L 4 AS 142/21 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 34 SF 79/20 E
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 142/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Synergieeffekte durch die parallele Bearbeitung mehrerer Klageverfahren mindern den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit erheblich.

 

Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Dezember 2020 und die Prozesskostenhilfe-Festsetzungsentscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 8. November 2019 werden geändert: Die aus der Prozesskostenhilfe an den Beschwerdeführer zu zahlende Vergütung wird auf 300,80 € festgesetzt, sodass von ihm ein Betrag von 422,45 € an die Landeskasse zu erstatten ist.

 

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Streitgegenständlich ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer für ein Klageverfahren nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse als Beschwerdegegner zusteht. 

 

In dem seit dem 8. Mai 2015 anhängigen und mittlerweile erledigten Klageverfahren S 22 AS 1058/15 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) vertrat der Beschwerdeführer eine Klägerin im Streit um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Der Klägerin begehrte mit ihrer Klage im Zugunstenverfahren höhere Leistungen von Januar bis April 2013 für die Unterkunftskosten nach § 22 SGB II (in Höhe von monatlich 42,25 €), denn das beklagte Jobcenter hatte diese nicht in tatsächlicher Höhe erbracht.

 

Bereits in drei weiteren Verfahren (S 22 AS 1165/14, S 22 AS 402/15 und S 22 AS 1002/15) vertrat der Beschwerdeführer die Klägerin bezüglich der Geltendmachung der begehrten höheren Unterkunftskosten im Klageverfahren.

 

Der Beschwerdeführer begründete die Klage S 22 AS 1058/15 mit Schriftsatz vom 7. Mai 2015 auf dreieinhalb Seiten (ohne Rubrum).

 

Mit Beschluss vom 27. August 2015 bewilligte das SG der Klägerin PKH und ordnete den Beschwerdeführer bei. Unter dem 15. September 2015 wurde ein PKH-Vorschuss in Höhe von 142,80 € an den Beschwerdeführer angewiesen. In den drei Klageverfahren wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG (UdG) mit Schreiben vom gleichen Tag auf die Synergieeffekte in der parallelen Bearbeitung von drei Klageverfahren und die daraus folgende Reduzierung der Geschäftsgebühr hin.

 

Am 9. Juni 2017 führte das SG einen zehn minütigen Verhandlungstermin durch, bei dem eine mögliche Erweiterung der Klage auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin erörtert wurde. Unter dem 17. Juli 2017 wurde ein weiterer PKH-Vorschuss in Höhe von 241,30 € an den Beschwerdeführer angewiesen.

 

Unter dem 9. Oktober 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Rubrumserweiterung auf die beiden minderjährigen Kinder der Klägerin sowie die Erweiterung der Prozesskostenhilfe auf diese. Mit Beschluss vom 23. Januar 2018 erweiterte das SG das Aktivrubrum in den drei Parallelverfahren um die minderjährigen Kinder (Kläger zu 2. und 3.).

 

Mit Beschluss vom 1. Februar 2018 erweiterte das SG die PKH-Bewilligung der Klägerin vom 27. August 2015 auf die Kläger zu 2. und 3. Unter dem 27. Februar 2018 wurde antragsgemäß ein weiterer PKH-Vorschuss in Höhe von 214,20 € an den Beschwerdeführer angewiesen. Unter dem 29. März 2018 wurde antragsgemäß ein weiterer PKH-Vorschuss in Höhe von 119 € an den Beschwerdeführer angewiesen.

 

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2019 verurteilte das SG das beklagte Jobcenter zur Zahlung der Unterkunftskosten in begehrter Höhe und erlegte ihm die Übernahme der Kosten der Kläger auf.

