S 14 KR 3892/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 3892/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Höhe des Krankengelds bei Selbstständigen ist anhand des Arbeitseinkommens zu bestimmen, das in dem Einkommenssteuerbescheid, der der Beitragserhebung zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag, dokumentiert ist. Eine konkrete Ermittlung des tatsächlichen Arbeitseinkommens ist nicht nötig. § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V ist nicht als widerlegliche Vermutung auszulegen.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Mutterschaftsgeldes.

Die am geborene Klägerin war zu Beginn der Mutterschutzfrist am 23.01.2008 bei der Beklagten freiwillig mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Zu diesem Zeitpunkt zahlte die Klägerin Beiträge aus der Mindestbemessungsstufe in Höhe von EUR 1.837,50. Der zum damaligen Zeitpunkt letzte aktuelle Einkommensteuerbescheid datierte vom 03.04.2007 und betraf das Jahr 2005. Besteuerungsgrundlagen waren damals Jahreseinkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von EUR 963,00 und aus anderer selbständiger Arbeit in Höhe von EUR 3.472,00. Trotz Beginn der Mutterschutzfrist wurde Mutterschaftsgeld zunächst nicht bewilligt.

Am 03.12.008 übersandte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 (Bescheid vom 11.11.2008) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 17.11.2008). Die Beklagte setzte daraufhin mit Bescheid vom 08.12.2008 die Beiträge ab 01.12.2008 aus den im Einkommensteuerbescheid 2007 ausgewiesenen Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit (EUR 38.330,00), aus anderer selbständiger Tätigkeit (EUR 1.896,00) und aus Kapitalvermögen (EUR 604,00), insgesamt aus monatlichen Einnahmen in Höhe von EUR 3.419,16 fest.

Mit dem sowohl mit der Datierung 19. als auch 20.03.2009 vorliegenden Bescheid bewilligte die Beklagte sodann Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 23.01.2008 bis 30.04.2008 unter Zugrundelegung des Einkommen, das im Jahr 2006 verbeitragt wurde (EUR 1.837,50). Daraus errechnete sie ein tägliches Mutterschaftsgeld in Höhe von EUR 42,88.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 26.03.2009. Sie führte aus, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auf das zuletzt tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen. Die Berechnungsvorschrift in § 47 Abs. 4 S. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) diene nur der Verwaltungspraktikabilität. Sie habe sich vor ihrem Wechsel in die Versicherung mit Krankengeldanspruch informiert und die Auskunft erhalten, dass der Krankengeldberechnung das tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde gelegt würde. Im Zusammenhang mit ihrem Mutterschutz habe sie angeboten, aktuelle Einkommensnachweise vorzulegen. Die Steuererklärungen für die Jahr 2006 und 2007 seien damals bereits abgegeben, aber noch beim Finanzamt in Bearbeitung gewesen. Der Einkommensteuerbescheid aus dem Jahr 2005 sei nicht mehr aktuell gewesen. Deswegen sei Berechnung des Mutterschaftsgeldes einvernehmlich zurückgestellt worden. Im Bewilligungsbescheid sei dann doch die Beitragseinstufung im Jahr 2006 und nicht die tatsächlichen Einnahmen im Jahr 2006 berücksichtigt worden, obwohl letztere bereits zum Bewilligungszeitpunkt dokumentiert gewesen wären. Die Beklagte wolle Änderungen in den Einkommensverhältnissen nur berücksichtigen, wenn sie zu Ungunsten des Betroffenen erfolgten. Richtig seien hier die Einkünfte, die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 ausgewiesen würden, zugrunde zu legen. Die tatsächlichen Einkommensverhältnisse seien zum Zeitpunkt der Berechnung und Auszahlung des Mutterschaftsgeldes auch bekannt gewesen. Die Entgeltersatzfunktion des Mutterschaftsgeldes verlange ein Abstellen auf die aktuellen Verhältnisse.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 zurück. Als Berechnungsgrundlage käme maximal der Betrag, der vor Beginn der Mutterschutzfrist für die Beitragsbemessung maßgebend war, in Betracht.

