L 4 AS 832/18

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 30 AS 2387/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 832/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Es ist keine Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit aus § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I, wenn der Leistungsträger den Sachverhalt nicht hinreichend aufklärt (hier: keine Anforderung lückenloser ungeschwärzter Auszüge vom eigenen Konto des Antragstellers).

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des

 

Berufungsverfahrens zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Umstritten ist die Versagung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum von Juli bis November 2015.

 

Der am ... 1954 geborene Kläger beantragte bei dem Beklagten am 26. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei gab er u. a. an, noch bis 31. Juli 2015 Arbeitslosengeld I und Wohngeld sowie bis Dezember 2015 monatlich 750 € aus dem Erbe seiner Mutter zu beziehen. Dem Kläger wurden die Checkliste zur Antragstellung mit Aufforderung zur Mitwirkung und Belehrung über die Rechtsfolgen gemäß §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) Allgemeiner Teil (SGB I) ausgehändigt und die Frist zur Abgabe fehlender Unterlagen auf den 23. Juli 2015 festgesetzt. Mit einer Zwischenmitteilung vom 21. August 2015 erinnerte der Beklagte den Kläger, der bereits Unterlagen eingereicht hatte, unter Fristsetzung bis zum 18. September 2015 an die Vorlage noch fehlender Unterlagen. Am 27. August 2015 legte der Kläger weitere Unterlagen vor und der Beklagte vermerkte die Vollständigkeit des Antrags. Darin hatte der Kläger u.a. angegeben, ab 1. Juli 2015 eine private Rentenversicherung abgeschlossen zu haben und es stehe ihm ein „Sonstiges Vermögen“ von „4800 in den nächsten 60 Monaten“ aus einer Erbschaft zu. Entsprechende monatliche Zahlungen gingen in den „geschützten Vertrag“ (= private Rentenversicherung). In der Anlage EK vermerkte die Sachbearbeiterin des Beklagten: „monatlicher Zufluss aus Erbe laut Kontoauszug. Nach eigenen Angaben reduziert sich der Zufluss für mindestens fünf Jahre auf monatlich 80 €. Verträge dazu existieren nicht.“ Weiter legte der Kläger den Versicherungsschein für seinen PKW Ford C-Max, Erstzulassung März 2010, mit einem Kilometerstand von 125.000, den Wohngeldbescheid der Stadt B. vom 13. August 2014 über monatliches Wohngeld in Höhe von 20 € bis 31. Juli 2015 und den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit Magdeburg) vom 30. August 2013 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld I mit einer Anspruchsdauer von 720 Tagen vom 1. August 2013 bis 30. Juli 2015 in Höhe von 25,28 € täglich (758,40 € monatlich) vor. Des Weiteren legte er den gemeinschaftlichen Erbschein des Amtsgerichts H. vom 18. März 2015 vor, wonach die Mutter M. am 5. Januar 2015 in N. gestorben und von ihren Söhnen F1, F2 und F3 zu je einem Drittel beerbt worden sei. Weitere Unterlagen betrafen einen Darlehensvertrag vom 8. August 2010, den die verstorbene Mutter, dabei vertreten von F1 als Betreuer, mit H. über ein Darlehen in Höhe von 32.000 € mit einer Laufzeit bis Juli 2022 abgeschlossen hatte. Die Rückzahlung sollte in monatlichen Raten ab Juli 2011 erfolgen und im Zeitraum von Juli 2012 bis Juni 2022 266 € im Monat betragen. Ausweislich einer Bescheinigung des Bruders F1 vom 10. August 2015 habe der Kläger bis Juli 2015 Abschlagszahlungen aus Darlehensrückzahlungen mit dem V-Verein G. in Höhe von 6.500 € bekommen. Damit sei das Darlehen abgegolten gewesen. Mit einer weiteren Bescheinigung vom 30. Juli 2015 bescheinigte F1, dass der Kläger bis Juli 2022 monatlich 80 € aus Darlehensrückzahlungen durch Überweisung erhalten werde. Den gleichfalls vorgelegten auszugsweisen Kontoauszügen vom Konto des Klägers für die Monate April und Juni bis August 2015 sind Überweisungen in Höhe von 12.000 € am 10. April 2015, 1.800 € am 15. Mai 2015, 1.000 € am 9. Juni 2015 sowie 750 € am 8. Juli 2015 zu entnehmen. Diese Überweisungen erfolgten unter dem Betreff „M.(…) SVWZ + Erbanteil) bzw. „F1. (…) SVWZ + Rate Nachlass aus Darlehensrückzahlungen“. Die DEVK bestätigte dem Kläger den Abschluss einer flexiblen Rentenversicherung ab 1. Juli 2015 mit monatlichen Zahlungen von 90 €.