 

Unter dem 8. März 2019 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner Vergütung aus der PKH und versicherte, keine Geschäftsgebühr oder sonstige Zahlungen erhalten zu haben - für das hier streitige Verfahren - wie folgt:

 

Verfahrensgebühr, Gebührenerhöhung wegen 3 Auftraggebern

Nr. 3102, 1008 VV RVG

  480,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3106 VV RVG

  270,00 €

Geschäftsreise, Benutzung eines eigenen Kfz - anteilig zu 1/6

Nr. 7003 VV RVG

    6,10 €

Tage- und Abwesenheitsgeld bis 8 h - anteilig zu 1/6

Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG

    6,67 €

Post- und Telekom.Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

782,77 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

   148,73 €

Kostenforderung

 

  931,50 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 717,30 €

Erstattungsbetrag Landeskasse

 

  214,20 €

 

Unter dem 25. Oktober 2019 korrigierte der Beschwerdeführer seinen Kostenerstattungsantrag für die PKH und reduzierte die Forderung nunmehr unter Anrechnung einer Geschäftsgebühr von 175 € auf 723,25 € und bat um die Erstattung weiterer 5,95 €.

 

Der UdG setzte die PKH-Vergütung am 8. November 2019 antragsgemäß auf insgesamt 723,25 € fest und wies die Zahlung weiterer 5,95 € an den Beschwerdeführer an.

 

Zugleich machte der UdG am 8. November 2019 einen Forderungsübergang nach § 59 RVG geltend und forderte das beklagte Jobcenter zur Erstattung von 723,25 € auf. Hiergegen legte das beklagte Jobcenter am 19. Dezember 2019 Erinnerung ein (S 34 SF 201/19 E) und führte aus, der Ansatz einer Verfahrensgebühr von 300 € zzgl. Erhöhung sei für die parallele Bearbeitung von drei Klageverfahren unbillig und lediglich in Höhe von zwei Drittel der Mittelgebühr zzgl. Erhöhung (320 €) angemessen. Abzusetzen sei eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 Satz 1 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 160 €. Die beantragte Terminsgebühr in Höhe von 280 € sei ebenfalls unbillig und lediglich in Höhe von 150 € zu rechtfertigen.

 

Unter dem 8. April 2020 hat auch der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt (S 34 SF 79/20 E). Die Verfahrens- und Terminsgebühr seien zu hoch festgesetzt worden. Diese seien jeweils in Höhe der hälftigen Mittelgebühr angemessen. Der Beschwerdeführer sei auch im Parallelverfahren S 22 AS 1002/15 mit gleichem Sachverhalt für die Kläger tätig gewesen. Die Klagen seien identisch begründet worden und auch die weiteren Verfahrensabläufe stimmten überein, so dass Synergieeffekte für die Bearbeitung im Verfahren S 22 AS 1058/15 nicht bestritten werden könnten. Die festgesetzte fiktive Terminsgebühr verringere sich dadurch auf 135 €. Zu Gunsten des Beschwerdeführers sei jedoch eine „echte“ Terminsgebühr für den Erörterungstermin am 9. Juni 2017 anzusetzen, die allerdings wegen der kurzen Dauer nur 140 € betrage. Es ergebe sich folgende Berechnung:

 

Verfahrensgebühr

Nr. 3102 VV RVG

  240,00 €

Anrechnung Geschäftsgebühr

gem. Vorbem. 3 (4) RVG

- 175,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3106 VV RVG

  140,00 €

Geschäftsreise, anteilig 1/6

Nr. 7003 VV RVG

    6,10 €

Abwesenheitsgeld, anteilig 1/6

Nr. 7005 VV RVG

    6,67 €

Post- u. Telekom.Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    45,18 €

Kostenforderung

 

  282,95 €

 

 

 

 

Hierauf hat der Beschwerdeführer erwidert und vorgetragen, die von ihm geltend gemachte Vergütung sei nicht zu beanstanden. Zwar sei er auch für die Kläger in den Parallelverfahren tätig gewesen. Es sei dort jedoch nicht um den gleichen Sachverhalt gegangen. Das Verfahren habe sich, auch durch die Rubrumserweiterung, als rechtlich schwierig erwiesen.

