheide vom 07.09.2010, 04.03.2011, 05.09.2011 und 26.11.2011 für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.03.2012 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 1124,65 Euro zu gewähren, und zwar für Januar 2011 weitere 87,11 Euro; für Februar 2011 bis August 2011 monatlich weitere 89,11 Euro und für die Zeit vom 01.09.2011 bis zum 31.03.2012 monatlich weitere 59,11 Euro. 2. Die Kosten des Verfahrens sind der Klägerin vom Beklagten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Leistung für Kosten der Unterkunft im Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. März 2012 im Wege des zu Gunsten Verfahrens.

Die 1955 geborene Klägerin steht seit 2005 im Leistungsbezug des Beklagten. Sie bewohnt seit 1994 eine 67 m² große 2-Raum-Wohnung in W. Die Mietkosten betrugen zunächst 389,89 EUR bruttowarm (Nettokaltmiete 255,75 EUR, Betriebskostenvorauszahlung 80,09 EUR, Heizkostenvorauszahlung 54,05 EUR). Bereits am 12. September 2005 forderte der Beklagte die Klägerin zur Kostensenkung unter Hinweis auf angemessene Kosten der Unterkunft i.H. einer Bruttowarmmiete v. 347 EUR bis zum 31. März 2006 auf. Seit April 2006 berücksichtigte der Beklagte bei der Leistungsgewährung lediglich die aus seiner Sicht angemessenen Kosten der Unterkunft. Im Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. März 2012 berücksichtigte der Beklagte auf der Grundlage der Geschäftsanweisung Nr. 1/2010 zu den Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II des Landkreises Potsdam Mittelmark vom 4. Dezember 2009 in den bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheiden vom 7. September 2010, 4. März 2011, 26. März 2011, 5. September 2011 und 26. November 2011 jeweils Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 358 EUR. Tatsächlich betrugen die Kosten der Unterkunft und Heizung in dem streitgegenständlichen Zeitraum zwischen 445,11 EUR und 417,11 EUR bei einer Bruttokaltmiete von 390,11 EUR (Zeitraum 1/2011), 392,11 EUR (2-8/2011) sowie 377,11 EUR (9/2011-3/2012).

Am 20. Dezember 2012 beantragte die Klägerin in anwaltlicher Vertretung die Überprüfung der Bewilligungsentscheidungen des Beklagten unter Gewährung höherer Kosten der Unterkunft für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2012. Das Konzept des Beklagten zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft sei unschlüssig. Es müssten daher die Werte des Wohngeldgesetzes zuzüglich eines 10-prozentigen Sicherheitszuschlages in Anrechnung gebracht werden.

Mit Bescheid vom 15. Januar 2013 lehnte der Beklagte eine Überprüfung hinsichtlich des Bescheides vom 7. September 2010 nach § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II ab. Mit weiterem Bescheid vom 15. Januar 2013 lehnte der Beklagte die Gewährung höherer Leistungen der Kosten der Unterkunft hinsichtlich der weiteren zur Überprüfung gestellten Bescheide ebenfalls ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Geschäftsanweisung Nr. 1/2010 rechtmäßig sei. Mit Schreiben vom 16. Februar 2013 erhob die Klägerin bezogen auf den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. März 2012 dagegen Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2013 wies der Beklagte diesen als unbegründet zurück. Nach der Geschäftsanweisung 1/2010 seien die berücksichtigten 358 EUR an Kosten der Unterkunft und Heizung als angemessen anzusehen. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ihr eine Kostensenkung unzumutbar gewesen sei.