Deswegen hat die Klägerin am 24.11.2009 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und ergänzt, sie habe schon vor der Auszahlung des Mutterschaftsgeldes höhere Beiträge zahlen müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 19./20.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 23.02. bis 01.05.2008 Mutterschaftsgeld unter Berücksichtigung der Einkünfte aus dem Einkommenssteuerbescheid für 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt zur Erwiderung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug. Auf gerichtliche Nachfrage berechnete sie das Mutterschaftsgeld unter Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 ausgewiesenen Einkünfte fiktiv auf EUR 78,61 täglich.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein höheres Mutterschaftsgeld zu. Die angefochtene Entscheidung erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.

Der Anspruch der Klägerin auf Mutterschaftsgeld in der Zeit vom 23.01. bis 30.04.2008 ist zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht streitig. Auch die Kammer sieht keinen Anlass an dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu zweifeln. Daher unterbleiben weitere Ausführungen hierzu.

Die Höhe des Mutterschaftsgelds war vorliegend gem. § 202 Abs. 2 S. 7 Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprechend den Bestimmungen zur Berechnung des Krankengeldes, hier also § 47 SGB V zu berechnen. Das Mutterschaftsgeld beträgt nach § 47 Abs. 1 SGB V 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommen, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Nach Abs. 4 S. 2 dieser Vorschrift gilt für Versicherte, die - wie die Klägerin - nicht Arbeitnehmer sind, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Der Begriff des Arbeitseinkommens ist in § 15 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gesetzlich definiert. Es handelt sich dabei um den nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist.

Die Beitragsbemessung für freiwillig versicherte Selbständige wird nach dem Kenntnisstand der Kammer regelmäßig nach dem letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid vorgenommen.

Ausgehend vom Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V wird die Klägerin durch die von der Beklagten vorgenommene Berechnung des Mutterschaftsgelds nicht benachteiligt. Im Gegenteil, an sich wäre ihr ein geringeres Mutterschaftsgeld zu bewilligen gewesen.

Vor Beginn des Mutterschutzes lag der Beitragsbemessung der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 zugrunde. Die Beitragsbemessung erfolgte jedoch nicht nach den dort ausgewiesenen Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit und anderer selbständiger Arbeit von insgesamt EUR 4.435,00 jährlich (EUR 963,00 + EUR 3.472,00), d.h. monatlich EUR 369,58. Denn dieses Einkommen unterschritt die nach § 240 Abs. 4 SGB V vorgesehene Mindestbemessungsgrundlage. Deshalb entrichtete die Klägerin Beiträge aus der Mindeststufe in Höhe von EUR 1.837,50. Bei dieser Mindeststufe handelt es sich jedoch nicht um ein fiktives Arbeitseinkommen, sondern um eine reine Mindestbemessungsgröße. In § 240 Abs. 3 SGB V ist insoweit von (fiktiven) beitragspflichtigen Einnahmen - das müssen nicht zwingend Einnahmen aus Arbeitseinkommen sein -, jedoch nicht von einer Fiktion eines bestimmten Arbeitseinkommens die Rede.

An dieser Stelle ist auf die zwischen den Beteiligten thematisierte Rechtsprechung des BSG ein erstes Mal einzugehen. Das BSG hat betont, dass bei der Berechnung des Krankengeldes (entsprechend hier des Mutterschaftsgeldes) die Entgeltersatzfunktion ernst zu nehmen sei und vor allem in den Fällen, in denen bei einer Beitragsbemessung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage klar zutage trete, dass tatsächlich deutlich geringere Einkünfte erzielt wurden, das Krankengeld nicht aus der Mindestbemessungsgrundlage, sondern aus den tatsächlichen Einkünften zu berechnen sei. Aus Sicht der Kammer hätte es für die Begründung dieses Ergebnisses nicht einer systematischen Herleitung über die Entgeltersatzfunktion des Krankengeld und der Interpretation des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegliche Vermutung bedurft. Ausreichend wäre es gewesen, den Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V ernst zu nehmen. Der dortige Verweis auf den Betrag, der der Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen zugrunde lag, bringt regelmäßig, ohne dass es der Konstruktion einer "widerlegliche Vermutung" bedurft hätte, dem Entgeltersatzprinzip hinreichend Geltung. Denn bereits dem Wortlaut ist ohne die Notwendigkeit einer weiteren systematischen oder teleologischen Auslegung zu entnehmen, dass allein auf das der Beitragsbemessung zugrunde liegende Arbeitseinkommen abzustellen ist. Im Falle der Klägerin hätte dies bedeutet, dass der Berechnung des Mutterschaftsgeldes allein die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 genannten Einkünfte aus freiberuflicher und selbstständiger Tätigkeit mit einem monatlichen Betrag von unter EUR 400,00 zugrunde zu legen gewesen wäre. Soweit die Klägerin zum Beginn der Mutterschutzfrist aus einem höheren Betrag Beiträge leistete, beruhte dies nicht auf verbeitragten Arbeitseinkommen, sondern allein auf der gesetzlich angeordneten Verbeitragung nach einer Mindestbemessungsgrundlage (§ 240 SGB V). Insoweit besteht bis hier Übereinstimmung mit dem Leitsatz des Urteils des BSG vom 30.03.2004 (B 1 KR 32/02 R, zitiert nach Juris): Danach bemisst sich das Krankengeld eines freiwillig versicherten hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen.