 

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 hat das SG auf die Erinnerung des Beschwerdegegners die von diesem an den Beschwerdeführer zu erstattenden Kosten auf einen Betrag von 282,95 € festgesetzt. Die Verfahrensgebühr sei in Höhe der hälftigen Mittelgebühr für drei Auftraggeber (240 €) zu berücksichtigen. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei unterdurchschnittlich gewesen. Die Klage sei erhoben worden und begründet worden. In den Klageverfahren S 22 AS 1002/15, S 22 AS 1165/14 und S 22 AS 402/15 sei ebenfalls die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung streitig gewesen. In diesen Verfahren hat der Beschwerdeführer die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr bzw. der um ein Drittel gekürzten Mittelgebühr erhalten. Im hiesigen, zeitlich nachfolgenden Verfahren seien daher erhebliche Synergieeffekte zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei Klageerhebung offensichtlich nicht sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft benannt habe und nachfolgend eine Rubrumsberichtigung erfolgt sei, begründe keine erhöhende Besonderheit. Durch die Erhebung teilweise inhaltsgleicher vier Klagen seien erhebliche Rationalisierungseffekte zu berücksichtigen. Die Bedeutung des Klageverfahrens sei unterdurchschnittlich zu bewerten, da sich das Interesse der drei Kläger auf weitere Kosten der Unterkunft von monatlich 42,25 € für vier Monate gerichtet habe. Die Terminsgebühr sei mit 140 € festzusetzen. Da ein Erörterungstermin stattgefunden habe, sei dieser kostenbeachtlich, soweit eine höhere als die fiktive Terminsgebühr entstanden sei. Da der Termin nur zehn Minuten gedauert und sich in einem richterlichen Hinweis erschöpft habe, sei die Gebühr allenfalls in Höhe der hälftigen Mittelgebühr entstanden. Der Gesamtvergütungsanspruch betrage 282,95 €. Unter Berücksichtigung erhaltener Zahlungen von 723,25 € habe der Beschwerdeführer 440,30 € zu erstatten.

 

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 hat das SG im Verfahren S 34 SF 201/19 E die auf die Staatskasse übergegangene Forderung gegen das beklagte Jobcenter auf 282,95 € festgesetzt.

 

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 hat das SG im Verfahren S 34 SF 173/19 E die vom beklagten Jobcenter an den Beschwerdeführer zu erstattenden Kosten für die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren, welches dem Klageverfahren S 22 AS 1058/15 vorausging, auf einen Betrag von 404,60 € festgesetzt. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG sei in Höhe von zwei Drittel der Schwellengebühr zzgl. Erhöhung für drei Auftraggeber (320 €) entstanden.

 

Gegen den ihm am 17. Februar 2021 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 22. Februar 2021 Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf seine Ausführungen im Erinnerungsverfahren verwiesen. Zudem habe das SG übersehen, dass zwischenzeitlich die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren verbindlich auf 320 € festgesetzt worden sei (Beschluss des SG vom 7. Dezember 2020), so dass eine Anrechnung von 175 € fehl gehe.

 

Der Beschwerdegegner hält die Vergütungsfestsetzung im angegriffenen Beschluss des SG für zutreffend. Medizinische Sachverhalte lägen sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig zu Grunde. Der Vortrag des Beschwerdeführers lasse keine höhere Vergütung zu. Sollte die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG für die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren auf 320 € festgesetzt worden sein, so sei nur ein Betrag von 160 € anzurechnen und die Beschwerde wäre insoweit begründet. Der Vergütungsanspruch würde sich dann auf 300,79 € beziffern.

 

II.

 

Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.

 

Gegen die Entscheidung des SG über die Erinnerung ist abweichend von § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) der weitere Rechtsbehelf der Beschwerde zum LSG eröffnet (§ 73a Abs. 1 SGG; § 1 Abs. 3 RVG i.V.m. § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 3 bis 8 RVG; vgl. Beschluss des Senats vom 3. März 2017, L 4 AS 141/16 B). Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

 

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände, sondern jeweils die gesamte Kostenfestsetzung des UdG vom 8. November 2019 in der Fassung des Beschlusses des SG vom 7. Dezember 2020. Aufgrund des Rechtsbehelfs des Beschwerdeführers ist die gesamte Kostenfestsetzung noch nicht rechtskräftig. Selbst wenn er nur einzelne Berechnungselemente der Kostenfestsetzung bemängelt, ist eine Begrenzung der Beschwerde auf die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände nicht zulässig. Denn die Gebührentatbestände sind lediglich Elemente der einheitlichen Kostenfestsetzungsentscheidung. Der Rechtsanwalt begrenzt den Umfang der Prüfung und Entscheidung nur durch seinen summenmäßigen Antrag.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 € übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden. 