Die Klägerin hat am 21. Juni 2013 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die Geschäftsanweisung 1/2010 nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beruhe. Mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten für den streitgegenständlichen Zeitraum seien die Werte des Wohngeldgesetzes für einen Ein-Personen-Haushalt der Mietenstufe IV zuzüglich eines 10-prozentigen Sicherheitszuschlages anzuwenden. Die Geschäftsanweisung 1/2011 sei für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht anwendbar. Zwar sei diese Geschäftsanweisung am 1. Dezember 2011 in Kraft getreten. Sie bemesse sich nach der Übergangsregelung XII für laufende Bewilligungszeiträume allerdings keine Geltung bei, wenn sie nicht höhere Werte als die vorangehende Geschäftsanweisung für angemessen erachte. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da nach der alten Geschäftsanweisung eine Bruttokaltmiete von 303,50 EUR angemessen sei, während nach der neuen Geschäftsanweisung lediglich 286,50 EUR als angemessen gelten. Die neue Geschäftsanweisung 1/2011 sei jedoch ohnehin evident unschlüssig, da sie weit unter den Werten des Wohngeldgesetzes liege. Es sei auch unsinnig einen Wohnungsmarkttyp aus den Gemeinden B., S. und W. zu bilden, die keinen räumlichen Zusammenhang aufwiesen. Zudem liege bereits die tatsächliche Nettokaltmiete bei dem größten Vermieter in W. bei Werten zwischen 5,11 EUR und 5,27 EUR je Quadratmeter, was die nach der Geschäftsanweisung angemessenen Werte deutlich überschreite. Die für die Geschäftsanweisung 1/2011 erhobenen Daten bildeten auch keine ausreichende Grundlage für die Ermittlung eines schlüssigen Konzepts. Die Klägerin sei zudem auch nicht ordnungsgemäß zur Kostensenkung aufgefordert worden. Auch daraus folge die Verpflichtung des Beklagten die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 15.1.2013 in der Gestalt der beiden Widerspruchsbescheide vom 21.05.2013 (W 301/13 und W 302/13) zu verpflichten, die Bescheide vom 7.9.2010, 26.3.2011, 4.3.2011, 26.3.2011, 5.9.2011, 26.11.2011 zurückzunehmen und der Klägerin weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 1124,65 EUR zu gewähren, und zwar für Januar 2011 weitere 87,11 EUR, für Februar 2011 bis August 2011 monatlich weitere 89,11 EUR und für die Zeit vom 1.9.2011 bis zum 31.3.2012 monatlich weitere 59,11 EUR.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte zunächst auf den Inhalt der Leistungsakte sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ein Rückgriff auf das Wohngeldgesetz verbiete sich hier, da die Geschäftsanweisung 1/2011 auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beruhe. Auf der Grundlage der Mietstrukturanalyse der Firma A.&K. vom Frühjahr 2011 seien im Landkreis vier homogene Wohnungsmarkttypen zu bilden. Für diese Wohnungsmarkttypen, die als Vergleichsraum im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anzusehen sind, jedoch keinen Umzug innerhalb des Wohnungsmarkttyps als zumutbar unterstellen, habe eine gesonderte Datenerhebung stattgefunden. 45 % der dabei erfassten Wohnungen lägen unter den ermittelten Angemessenheitswerten. Selbst wenn die Kammer von einer Unschlüssigkeit des Konzepts ausginge, sei wegen der vorhandenen Daten dann durch das Gericht ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Ein Rückgriff auf das Wohngeldgesetz sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zulässig und begründet. Die Bescheide des Beklagten vom 15.01.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.05.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.01.2011 bis 31.03.2012 einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Aufwendungen für die Bruttowarmmiete bei den Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Nach § 40 Abs. 1 S. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 44 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Danach besteht hier ein Rücknahmeanspruch der Klägerin, da die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruhen.

Die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten mit Bescheid vom 7.9.2010, 4.3.2011, 26.3.2011, 5.9.2011 und 26.11.2011 für die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012 sind hinsichtlich der zur Überprüfung gestellten berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung rechtswidrig.

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum eine nach § 7 Abs. 1 SGB II erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Die Leistungen umfassen nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate, § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II.

Die Vorschrift genügt der aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) folgenden Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung normiert hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 617/14 -, Rn. 13).

Es bedarf hier jedoch keiner Entscheidung darüber, ob der Beklagte auf der Grundlage seiner Kostensenkungsaufforderung vom 12. September 2005 eine Kostenbegrenzung auf die aus seiner Sicht angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung durchführen durfte. Denn auch wenn die Klägerin nur noch einen Anspruch auf die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung haben sollte, sind hier die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen.

Denn die Geschäftsanweisungen des Beklagten Nr. 1/2010 und 1/2011 bieten keine ausreichende Grundlage für die Bestimmung geringerer angemessener Kosten (dazu 1.). Eine Nachberechnung bzw. Nachermittlung kommt hier nicht in Betracht (dazu 2.). Die sich aus der Anwendung des Wohngeldgesetzes ergebende maximale Mietobergrenze wird durch die tatsächliche Bruttokaltmiete der Klägerin nicht erreicht (dazu 3.).

