L 6 AS 359/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 585/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 359/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Es besteht kein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F., wenn die Kosten durch die Versorgung mit Kontaktlinsen vor Beginn  des maßgeblichen Bewilligungszeitraums  gedeckt worden sind. Das gilt auch, wenn die Versorgung nicht durch eine Einmalzahlung, sondern durch laufende Ratenzahlungen im Bewilligungszeitraum erfolgte.

2. Ist die Versorgung mit Kontaktlinsen medizinisch notwendig, und ist diese Leistung weder nach § 33 Abs. 2 SGB V noch nach § 2 Abs. 1 a SGB V vom Leistungskatalog umfasst, sind die Kosten nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. zu übernehmen. Die Leistungsberechtigten können nicht auf einen Anspruch auf verfassungskonforme Versorgung nach dem SGB V verwiesen werden. Eine solche Verweisung setzt einen entsprechenden Hinweis, Aufklärung oder Beratung des Jobcenters voraus..

3. Ist die Versorgung mit Kontaktlinsen medizinisch notwendig und ist diese Leistung nach § 33 Abs. 2 SGB V vom Leistungskatalog umfasst, sind die Kosten nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. zu übernehmen, soweit die Kosten über eine Festbetragsversorgung hinausgehen. Die Leistungsberechtigten können nicht darauf verwiesen werden, dass einen Anspruch über die Festbeträge hinaus nach dem SGB V bestehe. Eine solche Verweisung setzt einen entsprechenden Hinweis, Aufklärung oder Beratung des Jobcenters voraus.

I.    Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. Juni 2019 abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Überprüfungsbescheides vom 1. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2017 verpflichtet, seinen Bescheid vom 1. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2016, geändert durch die Bescheide vom 26. November 2016, 4. Januar 2017 und 7. Juni 2017 teilweise zurückzunehmen, und verurteilt, der Klägerin höheres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die Versorgung mit Kontaktlinsen für die Monate Februar 2017 bis Juni 2017 in Höhe von monatlich 66,00 € und für die Monate Juli 2017 bis September 2017 in Höhe von monatlich 50,36 € zu gewähren. Die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

II.    Der Beklagte hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. 

III.    Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Kosten für ein Kontaktlinsen-Abo der Klägerin in Höhe von monatlich 66,00 bzw. 68,00 Euro in der Zeit vom 01.10.2016 bis 30.09.2017 vom Beklagten zu übernehmen sind. 

Die 1957 geborene Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bei dem Beklagten. 

Die Klägerin beantragte am 31.08.2016 die Weitergewährung der Leistungen (Bl. 186 Verwaltungsakte (VA)). Die Klägerin entrichtete einen Mietzins einschließlich der Nebenkosten in Höhe von 457,39 Euro (Bl. 196, 245 VA). Aus dem Antrag beigefügten Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin bis zum 04.05.2017 monatliche Abschlagszahlungen für Gas in Höhe von 56 Euro schuldete (Bl. 188 VA). 

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 01.09.2016 für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 31.05.2017 Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich 917,39 Euro (Bl. 206 f. VA). Hierbei berücksichtigte der Beklagte monatlich die Regelleistung in Höhe von 404 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 457,39 Euro sowie Heizkosten von 57 Euro (Bl. 212 VA). Für die Monate 01.06.2017 bis 30.09.2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 861,39 Euro. Hierbei wurden der Klägerin monatlich die Regelleistung in Höhe von 404 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 457,39 Euro ohne Heizkosten bewilligt (Bl. 211 VA).

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 05.09.2016 Widerspruch gegen den Bescheid ein und begehrte die Bewilligung weiterer Heizkosten (Bl. 210 VA). Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2016 zurückgewiesen (Bl. 215 VA).

Am 12.10.2016 stellte die Klägerin einen Antrag bei dem Beklagten, „ihr ihre fixen und variablen Kosten aus Zuzahlungen der Krankenkasse, die aus Arztverordnungen resultierten, zu übernehmen“ (Bl. 219 VA). 

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.10.2016 mit der Begründung ab, dass Sonderleistungen nur gemäß § 24 Abs. 3 SGB II gewährt werden könnten, weitere einmalige Sonderleistungen (z.B. die Übernahme der Gebühren für Zuzahlungen der Krankenkasse für therapeutische Anwendungen oder ähnliches) das SGB II jedoch nicht vorsehe (Bl. 220 VA). 

Der Bescheid vom 01.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2016 (vgl. Bl. 301 Gerichtsakte (GA)) und der Bescheid vom 13.10.2016 wurden bestandskräftig. 

Am 26.11.2016 erging ein Änderungsbescheid, mit welchem der Klägerin für die Monate Januar 2017 bis Mai 2017 monatliche Leistungen in Höhe von 922,39 Euro und für die Monate Juni 2017 bis September 2017 monatliche Leistungen in Höhe von 866,38 Euro bewilligt wurden (vgl. Bl.  252 VA). Für Januar 2017 bis Mai 2017 bewilligte der Beklagte monatlich die Regelleistung in Höhe von 409 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 457,39 Euro sowie Heizkosten von 57 Euro; für Juni 2017 bis September 2017 monatlich die Regelleistung in Höhe von 409 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 457,39 Euro.

Mit Schreiben vom 01.12.2016 stellte die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X. Ausgeführt wurde, dass nach dortiger Auffassung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II bestehe (Bl. 222 f. VA). Hiernach sei bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anzuerkennen, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. 

Mit Bescheid vom 01.12.2016 lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 13.10.2016 ab (Bl. 225 VA). Zur Begründung wird ausgeführt, ein Verwaltungsakt sei, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Der Bescheid vom 13.10.2016 sei jedoch nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden. 

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erhob mit Schreiben vom 06.12.2016 Widerspruch (Bl. 230 VA). Es wird ausgeführt, dass die erlassene Entscheidung nicht erkennen lasse, dass sich der Beklagte auch nur ansatzweise angemessen mit dem Antrag auseinandergesetzt habe. Die Begründung gehe über die Wiedergabe von Textbausteinen nicht hinaus. Der Beklagte habe den Sachverhalt unter Berücksichtigung der §§ 20 und 21 SGB X gegebenenfalls erneut zu untersuchen und zu bewerten. 

Der Beklagte erläuterte mit Schreiben vom 09.12.2016 seine Rechtsansicht gegenüber dem Prozessbevollmächtigten und legte dar, dass nach seiner Ansicht kein unabweisbarer Bedarf bestehe. Kosten, die nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst seien, seien von SGB II–Leistungsbeziehern selbst zu zahlen. Vor diesem Hintergrund könne kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II gewährt werden (Bl. 233f VA).   

Die Klägerin beantragte am 03.01.2017 die Übernahme der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2015 in Höhe von 254,43 Euro (Bl. VA).

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 04.01.2017 gewährte der Beklagte der Klägerin für Januar 2017 Leistungen in Höhe von 1.176,82 Euro. Hierbei wurde nehmen den durch Bescheid vom 26.11.2016 bewilligten Leistungen weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 254,43 Euro bewilligt (Bl. 252 VA).

Nach einer Aufforderung des Beklagten (Bl. 255 VA) konkretisierte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 07.03.2017 den Antrag dahingehend, dass die Kosten für ein Monats-Abo für Kontaktlinsen begehrt würden (Bl. 258 ff VA). Vorgelegt wurde neben einer Rechnung des Augenoptikers „B“ vom 29.09.2016, welche einen Rechnungsbetrag i. H. v. 792,00 Euro auswies bei monatlich anfallenden Raten i. H. v. 66,00 Euro ab dem 01.07.2016 bis zum 01.06.2017 (Bl. 262 VA), ein augenärztliches Gutachten vom 31.07.1980 von Augenarzt Dr. C. Aus dem augenärztlichen Gutachten geht hervor, dass die Klägerin uneingeschränkt fahrtauglich sei unter der Auflage eine Brille oder – wie handschriftlich hinzugefügt worden ist – Kontaktlinsen beidseits zu tragen (Bl. 259 VA).

Der Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 13.07.2017 mit, nach seiner Ansicht sei kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu gewähren und verwies darauf, dass ein Anspruch auf Kontaktlinsen bei der Krankenkasse geltend zu machen sei (Bl. 266 VA).
 
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.12.2016 als unbegründet zurück. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II werde bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Der Mehrbedarf sei unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt sei und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Vorliegend sei kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II anzuerkennen, denn im Rahmen der Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung decke die gesetzliche Krankenkasse die Anschaffungskosten für Kontaktlinsen ab, wenn eine entsprechende medizinische Indikation festgestellt worden sei. Verwiesen wurde auch auf ein Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21.11.2012 zum Az. L 4 AS 6/11. Könne im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster Bedarf und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringe die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewähre der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen (§ 24 Abs. 1 S. 1 SGB II). Ein Anspruch nach § 24 Abs. 1 SGB II scheide aus, da die Klägerin kein Darlehen, sondern vielmehr eine zuschussweise Übernahme der Anschaffungskosten für Kontaktlinsen begehre. 

Die Klägerin hat am 11.04.2017 zum Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Das Verfahren ist zunächst unter dem Aktenzeichen S 8 AS 193/17 geführt worden. 

Die Klägerin hat im Verfahren das augenärztliche Gutachten Dr. C. vom 31.07.1980 sowie ein augenärztliches Attest von Dr. D. vom 20.03.2017 vorgelegt (Bl. 11 GA). Aus dem ärztlichen Attest geht hervor, dass bei der Klägerin eine alte Hornhautverletzung seit der Kleinkindzeit bestehe. Daraus habe sich eine Amblyopie und eine Veränderung der Hornhautkrümmung entwickelt. Die Sehschärfe betrage rechts 1,0 (100 %) und links 0,4 (40 %). 