 

Nach einem Aktenvermerk des Beklagten hat der Kläger am 8. September 2015 zum Erbe und den monatlichen Zahlungen erklärt, die Mutter habe zu Lebzeiten Gelder per Darlehensvertrag an einen V-Verein und eine Privatperson namens H. verliehen. Die Darlehensnehmer zahlten diese Darlehen monatlich ab und der Bruder F1 verwalte diese Zahlungen. Der Bruder zahle dem Kläger den zustehenden Anteil per Überweisung aus. Ab August 2015 reduziere sich der Anteil von 800 auf 80 €, weil das Darlehen mit dem Vermögens-Verwaltungs-Verein getilgt sei. Verblieben seien noch die Zahlungen aus dem Darlehen mit  H. Allerdings stünden ihm diese 80 € nicht zur Verfügung, weil er eine Riester-Rente mit monatlichen Beiträgen von 90 € abgeschlossen habe. Für diese Versicherung bestehe (nach der Feststellung der Sachbearbeiterin des Beklagten) ein Verwertungsausschluss.

 

Am 9. September 2015 führte der Beklagte eine Prüfung des Vermögens des Klägers durch und berücksichtigte dabei das Guthaben auf dem Girokonto in Höhe von 1.862,70 €, 300 € Bargeld sowie den aktuellen Händler-Einkaufswert für den PKW in Höhe von 7.237 €, und stellte fest, der Kläger habe unter Berücksichtigung des Freibetrags von 9.150 € kein sofort einzusetzendes Vermögen. Sein Bedarf belaufe sich für den Monat Juli 2015 einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) auf 703,25 €. Für diesen Monat sei aber aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld I und der Zahlungen aus dem Erbe (750 €) nach Einkommensbereinigung ein übersteigendes Einkommen von 753,75 € zu berücksichtigen. Für August 2015 ergebe sich ein rechnerischer Leistungsanspruch von 674,65 €, da sich das sonstige Einkommen des Klägers nunmehr auf 80 € belaufe, das um 51,40 € zu bereinigen sei. Mit weiterer Zwischenmitteilung vom 14. September 2015 (Blatt 137 der Verwaltungsakte) teilte der Beklagte dem Kläger mit, über den Leistungsantrag könne noch nicht entschieden werden, weil folgende Unterlagen noch vorzulegen seien:

 

Kaufvertrag zu seinem PKW Ford,

 

Darlehensvertrag zwischen seiner Mutter und dem Vermögens-Verwaltung-Verein,

 

Erklärung, weshalb sein Bruder F1 als Verwalter des Erbenkontos ihm monatlich 80 € aus der Tilgung des Darlehens von  H. überweise, wenn der Tilgungsbetrag laut Darlehensvertrag 266 € beträgt, nach den Berechnungen des Beklagten der Anteil von einem Drittel aber 88,66 € betrage,

 

den Verwaltervertrag zum Erbenkonto,

 

die Auflistung der gesamten Erbmasse aus dem Nachlass seiner Mutter,

 

Kontoauszüge vom Erbenkonto fortlaufend ab Eröffnung dieses Erbenkontos.

 

Der Kläger sei unmittelbar am Erbenkonto beteiligt und habe daher ein Recht auf Einsicht in die Kontobewegungen und die Pflicht zur Vorlage der Auszüge. Die Frist zur Abgabe dieser Unterlagen setzte der Beklagte bis zum 5. Oktober 2015 fest. Darüber hinaus führte er Ermittlungen zum Nachlass der verstorbenen Mutter durch und erhielt vom Amtsgericht H. die Auskunft vom 16. September 2015, wonach der Nachlasswert mit 85.000 € angegeben worden sei sowie eine beglaubigte Abschrift des (bereits bekannten) Erbscheins vom 18. März 2015. Am 5. Oktober 2015 legte der Kläger weitere Unterlagen vor. Diese umfassten den Kaufvertrag für den PKW vom 11. Juni 2015 mit einem Kaufpreis von 7.999 €, der am 19. Juni 2015 bezahlt worden sei, einen Darlehensvertrag zwischen M und der Firma I. GmbH & Co. KG vom 17. November 2004 über ein Darlehen in Höhe von 150.000 € mit einem Zinssatz von 2,75 % und Rückzahlung bis zum 31. Dezember 2006, einem „Vertrag zur Kontoführung des Erbengemeinschaftskontos“ vom 1. März 2015 zwischen dem Kläger und seinem Bruder F1, wonach sich der Kläger damit einverstanden erklärte, „dass ein Betrag in Höhe von 8,66 € pro Monat (…) für jeden laufenden Monat, solange dieses Konto besteht, einbehalten und dem Kontoführungsbeauftragten für laufende Kontoführungskosten und Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit der Abwicklung jeglicher Geschäftsbeziehungen (…) zur Verfügung gestellt wird. Des Weiteren legte der Kläger ein Schreiben des Amtsgerichts H. an den Bruder F1 vom 5. Februar 2015 vor, wonach sich der Vermögensstand der verstorbenen Mutter zum 5. Januar 2015 auf 94.612,31 € belaufen habe. Beigefügt war eine Vermögensaufstellung, in der u. a. ein Privatdarlehen an den „Vermögensverwaltungsverein“ in Höhe von 20.366,52 € mit monatlichen Rückzahlungsraten von 2.000 € und an Tim H. in Höhe von 22.028,00 € mit monatlichen Rückzahlungsraten von 266 € aufgeführt sind. Mit einer als „Eidesstattliche Versicherung“ bezeichneten Erklärung vom 3. Oktober 2015 gab der Kläger an, außer den angegebenen 80 € monatlich aus der Darlehensrückzahlung von  H. keinerlei weitere Ansprüche an das Erbengemeinschaftskonto zu haben. Er zahle diese Summe in die flexible Rentenversicherung mit der DEVK zur Altersvorsorge ein und habe keine Verfügungsgewalt über dieses Konto oder das der Erbengemeinschaft. Seine Brüder verweigerten eine Einsichtnahme in das Erbengemeinschaftskonto aus datenschutzrechtlichen Gründen.

