L 9 KR 503/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 15 KR 184/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 KR 503/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Handelt es sich bei einer durchgeführten Operation um eine Maßnahme, die der Kategorie 1 des AOP-Katalogs zuzuordnen und daher in der Regel ambulant durchzuführen ist, vermögen allein medizinische Besonderheiten des Einzelfalls eine vollstationäre Aufnahme bzw. Durchführung der Behandlung zu rechtfertigen.

 

2. Liegen keine medizinischen Besonderheiten im Einzelfall vor, hat das Krankenhaus keinen Anspruch auf Vergütung einer vollstationären Behandlung. Gleiches gilt, wenn die vollstationäre Aufnahme bzw. Durchführung der Behandlung (allein) auf eine unwirtschaftliche Behandlungsplanung des Krankenhauses zurückzuführen ist.

 

3. Macht das Krankenhaus erstmals im Berufungsverfahren- hilfsweise - die Vergütung für eine ambulante Behandlung i. S. e. fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens geltend, ist es unbillig (§ 197a Abs. 1 SGG i. V m. § 161 Abs. 2 VwGO), der Krankenkasse auch nur anteilig die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Begriff "Alternativverhalten" (lat. "alter" und "nascere" =  "aus dem Anderen geboren") besagt, dass beide Behandlungsformen nicht in einem Verhältnis von "major" zu "minus" stehen, sondern dass es sich jeweils um ein "aliud" handelt.

Bemerkung

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung

 

     
   
 

 

      1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
      2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

 

Die Klägerin betreibt ein im Sächsischen Krankenhausplan zugelassenes Krankenhaus. Die 1952 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Z.... (nachfolgend: Versicherte) wurde durch ihren behandelnden Facharzt für Orthopädie Dr. Y.... am 10. Januar 2017 auf Grund der Diagnose posttraumatische Arthrose Grundgelenk zweite Zehe rechts zur Resektion (Entfernung) von Osteophyten (Knochenauswüchsen) ins Krankenhaus der Klägerin überwiesen. In der am 30. Januar 2017 plangemäß durchgeführten prästationären Sprechstunde wurde die Versicherte nach dem zur Einstufung der präoperativen physischen Beschaffenheit entwickelten Scoring-System ASA (American Society of Anaesthesiologists) der Klasse 2 zugeordnet (d. h.: Patientin mit geringfügiger Erkrankung ohne Einschränkungen). Daneben wurde das Thromboserisiko als dis-/expositionell hoch eingeschätzt. Die stationäre Aufnahme war für den 9. Februar 2017 um 6:30 Uhr vorgesehen.

 

Die Aufnahme der Versicherten erfolgte am 9. Februar 2017 um 4:00 Uhr. Der operative Eingriff wurde durch Dr. Y.... - bei komplikationsloser Vollnarkose (Propofol und Sufenatil) - um 13:33 Uhr begonnen (Schnitt-Naht-Zeit 13:33 Uhr bis 14:04 Uhr). Der postoperative Verlauf war bei reizlosen Wundverhältnissen ebenfalls komplikationslos. Im Entlassbericht vom 10. Februar 2017 wurden die anamnestischen Angaben der Versicherten dahingehend wiedergegeben, dass sie seit einem Treppensturz im Jahr 1968 unter einer Arthrose des Grundgelenks zweite Zehe rechts mit ausgeprägten Osteophyten leide. Sie habe keine Schmerzen, auch keine Druckschmerzen. Lediglich eine Rötung der Haut und Probleme beim Schuhanziehen wurden angegeben. Im OP-Bericht und Anästhesieprotokoll vom 9. Februar 2017 wurde angegeben, der Blutdruck sei nach Intubation (13:20 Uhr) auf systolisch 100 mmHg und diastolisch 55 mmHg und die Herzfrequenz auf 55-60/min. gesunken. Das weitere postoperative Procedere wurde mit "hochlagern, kühlen und schonen" sowie "schmerzadaptierte Vollbelastung" vermerkt. Im Aufwachraum erhielt die Versicherte Novamin 1 g und Dipidolor 7,5 mg subcutan; darunter Schmerzangabe nach der Visuellen-Analog-Skala (VAS) 2. Nach der Verlegung vom Aufwachraum auf die Normalstation (15:30 Uhr) gab die Versicherte um 15:45 eine Schmerzintensität von VAS 1 bis 2 an. Nach dem Pflegedurchführungsnachweis hatte die Versicherte am Abend und in der Nacht u. a. ein Steckbecken zur Ausscheidung erhalten. In der Rubrik Trinkmenge ist um 15:45 Uhr und um 19:00 Uhr jeweils "1000 Tee" vermerkt; in der Rubrik Urin um 15:45 Uhr ein (durchgestrichener?) "Kringel" und um 21:00 Uhr "Spontanurin 500 ml". Am Folgetag wurde die Versicherte nach Gehschule und Verbandswechsel um 9:00 Uhr mit reizlosen Wundverhältnissen und gut mobilisiert entlassen (die Übergabe der Entlasspapiere war bereits um 8:15 Uhr erfolgt).