Am 07.06.2017 hat der Beklagte einen Änderungsbescheid zum Bescheid vom 01.09.2016 erlassen, mit er der Klägerin für die Monate Juli bis September 2017 Leistungen in Höhe von 913,39 Euro gewährt hat. Für Juli 2017 bis September 2017 hat der Beklagte monatlich die Regelleistung in Höhe von 409 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 457,39 Euro sowie Heizkosten von 47 Euro gewährt (Bl. 303 ff GA).

In einem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.07.2017 hat die Klägerin dargelegt, nicht einmalig mit Kontaktlinsen versorgt worden zu sein, sondern fortlaufend versorgt zu werden. 

Im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Krankenkasse vom 29.03.2017 hat das Sozialgericht das Verfahren mit Beschluss vom 21.07.2017 ruhend gestellt (Bl. 52 R). 

Das Klageverfahren ist am 13.11.2017 wieder aufgerufen und unter dem Az. S 8 AS 585/17 fortgeführt worden, nachdem die Krankenkasse der Klägerin   die DAK Gesundheit   mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 29.03.2017 als unbegründet zurückgewiesen hatte (Bl. 63 GA). 

Aus der Rechnung vom 13.12.2017 geht hervor, dass der Klägerin für die Versorgung mit Kontaktlinsen für die Dauer von 12 Monaten ab 01.07.2017 Kosten von 816,00 Euro entstanden, die in 12 monatliche Raten beginnend ab 01.07.2017 geleistet wurden (Bl. 141 GA). 

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht vom 19.03.2018 bei dem Augenarzt der Klägerin, Dr. D., eingeholt (Bl. 97 ff GA). Der behandelnde Augenarzt hat ausgeführt, die Klägerin sei auf eine Brille oder Kontaktlinsen als Hilfsmittel angewiesen. Der Klägerin sei einmalig 1998 eine Brille vorordnet worden (Bl. 102 GA). Auf eine gerichtliche Anfrage hat der Augenoptiker der Klägerin am 27.03.2018 mitgeteilt, die Klägerin sei auf Hilfsmittel angewiesen. Es bestehe eine Anisometrie > 2,0 Dpt und Astigmatismus > 3,0 Dpt. Die Klägerin werde halbjährlich mit Kontaktlinsen versorgt (Bl. 107 GA).

Aus der Akte ergibt sich, dass die Klägerin ab 2018 mit Kontaktlinsen versorgt worden ist und die Krankenkasse hierfür einen Festbetrag von 211,70 Euro pro Jahr für zwei Paar Kontaktlinsen gewährt hat (vgl. Rechnung B. Anlage zu Schriftsatz vom 07.04.2020).

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr ein Anspruch auf Kostenübernahme für die Beschaffung von Kontaktlinsen als unabweisbarer Bedarf gegen den Beklagten zusteht. Ihre Krankenkasse, die DAK Gesundheit, habe einen solchen Kostenersatz mit Bescheid vom 29.03.2017 abgelehnt (Bl. 9 GA). Bei ihr sei es so, dass ihr linkes Auge durch eine operative Verletzung eine Narbe erlitten habe, die ihr das Sehen ohne Kontaktlinsen praktisch unmöglich mache (Bl. 2 GA). Durch die Kontaktlinsen werde ihr Sehdefizit optimal auskorrigiert. Nur durch Kontaktlinsen sei sie zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr in der Lage (Bl. 120 VA). Deren Verlust würde faktisch das Erlöschen ihrer Fahrerlaubnis bedeuten und zu einem weiteren Vermittlungshemmnis führen, dies würde dem gesetzgeberischen Willen zuwiderlaufen. Auch bestünde bei eingeschränkter Sehfähigkeit eine erhöhte Gefährdung sich selbst zu verletzen.
Dem geltend gemachten Anspruch sei bei verfassungskonformer Auslegung zu entsprechen. Denn es seien die erheblichen monatlichen Kosten zu berücksichtigen (Bl. 118 GA). 

Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und ihr die Kosten für Kontaktlinsen in Höhe von monatlich 66,00 Euro für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und in Höhe von monatlich 68,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen und sodann auf die Entscheidung des BSG vom 26.05.2011 zum Aktenzeichen B 14 AS 146/10 R. Hiernach habe das Bundessozialgericht entschieden, dass Bedarfe, die sich auf Krankenbehandlung im Sinne von § 27 SGB V richteten, durch die gesetzliche Krankenversicherung sowie ergänzend durch den im Regelbedarf nach § 20 SGB II enthaltenen Anteil für Eigenanteile und Rezeptgebühren abgedeckt seien. Auch im Hinblick auf die Rechnung des Optikers, aus der sich ergebe, dass der Anschaffungsbetrag in Höhe von insgesamt 792,00 Euro durch monatliche Ratenzahlung getilgt werden könne, ergebe sich vorliegend kein laufender Bedarf, sondern es sei von einem einmaligen Bedarf auszugehen. Die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei diesen Kosten nicht um einen laufenden Bedarf handele. Die Anschaffung von Sehhilfen, auch Kontaktlinsen, erfolge naturgemäß für einen längeren Zeitraum. Die Klägerin habe selber angegeben, dass diese nur ca. zweimal im Jahr, also etwa alle sechs Monate ausgetauscht werden müssten. Auch die Tatsache, dass sie die Finanzierung der etwa zweimal im Jahr anzuschaffenden Kontaktlinsen über einen Vertrag mit ihrem Optiker geregelt habe, der eine monatliche Ratenzahlung vorsehe, bedeute nicht, dass von einem laufenden monatlichen Bedarf auszugehen sei. Auch eine Förderung der Anschaffung von Kontaktlinsen aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 SGB II scheide aus. Verwiesen wurde auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2014 zum Az. L 2 AS 407/14. Danach werde zwar erwogen, dass bei Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen eine Unterdeckung eintreten könne, wenn diese weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden könnten, noch anderweitig gesichert seien. In Bezug auf die streitgegenständliche Versorgung mit Sehhilfen ergebe sich jedoch, dass eine entsprechende Bedarfsdeckung durch die Fürsorgepflicht bei Krankheit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege der Versicherungspflicht dem Grunde nach anderweitig gesichert sei. Soweit die Krankenkasse jedoch die Versorgung mit einer Sehhilfe nach § 33 SGB V ablehne, weil eine medizinische Notwendigkeit nicht festgestellt werde, können hier auch keine Unterdeckung entstehen. 

Das Sozialgericht hat der Klage auf die mündliche Verhandlung am 24.06.2019 stattgegeben. Es hat mit Urteil vom 24.06.2019 den Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und der Klägerin die Kosten für Kontaktlinsen i. H. v. monatlich 66,00 € für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und i. H. v. 68,00 € monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 zu erstatten. 

Die zulässige Klage habe in vollem Umfang Erfolg. Denn der Klägerin stehe für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 ein Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu. 

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien die Bescheide des Beklagten vom 13.10.2016 bzw. vom 01.12.2016, letzterer in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017. Auf den Antrag der Klägerin vom 12.10.2016 habe der Beklagte in der Sache die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 01.09.2016 gemäß § 44 SGB X überprüft und dann diesen Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 13.10.2016 abgelehnt. Die Bescheide des Beklagten vom 13.10.2016 und 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2016 würden zwar eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit Bescheid vom 01.09.2016 erfolgte Bewilligung für den Bewilligungsabschnitt vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 nicht erkennen lassen. Der Anspruch auf Leistungen nach der Härtefallregelung in § 21 Abs. 6 SGB II in der Fassung ab dem 03.06.2010 stelle jedoch als Anspruch auf einen Mehrbedarf keinen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014, Az.: B 14 AS 30/13 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011, Aktenzeichen B 14 AS 146/10 R), der eines eigenständigen Antrags bedürfe, sondern sei hier von dem am 31.08.2016 gestellten Leistungsantrag mitumfasst, über den der Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2016 unter konkludenter Ablehnung eines Leistungsanspruchs nach § 21 Abs. 6 SGB II entschieden habe. Den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bilde daher ein Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 6 SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 01.06.2017 bis zum 30.09.2017 [gemeint ist wohl 01.10.2016 bis 30.09.2017]. 

Vor diesem Hintergrund liege es nahe, den am 12.10.2016 gestellten und auf einen Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 6 SGB II beschränkten Antrag als Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X (Sozialgesetzbuch 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)) anzusehen, was den Bescheid vom 13.10.2016 als Überprüfungsbescheid im Rahmen einer Prüfung nach § 44 SGB X erscheinen lasse. Der den ausdrücklich als Überprüfungsantrag gestellten Antrag vom 01.12.2016 ablehnende Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 sei hingegen eindeutig im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens erlassen worden.

Nach § 44 SGB X sei ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. 

Das Gericht sei zu der Auffassung gelangt, dass der Beklagte bei Erlass seiner Bescheide vom 13.10.2016 bzw. 01.12.2016 das Recht unrichtig angewandt habe. Denn zur Überzeugung des Gerichts stehe der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu. 

Nach § 21 Abs. 6 S. 1 SGB II werde bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Nach Satz 2 des Absatzes 6 sei der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt sei und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. 

Zunächst gehe die Kammer davon aus, dass es sich bei der Kontaktlinsenversorgung der Klägerin um einen laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf handele. Dies ergebe sich zwar nicht schon daraus, dass die Klägerin mit ihrem Augenoptiker einen Vertrag abgeschlossen habe, der es ihr ermögliche, die für ihre Kontaktlinsen anfallenden Kosten in monatlichen Raten abzuzahlen. Erforderlich, aber auch ausreichend für einen laufenden Bedarf sei, dass davon auszugehen sei, dass er mehr als einmal wiederholt in einem vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzbaren Zeitraum (ca. 1 bis 2 Jahre) anfalle (von Boetticher in: Münder, Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Lehr- und Praxiskommentar, 6. Aufl., § 21 Rn. 42). Die Angabe der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.07.2017, dass sie halbjährlich mit neuen Kontaktlinsen versorgt werde, habe sich insofern auch durch die Auskunft des Optikers „B.“ vom 27.03.2018 bestätigt. Aufgrund dieses Sachverhaltes gehe die Kammer von einem laufenden Bedarf aus. 