 

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2015 versagte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II ab 1. Juli 2015. Grundlage für diese Entscheidung seien die §§ 60 und 66 SGB I. Er – der Kläger – sei mit Schreiben vom 14. September 2015 aufgefordert worden, für die Prüfung seines Leistungsanspruchs ausreichende Unterlagen vorzulegen. Dieser Mitwirkungspflicht sei er nur zum Teil nachgekommen und habe dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Es fehlten zur Prüfung seines Anspruchs weiterhin Kontoauszüge vom Erbenkonto laufend ab Eröffnung dieses Kontos. Diese Angaben, Unterlagen und Nachweise würden für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigt. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass die Behörde wirtschaftlich handeln müsse. Hierzu gehöre – auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler – Leistungen nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe zu erbringen. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Brüder des Klägers aus datenschutzrechtlichen Gründen die Einsichtnahme in das Erbengemeinschaftskonto verweigerten. Nach Abwägung mit dem gesetzlichen Zweck zur Ausübung des Ermessens sowie dem öffentlichen Interesse sei die Entscheidung in dieser Form zu treffen und die Leistungen seien zu versagen.

 

Dagegen legte der Kläger am 23. Oktober 2015 Widerspruch ein und trug vor, jederzeit den Aufforderungen zur Einreichung von Unterlagen nachgekommen zu sein. Er habe auch Kontoauszüge seit Januar 2015 vorgelegt, den Erbschein und die Vermögensübersicht des Amtsgerichts H. zu seiner im Januar 2015 verstorbenen Mutter und die dazu gehörigen Darlehensverträge. Auch den Nachweis über die Verwendung von monatlich 88,66 € aus dem Darlehensvertrag des H. mit seiner Mutter habe er beigebracht, darunter auch die Bescheinigung des Verwalters des Erbengemeinschaftskontos über die monatlichen Kosten von 8,66 € für die Verwaltung des Kontos und die Zahlung in Höhe von 80 € auf sein Konto. Er habe außerdem in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, außer den nachgewiesenen 80 € im Monat aus der Darlehensrückzahlung von H. keinerlei weitere Ansprüche an das Erbengemeinschaftskonto zu haben. Er habe darüber auch keinerlei Verfügungsgewalt und es werde die Einsichtnahme in dieses Konto von Seiten seiner Brüder verweigert.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und wiederholte die Begründung aus dem Versagungsbescheid vom 19. Oktober 2015. Weiter führte er aus, nach derzeitiger Aktenlage sei zum Zeitpunkt der Beantragung von Grundsicherungsleistungen von einem den Grundfreibetrag übersteigenden Vermögen auszugehen. Der Kläger sei zusammen mit seinen Brüdern zu einem Anteil von jeweils einem Drittel Erbe der im Januar 2015 verstorbenen Mutter. Der Vermögenswert der Erblasserin sei zum Stand vom 12. Januar 2015 mit einem Gesamtwert von 94.612,31 € angegeben worden. Hiervon entfiele auf den Kläger ein Vermögenswert in Höhe von 31.537,43 €. Dieser Wert übersteige den in § 12 Abs. 2 SGB II gesetzlich geregelten Vermögensfreibetrag nicht unerheblich. Weder den eingereichten Unterlagen noch dem Vortrag des Klägers könne entnommen werden, dass der Vermögensfreibetrag zum Zeitpunkt der Antragstellung unterschritten gewesen und somit Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II gegeben sei. Für eine Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II seien daher die abgeforderten Kontoauszüge entscheidungserheblich. Auch rechtfertige es die von den Brüdern verweigerte Einsichtnahme in das Erbengemeinschaftskonto nicht, von einer Versagung der Leistungen abzusehen. Der Beklagte sei als Teil der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz gebunden. Deshalb müssten die Bestimmungen des SGB II beachtet werden. Es dürfe daher nicht von den im Gesetz festgelegten Regelungen zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgewichen werden. Grundvoraussetzung für die Gewährung dieser Leistungen sei das Vorliegen einer Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II. Im Übrigen stehe die Verweigerung der Einsichtnahme auch im Gegensatz zu dem ebenfalls eingereichten Vertrag zur Kontoführung des Erbengemeinschaftskontos. Ausweislich dieses Vertrags enthalte ein Bruder des Klägers, der ebenfalls Erbe sei, einen Betrag von 8,66 € je Monat für die Verwaltung des Erbengemeinschaftskontos. Die Verwaltung des Kontos umfasse dabei eine Einnahme-/Ausgabeauflistung, Dokumentationen, ggf. Kopien sowie die Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit behördlichen Anträgen und Auskünften. Gerade der vorliegend verlangte Nachweis des Vermögensstands sei somit eine der vertraglichen Hauptpflichten im Zusammenhang mit der Verwaltung des Erbengemeinschaftskontos. Die einfache Verweigerung der Auskunftserteilung und die ohne Versuch der Durchsetzung der rechtlichen Ansprüche des Widerspruchsführers eingereichte Erklärung könne nicht zum Bezug steuerfinanzierter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts führen. Dem stehe auch der Rechtsgedanke des § 2 Abs. 1 SGB II entgegen wonach erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssten. Diese Obliegenheit zur Eigenaktivität könne als Auslegungshilfe bei der Anwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten normieren, herangezogen werden. Daraus sei abzuleiten, dass der Hilfebedürftige im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems gehalten sei, alle Möglichkeiten auszunutzen, den Lebensunterhalt aus dem (vermutlich) vorhandenen Vermögen zu bestreiten.