1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für eine Wohnung in mehreren Schritten zu prüfen. Zur Konkretisierung dieser Angemessenheitsgrenze ist in einem ersten Schritt die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen sowie in einem zweiten Schritt festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R –, juris Rn. 13). Im Weiteren verlangt das BSG, dass der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze ein sogenanntes schlüssiges Konzept zugrunde liegt. Dem liegt die zutreffende Vorstellung zu Grunde, dass es sich bei dem Begriff der Angemessenheit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der vollumfänglich gerichtlich überprüfbar sein muss. Vor diesem Hintergrund hat das BSG schon relativ früh gefordert, dass die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage auf einem schlüssigen Konzept beruhen muss, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R –, juris). Insoweit verlangt das BSG mit dem schlüssigen Konzept für die Ermittlung der abstrakt angemessenen Bruttokaltmiete ein planmäßiges Vorgehen im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenn auch orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Raum (BSG Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R -, Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris Rn. 20).

a) Diesen Voraussetzungen genügt die Geschäftsanweisung Nr. 1/2010 bereits deshalb nicht, weil sie nicht auf einer aktuellen Datenerhebung beruhte. Die bloße Fortschreibung der Datenerhebung des Landesbetriebes für Datenverarbeitung und Statistik (Stand I. Quartal 2004) verbunden mit einer Kontrolle anhand der aktuellen Bestandsmieten der Leistungsempfänger nach dem SGB II/SGB XII, ist evident unzureichend, um die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben. Dies wird auch durch den Beklagten nicht (mehr) behauptet.

b) Auch die Geschäftsanweisung Nr. 1/2011, welche auf der Grundlage der Mietstrukturanalyse der Firma A. & K. erstellt worden ist, genügt den oben genannten Anforderungen nicht. Eine direkte Anwendung der Geschäftsanweisung scheitert hier bereits daran, dass sie sich nach den in ihr enthaltenen Übergangsregelungen keine Geltung für den streitgegenständlichen Zeitraum beimisst. Denn nach Ziffer XII der GA Nr.1/2011 vom 25.11.2011 soll diese zum 1.12.2011 in Kraft treten. Für den hier einschlägigen Fall, dass dieses Datum in einen laufenden Bewilligungszeitraum fällt, sollten die neuen Angemessenheitswerte nur dann zu diesem Datum Anwendung finden, wenn sie gegenüber der vorherigen Regelungen den berücksichtigungsfähigen Bedarf erhöhen, ansonsten erst ab dem folgenden Bewilligungszeitraum. Aufgrund der für den Wohnort der Klägerin geringeren Angemessenheitswerte der GA 1/2011 gegenüber der GA 1/2010 ist eine Anwendung der GA 1/2011 damit erst für den April 2012 eröffnet, da der Bewilligungszeitraum aus dem Bescheid vom 5. September 2011 den Zeitraum vom 1.10.2011 bis 31.03.2012 umfasste.

Nach der Rechtsprechung des BSG enthebt die förmliche Nichtanwendbarkeit der GA 1/2011 das Gericht jedoch nicht von der Prüfung der vom Beklagten zugrunde gelegten Angemessenheitsgrenze. Maßgeblich soll nicht das Vorliegen einer Richtlinie, sondern das Vorliegen eines schlüssigen Konzepts und beim Fehlen eines solchen die Nachholung der erforderlichen Ermittlungen im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren sein. Die Frage, ob sich anhand vorgelegter Daten ein schlüssiges Konzept entwickeln lässt, kann ebenso wenig wie die Frage, ob ein Ausfall lokaler Erkenntnismöglichkeiten vorliegt, offen bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 6.08.2014 – B 4 AS 37/13 R -, juris Rn. 22).

Danach sind hier sowohl der Endbericht zur "Erstellung einer Mietstrukturanalyse im Landkreis Potsdam-Mittelmark" der A. & K. GmbH (im Folgenden A & K GmbH) vom August 2011 als auch der Bericht der A & K GmbH zum "Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft für die Stadt W." vom 12.01.2015 zur weiteren Prüfung heranzuziehen. Dies gilt jedoch nur für den Zeitraum ab 1. April 2011. Denn beide Berichte (Konzepte) beruhen auf einer Datenerhebung im Zeitraum Februar bis Juni 2011. Die Mietdaten wurden unabhängig vom Erhebungsdatum jeweils zum Stichtag 1.04.2011 erhoben (vgl. S. 11 des Endberichts). Die Daten bilden damit erst ab diesem Zeitpunkt eine berücksichtigungsfähige Erkenntnisquelle (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 8.07.2015 – L 4 AS 718/14 -, juris Rn. 59).