 

Mit Schlussrechnung vom 20. März 2017 stellte die Klägerin der Beklagten insgesamt 1.653,86 € in Rechnung. Durch Kodierung u. a. der Hauptdiagnose M19.97 (Arthrose, n. n. bez.: Knöchel und Fuß ...), der Nebendiagnosen E78.0 (reine Hypercholesterinämie) und I10.00 (benigne essentielle Hypertonie: ohne Angabe einer hypertensiven Krise) sowie der OPS 5-788.06 (Operation an Metarsale und Phalangen des Fußes: Resektion ...), 5-788.61 (Operation an Metarsale und Phalangen des Fußes: Arthroplastik ...) und 8-390.3 (Lagerungsbehandlung: Lagerung bei Schienen) wurde die DRG I20H (Eingriffe am Fuß ohne kompl. Eingriffe ...) angesteuert. Die Beklagte wies zunächst am 29. März 2017 die Zahlung des vollständigen Rechnungsbetrags an, beauftragte jedoch zugleich den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit der Prüfung des Falles (Grund: primäre Fehlbelegung) und teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2017 mit. Nachdem der Sachverständige im SMD Prof. X.... in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2017 zu der Einschätzung gelangt war, dass der angegebene OPS 5-788.61 nach dem AOP-Katalog der Kategorie 1 und damit den in der Regel ambulant zu erbringenden Eingriffen zuzuordnen und folglich eine ambulante Abrechnung des Behandlungsfalles zu empfehlen sei, verrechnete die Beklagte am 20. September 2017 den vollständigen Rechnungsbetrag mit einer (unstreitigen) anderen Vergütungsforderung der Klägerin.

 

Am 8. März 2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Dresden (SG) erhoben. Auf Grund der stark schwankenden Blutdruckwerte, des Absinkens des systolischen Blutdrucks nach Vollnarkose in einen kritischen Bereich, der mit der Entfernung kirschgroßer knöcherner Verwachsungen einhergehenden und potentiell blutdruckerhöhenden erheblichen Schmerzen, der Varikosis und des mit der Entfernung von Knochenmaterial mittels Meißel verbundenen erhöhten Nachblutungsrisikos sei eine vollstationäre Aufnahme der Versicherten medizinisch notwendig gewesen.

 

Die Beklagte hat erstinstanzlich eine Stellungnahme des Sachverständigen im SMD Dr. U.... vom 15. März 2019 vorgelegt, in welcher dieser ausgeführt hat, Patienten der ASA-Klassen 1 und 2 könnten aus anästhesiologischer Sicht ambulant behandelt werden. Weder prä, intra- noch postoperativ ergäben sich Hinweise auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung der Versicherten.

 

Das SG hat Dr. W..../Dr. V...., Fachärzte für Orthopädie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In ihrem Gutachten vom 18. Februar 2019 hat die Sachverständige Dr. V.... ausgeführt, die Kodierung des OPS 5-788.61 sei korrekt und steuere die DRG I20H an. Der durchgeführte Eingriff sei zwar nach der Einstufung in die Kategorie 1 des AOP-Katalogs regelhaft ambulant durchführbar. Auch liege keines der sog. G-AEP-Kriterien vor, nach denen im Ausnahmefall die Indikation für eine stationäre Durchführung in Betracht gezogen werden könne. Ferner handele es sich bei dem dokumentierten Abfall des Mittleren Arteriellen Drucks (MAD) angesichts der konkreten Anästhesie exakt um den zu erwartenden, nicht kritischen Blutdruckabfall. Auch ergäben sich weder aus den angegebenen und dokumentierten Schmerzen der Versicherten, der Varikosis mit einhergehendem Thromboserisiko sowie aus der erfolgten Entfernung von Knochenmaterial jeweils Indikation für einen vollstationär durchzuführenden Eingriff. Schließlich seien auch keine postoperativen Komplikationen dokumentiert, die eine vollstationäre Krankenhausbehandlung rechtfertigen. Allerdings spreche gegen eine Entlassungsfähigkeit der Versicherten bereits am Abend des 9. Februar 2017, dass ihre Mobilisierbarkeit bereits am OP-Tag nicht dokumentiert sei. Angesichts der Nutzung einer Bettpfanne für die Ausscheidungen sei "hochplausibel" darauf zu schließen, dass die Versicherte vielmehr nicht sofort mobilisierbar gewesen und daher wegen verzögerter Mobilisierbarkeit nicht von einer sog. primären Fehlbelegung auszugehen sei.