 

Mit seiner am 30. November 2015 vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der ihm zustehende Vermögensfreibetrag sei durch das zum 1. August 2015 noch vorhandene Vermögen bei weitem nicht erreicht, weshalb die Versagung von Leistungen durch den Beklagten rechtswidrig sei. Ihm hätten als Miterbe im Januar 2015 31.537,43 € zugestanden. Von dem Erbe hätten allerdings die Beerdigungskosten und Gebühren für das Amtsgericht für die Aufhebung der Betreuung in Höhe von ca. 6.600 € gezahlt werden müssen. Im April und Juni 2015 habe er Darlehen in Höhe von 6.200 € zurückgezahlt und im Juni 2015 einen Gebrauchtwagen im Wert von 8.000 € gekauft. Außerdem habe er Anschaffungen für die Wohnung in der Zeit von Januar bis Juni 2015 in Höhe von 4.500 € getätigt. Weitere 1.180 € hätten im Januar 2015 für die Bewirtung der Trauergäste, Räumung der Wohnung der verstorbenen Mutter sowie Fahrtkosten der Anreisenden gezahlt werden müssen. Kosten für den Steuerberater seien in Höhe von 600 € entstanden. Den Vorwurf der Verletzung seiner Mitwirkungspflicht weise er zurück. Er habe an Eides statt versichert, dass seine Brüder eine Einsichtnahme in das Erbengemeinschaftskonto verweigerten. Im Übrigen habe er seine Mitwirkungspflicht erfüllt und vollständige Unterlagen vorgelegt. Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist nachgekommen. Der von ihm im Januar 2016 vorgelegten Vermögensübersicht sei ein Vermögensbestand zum 31. Juli 2015 in Höhe von 23.570,99 € zu entnehmen. Nach den weiteren Angaben sollen nach dem 31. Juli 2015 dann diverse Ausgaben getätigt worden sein. Die genannten Beträge und Zeitpunkte würden erhebliche Fragen aufwerfen.

 

Im Klageverfahren hat der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 25. Februar 2016 vorgelegt, wonach dem Kläger für den Zeitraum von Dezember 2015 bis Mai 2016 Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung) in Höhe von 703,25 € für Dezember 2015, 520,59 € für Januar 2016 und jeweils 680,59 € für Februar bis Mai 2016 bewilligt worden sind. Zuvor hat der Kläger weitere Auszüge von seinem Girokonto für den Zeitraum vom 3. Dezember 2015 bis 1. Februar 2016 vorgelegt sowie einen Umsatzbericht vom Erbenkonto, das den Bruder F1 als Inhaber ausweist, für den Zeitraum vom 13. April 2015 bis 25. Januar 2016.

 