Die Unabweisbarkeit eines gesundheitsbedingten Bedarfs mit der Folge, dass das Jobcenter gegebenenfalls Leistungen zu gewähren habe, könne nur dann in Betracht gezogen werden, wenn das SGB V im konkreten Fall einen Leistungsausschluss für die medizinisch notwendige Versorgung vorsehe. Dies gelte jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. So habe das BSG entschieden, dass die Kosten einer Krankenbehandlung bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt seien (BSG, B 14 AS 146/10 R). Aufgrund der Notwendigkeit einer Zuzahlung zu Zahnersatz oder Hilfsmitteln wie Brillen entstünde im Rechtskreis des SGB II hingegen kein zusätzlicher unabweisbarer laufender Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. Saitzig in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 20 Rn. 53). Schon der Gesetzgeber halte es ausdrücklich für zumutbar, dass die Kosten für Brillen oder Zahnersatz grundsätzlich bis zur Belastungsgrenze aus dem Regelbedarf zu bestreiten seien (BT-Drs. 17/1465, Seite 8 f., vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.11.2011, L 11 AS 888/11 B). Andernfalls würden Leistungsempfänger im Vergleich zu anderen gesetzlichen Versicherten besser gestellt.

Die Kammer sei der Überzeugung, dass im vorliegenden Fall die Belastungsgrenze überschritten sei. Denn die Krankenkasse der Klägerin habe mit Bescheid vom 29.03.2017 und Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 die Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen für den streitgegenständlichen Zeitraum nach den Vorschriften des SGB V abgelehnt, da eine solche nur unter strengen Voraussetzungen möglich sei. Gleichwohl habe die Kammer nach dem Vortrag der Klägerin an der Erforderlichkeit der Visus-Korrektur keinen Zweifel. 

Bei monatlich hierfür angefallenen Kosten i. H. v. 66,00 bzw. 68,00 Euro gehe die Kammer weiterhin davon aus, dass der Mehrbedarf der Klägerin unabweisbar sei, da er nicht unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin gedeckt werden könne.

Nach alledem sei der Klage stattzugeben.

Das Urteil ist dem Beklagten am 12.07.2019 zugestellt worden. 

Der Beklagte hat am 22.07.2019 Berufung eingelegt (Bl. 171 GA).

Zur Begründung hat der Beklagte zunächst auf den vorangegangenen Schriftverkehr im Widerspruchs- und Klageverfahren, insbesondere auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 29.03.2017 sowie in den Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren verwiesen.

Soweit Kontaktlinsen im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich medizinisch notwendig gewesen wären, so hätte seiner Ansicht nach eine Versorgung nach § 33 SGB V durch die Krankenversicherung der Berufungsbeklagten erfolgen müssen.
Die Krankenkasse der Klägerin sei in ihrem Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Anspruch auf Versorgung mit einer Sehhilfe, Brille oder Kontaktlinsen gar nicht bestehe. Vor diesem Hintergrund sei die medizinische Notwendigkeit für eine Versorgung mit Kontaktlinsen nach Auffassung des Berufungsklägers nicht nachgewiesen.

Nach § 21 Abs. 6 SGB ll werde ein Mehrbedarf bei Leistungsberechtigten anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Dazu werde im Urteil vom 24.06.2019 ausgeführt, dass eine Versorgung mit Kontaktlinsen ca. zweimal pro Jahr (jeweils im Abstand von ca. 6 Monaten) die Voraussetzung des laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs im Sinne dieser Vorschrift erfüllen würde.

Soweit aber die medizinische Notwendigkeit für die Versorgung mit Kontaktlinsen generell bezweifelt werde, könne es auch nicht als nachgewiesen gelten, dass diese Versorgung tatsächlich in den angegebenen Zeitintervallen notwendig gewesen sei. Der Optiker „B.“ habe in seinem Schreiben vom 27.03.2018 zwar bestätigt, dass die Berufungsbeklagte halbjährlich mit Kontaktlinsen versorgt werde, daraus ergebe sich aber nicht eine tatsächlich bestehende Notwendigkeit für den häufigen Austausch der Linsen.

Im Sinne der auch vom Sozialgericht Kassel zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R – würde sich vorliegend auch keine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung oder eine nicht ausreichende Versorgung mit einem Hilfsmittel ergeben, die ggf. durch Leistungen nach dem SGB II abzuwenden wäre.

Aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten gehe nunmehr zwar hervor, aus welchen Gründen die Berufungsbeklagte auf das Tragen von Kontaktlinsen angewiesen sei und eine Versorgung mit einer Sehhilfe (Brille) nicht ausreichend wäre. Dabei sei davon auszugehen, dass die aufgezeigten Beeinträchtigungen auch bereits im Jahr 2016 nahezu unverändert vorlagen.

Der Gutachter habe bestätigt, dass das Tragen von Kontaktlinsen medizinisch notwendig sei. Dennoch habe die Krankenkasse der Berufungsbeklagten die Übernahme der dadurch entstehenden Kosten bestandskräftig abgelehnt, weil die Voraussetzungen für eine Versorgung mit einer Sehhilfe nach § 33 SGB V nicht vorgelegen hätten.

Nach Auffassung des Beklagten sei davon auszugehen, dass die bedürftige Klägerin tatsächlich auf das Hilfsmittel angewiesen sei. Jedoch sei zu entscheiden, ob entsprechende Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung oder im Rahmen der Grundsicherung zu erbringen seien.

Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R) könne es sich hinsichtlich eines geltend gemachten Bedarfs zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung dem Grunde nach um ein Bedürfnis mit Grundrechtsbezug handeln, der durch die Berücksichtigung eines entsprechenden Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 6 SGB II abzudecken wäre.

Jedoch komme das BSG in dieser Entscheidung (zumindest im Hinblick auf die Übernahme von Kosten von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln) auch zu dem Ergebnis, dass seitens der Träger der Grundsicherung davon auszugehen sei, dass grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden würden. Daraus würden sich grundsätzlich keine unabweisbaren laufenden Bedarfe ergeben.

Das spreche dafür, dass auch Kosten für die medizinisch notwendigen Kontaktlinsen nicht vom Grundsicherungsträger zu erstatten seien.

Unter Zitierung dieser Entscheidung komme auch das Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen in einem Beschluss vom 22.11.2019 – L 7 AS 1649/19 B – zu dem Ergebnis, dass der SGB II-Leistungsträger nicht als Ausfallbürge der gesetzlichen Krankenkassen herhalten könne.

Andererseits gebe das BSG bereits in einem Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R, Rn. 31- 33 – zu bedenken, dass verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Sicherung des Existenzminimums bestehen würden, „wenn die medizinisch notwendige Versorgung mit einer Sehhilfe im Einzelfall besonders kostenaufwendig sei und der betroffene Versicherte nicht über die wirtschaftlichen Mittel zur Selbstversorgung verfüge“.

„Dabei sollte der Gesetzgeber auch die grundsicherungsrechtlichen Vorschriften in den Blick nehmen und klären, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen etwa bei Personen, die von allen Zuzahlungen nach § 62 SGB V befreit seien und deren Sehfähigkeit gravierend eingeschränkt sei, die Krankenkassen sich an der Versorgung mit Sehhilfen zumindest zu beteiligen haben.“

Im Regelfall sei eine solche Beteiligung der GKV verfassungsrechtlich nicht geboten. Es gebe aber auch Fälle, in denen die benötigte Sehhilfe deutlich teurer sei, und dies gelte insbesondere für Kontaktlinsen, die häufig teurer seien als Brillengläser. Es werde zu prüfen sein, ob für solche Ausnahmefälle eine finanzielle Beteiligung der GKV in Betracht gezogen werden müsse, insbesondere, wenn der Betroffene aus medizinischen Gründen angemessen nur mit Kontaktlinsen versorgt werden könne.

Der Beklagte sei daher noch immer die Auffassung, die Kosten für die Versorgung der Berufungsbeklagten mit einer angemessenen Sehhilfe wären von der Krankenkasse zu übernehmen, insofern hätte der Widerspruchsbescheid der DAK Gesundheit vom 03.08.2017 mit einer entsprechenden Klage angegriffen werden müssen.

Der Beklagte hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass die Tragweite des Ausgangs des vorliegenden Verfahrens nicht auf den Zeitraum 01.10.2016 bis 30.09.2017 beschränkt sei, sondern ebenfalls die anschließenden Zeiträume erfasse, auch wenn diese nicht Gegenstand des Verfahrens seien.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, 
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. Juni 2019 zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die zulässige Berufung sei als unbegründet zurückzuweisen, weil das erstinstanzliche Gericht den Beklagten zu Recht verpflichtet habe, ihr die Kosten für Kontaktlinsen als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 zu ersetzen. 

Nach einer erfolglosen Behandlungsphase am linken Auge sei sie in eine Augenklinik eingewiesen und anschließend am Auge operiert worden. Infolge dieser Operation sei das linke Auge irreparabel beschädigt worden (OP-Narbe + verkrümmte Hornhaut). Zwischenzeitlich habe sich auch am rechten Auge eine erhebliche altersbedingte Kurzsichtigkeit eingestellt. Sie sei alternativlos auf die Versorgung mit Kontaktlinsen angewiesen.

Die „medizinische Notwendigkeit“ sei bei ihrer Person stets gegeben. Dass sie sehbehindert sei, werde ihr auch durch den sich in der Akte befindlichen Bescheid des Versorgungsamtes entsprechend SGB IX bescheinigt.

