L 9 SO 71/22 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 22 SO 11/22 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 71/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es für das Begehren, anstelle von Arbeitslosengeld II Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe zu erhalten, regelmäßig am Anordnungsgrund.

2. Die sanktionsbewehrte Erwerbsobliegenheit im SGB II steht dem zumindest für die Zeit eines generellen Sanktionsmoratoriums nicht entgegen.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 21. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H, K zu gewähren, wird abgelehnt.

 

G r ü n d e:

 

Mit Beschluss vom 21. Juni 2022 hat das Sozialgericht Kiel den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum 30. November 2022 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu zahlen.

 

Die dagegen am 20. Juli 2022 nur vom Antragsteller mit dem Begehren erhobene Beschwerde, anstelle des Beigeladenen die Antragsgegnerin zur Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölfte Buch (SGB XII) zu verpflichten, bleibt erfolglos.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist statthaft, weil der Wert des Gegenstands der begehrten SGB-XII-Leistungen bei isolierter Betrachtung die Wertgrenze von 750,00 EUR übersteigt (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Es dürfte vor dem Hintergrund, dass durchaus ein berechtigtes Interesse auf die richtige Sozialleistung bestehen kann und ein solches Interesse hier geltend gemacht ist, auch nicht von vornherein am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen.

 

Nach Ansicht des erkennenden Senats fehlt es aber für die im Beschwerdeverfahren weiterhin begehrte einstweilige Anordnung gerade gegen die Antragsgegnerin am Anordnungsgrund. Die dafür erforderliche Eilbedürftigkeit erkennt der Senat nicht. Der Antragsteller räumt mit Schriftsatz vom 1. August 2022 selbst ein, dass sein existenzsicherungsrechtlicher Bedarf angesichts der seitens des Beigeladenen aufgenommenen Zahlungen nicht unterdeckt ist. Vor diesem Hintergrund kann die komplexere Frage nach der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II und seiner Zuordnung zum Leistungssystem entweder der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Hilfe zum Lebensunterhalt der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

 

Soweit der Antragsteller allein geltend macht, dass ihn im SGB II eine Erwerbsob-liegenheit treffe, er sich grundsätzlich auf Arbeitsangebote bewerben und ggf. eine Arbeit aufnehmen, Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben bzw. die in einem ersetzenden Verwaltungsakt einseitig festgelegten Pflichten erfüllen müsse und er insoweit dem Sanktionsregime der §§ 31 ff. SGB II unterworfen sei, begründet dies die für die Änderung der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts, die die aktuelle Notlage des Antragstellers bereits beendet hat, die erforderliche (fortdauernde) Eilbedürftigkeit nicht. Dabei berücksichtigt der Senat nicht nur, dass der Antragsteller die Möglichkeit hätte, gegen Maßnahmen des Beigeladenen im Rahmen der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit – die ohnehin keineswegs mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehen – mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Die Annahme der Eilbedürftigkeit käme insoweit der generellen Anerkennung eines vorbeugenden Rechtsschutzes im Eilverfahren nahe. Hinzu kommt vielmehr auch, dass die Sanktionen, die dem Antragsteller bei potentiellen Pflichtverletzungen im Rahmen eines potentiellen Eingliederungsprozesses drohen könnten, nach § 84 Abs. 1 SGB II in der seit 1. Juli 2022 geltenden Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 19. Juni 2022 (BGBl. I S. 921) bis zum 1. Juli 2023 und damit über den Geltungszeitraum der einstweiligen Anordnung hinaus ausgesetzt sind (sog. Sanktionsmoratorium). Einzig der Gefahr einer Sanktionierung der wiederholten Nichtwahrnehmung von Meldeterminen mit einem Höchstbetrag von 10 Prozent des Regelbedarfs bleibt der Antragsteller ausgesetzt (§ 84 Abs. 2 und 3 SGB II). Dieses Restrisiko rechtfertigt die Inanspruchnahme weiteren einstweiligen Rechtsschutzes nicht.

 

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Beschwerdeverfahrens.

 

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Beschwerde aus den genannten Gründen von vornherein keine hinreichenden Erfolgsaussichten gehabt hat (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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