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 29. August 2018 hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2015 aufgehoben: Die Voraussetzungen für eine Versagung von Leistungen lägen nicht vor. Rechtsgrundlage sei § 66 Abs. 1 SGB I. Danach könne ein Leistungsträger, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Zu den Mitwirkungspflichten gehöre die Pflicht der Antragsteller und Bezieher von Sozialleistungen, die Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I), sowie Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I). Der Kläger sei dem Grunde nach zum Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit verpflichtet. Denn zu den Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 SGB I gehöre es, die Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 SGB II glaubhaft zu machen. Hilfebedürftig sei derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Es sei daher auch glaubhaft zu machen, dass der Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen bestritten werden könne. Hier habe der Beklagte bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht feststellen können. Zwar sei der Kläger verpflichtet, Unterlagen vorzulegen, die seine Hilfsbedürftigkeit beweisen. Zweifelhaft sei aber, ob er die Kontoauszüge des Erbschaftskontos hätte vorlegen müssen. Denn der Beklagte hätte auch anhand dieser Kontoauszüge nicht abschließend über die Hilfebedürftigkeit des Klägers entscheiden können. Zwar wären dann Auszahlungen an den Kläger nachvollziehbar gewesen. Aber es hätte nicht festgestellt werden können, ob es sich dabei um Geld gehandelt hat, das zum Zeitpunkt der geltend gemachten Hilfebedürftigkeit noch vorhanden war. Auf diese Frage komme es aber nicht an, denn durch die verweigerte Vorlage der Kontoauszüge vom Erbenkonto sei die Sachverhaltsaufklärung für den Beklagten nicht erheblich erschwert worden. Die Voraussetzungen für die Leistung hätten anderweitig nachgewiesen werden können. Eine Versagung oder Entziehung von Sozialleistungen komme trotz einer Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Leistungen nicht anderweitig nachgewiesen werden könnten oder die Sachverhaltsaufklärung für den Beklagten erheblich erschwert werde. Hier sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ohne erheblichen Mehraufwand hätten nachgewiesen werden können. Der Beklagte hätte die Kontoauszüge über das Konto des Klägers seit Eintritt des Erbfalls lückenlos anfordern können, um auf dieser Grundlage zu prüfen, wann Zahlungen von dem Erbschaftskonto bei dem Kläger eingegangen sind und wann ggf. welche Ausgaben (Abhebungen/Überweisungen) vorgenommen wurden. Außerdem hätte der Beklagte auch von den weiteren Erben eine Aufstellung des Erbes und der Auszahlungen an den Kläger anfordern können.

 

Das ihm am 14. November 2018 zugestellte Urteil greift der Beklagte mit seiner am 14. Dezember 2018 bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an. Er vertritt weiterhin die Ansicht, die Hilfebedürftigkeit des Klägers hätte mit Rücksicht auf den erheblichen Erbanfall mit einem Vermögenswert von 31.537,43 € aufgeklärt werden müssen. Dieser Betrag übersteige den in § 12 Abs. 2 SGB II gesetzlich geregelten Vermögensfreibetrag erheblich. Vermögen im Sinne des Gesetzes seien alle verwertbaren Vermögensgegenstände. Dazu gehörten auch verbriefte und nicht verbriefte Forderungen und Geldleistungen in Form von Rückkaufswerten. Der Berücksichtigung von Forderungen als Vermögen stehe nicht entgegen, dass weitere Verwertungshandlungen zwischengeschaltet werden müssen, um einen tatsächlichen Zufluss in Geld oder Geldeswert zu erreichen. Daher könnten auch zukünftig fällig werdende Forderungen Vermögensgegenstände im Sinne von § 12 SGB II sein (BSG, Urteil vom 30.8.2010, B 4 AS 70/09 R). Um Vermögen habe es sich daher auch bei den anteiligen Rückforderungsansprüchen des Klägers aus den Darlehensverträgen der im Januar 2015 verstorbenen Mutter mit dem V-Verein vom 17. November 2004 sowie Herrn  H. vom 8. August 2010 gehandelt. Der Vermögensaufstellung des Amtsgerichts H. vom 12. Januar 2015 sei zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt des Todes der Mutter am 5. Januar 2015 gegenüber dem Vermögensverwaltungsverein noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 20.366,52 € und gegenüber Herrn H. in Höhe von 22.028,00 € bestanden habe. Es sei angemerkt worden, dass der V-Verein das Darlehen in monatlichen Raten von 2.000 € und Herr H. seine Schuld in monatlichen Raten von 266 € tilgten. Während aus dem Darlehensvertrag mit Herrn H. vom 8. August 2010 die Einzelheiten der Darlehensrückzahlung eindeutig erkennbar gewesen seien, gelte dies nicht für den Vertrag mit dem V-Verein vom 17. November 2004. Der Kläger habe am 8. September 2015 im Rahmen seiner Antragsabgabe angegeben, dass ab August 2015 nur noch Forderungen gegenüber Herrn H. bestünden, da das Darlehen mit dem Vermögensverwaltungsverein getilgt sei. Dies sei jedoch nicht nachvollziehbar, da rein rechnerisch bei einer monatlichen Rückzahlungsrate von 2.000 € der zum 12. Januar 2015 noch offene Betrag noch nicht getilgt gewesen sein könne. Zur Aufklärung dieses Umstands sei auch die Bescheinigung des Bruders F1 vom 10. August 2015 in Verbindung mit den vom Kläger eingereichten Kontoauszügen zum Nachweis der erfolgten Auszahlungen aus dem Nachlass nicht ausreichend gewesen. Der Bruder habe bestätigt, dass das Darlehen mit dem V-Verein bis Juli 2015 getilgt und der Kläger Rückzahlungen in Höhe von insgesamt 6.500 € erhalten habe. Dies entspreche jedoch nicht den per Kontoauszügen nachgewiesenen Gutschriften bzw. Raten aus Darlehensrückzahlungen. Folglich habe es weiterer Ermittlungen des Beklagten bedurft, um die Höhe der zum Zeitpunkt der Antragstellung noch bestehenden Rückforderungsansprüche aus den Darlehensverträgen konkret festzustellen. Hierzu sei die Einsichtnahme in die Kontoauszüge des Erbengemeinschaftskontos entscheidungserheblich und für die weitere Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers unerlässlich gewesen. Der Nachweis des Vermögensstands sei eine der vertraglichen Hauptpflichten im Zusammenhang mit der Verwaltung des Erbengemeinschaftskontos, weshalb der Kläger das Beibringen der geforderten Auszüge nicht hätte verweigern dürfen. Seine Erklärung, die Brüder würden die Einsichtnahme aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigern, stehe auch im Widerspruch zu der Tatsache, dass zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich im Rahmen der Antragstellung ab Dezember 2015, dann doch Kontoauszüge des Erbengemeinschaftskontos eingereicht worden seien. Nach Prüfung dieser Auszüge sei aufgefallen, dass entgegen der Aussage des Klägers vom 8. September 2015 sowie der Bescheinigung des Bruders F1 vom 10. August 2015 die Darlehensrückzahlung durch den Vermögensverwaltungsverein bis Juli 2015 noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Das Darlehen sei erst mit der letzten Ratenzahlung am 29. Oktober 2015 getätigt gewesen. Zudem sei die erste Teilrückzahlung des Vermögensverwaltungsvereins am 13. April 2015 in Höhe von 10.000 € und damit auch nicht wie angegeben in Höhe von monatlich 2.000 € erfolgt. Rückblickend rechtfertigten diese Falschangaben durchaus das damalige Verlangen des Beklagten, Einsichtnahme in die Kontoauszüge des Erbengemeinschaftskontos zwecks Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu nehmen.