Beide Konzepte stellen sich indes unter Zugrundelegung der oben angeführten Rechtsprechung des BSG als nicht schlüssig dar.

Hinsichtlich des Endberichts vom August 2011 beruht dies auf einer unzutreffenden Bestimmung des Vergleichsraums. Die Festlegung des genau eingegrenzten Vergleichsraums ist die zentrale Forderung des BSG zur Bestimmung der Mietobergrenze für ein bestimmtes Gebiet. Das BSG hat die ordnungsgemäße Bestimmung des Vergleichsraums als logische Voraussetzung für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts bezeichnet (BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R -, juris Rn. 31). Dies beruht darauf, dass die Datenerhebung ausschließlich in dem genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum (keine Ghettobildung) erfolgen muss.

Der räumliche Vergleichsmaßstab ist dabei so zu wählen, dass Hilfesuchende im Regelfall ihr soziales Umfeld beizubehalten vermögen. Deshalb ist für den räumlichen Vergleichsmaßstab in erster Linie der Wohnort des Hilfesuchenden maßgebend. Nur bei besonders kleinen Gemeinden, die über keinen repräsentativen Wohnungsmarkt verfügen, kommen größere und bei besonders großen Städten kleinere Gebietseinheiten in Betracht. Entscheidend ist es, einerseits für die repräsentative Bestimmung des Mietpreisniveaus ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die andererseits aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 41/08 R -, juris Rn. 16 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG).

Diesen Vorgaben entspricht weder eine Vergleichsraumbildung unter Zugrundelegung des – im Land Brandenburg mit rund 204.000 Einwohnern bevölkerungsreichsten - Landkreises Potsdam-Mittelmark noch eine solche bezogen auf den Wohnungsmarkttyp 2, welcher die Gemeinden Stadt B., S. sowie Stadt W. umfasst. Die fehlende Homogenität des gesamten Landkreises wird, abgesehen von der fehlenden verkehrstechnischen Verbundenheit innerhalb des flächenmäßig achtgrößten Landkreises Deutschlands, durch die von der A & K GmbH durchgeführte Clusteranalyse belegt. Die unter Heranziehung der Indikatoren Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Einkommenssteuer pro Kopf, Siedlungsstruktur, Anteil der Transferleistungsempfänger, Neubautätigkeit sowie Bodenpreis ermittelten vier Wohnungsmärkte unterscheiden sich hinsichtlich einzelner Indikatoren jeweils deutlich voneinander (vgl. 3.1.2 des Endberichts), was mit Blick auf die flächenmäßige Ausdehnung von 2.575 km² und die teilweise Lage als Potsdamer und Berliner Umland nicht verwundert.

Auch der Wohnungsmarkttyp 2 stellt keinen Vergleichsraum im Sinne der BSG-Rechtsprechung dar. Denn ihm fehlt es aufgrund seiner räumlich voneinander getrennten Teilräume sowohl an der erforderlichen räumlichen Nähe als auch an der verkehrstechnischen Verbundenheit. Anderes wird auch durch den Beklagten nicht behauptet, der aus diesem Grund für den Fall einer erforderlichen Kostensenkung auch nicht von einer abstrakten Verweisbarkeit auf die anderen Gemeinden des Wohnungsmarkttyps ausgeht. Die abstrakte Verweisbarkeit innerhalb eines Vergleichsraums ist jedoch ein weiteres wesentliches Kriterium zur Bestimmung eines Vergleichsraums, wie die an dem Erhalt des Wohnumfelds orientierte Definition des Vergleichsraums zeigt. Die Bestimmung des homogenen Wohn- und Lebensbereichs hat abstrakt durch den Vergleichsraum zu erfolgen und darf nicht einer Einzelfallprüfung vorbehalten sein. Vergleichsräume müssen daher so gebildet werden, dass sie in der Lage sind, einen realen Wohnungsmarkt darzustellen. Es muss sich daher zumindest um geographisch zusammenhängende Gebiete handeln (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16 -, juris Rn. 62; vgl. auch Berlit, Aktuelle Rechtsprechung zu den Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II/SGB XII (Teil 1), infoalso 2017, 195, 198 m. w. N.).