 

Der Sachverständige im SMD Dr. U.... hat in seiner Stellungnahme vom 15. März 2019 hierauf erwidert, aus der durchgeführten Allgemeinanästhesie ergebe sich kein Risiko eines Harnverhalts. Der Versuch einer Mobilisierung der - wachen und ansprechbaren - Versicherten sei am OP-Tag nicht dokumentiert. Hier stelle sich die Frage, ob eine Mobilisierung seitens des klägerischen Krankenhauses überhaupt angeboten worden sei. Jedenfalls sei eine Zustandsbeschreibung der Versicherten, welche darauf hinweise, dass eine Mobilisierung überhaupt nicht möglich gewesen wäre, nicht ersichtlich. Am Folgetag sei die Versicherte schließlich vollständig selbstständig und auch ohne weitere Maßnahmen selbstständig mobil gewesen. Eine vollständige Lagerungsabhängigkeit am Vorabend sei nicht nachvollziehbar; die Immobilisierung sei am ehesten durch die Anweisung des Operateurs zur Hochlagerung zu erklären.

 

Die Sachverständige Dr. V.... hat hierauf am 30. Juni 2019 erwidert, die Dokumentation hätte hinsichtlich der Frage, ob und ggf. warum die Versicherte am OP-Tag nicht habe mobilisiert werden können, sicherlich aussagekräftiger sein können. Die angeordnete und auch obligate Hochlagerung habe für sich genommen einer begrenzten Mobilisation nicht entgegengestanden. Zu beachten sei jedoch auch, dass bei einem operierten Patienten leitliniengerecht die postoperative spontane Miktion abgewartet werden müsse, bevor der Patient entlassen werde. Auch unter diesem Gesichtspunkt erachte sie die seitens der Klägerin vorgenommene Entlassung der Versicherten erst am Folgetag für plausibel.

 

Der Sachverständige im SMD Dr. U.... hat hierauf erwidert, die Sachverständige Dr. V.... gründe einen Großteil ihrer Annahmen auf eine "übliche Praxis", welche vorliegend aufgrund der mangelhaften Dokumentation gerade nur begrenzt nachweisbar sei. Gerade bei einem nach dem AOP-Katalog regelhaft ambulant durchführbaren Eingriff müsse dem behandelnden Arzt bewusst sein, dass für eine Abweichung vom regelhaften Procedere eine besondere Nachvollziehbarkeit und Dokumentation erforderlich ist. Vorliegend sei davon auszugehen, dass von vornherein ein Regime für die vollstationäre Aufnahme gewählt wurde. Dies ergebe sich bereits aus der - offenbar fruchtlos verstrichenen - Zeit zwischen Aufnahme der Versicherten und OP-Beginn. Auch die konkret gewählte Medikation (Anästhesie) sei eher unüblich, wenn der Patient nach zwei bis drei Stunden aufwachen solle. Das gewählte Medikament bzw. die gewählte Stärke sei bei dem angegebenen niedrigen Schmerzniveau nicht nachvollziehbar. Auch die Gabe einer zweiten Infusion erst um 16:25 Uhr sei nicht nachvollziehbar. Zu diesem Zeitpunkt sei die Versicherte bereits kreislaufstabil gewesen und habe einen Liter Tee getrunken.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Oktober 2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt:

 

"Der Vergütungsanspruch anderer Versicherter erlosch entsprechend § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 8; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 33; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 8). Der Beklagten steht ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Die Beklagte hatte der Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.673,89 Euro ohne Rechtsgrund gezahlt, weil der Klägerin ein Anspruch auf Vergütung der stationären Behandlung der Versicherten vom 9. bis 10.02.2017 dem Grunde nach nicht zustand. Die Behandlung hätte regelhaft ambulant durchgeführt werden können. Es liegen keine nachweislichen Gründe für eine ausschließlich stationär durchzuführende Behandlung der Versicherten vor.

 

Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17 b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und objektiv i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr., z. B. BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Behandlung im Krankenhaus ist dann erforderlich, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden kann und eine ambulante ärztliche Versorgung nicht ausreicht, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl BSG - Großer Senat - BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 15 ff; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 13; BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 18). Davon ist bei ambulant durchführbaren Operationen und sonstigen stationsersetzenden Eingriffen nach § 115b SGB V nur auszugehen, wenn im jeweiligen konkreten Einzelfall die ambulanten Versorgungsmöglichkeiten zur Verfolgung der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht ausreichend sind. Diesbezüglich haben die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam, die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe (AOP-Vertrag in der Fassung ab 06/2012) vereinbart (§ 115b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V). Darin sind diejenigen ambulant durchführbaren Operationen und stationsersetzenden Eingriffe gesondert benannt, die in der Regel ambulant durchgeführt werden können, und allgemeine Tatbestände bestimmt, bei deren Vorliegen eine stationäre Durchführung erforderlich sein kann (§ 115b Abs. 1 Satz 2 SGB V; vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 28/12 R –, SozR 4-2500 § 109 Nr 29).