 

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. August 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Der Beklagte habe mit Schreiben vom14. September 2015 insgesamt sechs Positionen aufgelistet, die vom Kläger abzuarbeiten bzw. beizubringen gewesen seien. Dieser Aufforderung sei er fristgemäß hinsichtlich der Positionen 1 bis 5 auch nachgekommen. Lediglich die Position 6 „Kontoauszüge vom Erbenkonto fortlaufend ab Eröffnung dieses Erbenkontos“ habe der Kläger nicht vorlegen können, weil dies von seinen Brüdern verweigert worden sei. Es wäre dem Beklagten ohne großen Aufwand möglich gewesen, zunächst die Kontoauszüge des Klägers seit Eintritt des Erbfalls lückenlos anzufordern. Mit lückenlosen Kontoauszügen hätte der Beklagte alle Zahlungseingänge aus dem Erbschaftsfall feststellen können. Der Kläger habe keine falschen Angaben gemacht und er habe auch keinen Einfluss auf die Rückzahlung der Darlehen. Die Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheids ergebe sich auch aus den Umstand, dass der Beklagte die Vorlage von Kontoauszügen Dritter verlange. Eine unterlassene Mitwirkungshandlung im Sinne des § 66 SGB I sei nur anzunehmen, wenn dem zur Mitwirkung Verpflichteten die Mitwirkungshandlung möglich ist. Dies sei bei der Vorlage von Unterlagen von dritten Personen zweifelhaft. Der Kläger habe von Dezember 2015 bis Juli 2017 durchgängig Leistungen nach dem SGB II bezogen und beziehe seit August 2017 eine Altersrente.

 

Die Beteiligten haben sich am 2. September 2022 und 24. Oktober 2022 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat durfte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

 

Die gemäß § 143 SGG zulässige, form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben und den Versagungsbescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2015 aufgehoben. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für die Versagung der beantragten Leistungen lagen nicht vor.

 

Rechtsgrundlage des umstrittenen Versagungsbescheids ist § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB I. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I lautet: „Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 (SGB I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.“ Leistungen können danach u.a. versagt werden, wenn Antragsteller dem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nicht nachkommen, der Vorlage von Beweisurkunden zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I), soweit nicht Grenzen der Mitwirkung überschritten sind (§ 65 SGB I, vgl. BSG, Urt. vom 26. November 2020, B 14 AS 13/19 R, Rn. 11). Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger die Leistung versagen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Die Versagung der Leistungen kann ohne weitere Ermittlungen des Leistungsträgers ausgesprochen werden, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind.

 

Dass ein Nichtmitwirken der antragstellenden Person – und sei es nur hinsichtlich bestimmter Angaben oder Unterlagen – oftmals zu einer Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung führt, liegt auf der Hand. Dies verhindern sollen die Mitwirkungsobliegenheiten in §§ 60 ff. SGB I und die Pflicht der Beteiligten in § 21 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. zum grundsätzlichen Bestehen von Mitwirkungs"pflichten" nach §§ 60 ff SGB I, die keine Pflichten im klassischen Sinne, sondern nur Obliegenheiten sind, und den Ermittlungsbefugnissen der Leistungsträger BSG vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 4/02 RSozR 4-1200 § 66 Nr. 1 Rn. 13; zum SGB II BSG vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 RBSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr. 2, Rn. 13 ff, zitiert nach BSG, Urt. vom 26. November 2020, a.a.O., Rn. 14).