Aus Sicht der Kammer entspricht eine Beschränkung des Vergleichsraums auf das Gebiet der Stadt W. diesen Voraussetzungen, wie sie auch in dem Bericht vom 12.01.2015 sowie den Folgekonzepten des Beklagten letztlich erfolgt ist. Allerdings ist auf der Datengrundlage der Mietwerterhebung 2011 eine Angemessenheitsgrenze für diesen Vergleichsraum bezogen auf einen 1-Personen-Haushalt nicht zu ermitteln.

Das Konzept der A & K GmbH beruht auf einer repräsentativen Erhebung des Mietniveaus aller Wohnungsbestände unabhängig vom Wohnungsstandart. Die ermittelten Bestandsmieten (Nettokaltmieten) werden nach verschiedenen Wohnungsgrößen gemäß der aktuellen Wohnungsbauförderung im Land Brandenburg erfasst. Für einen 1-Personen-Haushalt sind daher Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 30 und 50 m² in die Auswertung übernommen worden. Aus den nach einer Bereinigung im Sinne einer Extremwertkappung verbliebenen Mietwerten wird eine Nettokaltmiete ermittelt, welche die niedrigsten 45% der erhobenen Mieten abdeckt. Die zuzüglich der - ebenfalls nach Extremwertkappung auf Basis des 95%-Konfidenzintervalls - ermittelten durchschnittlichen Betriebskosten auf der Grundlage der zu zahlenden Vorauszahlungen bestimmte Bruttokaltmiete wird sodann auf ihre konkrete Angemessenheit im Sinne einer Verfügbarkeit eines entsprechenden Wohnungsangebots hin überprüft. Hierzu erfolgt die Recherche von Angebots- sowie Neuvertragsmieten (bis zu 9 Monate vor dem Erhebungsstichtag abgeschlossene Mietverträge). Eine konkrete Angabe darüber, ab welchem Anteil von Angebots- bzw. Neuvertragsmieten, die den aus den Bestandsmieten ermittelten Bruttokaltmietwert unterschreiten, eine ausreichende Verfügbarkeit von entsprechendem Wohnraum angenommen wird, lässt sich dem Konzept nicht entnehmen.

Die danach hier von der A & K GmbH ermittelte angemessene Bruttokaltmiete für einen 1-Personen-Haushalt in W. in Höhe von 312,50 EUR erfüllt die eigenen Vorgaben nicht und ist daher unschlüssig. Denn auf der Grundlage der erhobenen Daten aus der Mietwerterhebung 2011 kann gerade nicht sichergestellt werden, dass anmietbarer Wohnraum bis zu dieser Mietgrenze in hinreichender Zahl vorhanden war.

Nach der Darstellung in Tabelle 11 des Berichts vom 12.01.2015 lag keine der 25 erhobenen Angebotsmieten unterhalb der Mietgrenze von 312,50 EUR (45%-Perzentil der Bestandsmieten). Der Anteil anmietbarer Angebotsmieten soll sich ausweislich der Angaben unter Ziffer 3.3 selbst dann für 1- bis 3-Personen-Haushalte nicht erhöhen, wenn das 65%-Perzentil für die Stadt W. zugrunde gelegt wird. Auch aus den ermittelten Neuvertragsmieten lässt sich kein Rückschluss auf die Anmietbarkeit "angemessenen" Wohnraums ziehen. Denn insoweit konnten nur 9 Datensätze erhoben werden und damit eine Fallzahl, welche eine statistische Auswertung nicht erlaubt bzw. eine repräsentative Aussage nicht ermöglicht. Ein entsprechender Hinweis ist in den Unterlagen des Konzepts an den entsprechenden Stellen auch jeweils enthalten. Letztlich erfüllten nach den vorliegenden Daten innerhalb von 9 Monaten zwei Wohnungen die Angemessenheitswerte. Der Anspruch, durch den Vergleich mit Angebots-/Neuvertragsmieten eine ausreichende Anmietbarkeit von angemessenem Wohnraum sicherzustellen, kann damit nicht erfüllt werden. Auf welcher Grundlage die Angaben in Tabelle 12 des Berichts erfolgt sein könnten, wonach 20% des tatsächlichen Angebots eine maximale Bruttokaltmiete von 312,50 EUR unterschreiten, erschließt sich der Kammer nicht. Vor diesem Hintergrund bedarf auch keiner weiteren Erörterung, inwieweit in diese Auswertung auch – nicht verwertbare - Daten aus der Mieterhebung 2013 eingeflossen sind (vgl. die Fallzahlen gemäß Tabelle 5).