Allerdings geht das BSG in den Urteilen vom 14.12.2006 (B 1 KR 11/06 R, zitiert nach Juris) und 06.11.2008 (B 1 KR 8/08 R) letztlich doch einen anderen, von der strengen Beachtung des Wortlauts, hier insbesondere des Begriffs des Arbeitseinkommens in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V, abweichenden Weg. Denn aus § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V schließt das BSG zunächst, dass der der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag und nicht das im letzten Steuerbescheid dokumentierte Arbeitseinkommen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung als Regelentgelt der Krankengeldberechnung zugrunde zu legen ist. Um die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes zu sichern, bedurfte das BSG freilich eben der Konstruktion einer "widerlegbaren Vermutung". Dies wäre jedoch - wie bereits ausgeführt - bei strenger Beachtung des Wortlauts nicht nötig gewesen.

Die Auslegung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegbare Vermutung überzeugt die Kammer nicht, da sie im Wortlaut der Norm keinen Stütze findet. Dem Wortlaut der Norm lässt sich keinerlei Hinweis auf eine Vermutungsregelung entnehmen. Die Kammer geht davon aus, dass der Gesetzgeber, wenn er eine Vermutungsregelung schaffen möchte, dies auch klar zum Ausdruck bringt. Als Beispiel sollen hier genannt werden: § 7 Abs. 3 a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der dortige Wortlaut: "Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn ( ...)". In § 120 Abs. 2 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wird formuliert: "Bei Schülern oder Studenten einer Hochschule, ( ) wird vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können". Weiter heißt es in S. 2: "Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Schüler oder Student ( ...)". In § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist geregelt: "Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen". Auch die Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nach der ein schriftlicher, postalisch übermittelter Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, wird durch S. 3 der Vorschrift "dies gilt nicht, wenn" klar als Vermutungsregelung gekennzeichnet. Derartiges ist für die Kammer in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht ersichtlich. Aus Sicht der Kammer wollte der Gesetzgeber keine Vermutungsregelung schaffen, sondern entsprechend dem, auch BSG angesprochenen, Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität (beispielsweise im Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 11/06 R) den Vorrang geben. Der Verwaltungspraktikabilität entspricht es jedoch am meisten, wenn bei der Berechnung des Kranken-/Mutterschaftsgelds der Betrag ohne weitere Nachprüfung zugrunde gelegt wird, der als Arbeitseinkommen (!) zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde lag. Wohl gemerkt, der Betrag, der das Arbeitseinkommen kennzeichnet und nicht die Mindestbemessungsgrundlage. Dies dürfte regelmäßig ohne weitere Ermittlungen möglich sein, und zwar auch in den Fällen, in denen die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zur Anwendung kam. Denn die Bemessung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage liegen - davon geht die Kammer aus - ebenfalls die Kenntnisnahme des letzten aktuellen Steuerbescheids nebst den darin ausgewiesenen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit, die nur die Mindestbemessungsgrundlage unterschritten, zugrunde.

Hinsichtlich des eben genannten Gesichtspunktes der Verwaltungspraktikabilität ist darauf hinzuweisen, dass die konkrete Vorgehensweise im vorliegenden Sachverhalt gerade nicht der Sicherung der unmittelbaren Entgeltersatzfunktion des Mutterschaftsgelds entsprach. Die Bewilligung des Mutterschaftsgelds über ein Jahr nach Beginn der Mutterschutzfrist mag im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt sein, dem gesetzgeberischen Zweck, den regelmäßigen Lebensunterhalt zu sichern, konnte das Mutterschaftsgeld zum Zeitpunkt der Bewilligung jedoch nicht mehr dienen. Entsprechend kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass sie ab 01.12.2008 tatsächlich höhere Beiträge entrichtete. Das Mutterschaftsgeld hätte am 01.12.2008 schon lange bewilligt sein müssen.