 

Die Nichterfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten allein rechtfertigt die sich aus § 66 SGB I ergebende Rechtsfolge (hier vollständige) "Versagung" nicht, vielmehr muss "hierdurch" die Aufklärung des Sachverhalts "erheblich" erschwert werden, wie dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 zu entnehmen ist. Erforderlich sind eine Kausalität (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks. 7/868 S. 34; BVerwG vom 17. Januar 1985 – 5 C 133/81BVerwGE 71, 8, juris-Rn. 13; BSG vom 10. Juli 1986 – 11a RLw 3/85SozR 5850 § 7 Nr. 2 juris-Rn. 13) und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen unterlassener Mitwirkung und den Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung (BSG, Urt. vom 26. November 2020, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.) Zudem muss die Erschwerung erheblich sein, was insbesondere gegeben ist, wenn der Leistungsträger den Sachverhalt ohne die Mitwirkungshandlung nur mit beträchtlichem zusätzlichen Verwaltungsaufwand an Zeit und/oder Kosten aufklären kann. Maßgeblich dafür sind die jeweilige Fallgestaltung und Umstände des Einzelfalls. Führt eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung, bleibt sie ohne Konsequenzen (vgl. Gutzler in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl. 2019, § 66 Rn. 18 f.; Spellbrink in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 66 SGB I Rn. 14, Stand der Einzelkommentierung 8/2019). Eine erhebliche Erschwerung liegt zudem vor, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die fehlende Mitwirkung unmöglich gemacht wird (BT-Drucks 7/868 S. 34; BSG vom 22. Februar 1995 – 4 RA 44/94BSGE 76, 16 = SozR 3-1200 § 66 Nr. 3, juris-Rn. 30, zitiert nach BSG, Urt. vom 26. November 2020, a.a.O., Rn. 15, juris).

 

Zweck der hier strittigen Mitwirkungsobliegenheit des Klägers ist die Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Es ist offensichtlich, dass der Kläger hier aufgrund des eingetretenen Erbfalls in erheblichem Umfang an der Aufklärung seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse mitzuwirken hatte.

 

Zu Unrecht hat der Beklagte aber seine weiteren Aufklärungsbemühungen nach Erhalt umfangreicher Unterlagen von Seiten des Klägers auf die Vorlage von Auszügen zu dem sogenannten „Erbenkonto“ konzentriert und die vollständige Versagung der beantragten Leistungen ausschließlich auf die Tatsache gestützt, dass der Kläger diese Kontoauszüge nicht vorgelegt hat. Denn durch das Nichtvorlegen dieser Kontoauszüge wurde die Aufklärung des Sachverhalts nicht im Sinne der vorgenannten Ausführungen erheblich erschwert. Denn wie bereits das SG in seinen Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt hat, hat der Beklagte seinerseits nicht alle erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit des Klägers angestellt, sodass schon deswegen der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt wurde und nicht erst durch die Weigerung des Klägers, Kontoauszüge des Erbenkontos vorzulegen. Es fällt auf, dass sich der Beklagte hier mit der lückenhaften Vorlage von Auszügen des eigenen Kontos des Klägers begnügt hat, ohne weitere Nachforschungen anzustellen.

 

Der Kläger war zur Vorlage der Kontoauszüge seines eigenen Kontos verpflichtet. Hier hätte es nahegelegen, die vollständigen Auszüge seit Januar 2015 anzufordern, weil die Mutter am 5. Januar 2015 gestorben und der gemeinschaftliche Erbschein am 18. März 2015 vom Amtsgericht Husum erteilt worden ist. Die Verpflichtung von Leistungsempfängern, an der Feststellung ihrer Hilfebedürftigkeit durch Vorlage ggf. lückenloser Kontoauszüge mitzuwirken, ist einhellige Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit und gängige Praxis der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 22. März 2018, L 7 AS 2969/17, Rn. 28 m.w.N., juris). Hier hat der Kläger keine lückenlosen, sondern unvollständige Kontoauszüge für die Zeit ab 7. April 2015 vorgelegt, aus denen verschiedene Gutschriften ersichtlich sind, die offenbar mit dem Erbfall im Zusammenhang stehen. So erfolgte z.B. eine Gutschrift von 12.000 € am 10. April 2015 mit der Bezeichnung „M (…)SVWZ+ Erbanteil“. Am 15. Mai, 9. Juni und 7. Juli 2015 folgten Gutschriften i.H.v. 2.800 €, 1.000 € und 750 €, die vom Bruder F1 mit der Bezeichnung „Nachlass aus Darlehensrückzahlungen“ vorgenommen worden waren.