2. Die Mängel des Konzepts des Beklagten lassen sich auch nicht durch eine Nachberechnung bzw. Nachermittlung beseitigen. Weder lässt sich aus den vorgelegten Daten ein schlüssiges Konzept entwickeln noch sind weitere lokale Erkenntnismöglichkeiten gegeben (vgl. nochmals zu diesen Vorgaben: BSG, Urteil vom 6.08.2014 – B 4 AS 37/13 R -, juris Rn. 22).

Der Beklagte wurde durch das Gericht aufgefordert, entsprechende Daten für Neuvertragsmieten nachzuerheben. Dies ist dem Beklagten, wie er mit Schriftsatz vom 18.07.2017 mitgeteilt hat, nicht gelungen. Der damit einhergehende Einwand, dass dies - auch aus Sicht der A & K GmbH – darauf zurückzuführen sei, dass der Vergleichsraum W. schlicht zu klein sei, um valide Daten zu erhalten und deshalb ein anderer Vergleichsraum gebildet werden müsste, überzeugt die Kammer nicht. Diese Behauptung steht im Widerspruch zum Folgekonzept des Beklagten, welches von einer anderen Firma erstellt worden ist und W. als eigenen Vergleichsraum anführt. Dass ausreichendes Datenmaterial grundsätzlich ermittelt werden kann, ergibt sich auch aus der Größe des Wohnungsmarktes. Der Mietwohnungsmarkt von W. umfasst rund 5330 Mietwohnungen. Die Zahl zu erwartender Neuvermietungen liegt bei jährlich 426 bis 533 Mietverhältnissen (vgl. Seite 13 des Berichts vom 12.01.2015). Insoweit ist auch eine Verlängerung des Zeitraums der einzubeziehenden Neuverträge denkbar. Dies entspricht einer Empfehlung aus dem Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Januar 2017 zur Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) (Forschungsbericht BMAS), die Bedarfsdeckung im Grundsatz allein anhand von Neuvertragsmieten zu bemessen und den Zeitraum der einbezogenen Neuverträge dabei auszudehnen (vgl. S 256 des Forschungsberichts BMAS).

Liegt somit für den hier streitgegenständlichen Zeitraum lediglich eine unzureichende und mit vertretbaren Aufwand nicht mehr nachzubessernde Datenermittlung vor, führt dies entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zu einer Verpflichtung des Gerichts, ein anderes schlüssiges Konzept mit anderen Vergleichsräumen zu erstellen (für welche dann ggf. ausreichendes Datenmaterial zur Verfügung stünde). Auch die Nachbesserungspflicht des Gerichts orientiert sich nach der Rechtsprechung des BSG an dem Konzept der Verwaltung und soll dieses letztlich schlüssig machen (vgl. BSG, Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 41/08 -, juris Rn. 22). Für ein gänzlich abweichendes Konzept ist vor diesem Hintergrund kein Raum. Zumal bei der Erstellung eines schlüssigen Konzepts sehr große Entscheidungsspielräume und unterschiedliche Bemessungsansätze vertretbar sind, welche zu deutlich unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen für einen Vergleichsraum führen (vgl. Seite 255/256 Forschungsbericht BMAS). Dies lässt sich mit der Kontrollfunktion des Gerichts oder der "Logik der Verteilung der Verantwortung für die Erstellung des schlüssigen Konzepts" (BSG, a.a.O.) nicht mehr vereinbaren.

3. Da sich somit keine Feststellungen zu den angemessenen Unterkunftskosten mehr treffen lassen, ist grundsätzlich von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen, die ihrerseits durch die Tabellenwerte zu § 8 bzw. § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) – jeweils zuzüglich eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10 % - nach oben begrenzt sind (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 87/12 R -, juris Rn. 25 ff.). Für einen 1-Personen-Haushalt in W. ist nach § 12 WoGG in der Fassung vom 9.12.2010 ein Tabellenwert von 358 EUR einschlägig (Mietstufe IV). Zuzüglich des 10%-igen Sicherheitszuschlages liegt die Begrenzung der Bruttokaltmiete daher bei 393,80 EUR. Dieser Wert überschreitet die tatsächliche Bruttokaltmiete der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum, so dass diese der Leistungsberechnung zugrunde zu legen ist. Zuzüglich der jeweils angemessenen Heizkosten ergibt sich somit der tenorierte Leistungsanspruch der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Diese Entscheidung kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6 14482 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Potsdam Rubensstraße 8 14467 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Potsdam schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg" in das elektronische Gerichtspostfach des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.
Rechtskraft
Aus
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