 

Der in §§ 39 Abs. 1 Satz 2, 73 Abs. 4 Satz 1 SGB V normierte Nachrang der stationären Versorgung gilt auch bei Katalogleistungen nach § 115b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB, unabhängig davon, ob es sich um eine Leistung nach der Kategorie I oder II handelt. Werden diese Leistungen nicht ambulant erbracht, besteht Anlass für das Krankenhaus, den Grund für die stationäre Aufnahme - wenn es sich schon nicht aus den Aufnahmediagnosen selbst ergibt - näher darzulegen. Zwar gilt für Leistungen dieser Art nicht schon eine grundsätzliche Vermutung, dass sie von besonderen Ausnahmefällen abgesehen dem ambulanten Bereich vorbehalten sind. Darauf kommt es indes nicht maßgebend an. Entscheidend ist vielmehr, dass die Aufnahme in den Katalog des § 115b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V prinzipiell die Möglichkeit ihrer Erbringung im ambulanten Rahmen eröffnet und deshalb die Erforderlichkeit der stationären Versorgung der besonderen Begründung bedarf. Die Leistungen der Kategorie II mögen zwar häufiger stationär durchzuführen sein als die Leistungen der Kategorie I; rechtlich sind aber beide der ambulanten Versorgung zugänglich, wenn die Versorgungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V so ausreichend verfolgt werden können. Ob das jeweils der Fall ist oder ob ggf Grund für eine stationäre Leistungserbringung besteht, richtet sich nach den medizinischen Erfordernissen im Einzelfall und steht nicht im freien Belieben des Leistungserbringers (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 28/12 R –, SozR 4-2500 § 109 Nr 29; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 23; BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 20).

 

Grundsätzlich trägt die Krankenkasse bei vorbehaltloser Zahlung die Beweislast für alle Tatsachen, aus denen sich ihr Rückzahlungsanspruch herleitet (BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R – juris Rn. 19; Sächsisches LSG, Urteil vom 18.12.2019 – L 1 KR 527/17 - juris Rn. 24; Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 109 SGB V Rn. 195). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist jedoch für den Fall anerkannt, dass – wie hier - eine regelhaft ambulant vorzunehmende Behandlung stationär durchgeführt wird; in einem solchen Fall trägt das Krankenhaus trotz vorbehaltsloser Zahlung im Erstattungsstreit die Beweislast für das Vorliegen atypischer, von der Regel abweichender Umstände (BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R – juris Rn. 18 ff.). Bei der Beweislastverteilung sind auch die Verantwortungssphären der Beteiligten zu berücksichtigen. In die Verantwortungssphäre des Krankenhauses fällt es, die Krankenkasse über das Vorliegen eines atypischen Falles zu informieren, der entgegen der Regel stationäre Krankenhausbehandlung rechtfertigt (Wahl, a.a.O. Rn. 195). Diese Pflicht wird aus der Vorschrift des § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V abgeleitet, wonach "der Grund der Aufnahme" zu den Angaben gehört, die das Krankenhaus der Krankenkasse zu übermitteln hat (BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R – juris Rn. 21; Sächsisches LSG, Urteil vom 18.12.2019 – L 1 KR 527/17 - juris Rn. 24).

 

In dem streitgegenständlichen Behandlungsfall konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass ausschließlich eine stationäre Behandlung erforderlich gewesen war. Bei der durchgeführten Operation der Exostose am Zehengrundgelenk handelt es sich um eine regelhaft ambulant durchzuführende Operation nach Abschnitt 1 des AOP-Katalog 2017. In den der Beklagten von der Klägerin übermittelten §301-er Daten zum Aufenthalt der Versicherten sind keine Gründe für einen stationären Aufenthalt der Versicherten als Ausnahmefall zur regelhaften ambulanten Operation angegeben. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, entsprechende Gründe angegeben zu haben, obwohl sie dazu nach § 301 Abs. 1 Nr. 3 SGB V verpflichtet gewesen wäre. Einen besonderen Grund für eine ausschließlich stationäre Behandlung ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vortrag der Klägerin im Klageverfahren.

 

Prästationär lagen keine Gründe für die Durchführung einer stationären Behandlung vor. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Gutachten und der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. W.... unter Zuhilfenahme der Stellungnahmen von Dr. V..... Das Gutachten und die gutachterliche Stellungnahme sind in der würdigenden Bewertung der Krankheitsgeschichte und der Beantwortung der Beweisfragen sachkundig erstellt, schlüssig und im Ganzen überwiegend nachvollziehbar. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters, denen sich das Gericht anschließt, lagen die im AOP-Vertrag aufgeführten G-AEP-Kriterien (Schwere der Erkrankung, Intensität der Behandlung, Operation/invasive Maßnahme, Komorbiditäten, Notwendigkeit intensiver Behandlung, soziale Faktoren) alle nicht vor (vgl. Seiten 24 und 28 des Gutachtens von Dr. V....). Der Gutachter folgt damit nicht dem Vortrag der Klägerin, die arterielle Hypertonie stelle in erhöhtes Anästhesie-Operationsrisiko dar, Schmerzen wirkten blutdruckerhöhend, postoperativ größere Schmerzen wären zu erwarten gewesen, eine Varikosis stelle ein zusätzliches Risiko für die Anästhesie und Operation dar, es habe eine Fettstoffwechselstörung bestanden und insgesamt ein hohes Thromboserisiko vorgelegen, die Versicherte sei mit ASS antikoaguliert worden, es habe die Gefahr einer Nachblutung bestanden, da Knochenmaterial mit dem Meißel entfernt worden sei und Knochen zur Nachblutung neige. Er führt aus, in der präoperativen Beratung am 30. Januar 2017 sei die Versicherte als ASA2, d.h. als Patientin mit leichter Allgemeinerkrankung eingestuft worden. Ein kritisch hoher Blutdruck habe bei der Versicherten präoperativ nicht vorgelegen. Im Vorfeld könnten postoperative Schmerzen nicht vorhergesehen oder abgeschätzt werden, weil sie subjektiv seien. Damit ist der Eingriff ambulant planbar gewesen.