 

Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist teilweise begründet. Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung einer Vergütung aus der Landeskasse für seine Tätigkeit als im Rahmen der PKH beigeordneter Rechtsanwalt im Klageverfahren S 22 AS 1058/15 in Höhe von 300,79 €. Die Entscheidung des SG war insoweit abzuändern.

 

Der Umfang der Rechtsanwaltsvergütung bzw. deren Erstattung durch die Landeskasse bemisst sich nicht nach dem Wert bzw. der Bedeutung des Klagebegehrens (Streitwert), sondern nach Betragsrahmengebühren. Die geltend gemachten Betragsrahmengebühren sind vom Beschwerdeführer nicht nach den maßgeblichen Kriterien des § 14 RVG angemessen bestimmt worden und daher herabzubemessen.

 

Grundlage des Erstattungsbegehrens des Beschwerdeführers ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach sind dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten. In den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Da die Kläger des Ausgangsverfahrens kostenprivilegierte Beteiligte im Sinne des § 183 Satz 1 SGG waren, scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

Im Einzelnen bestimmt sich die Vergütung, das heißt die Gebührentatbestände, die Spannwerte der Betragsrahmengebühren usw., aus dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die Bemessung der Betragsrahmengebühren ist nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmen. Hiernach steht es dem Rechtsanwalt zu, eine solche Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Bei Rahmengebühren, die sich - wie hier - nicht nach einem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG folgt, dass auch weitere im Einzelfall vorliegende Kriterien zur Bemessung herangezogen werden können. Aus der Aufzählung der benannten Kriterien kann nicht auf ein vorgegebenes abstraktes Rangverhältnis geschlossen werden. Es obliegt dem Rechtsanwalt, jedenfalls die in § 14 RVG genannten und ggf. noch weiter relevante Kriterien im Einzelfall zu gewichten.

 

Ist die Gebühr von einem Dritten (hier: der Landeskasse) zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet hat und die angesetzte Gebühr die nach den gesetzlichen Kriterien angemessene Gebühr um mehr als 20 % übersteigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09, juris Rn. 19). Ist die Bestimmung unbillig, erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren (Thüringer LSG, Beschluss vom 27. Oktober 2016, L 6 SF 1611/15 B, juris).

 

Die Forderung des Beschwerdeführers, ihm stünden für die Verfahrens- und für die Terminsgebühr ein Betrag in Höhe von 750 € zu, ist nicht berechtigt.

 

Verfahrensgebühr ist lediglich in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr entstanden. Nach Anlage 1 zum RVG, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 2 i.V.m. Nr. 3102 VV RVG (in der Fassung vom 1. August 2013) ist die Gebühr aus den Spannwerten (50 € bis 550 €) zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der Erhöhung für zwei weitere Auftraggeber (Nr. 1008 VV RVG) ist von einem Spannwert von 80 € bis 880 € auszugehen.

 

Aus der Vorgabe von Spannenwerten folgt, dass die Mittelgebühr - rechnerisch die Hälfte der Summe aus Mindest- und Höchstgebühr - nicht der Regelfall der Vergütung ist. Sie ist vielmehr nur für einen Regel- bzw. Durchschnittsfall die angemessene Vergütung. Die Mittelgebühr bietet dann für die Bestimmung der konkret angemessenen Gebühr einen Richtwert, wenn es sich um eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Angelegenheit handelt. Das ist nicht der Fall, wenn teilweise über- oder unterdurchschnittlich zu bewertende Einzelkriterien vorliegen. Dann sind Zu- oder Abschläge vom Richtwert vorzunehmen. Die Mittelgebühr kann sich aber auch daraus ergeben, dass die Überdurchschnittlichkeit einzelner Kriterien die Unterdurchschnittlichkeit anderer Kriterien kompensiert.