Die Klägern kann sich nicht darauf berufen, vor Beginn der Mutterschutzfrist tatsächlich ein höheres Einkommen erzielt zu haben. Dies war, wie sich aus den zwischenzeitlich vorgelegten Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2006 ff. ergibt, durchaus der Fall. Die Berücksichtigung des tatsächlich höheren Einkommens lässt sich aber mit dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht vereinbaren. Maßgeblich ist das Arbeitseinkommen, das der Beitragsbemessung zugrunde lag. Insoweit wird ein Gleichgewicht zwischen der Beitragsbelastung und dem Leistungsanspruch hergestellt.

Völlig zu Recht bemängelt die Klägerin aus Sicht der Kammer, dass sich die Beklagte bzw. das BSG und im Anschluss daran auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 15.04.2008 (L 11 KR 3606/07) argumentativ in einer schwierigen Position bewegen, wenn § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V im Sinne einer widerleglichen Vermutung nur dann zur Anwendung kommen soll, wenn das Arbeitseinkommen vor Beginn des Leistungsanspruchs geringer ist als der der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag, nicht jedoch, wenn das tatsächliche Arbeitseinkommen höher ausfällt als dieser Betrag. Ohne weitere Begründung führt das BSG im Beschluss vom 28.07.2008 (B 1 KR 44/08 B, zitiert nach Juris) aus, dass, sollte der zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag angeblich geringer als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen des Versicherten gewesen sein, das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen nicht konkret ermittelt werden muss. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bei Betonung des Entgeltersatzprinzips, erscheint diese Sichtweise fragwürdig. Nachvollziehbarer erscheint insoweit die Argumentation des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Urteil vom 15.04.2008 (L 11 KR 3606/07 - die dem eben genannten BSG-Beschluss vorgehende Entscheidung), wonach es quasi eine Obliegenheit des Versicherten ist, höheres Einkommen durch eine alsbaldige Veranlassung und Vorlage des Einkommensteuerbescheids zeitnah nachzuweisen und entsprechend zeitnah höhere Beiträge zu entrichten, um sich damit höhere Leistungsansprüche zu sichern.

Im Ergebnis bedarf es jedoch aus Sicht der Kammer dieser schwer zu begründenden Auffassung, dass eine Vermutung nur in eine Richtung widerlegbar sein soll, nicht. Um die Entgeltersatzfunktion ausreichend zu sichern, reicht es - wie bereits mehrfach ausgeführt -, den Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V ernst zu nehmen, d.h. der Berechnung des Kranken-/Mutterschaftsgeld das letzte über einen Einkommensteuerbescheid nachgewiesene Arbeitseinkommen zugrunde zu legen.

Die Kammer verkennt nicht, dass damit abweichend von der Auffassung des BSG Fälle denkbar sind, in denen in dem letzten Einkommensteuerbescheid Einkünfte ausgewiesen sind, die höher sind als die zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder des Mutterschutzes erzielten tatsächlichen Einkünfte. Dies muss jedoch aus Sicht der Kammer angesichts des klaren Wortlauts des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V hingenommen werden. Im Übrigen hält die Kammer dieses Problem angesichts des neben der Beachtung der Entgeltersatzfunktion auch zu berücksichtigenden Grundsatzes der Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen für hinnehmbar. Dies gilt auch vor allem im Hinblick darauf, dass bei freiwillig versichert selbständig Tätigen stets eine zeitversetzte Verbeitragung erfolgt. In den Grenzen, in denen bei der Verbeitragung ein Auseinanderfallen der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit den aktuellen Beiträgen in Kauf genommen wird, muss auch ein Auseinanderfallen der letzten tatsächlichen Einkünfte und der Entgeltersatzleistung akzeptiert werden. Ansonsten würde hier aus Sicht der Kammer auch ein kaum hinnehmbares Ungleichgewicht entstehen.

Nach alledem stand der Klägerin kein höheres Krankengeld zu. Anzumerken ist, dass das Ergebnis gleich wäre, wenn die Kammer sich in vollem Umfang der eben genannten Entscheidungen des BSG und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 15.04.2008, Beschluss vom 28.07.2008 a.a.O.) angeschlossen hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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