 

Eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit ergibt sich auch nicht aus intraoperativen Gründen, insbesondere lagen bei der Versicherten keine besorgniserregenden Blutdruckwerte vor. Der Gutachter führt dazu aus, das es sich bei den bei der Versicherten vor Einleitung der Narkose und unmittelbar danach gemessenen Blutdruckwerten bei Anwendung der Faustformel MAD (mittlerer arterieller Druck) = 2/3 x RR (Blutdruck) diastolisch + 1/3 RR systolisch exakt dem nach der Literatur zu erwartenden Blutdruckabfall bei Kombination von Propofol und einem stark wirksamen Opiat wie – hier – Sufentanil entsprochen habe und keine unerwartbare Komplikation darstelle (vgl. Seiten 19, 34 Gutachten Dr. V....). Ein unmittelbar nach Einleitung der Narkose bei der Versicherten gemessener Blutdruck von 100/22 mmHg entspreche einem grenzwertig erniedrigten Blutdruck, dem mit Infusionstherapie intraoperativ begegnet worden sei. Postoperativ seien die Blutdruckwerte nicht zu niedrig gewesen.

 

Postoperativ sind auch keine Gründe für eine alleinige Krankenhausbehandlung gegeben, weder wegen eines möglichen postoperativen Harnverhalts noch aus Immobilitätsgründen. Nach Aussagen des Gutachters ist ein operierter Patient erst dann entlassfähig, sofern u.a. seine Fähigkeit, die Harnblase zu entleeren, gesichert sei, um Kreislaufprobleme hin bis zur Bewusstlosigkeit zu vermeiden (Seite 24 unten Gutachten Dr. V....). Er stützt sich dabei auf u.a. auf die Studie von Sá Rêgo et al. von 1999 und Wiesenach et al. Aus 1997 sowie die Entlass-Kriterien des Berufsverbandes für ambulantes Operieren (Seiten 25 bis 26 Gutachten Dr. V....). Bei der Versicherten ist am Operationstag eine Spontanuringabe erst um 21.00 Uhr und damit 7 Stunden nach Extubation vermerkt, so dass der Gutachter schlussfolgert, dass sie erst zu diesem Zeitpunkt hätte entlassen werden können. Zunächst ist festzustellen, dass in den vorliegenden Unterlagen ein Hinweis auf Erkennen oder Nachdenken über einen drohenden Harnverhalt nicht erfolgt ist (vgl. Seite 13 ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V....). Selbst unter Berücksichtigung dessen ergibt sich noch keine zwingende postoperative Behandlung/Überwachung allein im Krankenhaus. Es liegen keine Gründe vor, dass während der Phase bis zur Urinabgabe die Versicherte ausschließlich der besonderen Mittel des Krankenhauses bedurfte. Bei einer ambulant durchgeführten Operation wäre, wenn man der Ansicht des Gutachters folgt, eine Entlassung in die Häuslichkeit auch erst nach Spontanuringabe möglich gewesen, so dass der Patient auch ambulant so lange im Aufwachraum zu überwachen gewesen wäre. Gründe für eine unterschiedliche Behandlung beide gleichgelagerter Fälle sind nicht gegeben. Folglich ist auch die Rechtsansicht des Gutachters nicht zu folgen, dass sich daraus zumindest ein Belegungstag ergeben.

 