 

Bei Betrachtung der o.g. Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG lag der Rechtsstreit im unterdurchschnittlichen Bereich anderer Streitigkeiten nach dem SGB II. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen, die sich die Berichterstatterin nach eigener Prüfung zu eigen macht. Überzeugend hat das SG ausgeführt, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Kläger sowie die Bedeutung der Angelegenheit für diese sind hier nur unterdurchschnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko oder sonstige unbenannte Kriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

 

Die Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit lagen im deutlich unterdurchschnittlichen Bereich. Dabei ist einzustellen, dass es im vorliegenden Klageverfahren ebenso wie in den parallel geführten Verfahren S 22 AS 1002/15, S 22 AS 1165/14 und S 22 AS 402/15 jeweils um die Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II ging. Der daraus resultierende „Synergieeffekt“ hat den Aufwand und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im konkreten Verfahren erheblich gemindert (vgl. auch z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2019, L 10 SF 4412/18 E-B, juris Rn. 27; LSG Thüringen, Beschluss vom 4. März 2019, L 1 SF 258/17 B, juris Rn. 15; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Februar 2022, L 4 AS  498/19 B, juris Rn. 31). Die Klagebegründung und die Erweiterung des Klägerkreises um die minderjährigen Kinder rechtfertigen keine höhere Gebühr als die der hälftigen Mittelgebühr. Angesichts der knappen rechtlichen Ausführungen und den erheblichen Arbeitserleichterungen, die sich aus der parallelen Bearbeitung von vier Klageverfahren mit identischer Sachverhaltskonstellation und rechtlicher Interessenlage für aufeinanderfolgende Bewilligungszeiträume ergeben, war der für das hier streitige vierte, d.h. zeitlich nachfolgende, Klageverfahren zu betreibende Aufwand des Beschwerdeführers nicht annähernd einem sog. normalen Durchschnittsverfahren entsprechend.

 

Ein besonderes Haftungsrisiko oder sonstige unbenannte Kriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen, sind vorliegend angesichts der Klageforderung nicht ersichtlich.

 

Da sowohl Umfang als auch Schwierigkeit der Tätigkeit deutlich unterdurchschnittlich waren und nicht wenigstens eines dieser beiden Kriterien durchschnittlich ausgeprägt war, kommt eine höhere Verfahrensgebühr als die Hälfte der Mittelgebühr zur Überzeugung des Senats nicht in Betracht.

 

Die vom SG angesetzte Terminsgebühr von 140 € ist nicht zu beanstanden. Auch hierzu wird auf die überzeugenden Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss verwiesen. Der Erörterungstermin am 9. Juni 2017 dauerte lediglich zehn Minuten. Dies rechtfertigt eine Herabbemessung der Terminsgebühr auf die Hälfte der Mittelgebühr. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war bei einer Dauer des Termins von weniger als 20 Minuten unterdurchschnittlich. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, das heißt die Intensität der Arbeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, juris), war - ausgehend von einem objektiven Maßstab - unterdurchschnittlich.

 

Unter Zugrundlegung der angesprochenen Gebührenpositionen sowie der weiteren Kostenfestsetzung, die nicht zu beanstanden ist, ergibt sich folgende Berechnung:

 

Verfahrensgebühr

Nr. 3102, 1008 VV RVG

  240,00 €

Anrechnung Geschäftsgebühr

gem. Vorbem. 3 (4) RVG

     - 160,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3106 VV RVG

  140,00 €

Geschäftsreise

Nr. 7003 VV RVG

    6,10 €

Abwesenheitsgeld

Nr. 7005 VV RVG

    6,67 €

Post- u. Telekom.Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  252,77 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    48,03 €

Kostenforderung

 

  300,80 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 723,25 €

Erstattung durch Beschwerdeführer

 

  422,45 €

       

 

 

 

 

Der Beschwerdeführer hat an den Beschwerdegegner einen Betrag von 422,45 € zu erstatten.

 

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; eine Beschwerde zum BSG ist nicht gegeben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Rechtskraft
Aus
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