Als gesetzlich Versicherte habe sie einen Anspruch auf Sehhilfen gemäß der sog. „Sehhilfenverordnung“ aus SGB V. Dieser Anspruch bestehe oder entfalle, weil der Verordnungsgeber die Grenzwerte immer wieder verändert habe. Entsprechend sei der Klägerin auf einen Antrag von ihrer Krankenkasse mit einem aktuellen Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 die Übernahme der Leistungen verwehrt worden.

Weil sich die Sehkraft innerhalb eines Jahres mehrfach verändern könne, sei die Klägerin gehalten, halbjährlich Untersuchungen vorzunehmen und sich mit neuen Kontaktlinsen versorgen zu lassen. Dies sei auch ärztlich indiziert.

Ferner reklamiere die Klägerin einen weiteren Grund für die Notwendigkeit der halbjährlichen Versorgung mit neuen Kontaktlinsen: Um Kontaktlinsen so lange als möglich tragen zu können, bedürfe es deren chemischer Reinigung. Diese Reinigung wiederum habe Ablagerungen zur Folge, weshalb Kontaktlinsen ein „Verfalldatum“ in sich trügen. Würden Kontaktlinsen permanent getragen und gereinigt, so könnten diese nach Ablauf eines halben Jahres nicht mehr problemlos benutzt werden.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ein Schreiben der Krankenkasse vom 05.12.2018 vorgelegt (Bl. 202 GA). In diesem wird folgendes ausgeführt: „Im Widerspruchsbescheid wurde auch die Änderung der „Sehhilfenverordnung“ berücksichtigt.
Geändert wurde hier zum 10.04.2017 § 33 Abs. 2 S. 1 und 2 des 5. Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach können seit dem 11.04.2017 Versicherte nach Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Sehhilfen haben, wenn sie einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus aufweisen. Sie fallen also jetzt unter diese Änderung.

Diese Änderung gilt aber nur für Anträge und Versorgungen, die nach dem 11.04.2017 gestellt wurden bzw. begonnen wurden. Damit fallen die Anträge für Kontaktlinsen aus dem Jahr 2015 und 2016 eben nicht unter diese Änderung. Auch dann nicht, wenn der Widerspruch zu diesem Zeitpunkt schon anhängig war. Als Sie 2015 und 2016 mit den Kontaktlinsen versorgt wurden, galt die neue Regelung noch nicht. Dementsprechend konnten für diese auch keine Kosten erstattet werden. Auch für die Kontaktlinsen, mit denen Sie im Januar 2017 versorgt wurden, gilt die neue Regelung nicht. Auch wenn Sie das ganze Jahr für die Linsen gezahlt haben, gilt die Rechtslage zum Zeitpunkt, zu dem Sie die Jahreslinsen bekommen haben. Das war im Januar 2017. Zu dem Zeitpunkt galt die neue Regelung noch nicht. Erst mit der folgenden Verordnung/Beschaffung im Jahr 2018 konnte die neue Regelung daher berücksichtigt werden“.

Der Senat hat am 08.04.2020 einen Befundbericht bei dem behandelnden Augenarzt Dr. D. eingeholt. Dieser hat am 16.04.2020 ausgeführt, die Klägerin leide unter Blepharitis (Entzündung des Lidrandes), Hornhautnarbe links mit Visusherabsetzung, Mouches volantes (Benennungen stehen für kleine sich bewegende Formen im Gesichtsfeld. Diese Linien, Punkte oder Flecken sind typischerweise Symptome für eine Glaskörpertrübung), Hornhautnarbe links, Astigmatismus myopicus (Astigmatismus myopicus: eine Brennlinie liegt auf der Netzhautebene, während sich die andere davor befindet), anisometropsiche Amblyopie links (bezeichnet das entwicklungsbedingte Defizit des Formensehens, eine Unfähigkeit des Gehirns, Sinneseindrücke des Auges richtig zu verarbeiten. Die Ursache liege in einem gestörten Entwicklungsprozess im Zusammenspiel zwischen Auge und Gehirn in einer sensiblen Phase der Kindheit), Hornhautnarbe links, chron. Blepharitits, Conjunctivits sicca, hintere Glaskörperabhebung beidseits (Bl. 232 GA). 

Die Frage 7 des Befundberichts „Ist eine Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen medizinisch erforderlich und gegenüber einer Brillenversorgung alternativlos? Welche Gründe im Einzelnen sind hierfür maßgeblich? Besteht ggf. die medizinische Notwendigkeit, Kontaktlinsen in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu erneuern? Welche Abstände sind erforderlich?“ beantwortet er mit: „nein“. Auf Nachfrage des Senats hat er mitgeteilt, dass eine Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen medizinisch erforderlich sei, weil eine hohe Anisometropie bestehe (cc rechts -6‚00 -0‚75 * 174, cc links +0,25 "2,75 * 161). Aufgrund der hohen Brechkraft sei ein Ausgleich mit einer Brille nicht möglich (Bl. 253 GA).

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren ein Schreiben des Augenoptikers „B.“ Herrn E. vorgelegt (Bl. 247 GA). Dieser hat Folgendes zur Situation der Klägerin ausgeführt: 

„1. Durch Ihre hohe Anisometropie (Ungleichsichtigkeit) vom rechten zum linken Auge von mehr als 6 Dioptrien ist bei Ihnen eine Korrektur mittels Brille nicht möglich. Die Brillengläser würden auf Ihrer Netzhaut zwei völlig unterschiedliche Abbildungen in der Größe verursachen. Auf dem rechten Auge durch das „Minusglas“ ein sehr kleines Netzhautbild und auf dem linken Auge durch das „Plusglas“ ein sehr großes Netzhautbild. Diese Größenunterschiede kann ein Gehirn nicht mehr zu einem Bild umarbeiten. Die Folgen wären starke Doppelbilder und fehlendes Stereosehen. In Ihrem Fall sind aus diesem Grund Kontaktlinsen das Mittel der ersten Wahl. Die Kontaktlinsen sitzen direkt auf dem Auge und Bilder werden in gleicher Größe auf die Netzhaut abgebildet. Eine Bildverarbeitung ist möglich, auch ein beidäugiges Sehen (binokulares Sehen) ist gegeben.

2. Sie tragen im Moment Kontaktlinsen von der Firma F. (Schweiz). Die Kontaktlinsen sind individuell angefertigte, weiche Kontaktlinsen. Sie werden einzeln, als Sonderanfertigung für das rechte und linke Auge berechnet und produziert. Die Kontaktlinsen korrigieren bei Ihnen folgende Fehlsichtigkeiten: Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit und Altersweitsichtigkeit. Diese Art von Kontaktlinse ist nicht als Standardlinse (Tages- oder Monatslinse) lieferbar.

3. Das empfohlene Austauschintervall Ihrer Kontaktlinsen wird vom Hersteller mit einem Zeitraum von 12 Monaten angegeben. Durch den täglichen Gebrauch und die erforderliche tägliche Reinigung der Kontaktlinsen können bestimmte Geometrien bei einer Nutzung über die Zeitspanne hinaus ihre Parameter verändern. Das wirkt sich auf die Passform der Linsen aus und somit auch auf den Tragekomfort und die Sehqualität. Hinzu kommen Ablagerungen organischer und anorganischer Art, die zu Sehbeeinträchtigungen und eingeschränkte tägliche Nutzbarkeit führen. Durch besondere Konditionen beim Hersteller wechseln Sie Ihre Kontaktlinsen im Halbjahrestausch (zwei Paar pro Jahr). Der Verkaufspreis hierfür entspricht dem Preis eines Einzelpaares pro Jahr. Dieses Tauschintervall führt zu einer hohen Verträglichkeit und einer besseren Augengesundheit“ (Bl. 242f GA).

Mit Beweisanordnung vom 26. Mai 2021 hat der Senat ein Gutachten nach Aktenlage bei Prof. em. Dr. G. eingeholt. Der Gutachter hat am 17.09.2021, eingegangen am 29.09.2021, sein Gutachten erstattet und ausgeführt (Bl. 275 ff GA), bei der Klägerin bestehe am linken Auge von Kindheit an eine Hornhautnarbe infolge einer Entzündung der Hornhaut. Dadurch sei die Sehschärfe auf dem linken Auge mit Korrektur auf 0,4 reduziert. Am rechten Auge bestehe eine Kurzsichtigkeit von -6 Dioptrien. Diese lasse sich optisch ausgleichen mit einer Kontaktlinse, das Sehvermögen betrage dann 1,0 also 100 %.

Durch eine optische Korrektur mit einer Kontaktlinse könne die Sehschärfe auf dem linken Auge auf 0,4 und rechts auf 1,0 angehoben werden. Es gebe keine Möglichkeit, das Sehvermögen auf dem linken Auge außer einer Keratoplastik (Hornhauttransplantation) weiter anzuheben. Die Sehschärfe betrage 0,4, das Partnerauge habe eine 100-prozentig Sehschärfe. Insofern würde man zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfehlen eine Keratoplastik (neue Hornhaut) durchzuführen, da es sich um eine aufwendige Operation mit begrenzter Prognose und hohem Risiko handele.

Grundsätzlich kämen zwei optische Korrektionsmittel in Betracht, eine Kontaktlinse oder eine Brillenanpassung.

Die Erfahrung zeige, dass eine Kontaktlinse, wenn sie vertragen werde, in der Regel qualitativ ein besseres Sehvermögen erzeuge, als eine Brille. Hinzu komme, dass in diesem Fall die Brillenwerte zwischen rechtem und linkem Auge weit auseinander lägen (> 3 Dioptrien). In solchen Fällen werde eine Brille wegen der ungleichen Bildgrößen auf dem rechten und linken Auge (Aniseikonie) nicht toleriert. Eine Aniseikonie von > 3 Dioptrien werde in der Regel nicht angenommen und damit falle die Anpassung einer Brille hier aus.

Nach den Unterlagen komme die Klägerin mit den Kontaktlinsen zurecht.

Herr Dr. D. sei in seinem Schreiben vom 10.12.2020 zum gleichen Ergebnis gekommen. Das Tragen einer Kontaktlinse sei medizinisch erforderlich.

Kontaktlinsen müssten regelmäßig gepflegt werden und nach bestimmten Zeiten je nach verwendetem Typ ersetzt werden. Es gebe Tageslinsen, 14-Tageslinsen, Monatslinsen oder Jahreslinsen. Welcher Linsentyp verordnet werde, hänge davon ab, wie gut die Patientin mit der entsprechenden Linse sehen könne und wie gut sie vertragen werde. Das werde in der Regel von einem Optiker festgelegt und geprüft.

Auf Nachfrage des Senats hat der Augenoptiker E. zunächst mitgeteilt, dass im Zeitraum vom 01.10.2016 bis 30.09.2017 die Kontaktlinsenversorgung durch die Klägerin selbst beglichen worden sei und keine Verordnung eines Augenarztes vorgelegen habe (Bl. 315 GA). Auf eine weitere Nachfrage hat er dargelegt, dass der Auftrag für ein Jahr erstellt worden sei. Die Abgabe des ersten Paares sei am 14.06.2016 erfolgt. Das zweite Paar sei am 12.01.2017 abgegeben worden. Aufgrund der Auftragserteilung am 23.06.2017 sei die Klägerin am 03.07.2017 und am 24.01.2018 jeweils mit einem Paar Kontaktlinsen versorgt worden (Bl. 334 GA). Ergänzend hat er ausgeführt, die Klägerin trage weiche konventionelle Jahreslinsen in Sonderanfertigung. Durch gute Konditionen beim Hersteller habe der Tragerhythmus auf halbjährlich zum Wohle der Kundin verändern werden können. Das hieße im Fall der Klägerin, würden zwei Paar Kontaktlinsen den Jahresbedarf bilden. Die Kundin werde zunächst mit einem Paar versorgt, dann würden nach einem halben Jahr Kontaktlinsen die Augen kontrolliert und im Anschluss das zweite Paar bestellt (Bl. 334 GA).

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat erteilt (Bl. 251, 290 GA).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. 


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte auf der Grundlage von § 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem beide Beteiligte ihr Einverständnis erklärt haben.

I.    Die Berufung des Beklagten ist zulässig. 

Der Beschwerdewert von 750 Euro wird überschritten, da das Sozialgericht den Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 aufgehoben hat und den Beklagten verpflichtet hat, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und der Klägerin die Kosten für Kontaktlinsen i. H. v. monatlich 66,00 Euro für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und i. H. v. 68,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 zu erstatten. Der Beklagte ist aufgrund des Urteils zur Zahlung von 798 Euro verpflichtet worden (9 x 66 Euro und 3 x 68 Euro.

Statthafte Klageart ist hier die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R –, BSGE 117, 240-250, SozR 4-4200 § 21 Nr. 19, Rn. 11). Die Klägerin begehrte mit der Anfechtungsklage die Aufhebung der Ablehnung des Mehrbedarfs. Die Verpflichtungsklage ist auf die Änderung des im Zeitpunkt des Antrages der Klägerin bereits bestandskräftigen Ausgangsbescheides vom 01.09.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 gerichtet. Diese Bescheide sind auf der Grundlage des § 44 SGB X zu überprüfen. Der die laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligende Bescheid vom 01.09.2016 ist nach dem klägerischen Begehren insoweit rechtswidrig im Sinne des § 44 SGB X, als die Leistung von auch einen Mehrbedarf zur Beschaffung von Kontaktlinsen hätte umfassen müssen. Mit der Leistungsklage beantragt die Klägerin die Erbringung einer Leistung über den von dem Beklagten bewilligten Betrag hinaus. 

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid des Beklagten vom 01.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 sowie der Überprüfungsbescheid vom 01.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017, durch den der Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs für die Kosten der Versorgung mit Kontaktlinsen abgelehnt worden ist.

II. Die Berufung ist in Teilen begründet. 

1. Für den Zeitraum 01.10.2016 bis 11.01.2017 besteht kein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II in der damals geltenden Fassung. 
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24.06.2019 kann insoweit keinen Bestand haben. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Bescheide des Beklagten vom 01.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2016 in Gestalt der Änderungsbescheides vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 sowie der Überprüfungsbescheid vom 01.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 für den Zeitraum 01.10.2016 bis 11.01.2017 abgeändert werden und der Beklagte verpflichtet wird, in diesem Zeitraum einen Mehrbedarf der Klägerin für die Versorgung mit Kontaktlinsen zu berücksichtigen.

Die nach Maßgabe von § 7 SGB II Leistungsberechtigten haben gemäß § 21 Abs. 6 SGB II in der hier maßgeblichen alten Fassung (a.F.) Anspruch auf die Berücksichtigung nicht durch den Regelbedarf im Sinne von § 20 SGB II abgedeckte weitergehende Bedarfe. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird ein Mehrbedarf bei Leistungsberechtigten anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist gemäß § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II in diesem Sinne unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 14.02.2018 – L 6 AS 27/17 –, Rn. 20, juris). 

Die Voraussetzungen für einen individuell höheren Mehrbedarf zur Beschaffung der Kontaktlinsen nach § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) liegen in diesem Zeitraum nicht vor. 

a) Der Bedarf der Klägerin bezüglich der Versorgung stellt einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) dar. 
Von einem laufenden Bedarf ist auszugehen, wenn der Bedarf regelmäßig wiederkehrt, dauerhaft oder längerfristig besteht; für die Beurteilung der Regelmäßigkeit ist auf den Bewilligungsabschnitt abzustellen (BTDrucks. 17/1465, S. 9). Für einen wiederkehrenden Bedarf müsste die Neuanschaffung deshalb innerhalb eines Jahres nicht nur einmal getätigt worden sein (vgl. LSG Niedersachsen–Bremen, Urteil vom 06.10.2020 – L 7 AS 66/19 –, Rn. 35, juris; Hessisches LSG, Urteil vom 12.05.2021 – L 6 AS 190/19 –, Rn. 80, juris). 

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die Kontaktlinsen halbjährlich erneuert werden müssen und damit mehrmals in dem 12monatigen Bewilligungsabschnitt angeschafft wurden. 

Der Bedarf an den Kontaktlinsen ist auch als dauerhafter Bedarf einzustufen, da die eingeschränkte Sehfähigkeit der Klägerin nur durch die Kontaktlinsen kompensiert werden kann. Eine Besserung der Sehfähigkeit auf anderem Wege ist nicht ersichtlich.

b) Der Anspruch scheitert nicht, weil die Klägerin erstmals am 12.10.2016 die Übernahme des Mehrbedarfes geltend machte. 

Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es für Mehrbedarfe keiner gesonderten Antragstellung, da diese untrennbare Bestandteile des Arbeitslosengeldes II sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R –, SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, Rn. 9f, juris; sowie BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 14 AS 3/09 R, Rn. 14 juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.12.2020 – L 6 AS 1651/17 –, Rn. 47, juris). Mit dem Antrag wird mithin ein Hilfebedarf geltend gemacht, der alle Leistungen umfasst, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Form des ALG II dienen (BSG, Urteil vom 06. 05.2010 – B 14 AS 3/09 R –, SozR 4-4200 § 28 Nr. 3, Rn. 14, juris), was den Mehrbedarf daher miteinschließt. Einen solchen Antrag hat die Klägerin am 31.08.2016 in Form des Weitergewährungsantrages gestellt.

c) Für den Zeitraum 01.10.2016 bis 11.01.2017 besteht jedoch kein Anspruch nach dem SGB II, da die Kosten durch die Versorgung mit Kontaktlinsen am 14.06.2016 entstanden sind und damit der Bedarf außerhalb des hier maßgeblichen Bewilligungszeitraums vom 01.10.2016 bis 30.09.2017 gedeckt worden ist. Auf den Umstand, dass die Klägerin aufgrund des Abschlusses eines „Kontaktlinsenabos“ auch im Zeitraum 01.10.20216 bis 11.01.2017 mit monatlichen Kosten belastet ist, kann es schlussendlich nicht ankommen, weil dies nichts daran ändert, dass Bedarfsentstehung und Bedarfsdeckung nicht dem hier streitigen Bewilligungszeitraum zugeordnet werden können.

Die Berufung des Beklagten ist für den Zeitraum 01.10.2016 bis 11.01.2017 daher begründet und das Urteil insoweit aufzuheben.

2. Die Berufung ist unbegründet, soweit sie den Zeitraum vom 12.01.17 bis 10.04.2017 betrifft. 
Die Klägerin hat in diesem Zeitraum einen Anspruch darauf, dass die Bescheide des Beklagten vom 01.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2016 in Gestalt der Änderungsbescheides vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 sowie der Überprüfungsbescheid vom 01.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 abgeändert werden und der Beklagte verurteilt wird, im Zeitraum 12.01.2017 bis 10.04.2017 Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs der Klägerin für die Versorgung mit Kontaktlinsen zu berücksichtigen. 

Es besteht ein Anspruch auf Übernahme des Mehrbedarfs in Höhe von 66 Euro monatlich für die Monate Februar März und April 2017 und damit in Höhe von in Höhe von 198 Euro. Der Betrag berechnet sich aus den am 01.02.2017, 01.03.2017 und 01.04.2017 fälligen Monatsraten von jeweils 66 Euro.

Für Januar 2017 besteht kein Anspruch auf Übernahme, da zum Zeitpunkt der erneuten Versorgung mit Kontaktlinsen am 12.01.2017 die Ratenzahlung für Januar 2017 bereits erfolgt war.

Die Voraussetzungen für einen individuell höheren Mehrbedarf zur Beschaffung der Kontaktlinsen nach § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) liegen daher nur für Februar bis April 2017 vor. 

a) Der Bedarf der Klägerin bezüglich der Versorgung mit Kontaktlinsen stellt – wie bereits dargelegt - einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) dar. 

b) Der Bedarf ist unabweisbar im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II (a.F.), da keine vorrangige Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht. 

aa) Zunächst ist feststellen, dass die Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen medizinisch indiziert ist.

Um zu vermeiden, dass im Rahmen dieser steuerfinanzierten Leistungen nicht das Tor zu einer beliebigen, mit Steuermitteln finanzierten Wunschmedizin eröffnet wird, kommt die Übernahme von Kosten für gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der betreffenden Behandlungsmaßnahme ein hinreichender Anlass zu der betreffenden Intervention bestanden hat (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 – L 15 AS 262/16 –, Rn. 32, juris). D. h., es muss eine Indikation vorgelegen haben, die anhand medizinischer Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 09.03.2017 - L 7 AS 167/17 B ER -; LSG Hamburg, Urteil vom 19.03.2015 - L 4 AS 390/10 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 – L 15 AS 262/16 –Rn. 32, juris).

Nach Auswertung aller medizinischen Unterlagen geht der Senat von einer medizinischen notwendigen Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen im streitgegenständlichen Zeitraum aus. 

Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten von Prof. Dr. G., Facharzt für Augenheilkunde, die Befundberichte von Dr. D. und die Ausführungen des Optikers E. Aus diesen geht hervor, dass die Klägerin an einer stark ausgeprägten Ungleichsichtigkeit leidet. 

Aus den Unterlagen ergibt sich, dass bei der Klägerin am linken Auge von Kindheit an eine Hornhautnarbe infolge einer Entzündung der Hornhaut entstanden ist, wodurch die Sehschärfe auf dem linken Auge mit Korrektur auf 0,4 reduziert ist. Am rechten Auge wiederum besteht eine Kurzsichtigkeit von -6 Dioptrien. Nach den Ausführungen sowohl des behandelnden Augenarztes als auch des Gutachters lässt sich die Kurzsichtigkeit auf dem rechten Auge mit einer Kontaktlinse optisch zu 100 % ausgleichen.

Nachvollziehbar hat der Gutachter dargelegt, dass die Anhebung des Sehvermögens auf dem linken Auge nur durch eine Hornhauttransplantation angehoben werden könnte, jedoch ein solcher Eingriff zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen sei, da es sich um eine aufwendige Operation mit begrenzter Prognose und hohem Risiko handele.

Plausibel und nachvollziehbar hat der Gutachter dargelegt, dass zwei optische Korrektionsmittel, nämlich eine Kontaktlinse oder eine Brillenanpassung, in Betracht kämen.

Nach der Erfahrung des Gutachters, welche sich mit den Einschätzungen des behandelnden Augenarztes und des Optikers deckt, erzeugt eine Kontaktlinse, wenn sie vertragen wird, in der Regel ein qualitativ besseres Sehvermögen als eine Brille. Dies wird nachvollziehbar damit begründet, dass im Fall der Klägerin die Brillenwerte zwischen rechtem und linkem Auge weit auseinander liegen (> 3 Dioptrien), was dazu führt, dass eine Brille wegen der ungleichen Bildgrößen auf dem rechten und linken Auge (Aniseikonie) nicht toleriert werden würde und die Anpassung einer Brille hier ausfalle.

bb) Es handelt sich aufgrund der medizinischen Indikation um einen unabweisbaren Bedarf, der im Zeitraum vom 12.01.2017 bis 10.04.2017 nicht durch den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt war. 

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) besteht ein unabweisbarer Bedarf erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, Az: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, Rn. 208; Hessisches LSG, Urteil vom 12.05.2021 – L 6 AS 190/19 –, Rn. 28, juris). 

Für die Unabweisbarkeit spricht zum einen, dass die Versorgung der Klägerin mit den Kontaktlinsen medizinisch notwendig ist, und zum anderen die monatliche Kostenbelastung der Klägerin. Die für die Kontaktlinsen aufzuwendenden Kosten übersteigen den im Regelsatz vorgesehenen Betrag für Gesundheitspflege von 15,50 Euro mit 66,00 Euro bzw. 68,00 Euro ab Juli 2017 um mehr als das Vierfache und damit deutlich. Diese Kosten können aufgrund ihrer Höhe nicht dauerhaft durch Einsparmöglichkeiten der Klägerin in anderen Bereichen kompensiert werden. 

Dem steht nicht entgegen, dass es grundsätzlich Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, den Anspruch der Klägerin als Versicherte auf Krankenbehandlung, soweit sie notwendig ist, zu befriedigen. 

Der 14. Senat des Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 26.05.2011 (B 14 AS 146/10 R) ausgeführt, dass das eine ausreichende medizinische Versorgung umfassende, sozialrechtlich zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bei Hilfebedürftigen nach dem SGB II in erster Linie durch ihre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 2a SGB V) sichergestellt wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 – L 15 AS 262/16 –, Rn. 32, juris). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung besteht nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V dann, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch erstreckt sich nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln. 

Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen in der gesetzlichen Krankenversicherung wird durch § 33 SGB V konkretisiert. § 33  Abs. 2 Satz 2 SGB V in der Fassung vom 16.07.2015 bis 10.04.2017 regelte, dass für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, der Anspruch auf Sehhilfen besteht, wenn sie auf Grund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92 SGB V, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden (§ 33 Abs. 2 Satz 3 SGB V). 

Gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 SGB V, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden (§ 33 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuss zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte (§ 33 Abs. 3 Satz 3 SGB V). 

Das BSG hat es nicht beanstandet, dass der Gesetzgeber in § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V nur den Versicherten die Versorgung mit einer Sehhilfe zugesteht, die auf beiden Augen an einer schweren Sehbeeinträchtigung leiden (BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 29, juris). Es hat sich mit der Kritik auseinandergesetzt, dass die Regelung das nicht intuitiv eingängige Ergebnis zur Folge habe, dass nur Versicherte Anspruch auf eine Sehhilfe haben, deren Sehfähigkeit mit Hilfe von Sehhilfen nur sehr beschränkt verbessert werden können, während Versicherte, deren beantragte Sehhilfe zu einem besseren Ergebnis führe, die Kosten selbst tragen müssten. Dies ändere jedoch nichts daran, dass es sich zwar nicht um ein zwingendes, jedoch nachvollziehbares Konzept handelte, wenn sich der Gesetzgeber darauf beschränke, nur für die Versicherten einen Anspruch zu formulieren, die auch mit bestmöglicher Korrektur (weiterhin) unter einer schweren Sehbeeinträchtigung litten (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 29, juris).

Hintergrund des Leistungsausschlusses in § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V sei die Erwägung des Gesetzgebers gewesen, dass die Versicherten - obgleich ein durchschnittlicher Betrag von rund 50 Euro eine medizinisch notwendige Versorgung mit einer Sehhilfe finanziell vollständig abdecke - im Durchschnitt bereit seien, darüber hinaus ca. 150 Euro für medizinisch nicht notwendige Leistungen (z.B. Entspiegelung und/oder Tönung der Gläser) auszugeben und damit aus nicht medizinischen Gründen schätzungsweise 70 bis 80 % der Gesamtkosten einer Sehhilfenversorgung tragen würden. Der Gesetzgeber sei deshalb davon ausgegangen, dass die Leistungsausgrenzung erwachsene Versicherte grundsätzlich finanziell nicht überfordern würde (BT-Drucks 15/1525, S. 85). Dies unterscheide die Sehhilfen von vielen anderen Hilfsmitteln wie z.B. Prothesen, die wesentlich teurer seien. Angesichts der im Regelfall relativ geringen Kosten für eine Sehhilfe einerseits und der Vielzahl der Versicherten, die eine Sehhilfe benötigten anderseits, sei die Regelung insbesondere mit Blick auf die Einsparmöglichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung als die Ungleichbehandlung rechtfertigend anzusehen und nicht zu beanstanden. Der GKV-Leistungskatalog dürfe auch von finanzpolitischen Erwägungen mitbestimmt sein (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 30, juris).

Auf die Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber reagiert und § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V zum 01.04.2017 geändert. 

In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt: „Unter Beibehaltung des grundsätzlichen Leistungsausschlusses bezüglich der Versorgung mit Sehhilfen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, wird die Ausnahmeklausel erweitert. Die bisherige Ausnahmeklausel, die ausschließlich auf die Sehbeeinträchtigung mit bestmöglicher Korrektur abstellt, hat den anspruchsberechtigten Personenkreis über das vom Gesetzgeber beabsichtigte Maß hinaus eingeschränkt. Darauf hat die aktuelle Rechtsprechung hingewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016, Az. B 3 KR 21/15 R).

Die Nummer 1 des § 33 Absatz 2 Satz 2 beinhaltet den Anspruch auf Sehhilfen, wenn bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 (Visus < 0,3) nach ICD 10-GM 2017 gegeben ist.

Die Nummer 2 erweitert den Anspruch auf Sehhilfen auch auf Versicherte, die schwere Sehbeeinträchtigungen aufweisen, aber mit häufig kostenaufwändigen Brillengläsern oder Kontaktgläsern einen Visus von 0,3 oder höher erreichen und deshalb nach der bisherigen Fassung des Gesetzes nicht anspruchsberechtigt sind“ (BTDrucks 18/11205, S. 61). 

Seit 11.04.2017 ist die Norm wie folgt gefasst:
Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie 1. nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder 2. einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen.

Wie die Krankenkasse in dem Schreiben vom 05.12.2018 zutreffend feststellt, zählt die Klägerin nach der Gesetzesänderung grundsätzlich zum nunmehr anspruchsberechtigten Personenkreis, während sie bis zum 10.04.2017 von Leistungen nach § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V ausgeschlossen war. 

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Krankenkasse kann im bis 10.04.2017 auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V gestützt werden. 

Gemäß § 2 Abs. 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a: eingefügt durch Art. 1 Nr. 1  BGBl. I 2983 mit Wirkung zum 01.01.2012).

Die Sehschädigung der Klägerin stellt keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung dar, auch wenn ihre Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist. Ihre hochgradige Sehstörung kann ebenso nicht in der Bewertung mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 1 KR 15/08 R –, SozR 4-2500 § 27 Nr. 16, Rn. 13). 

Das BSG hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus dem sogenannten Nikolaus-Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 33), als dessen Konkretisierung § 2 Abs. 1a SGB V erlassen wurde (BT-Drucks 17/6906, S. 52), zum Anspruch auf Krankenbehandlung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung in der Folgezeit näher konkretisiert und hat dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. zuletzt BSG Urteil vom 19.03.2020 - B 1 KR 22/18 R -, Rn. 20, juris). Eine drohende Erblindung kommt als eine solche Erkrankung in Betracht (vgl. BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr. 3, RdNr. 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 7, RdNr. 31); hochgradige Sehstörungen reichen demgegenüber noch nicht aus (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rn. 13 ff zur starken Kurzsichtigkeit kombiniert mit Astigmatismus bei Kontaktlinsen- und Brillenunverträglichkeit) (BSG, Beschluss vom 27.10.2020 – B 3 KR 18/20 B –, Rn. 10, juris).

Das Vorliegen der Schwere einer Erkrankung im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V erfordert nach der Rechtsprechung des BSG in zeitlicher Hinsicht eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Beschluss vom 27.10.2020 – B 3 KR 18/20 B –, Rn. 11, juris). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (stRspr, vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 RdNr. 20; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, RdNr. 32; BSG SozR 4-2500 § 2 Nr. 12 und RdNr. 21), sodass Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (vgl. nur BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.04.2017 - 1 BvR 452/17 - SozR 4-2500 § 137c Nr. 8 = NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr. 25; BSG, Beschluss vom 27.10. 2020 – B 3 KR 18/20 B –, Rn. 11, juris).

Zwar kann durch die Versorgung mit den Kontaktlinsen Sehvermögen hergestellt werden, dass der Klägerin die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, in dem die eingeschränkte Sehfähigkeit durch den Einsatz der Hilfsmittel verbessert wird und das ohne Zweifel wichtige und herausgehobene Sinnesorgan Auge funktionsfähig erhalten wird. 

Jedoch ist die Situation der Klägerin weder mit dem (vollständigen) Verlust eines wichtigen Sinnesorganes vergleichbar noch ist der von der Rechtsprechung des BSG geforderte zeitlicher Aspekt der Notlage erkennbar. 

Das BSG sah im Urteil vom 05.05.2009 – B 1 KR 15/08 R –, SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 keine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer hochgradigen Sehstörung (starke Kurzsichtigkeit kombiniert mit Astigmatismus bei Kontaktlinsen- und Brillenunverträglichkeit) als gerechtfertigt an, da eine notstandsähnliche Situation fehle.

Diese Entscheidung kann allerdings hier nur eingeschränkt Anwendung finden, da sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, das anders als im hiesigen Fall, die dortige Klägerin mit einer Brille hätte versorgt werden können. Dort wird ausgeführt: „Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bei typischen Wunschbehandlungen wie der ICL, die das Tragen einer Brille vermeiden, es besonders sorgfältiger Überprüfung bedarf, dass Alternativbehandlungen - hier: Versorgung mit einer Brille - aus tatsächlichen Gründen medizinisch ausgeschlossen sind. Dazu genügt es nicht, dass der betroffene Patient - wie hier die Klägerin - 30 Jahre lang eine Brille getragen hat, zeitweise deshalb Druckstellen hatte und ohne wesentliche Verschlechterung des Zustands nicht mehr weiterhin mit diesem leben möchte, weil der Patient den Druck des Brillengestells als unangenehm oder unzumutbar empfindet. Räumt der behandelnde Augenarzt - wie hier - ein, dass er diese Patientenangaben über Beschwerden nicht objektivieren könne, kann daraus eine Brillenunverträglichkeit entgegen der Ansicht des LSG nicht schon abgeleitet werden. Das gilt erst recht, wenn - wie vorliegend - der zuletzt behandelnde Nasenoperateur bestätigte, dass jedenfalls nach Abheilung der Operationsnarben - drei Monate nach der Operation - das Tragen einer Brille möglich sei, und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung darauf hinwies, dass diverse andere Versorgungsmöglichkeiten für die Fehlsichtigkeit bestanden, etwa Entlastung des Nasenrückens durch Gewichtsverlagerung einer Sehhilfe auf die Ohrmuscheln“ (BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 1 KR 15/08 R –, SozR 4-2500 § 27 Nr. 16, Rn. 18, juris).

Verfassungsrechtliche Bedenken bleiben allerdings hinsichtlich der Ausgestaltung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Senat teilt die im BSG-Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R – angesprochenen verfassungsrechtlichen Zweifel des 3. Senats (BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 30 f, juris).

In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte der zuständige Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Sicherung des Existenzminimums nach Art. 1 und 2 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip gesehen, da Anhaltspunkte dafür gefehlt hätten, dass dem dortigen Kläger die Eigenfinanzierung unzumutbar gewesen sei (BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 30, juris). Weiter hat das BSG in dem Urteil ausgeführt: „Das könnte allerdings anders zu bewerten sein, wenn die medizinisch notwendige Versorgung mit einer Sehhilfe im Einzelfall besonders kostenaufwendig ist und der betroffene Versicherte nicht über die wirtschaftlichen Mittel zur Selbstversorgung verfügt. Wenn nach dem Grundsicherungsrecht Kosten für medizinische Leistungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, grundsätzlich aus dem Regelsatz zu bestreiten sind (so BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13, RdNr 24-26), dürfte eine Zuweisung medizinisch notwendiger Leistungen zum Bereich der Eigenverantwortung ohne Härtefallregelung zumindest verfassungsrechtlich problematisch sein (vgl. Wenner in Wallrabenstein/Ebsen <Hrsg>, Stand und Perspektiven der Gesundheitsversorgung, 2014, S. 115, 130 ff sowie derselbe in GesR 2009, 169, 174). Es gibt aber auch Fälle, in denen die benötigte Sehhilfe deutlich teurer ist, und dies gilt insbesondere für Kontaktlinsen, die häufig teurer sind als Brillengläser. Es wird zu prüfen sein, ob für solche Ausnahmefälle eine finanzielle Beteiligung der GKV in Betracht gezogen werden muss, insbesondere, wenn der Betroffene aus medizinischen Gründen angemessen nur mit Kontaktlinsen versorgt werden kann“ (BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr. 49, Rn. 30, juris).

Ein solcher Fall liegt hier vor.

Da die Sehfähigkeit der Klägerin - wie sich aus dem Gutachten ergibt - durch Kontaktlinsen besser kompensiert werden kann als durch eine Brille, kann die Klägerin daher nicht auf die Versorgung mit einer Brille verwiesen werden. Durch die Versorgung mit Kontaktlinsen entstanden der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum mit 798 Euro Kosten, die den vom Gesetzgeber anvisierten Eigenbeitrag von 150 Euro deutlich übersteigen. Diese Kosten fallen nicht einmalig, sondern laufend an.

Grundsätzlich ist die Sicherstellung der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung in Form des gesundheitlichen Existenzminimums eine Aufgabe der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse. Das folgt aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dieser Anspruch umfasst auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 33 SGB V). 

Dennoch geht der Senat davon aus, dass im Zeitraum vom 12.01.2017 bis 10.04.2017 ein unabweisbarer Bedarf der Klägerin nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. bestand, weil die Versorgung mit Kontaktlinsen medizinisch notwendig war und diese Leistung in im Zeitraum vom 12.01.2017 bis 10.04.2017 nicht vom Leistungsumfang nach dem SGB V umfasst war. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass für den Fall, die Klägerin hätte den Klageweg beschritten, ihr die Leistung aufgrund verfassungskonformer Auslegung zu gewähren gewesen wäre. Dass hätte zur Folge, dass aufgrund fehlender Unabweisbarkeit ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht bestünde. Jedoch hält der Senat eine Verweisung der Klägerin auf einen solchen einfachgesetzlich nicht bestehenden Anspruch für unzumutbar. 

Eine Verweisung auf Durchsetzung eines aufgrund verfassungskonformer Auslegung bestehenden Anspruch hält der Senat für unzumutbar, weil die Rechtslage nach dem SGB V unübersichtlich ist und der Klägerin die Entscheidung des BSG vom 23.06.2016 hätte bekannt sein müssen. Ein Hinweis der Beklagten auf diese erfolgte nicht im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, sondern erst im Rahmen des Berufungsverfahrens. 

Daher geht der Senat trotz der Entscheidung des BSG vom 23.06.2016 davon aus, dass ein unabweisbarer Bedarf nach dem SGB II bestand und die Klägerin auch die sonstigen Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II a.F. erfüllte.

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II und bezog Leistungen nach dem SGB II. Die Aufbringung der Kosten für die Kontaktlinsen führt zu einer Unterschreitung ihres verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums. Denn im Regelbedarf waren gemäß § 5 RBEG (in der vom 24.03.2011 bis 31.12.2016 geltenden Fassung) nach Abteilung 6 ein Betrag von 15,55 Euro für Gesundheitspflege vorgesehen. Da die Klägerin monatliche Kosten von 66 Euro aufbringen musste, wird dieser Betrag deutlich überschritten, so dass er nur durch Einschnitte in anderen Bereichen kompensiert werden könnte. Aufgrund der Höhe der Kosten kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, diese Belastung dauerhaft zu schultern. 

In der Zeit vom 12.01.2017 bis 10.04.2017 besteht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Kontaktlinsen nach § 21 Abs. 6 SGB a.F., da die Klägerin in diesem Zeitraum nach dem SGB V von einem Anspruch auf Gewährung von Kontaktlinsen ausgeschlossen war. Erst aufgrund der zum 11.04.2017 in Kraft getretenen Gesetzesänderung des § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V unterfiel die Klägerin dem anspruchsberechtigten Personenkreis. Nach der alten Regelung war sie von der Leistungsgewährung ausgeschlossen, so dass für die Monate Februar, März und April 2017 der Mehrbedarf in Höhe von 66 Euro berücksichtigungsfähig ist.  

3. Für den Zeitraum 11.04.2017 bis 30.06.2017 ist die Berufung des Beklagten ebenfalls unbegründet. 
Die Klägerin hat in diesem Zeitraum einen Anspruch darauf, dass die Bescheide des Beklagten vom 01.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2016 in Gestalt der Änderungsbescheides vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 sowie der Überprüfungsbescheid vom 01.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 abgeändert werden und der Beklagte verurteilt wird, vom 11.04.2017 bis 30.06.2017 Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarf der Klägerin für die Versorgung mit Kontaktlinsen zu in Höhe monatlich 66,00 Euro für die Monate Mai und Juni 2017 zu gewähren.

Die Voraussetzungen für einen individuell höheren Mehrbedarf zur Beschaffung der Kontaktlinsen nach § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) liegen in oben genannter Höhe vor. 
a) Der Bedarf der Klägerin bezüglich der Versorgung mit Kontaktlinsen stellt – wie bereits dargelegt - einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) dar. 
b) Der Bedarf ist in dieser Höhe unabweisbar im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II (a.F.).
aa) Die Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen ist – wie dargelegt - medizinisch indiziert.
bb) Es handelt sich aufgrund der medizinischen Indikation um einen unabweisbaren Bedarf, da aufgrund der Beschaffung der Kontaktlinsen vor der Gesetzesänderung kein Anspruch auf (anteilige) Kostenübernahme gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse bestand.

Dieser unabweisbare Bedarf wird nicht durch Leistungen Dritter gedeckt. Da die Versorgung mit den Kontaktlinsen vor der Gesetzesänderung nämlich am 12.01.2017 erfolgte, besteht trotz Gesetzesänderung kein Anspruch auf Versorgung durch die Krankenkasse der Klägerin. Daher hat die Klägerin auch in diesem Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für die Monate Mai und Juni 2017 in Höhe von 66 Euro monatlich. 

4. Für den Zeitraum 01.07.2017 bis 30.09.2017 ist die Berufung des Beklagten teilweise begründet. 
Die Klägerin hat in diesem Zeitraum nur einen Anspruch darauf, dass die Bescheide des Beklagten vom 01.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2016 in Gestalt der Änderungsbescheides vom 26.11.2016, 04.01.2017 und 07.06.2017 sowie der Überprüfungsbescheid vom 01.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 abgeändert werden und der Beklagte verurteilt wird, vom 01.07.17 bis 30.09.2017 Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarf der Klägerin für die Versorgung mit Kontaktlinsen zu in Höhe monatlich 50,36 Euro zu gewähren.
Die Voraussetzungen für einen individuell höheren Mehrbedarf zur Beschaffung der Kontaktlinse nach § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) liegen nur in oben genannter Höhe vor. 

a) Der Bedarf der Klägerin bezüglich der Versorgung mit Kontaktlinsen stellt – wie bereits dargelegt - einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II (a.F.) dar. 
b) Der Bedarf ist in dieser Höhe unabweisbar im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II (a.F.).
aa) Die Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen ist – wie dargelegt - medizinisch indiziert.
bb) Es handelt sich aufgrund der medizinischen Indikation um einen unabweisbaren Bedarf, da dieser im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 nicht umfassend durch den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt war. 

Im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 besteht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten des Mehrbedarfs in Höhe 50,36 Euro; insofern ist der angegriffene Bescheid rechtwidrig, als ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen abzüglich des von der Krankenkasse zu gewährenden Festbetrages zu gewähren ist. Die Berufung des Beklagten ist begründet, soweit er verurteilt wurde, darüber hinausgehend einen monatlichen Mehrbedarf von 68 Euro zu gewähren.

Soweit das Sozialgericht eine Leistungsverpflichtung des Beklagten über den Betrag von 50,36 Euro hinaus annahm, fehlt es an einem unabweisbaren Bedarf der Klägerin.

Zwar hat die Krankenkasse der Klägerin beschieden, dass sie war zum anspruchsberechtigten Personenkreis ab 11.04.2017 zähle, ein Anspruch auf Leistung aber vollständig ausscheide, weil die Leistungen bereits vor der Gesetzesänderung beschafft wurden. Hier hätte die Klägerin erkennen können, dass der Bescheid insoweit fehlerhaft ist, als die Beschaffung des weiteren Kontaktlinsenpaars am 03.07.2017 erfolgte und damit eine Versorgung nach der Gesetzesänderung. 

Die Klägerin hätte also erkennen können, dass die Krankenkasse von einem falschen Sachverhalt ausging. Insoweit wäre es der Klägerin auch zumutbar gewesen, Rechtsmittel einzulegen, um eine Prüfung der tatsächlichen Situation zu erhalten. Durch Einlegung von Rechtsmitteln hätte die Klägerin so zumindest die Gewährung des Festbetrages erlangen können. Die Einlegung von Widerspruch und Klageerhebung hält der Senat für zumutbar. Aufgrund der Anwendung derselben prozessualen Vorschriften ist nicht ersichtlich, warum die Klägerin nicht darauf verwiesen werden könnte, ihre Rechte gegenüber der Krankenkasse durchzusetzen.

Allerdings scheidet eine Beiladung und Verurteilung der zuständigen Krankenkasse nach § 75 Abs. 5 SGG im hiesigen Verfahren aus, da der Leistungsantrag der Klägerin von der Krankenkasse bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist. Denn eine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG eines anderen Leistungsträgers kommt nicht in Betracht, wenn dieser die Leistungsgewährung bestandskräftig abgelehnt hat (BSG, Urteil vom 04.05.1999 – B 2 U 19/98 R – Rdnr. 28 m.w.N., juris; BSG, Urteil vom 13.08.1981 – 11 RA 56/80 –, Rdnr. 14 m.w.N., juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.03.2017 – L 7 AY 5085/15 –, Rn. 38, juris).

Die bestandskräftige ablehnende Entscheidung der Krankenkasse kann jedoch nicht zur Folge haben, eine vollumfängliche Leistungspflicht des Beklagten nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. zu begründen. 

Daher ergibt sich ein weiterer Anspruch für den Zeitraum Juli bis September 2017 nur auf einen monatlichen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II a.F. in Höhe von 50,36 Euro. Dieser berechnet sich aus dem ab 01.07.2017 erhöhten monatlichen Abokosten von 68 Euro abzüglich des monatlich umgelegten von der Krankenkasse zu gewährenden Festbetrags.

Der Festbetrag belief sich auf 105,85 € pro Kontaktlinsenpaar für sechs Monate. Das ergibt einen Festbetrag von also 211,70 Euro pro Jahr für zwei Paar Kontaktlinsen (vgl. Rechnung B. Anlage zu Schriftsatz vom 07.04.2020). Dies ergibt sich aus 25.21.53.3 der ab 01.03.2008 geltenden Festbetragsregelung für Sehhilfen (abrufbar: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/festbetraege/einzelne_himi_arten/Festbetraege_fuer_Sehhilfen.pdf).

Daher ist ein monatlicher Festbetrag von 17,64 Euro abzuziehen. Der Festbetrag nach 25.21.53.3 der Festbetragsfestsetzung vom 01.03.2008 beläuft sich auf 211,70 Euro pro Jahr. Diesen Betrag umgelegt auf 12 Monate ergibt einen Betrag von 17,641 Euro, welcher gerundet einen Betrag von 17,64 Euro ergibt.  

Bei seiner Bewertung hat der Senat die Rechtsprechung des BSG zur Hörgeräteversorgung nicht außer Acht gelassen. Für Hilfsmittelfestbeträge gilt, dass diese dem Versicherten gegenüber zwar keine Leistungsbegrenzung bewirken, soweit dieser für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (BSG, Urteil vom 17.12.2009, Rdnr. 28 mit Bezugnahme auf BSGE 90, 220, 224; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. März 2020 – L 1 KR 178/17 KL –, Rn. 109, juris). Danach haben gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf die Hörgeräteversorgung, die die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet.  Die Festbetragsregelung ermächtigt als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung, nicht aber zu Einschränkungen des GKV-Leistungskatalogs; kann mit einem Festbetrag die nach dem GKV-Leistungsstandard gebotene Versorgung nicht für grundsätzlich jeden Versicherten zumutbar gewährleistet werden, bleibt die Krankenkasse weiterhin zur Sachleistung verpflichtet (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170-188, SozR 4-2500 § 36 Nr. 2, SozR 4-2500 § 33 Nr. 28). 

Insofern wird für Folgezeiträume durchaus zu prüfen sein, ob die Klägerin nicht umfassend durch die gesetzliche Krankenkasse zu versorgen ist. Der Senat hält es jedoch für unzumutbar die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum auf diese Rechtsprechung zu verweisen, da es insofern an einem Hinweis des Beklagten fehlte bzw. an Unterstützung und Begleitung, wie die Klägerin ihre Rechte (argumentativ) gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung durchsetzen könne. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da soweit ersichtlich keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, die das Verhältnis von SGB V zum SGB II klärt, wenn medizinisch notwendige Leistungen nach dem SGB V der Eigenverantwortung der Versicherten zugeordnet werden, diese aber wirtschaftlich zur Tragung der daraus folgenden Kosten nicht in der Lage sind.

Rechtskraft
Aus
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