Schließlich ergibt sich eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit auch nicht aufgrund einer fehlenden Mobilität der Versicherten. Eine solche ist zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben. Aus den Pflegedurchführungsblättern ist zu entnehmen, dass die Versicherte zur Ausscheidung vom Spät- als auch Nachtdienst ein Steckbecken (Bettpfanne) erhalten hat; eine Begleitung zur Toilette bzw. ein selbständiger Toilettengang ist nicht dokumentiert. Erst am Folge-, dem Entlasstag, erfolgte morgens eine Gehschule mit der Versicherten. Die Entlassung erfolgte mit einer mobilen Patientin. Der Gutachter schlussfolgert daraus, dass aufgrund des potentiell mobilitätseinschränkenden operativen Eingriffs am Fuß (Seite 28 Gutachten Dr. V....) und der mehrfachen Benutzung eines Steckbeckens eine fehlende selbständige Mobilität bei sonst ausführlicher Pflegedokumentation am OP-Tag hochplausibel sei (Seiten 27, 36 Gutachten Dr. V....) und stellt auf seine eigene Erfahrung ab (Seite 14 ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V....). Bettruhe sei nicht angeordnet gewesen. Die Hochlagerung der operierten Extremitäten zur Prophylaxe von kritischen Schwelllungszuständen postoperativ sei obligat und verhinderte keine begrenzte Mobilität z.b. zur Toilette, was Patienten im Regelfall auch so schnell wie möglich durchführten. Die Miktion auf der „Bettpfanne“ werde nur in Ausnahmefällen patientenseitig gewünscht und stelle aus gutachterlicher Sicht einen Hinweis auf eine noch nicht ausreichende selbständige Mobilität am OP-Tag dar, was durch die Angabe in der Pflegedokumentation „A3/S3“ gestützt werde, was überwiegende oder vollständige Pflegeleistungen bedeute (ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V.... Seiten 11 bis 13). Das Gericht folgt den gutachterlichen Schlussfolgerungen jedoch nicht. Die Klägerin als diejenige, die das Vorliegen der Voraussetzungen für einen ausnahmsweise stationär durchzuführenden Eingriff nach AOP-Vertrag nachzuweisen hat, obliegt es, diese Ausnahmegründe anhand der vorliegenden Dokumentation nachvollziehbar darzulegen und zu beweisen. Dies ist nicht gegeben. Zunächst ist festzustellen, dass ärztlich keine Bettruhe angeordnet war. Eine solche Anordnung wäre orthopädisch aufgrund des Eingriffs auch nicht plausibel gewesen (ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V.... Seite 14 unten). Die Anordnung im Operationsbericht „Hochlagerung“ ist Routine nach derartigen Eingriffen und ist weder eine Entlastungs- noch eine Bettruheanweisung (so auch: ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V.... Seite 15). Ein Mobilisierungsversuch am OP-Tag ist in den Akten ebenfalls nicht dokumentiert, so dass davon auszugehen ist, dass er auch nicht durchgeführt worden ist. Aus welchen Gründen dies nicht erfolgte, ist der Dokumentation nicht zu entnehmen. Zwar führt die Gutachterin aus, dass eine Gangunsicherheit nach Eingriffen an den unteren Extremitäten aufgrund fehlender Praxis an Unterarmgehstützen häufig sei, die dazu erforderliche Koordinationsleistung der Handhabung der Stützen sei patientenindividuell unterschiedlich oder bei einem Narkoseüberhang erschwert (ergänzende gutachterliche Stellungnahme Dr. V.... Seite 15). Jedoch ist weder eine solche Gangunsicherheit noch eine Unsicherheit bei der Benutzung der Unterarmgehstützen noch ein Narkoseüberhang aus den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen; vielmehr war die Versicherte bei der Übernahme auf die Normalstation wach und ansprechbar. Dies setzte sich auf der Station fort, so dass auch unter Berücksichtigung der Angaben der Versicherten zur Schmerzintensität von VAS 1-2 bzw. um 20.35 Uhr von VAS 3 aus der Patientenakte nicht plausibel ist, aus welchen medizinischen Gründe eine Mobilisierung tatsächlich nicht erfolgt ist. Deshalb führt auch Dr. V.... aus, die Dokumentation hätte aussagekräftiger sein können (vgl. Seite 14 unten ergänzende gutachterliche Stellungnahme)."

 

Mit ihrer am 10. November 2020 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehr weiter. Die Sachverständige Dr. V.... habe mit dem verspäteten Spontanurin und der fehlenden Mobilisierung der Versicherten am OP-Tag die Notwendigkeit einer vollstationären Aufnahme der Versicherten zutreffend begründet. Zum Beweis dafür, dass die Versicherte im Verlauf des Nachmittags des 9. Februar 2017 nicht 3,5 Liter Trinkmenge zu sich genommen, tatsächlich erst um 21:00 Uhr den ersten Spontanurin gelassen habe und folglich die postoperative Nacht im Krankenhaus aus medizinischer Sicht habe verbringen müssen, beantrage sie (Schriftsatz vom 25. Januar 2023, dem Tag vor der für den 26. Januar 2023 anberaumten mündlichen Verhandlung; Eingang bei Gericht um 17:42 Uhr) die Einholung eines Obergutachtens, die Vernehmung der diensthabenden Pflegekräfte als Zeugen sowie die Ladung des in der Berufungsinstanz gerichtlicherseits beauftragten Sachverständigen D.... zur ergänzenden Befragung und Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens vom 10. Februar 2022.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte angeboten, die aus der mit Schriftsatz vom 23. Januar 2023 übermittelten Fiktivrechnung vom 12. Dezember 2022 ersichtlichen Kosten für eine ambulante Behandlung der Versicherten in Höhe von 470,43 € zu übernehmen. Die Klägerin hat dieses Angebot angenommen und den Rechtsstreit auf die darüber hinausgehende Forderung für den stationär durchgeführten Eingriff beschränkt.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. Oktober 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Behandlung der Versicherten Z.... vom 9. bis 10. Februar 2017 weitere 1.203,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jährlich seit dem 21. September 2017 zu zahlen,

hilfsweise Beweis zu erheben gemäß der mit Schriftsatz vom 25. Januar 2023 gestellten Beweisanträge.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung - auch und insbesondere unter Berücksichtigung des in der Berufungsinstanz eingeholten Sachverständigengutachtens - für zutreffend.