 

Die Lückenhaftigkeit der Kontoauszüge für den Zeitraum ab April 2015 folgt schon daraus, dass eine weitere Überweisung des Bruders F1 vom 14. April 2015 i.H.v. 3.200 € daraus nicht hervorgeht. Dieser Zahlungsvorgang ist aus dem nachfolgenden Antragsverfahren für den folgenden Leistungszeitraum ersichtlich, in dem der Kläger doch noch einen Umsatzbericht für das sogenannte Erbenkonto für den Zeitraum vom 13. April 2015 bis 25. Januar 2016 vorgelegt hat. Hierdurch wird das Erfordernis der Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers auf der Grundlage vollständiger Kontoauszüge verdeutlicht. Eine weitere und möglicherweise bedeutsame Lücke besteht auch für den Zeitraum von Januar bis März 2015, für den keine Kontoauszüge, weder vom Konto des Klägers noch vom sog. Erbenkonto vorhanden sind. Insoweit bestand ebenfalls Aufklärungsbedarf, weil möglicherweise der Bruder Dieter schon vor Erteilung des Erbscheins im März 2015 berechtigt war, über den Nachlass der verstorbenen Mutter zu verfügen. Etwaige Zahlungen an den Kläger in diesem früheren Zeitraum hätten erst recht die Frage aufwerfen können, über welches Vermögen er zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juni 2015 tatsächlich verfügte. Darüber hinaus ist auch trotz der umfangreich vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht klar ersichtlich, wo der nachweislich bei ihm insgesamt eingegangene Betrag von 19.750 € (Zahlungseingänge auf seinem Konto vom 10. April bis 7. Juli 2015) letztlich geblieben ist. Auch insoweit hat er zur Aufklärung des Sachverhalts jedenfalls hinsichtlich der Vorlage vollständiger Kontoauszüge nicht ausreichend mitgewirkt. Er hat zwar den Eingang dieser Zahlungen – bis auf den Betrag von 3.200 € am 14. April 2015 – dokumentiert, andere Buchungsvorgänge durch Schwärzungen aber unleserlich gemacht. Es ist also nicht ersichtlich, ob und welche Abhebungen bzw. Überweisungen er im Sinne einer Minderung seines Vermögens bis zur Antragstellung vorgenommen hat. Die nach seinen Angaben angefallenen erheblichen Kosten für die Beerdigung der Mutter, zurückgezahlte Schulden oder Anschaffungen für den persönlichen Bedarf lassen sich ohne vollständige Kontoauszüge nicht nachvollziehen. Etwaige Barzahlungen an Gläubiger oder Verkäufer hätten entsprechende Abhebungen vorausgesetzt, die aufgrund der unleserlich gemachten Buchungsvorgänge ebenfalls nicht nachvollzogen werden können. Da der Beklagte ihn aber zur weiteren Aufklärung durch Vorlage lückenloser lesbarer Kontoauszüge nicht aufgefordert hat, sind dem Kläger diese Lücken im Sachverhalt nicht als Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit im Sinne von § 66 Abs. 1 SGB I anzulasten. Das Ergebnis der Ermittlung einer weiteren Zahlung von 3.200 € an den Kläger durch den später vorgelegten Umsatzbericht vom Konto des Bruders F1ist nur ein scheinbarer Erfolg für den Beklagten. Denn dies belegt nur einen weiteren Geldzufluss beim Kläger, erklärt aber nicht, wo das Geld geblieben ist. Der Verbleib des Geldes kann in erster Linie nur anhand der eigenen Kontoauszüge des Klägers nachvollzogen werden, dafür hat ein fremdes Konto keine Aussagekraft.

 

Der Beklagte hat folglich ohne nachvollziehbare Gründe auf die möglich gewesene und gebotene Sachverhaltsaufklärung dadurch verzichtet, dass er vom Kläger keine lückenlosen Kontoauszüge von dessen Privatkonto für die Zeit von Januar bis Juli 2015 angefordert hat. Auf der Grundlage vollständiger Kontoauszüge und ihrer Auswertung hätte geprüft werden können, inwieweit zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. dem Zeitpunkt des beantragten Leistungsbeginns am 1. Juli 2015 verwertbares Vermögen des Klägers vorhanden war bzw. wo dieses geblieben ist. Aufgrund der Mitteilung des Amtsgerichts H. vom 5. Februar 2015 an den Bruder des Klägers F1 steht fest, dass die verstorbene Mutter ein Vermögen von 94.612,31 € hinterlassen hat, von dem der Kläger 1/3, also 31.537,44 € zu beanspruchen hatte. Insoweit hätte sich die Prüfung des Beklagten darauf erstrecken müssen, inwieweit dem Kläger dieser Anteil zugeflossen und zum Zeitpunkt des beantragten Leistungsbeginns noch vorhanden gewesen ist.

 

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Versagung der beantragten Leistungen nach    § 66 Abs. 1 SGB I aus den vorgenannten Gründen nicht gegeben sind, kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger ggf. zur Vorlage der Auszüge vom (Erben)-Konto seines Bruders im Sinne einer Mitwirkungsobliegenheit verpflichtet gewesen wäre. 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).

Rechtskraft
Aus
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