L 13 AS 2528/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2297/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2528/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) über den 30. April 2020 hinaus.

Der 1965 geborene Kläger, der seit längerer Zeit wohnsitzlos ist, bezog - mit Unterbrechungen - sei dem 1. Januar 2005 vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Als Postadresse nutzte er hierbei zuletzt die Kasse des Beklagten in der H Straße, S. Zuletzt bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2019, der mit dieser Anschrift adressiert gewesen ist, Leistungen für den Monat Oktober 2019 i.H.v. 139,74 € sowie für den Zeitraum vom 1. November 2019 – 30. April 2020 i.H.v. 532,- € monatlich.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass seine jetzige Postadresse in der H Straße/Kasse nicht weiterverwendet werden könne und er, der Kläger, bis spätestens 28. Februar 2020 eine neue Postadresse vorlegen solle, unter der er postalisch erreichbar sei. Der Beklagte belehrte den Kläger dahingehend, dass im Fall einer Nichtbefolgung der Aufforderung, Geldleistungen versagt werden könnten. Der Beklagte wies darauf hin, dass bei der Evangelischen Gesellschaft e. V., B Straße in S eine kostenlose Postadresse eingerichtet werden könne.

Nachdem sich der Kläger beim Beklagten mehrfach geweigert hatte, dem nachzukommen und eine Postadresse einzurichten, lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 28. April 2020 ab. Begründend führte er aus, der Kläger sei postalisch nicht erreichbar.

Ein hiergegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) am 29. April 2020 angestrengtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (- S 17 AS 1634/209 ER -), das der Kläger, nachdem der Beklagte vorläufig für Mai 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gewährt hatte, im weiteren Fortgang für erledigt erklärt hatte, wertete der Beklagte als Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. April 2020, den er mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2020 unter der Begründung, der Kläger sei postalisch nicht erreichbar, zurückwies.

Hiergegen hat der Kläger am 9. Juni 2020 Klage zum SG erhoben, mit der er die Gewährung von Arbeitslosengeld II über den 30. April 2020 hinaus geltend gemacht hat. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er alle an ihn gerichteten Schreiben regelmäßig persönlich beim Beklagten abgeholt habe. Es sei ihm unverständlich, weshalb ihm zwischenzeitlich auch Post von anderen Absendern übermittelt werde. Dies wolle er nicht, weswegen er diese Post entweder nicht angenommen habe oder bei der Post mitgeteilt habe, dass er deren Annahme verweigere. Post des Beklagten habe er jedoch immer angenommen; er sei für diese immer erreichbar gewesen.

Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2020 entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. August 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II setze u.a. nach § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung i.V.m. der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) voraus, dass Leistungsempfänger in der Lage seien, an Werktagen eingehende Post zur Kenntnis nehmen zu können. Dies sei vorliegend nicht der Fall, nachdem der Kläger sich geweigert habe, eine neue Postadresse einzurichten.

Am 12. August 2020 hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. In der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2021 hat der Kläger angeführt, andere Obdachlose erhielten trotz einer fehlenden Adresse weiterhin Arbeitslosengeld II.

Der Kläger beantragt (z.T. zweckdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2020 zu verurteilen, ihm über den 30. April 2020 hinaus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Gerichtsbescheid. Ergänzend hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2021 mitgeteilt, dass keine weiteren Ablehnungs- bzw. Bewilligungsbescheide ergangen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten des Beklagten (5 Bände), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2021 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2021 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (vgl. § 143 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung führt jedoch für den Kläger inhaltlich nicht zum Erfolg; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II über den 30. April 2020 hinaus.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der ab dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1948) erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1),
erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4; erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Keine Leistungen nach dem SGB II erhält jedoch nach § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (a.F.), die gemäß § 77 Abs. 1 SGB II weiter anzuwenden ist, solange die nach § 13 Abs. 3 SGB II zu erlassende Rechtsverordnung zur neuen Fassung des § 7 Abs. 4a SGB II noch aussteht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der EAO vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Ferner bestimmt § 7 Abs. 4a SGB II a.F. in ihrem letzten Halbsatz, dass die übrigen Bestimmungen der EAO entsprechend gelten.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der EAO kann derjenige Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen (Nr. 1), das Arbeitsamt aufzusuchen (Nr. 2), mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen (Nr. 3) und eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen (Nr.4). Der Arbeitslose hat deshalb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Die Anforderungen des § 1 EAO hat ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger jedenfalls erfüllt, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhält, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen, und dieser Zeitpunkt nach dem Eingang der Briefpost liegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Mai 2001 - B 11 AL 7 1/00 R -, in juris, dort Rn. 20). Bei Wohnungslosen, wie dem Kläger, können diese Anforderungen mangels Vorhandenseins einer Wohnung nicht erfüllt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Personengruppe generell vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, sie können dem Erfordernis der postalischen Erreichbarkeit vielmehr dadurch genügen, dass sie die Anschrift einer Beratungs- oder Betreuungsstelle oder einer Einrichtung für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten benennen, die sie einmal werktäglich aufsuchen. Diese Möglichkeit, auf die der Kläger bereits mit Schreiben vom 14. Februar 2020 und sodann auch vom SG und vom Senat hingewiesen worden ist, hat der Kläger nicht wahrgenommen. Da überdies keine Verpflichtung des Beklagten bestand, dem Kläger (weiterhin) in seinen Räumlichkeiten die Einsichtnahme in Briefstücke zu ermöglichen, war er hiernach per Briefpost nicht werktäglich erreichbar, weswegen er trotz der dem Grunde nach bestehenden Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 4a SGB II a.F. ab dem 1. Mai 2020 keine Leistungen nach dem SGB II (mehr) beanspruchen kann.

Das Vorbringen des Klägers, Post (des Beklagten) immer angenommen zu haben, bedingt bereits deswegen keine abweichende Beurteilung, weil das Verhalten des Klägers im Berufungsverfahren gezeigt hat, dass dies unzutreffend ist. So hat der Kläger die Ladung zum anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2021 nicht beim Landessozialgericht Baden-Württemberg abgeholt, weswegen der Termin aufgehoben werden musste, woraus ersichtlich wird, dass die postalische Erreichbarkeit des Klägers bei der Hinterlegung von Schriftstücken an bestimmten Stellen, anders als der Kläger meint, nicht gewährleistet ist.

Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 12. August 2020 ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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