 

Das Gericht hat den Facharzt für Orthopädie und Chirurgie D.... mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 10. Februar 2022 ausgeführt, der prä-, intra- und postoperative Verlauf werde in der Patientenakte als komplikationslos beschrieben. Auch der dokumentierte Blutdruckabfall nach Narkose stelle ein normales Geschehen dar. Die postoperative Verabreichung einer Infusion mit 500 ml um 16:25 Uhr sei nicht nachvollziehbar, zumal die Versicherte offenbar um 15:45 Uhr bereits 1.000 ml Tee zu sich genommen habe. Auch die Gabe von 1.000 mg Novaminsulfon um 20:35 Uhr sei bei einer Schmerzangabe von VAS 3 nicht nachvollziehbar. Die Versicherte habe im Zeitraum bis 19:00 Uhr insgesamt 3.500 ml Flüssigkeit zu sich genommen. Sofern bei sonst stabilen Kreislaufverhältnissen und keinen bekannten Flüssigkeitseinlagerungen daraufhin kein Spontanurin abgegeben worden sein sollte, wäre in der Tat von einem Harnverhalt auszugehen. Dieser wäre jedoch äußerst schmerzhaft. Die Versicherte hätte dann definitiv nicht beschwerdefrei im Bett gelegen. Ein dann zu erwartender äußerst schmerzgeplagter Zustand sei jedoch gerade nicht dokumentiert, sondern vielmehr eher das Gegenteil. Dementsprechend gehe er davon aus, dass der "Kringel" in der Spalte Urin bei 15:45 Uhr dahingehend zu bewerten sei, dass damit bereits der erstmalige Abgang von Spontanurin dokumentiert sei. Die Argumentation der Sachverständigen Dr. V...., die Nutzung eines Steckbeckens vermöge eine stationäre postoperative Betreuungsnotwendigkeit zu begründen, teile er nicht. In der gesamten Patientenakte fehle jegliche ärztliche Dokumentation über den postoperativen Verlauf. Dies gelte sowohl hinsichtlich der geltend gemachten mangelnden Mobilisierbarkeit als auch hinsichtlich eines drohenden krankhaften Harnverhalts. Die am folgenden Morgen völlig problemlose Mobilisation der Versicherten und deren sofortige Entlassung sprächen letztlich gegen das Vorliegen von Komplikationen. Für ihn als Gutachter sei eine von Anfang an als stationärer Aufenthalt geplante kleine OP dokumentiert, welche erst am frühen Nachmittag des 9. Februar 2017 umgesetzt und dann im postoperativen Verlauf einfach wie eine zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellte stationäre Behandlung dokumentiert und durchgezogen worden sei. Dies erkläre auch das offensichtlich mangelnde postoperative "Kümmern". Nach seiner Erfahrung favorisierten Krankenhäuser, ambulante Operationen eher an den Anfang der OP-Programme eines Tages zu stellen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der Versicherten hätten aus der Perspektive des objektiven Wissensstandes des aufnehmenden/behandelnden Arztes weder G-AEP-Kriterien noch andere Kriterien für eine ausnahmsweise stationäre Durchführung des Eingriffs vorgelegen.

 

Mit Beschluss vom 28. November 2022 hat der Senat die Berufung gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Berichterstatter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Akte der Beklagten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung der durchgeführten Operation als stationäre Krankenhausleistung hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

Ergänzend ist lediglich Folgendes anzufügen:

 

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form der Krankenbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) dar. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre oder teilstationäre Behandlung. Ob einem Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich dabei allein nach den medizinischen Erfordernissen (BSG, Urteil vom 26. April 2022 - B 1 KR 5/21 R - juris Rn. 12 f.).

 

Die durchgeführte vollstationäre Behandlung der Versicherten war danach vorliegend medizinisch nicht erforderlich, weil von Beginn an eine ambulante Behandlung ausgereicht hätte. Vorliegend handelte es sich bei der durchgeführten Operation um eine Maßnahme der Kategorie 1 („Leistungen, die in der Regel ambulant erbracht werden können“, vgl. Präambel zum AOP-Katalog 2017 i. V. m. § 115 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 18. September 2008 - B 3 KR 22/07 R - juris Rn. 10 f.), was unstreitig ist. Besonderheiten des Einzelfalls, die bei einem derartigen Eingriff ausnahmsweise eine stationäre Aufnahme erforderlich machen, lagen nicht vor. Gemäß § 3 Abs. 3 des Vertrages nach § 115b Abs. 1 SGB V „Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus" (AOP-Vertrag) sind Tatbestände, bei deren Vorliegen eine stationäre Durchführung der in der Regel ambulant auszuführenden Leistungen erforderlich sein kann, in den Kapiteln A, B, D, E und F der Anlage 2 zu den Gemeinsamen Empfehlungen zu Prüfverfahren nach § 17c Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), hier in der in 2017 gültigen Fassung (G-AEP-Kriterien; G-AEP = German Appropriate Evaluation Protocol) aufgeführt. Die G-AEP-Kriterien knüpfen (bzw. knüpften bis zum 31. Dezember 2022) an die Kriterien „Schwere der Erkrankung“ (A 1-12), „Intensität der Behandlung“ (B 1-5), „Komorbiditäten i. V. m. Operationen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen“ (D 1-6), „Notwendigkeit intensiver Betreuung i. V. m. Operationen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen“ (E 1-6) bzw. an „soziale Faktoren“ (F 1-4) an. Auf Basis dieser Kriterien hat (bzw. hatte) der Arzt seine ex-ante-Entscheidung nach ärztlichem Ermessen zu treffen. Bei abweichender Entscheidung war die Begründung und Dokumentation notwendig. Medizinische Besonderheiten, die die Erfüllung von Kriterien aus den Kapiteln A, B sowie D bis F nahelegen könnten, sind weder dokumentiert, vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die in den vorgenannten untergesetzlichen Regelungen (nicht abschließend) genannten Besonderheiten des Einzelfalles stellen strukturell auf Besonderheiten im Gesamtgesundheitszustand des Patienten einerseits und im prä-, intra- und postoperativen Geschehen andererseits ab. Derartige Besonderheiten liegen in keinem der beiden genannten Bereiche vor. Die von der Klägerin erstinstanzlich vorgetragenen Gesichtspunkte (Absinken des MAD, Schmerzen, Nachblutungsrisiko) und die hiermit einhergehenden Risiken sind ohne Bezug auf den konkreten Behandlungsfall und im Hinblick auf die von den Vertragspartnern vorgenommene Einstufung des Eingriffs in die Kategorie 1 unbeachtlich. Dies haben sämtliche Sachverständige - Dr. U...., Dr. V.... und Facharzt D.... - übereinstimmend und nachvollziehbar bestätigt. Es verbleibt daher - mangels Besonderheiten - bei der durch die Einstufung in die Kategorie 1 vorgezeichneten regelhaften ambulanten Durchführbarkeit des vorliegenden Eingriffs.

 

Zu demselben Ergebnis gelangt man unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der vom Krankenhaus zu beachtenden wirtschaftlichen Behandlungsplanung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot zwingt auch Krankenhäuser bei der Behandlungsplanung, die Möglichkeit wirtschaftlichen Alternativverhaltens zu prüfen. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind. Wählt das Krankenhaus einen unwirtschaftlichen Behandlungsweg, kann es allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (BSG, Urteil vom 19. November 2019 - B 1 KR 6/19 R - juris Rn. 17, 24; Heinz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V § 12 SGB V Rn. 111). Das Wirtschaftlichkeitsgebot zwingt insoweit Krankenhäuser bereits bei der Behandlungsplanung dazu, die Möglichkeit wirtschaftlichen Alternativverhaltens zu prüfen und zu nutzen; soweit die Behandlung kostengünstiger durch einen ambulanten statt durch einen stationären Aufenthalt tatsächlich möglich ist und medizinische Gründe nicht entgegenstehen, hat das Krankenhaus seine Behandlungsplanung zwingend daran auszurichten. Vorliegend ist die Versicherte am 9. Februar 2017 bereits frühmorgens um 4:00 Uhr in das Krankenhaus der Klägerin aufgenommen worden. Bei Straffung der Organisation des Behandlungsverlaufs bestehen für das erkennende Gericht keine Zweifel daran, dass - auch bei einem unterstellten zeitlichen Abstand von rund sieben Stunden zwischen der Nahtzeit der OP und erstmaligem Spontanabgang von Urin - eine ambulante Durchführung des Eingriffs - wie von den Vertragspartnern regelhaft vorgesehen - möglich gewesen wäre.

 

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass den seitens der Klägerin unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung angekündigten und im Termin aufrecht erhaltenen Beweisanträgen von Amts wegen nicht nachzugehen war, da die unter Beweis zu stellenden Tatsachen nicht entscheidungserheblich waren und somit als wahr unterstellt werden konnten.

 

Die Revision war nicht zuzulassen; Revisionsgründe (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 und 2, 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Umstand, dass sich die Beklagte im Termin bereit erklärt hat, die Kosten in Höhe der für eine ambulante Durchführung des Eingriffs fiktiv anzusetzenden Kosten (Kosten für ein wirtschaftliches Alternativverhalten) zu übernehmen, und die Klägerin dieses Angebot angenommen und ihre Forderung auf den überschießenden Betrag beschränkt hat, wirkt sich im Rahmen der Kostenentscheidung nicht zu Gunsten der Klägerin aus. Das Angebot der Beklagten bezog sich - wie gesagt - auf ein Alternativverhalten, mithin auf ein aliud. Da die Beklagte diesbezüglich keinen Anlass zur Klageerhebung bzw. Berufungseinlegung gegeben hat, war im Rahmen der nach § 161 VwGO vorzunehmenden Ermessensentscheidung von einer auch nur anteiligen Kostenbelastung der Beklagten abzusehen.

 

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 40 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved