S 7 SO 40/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 7 SO 40/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 36/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der existenzsichernde Bedarf eines Sozialhilfeempfängers ist auf jeden Fall gesichert, wenn sein Wohnbedarf vollständig und sein Regelsatzbedarf zu 70% gedeckt sind. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht dann kein Anordnungsgrund.
Der Antrag wird zurückgewiesen Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur ergänzenden Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Der Antragsteller beantragte am 24. Januar 2005 beim Antragsgegner ergänzend zu der von ihm bezogenen Rente die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Februar 2005.

Als Kosten der Unterkunft gab er für eine allein bewohnte voll möblierte Wohnung in der A-Straße in A-Stadt mit einer Wohnfläche von 51,7 Quadratmeter 295 Euro an, von denen 181,90 Euro auf die Kaltmiete, 65 Euro auf die Nebenkosten und 48,10 Euro auf die Heizung entfielen. In dem beigefügten Mietvertrag mit Frau Z. ist für die Wohnung eine Quadratmeterzahl von 52,3 angegeben. Dazu teilte der Antragsteller mit, dass er zwischenzeitlich von der Wohnung im zweiten Obergeschoss ins Hochparterre im gleichen Haus umgezogen sei. Da sich weder in der Anschrift noch in der Miete etwas geändert habe und die neue Wohnung nur 0,6 Quadratmeter kleiner sei als die alte, sei kein neuer Mietvertrag geschlossen worden. Der Antragsteller wies zudem auf sein Hausgrundstück in B. hin, nannte die Anschrift des Hauses und verwies auf Unterlagen, nach denen die Zwangsversteigerung wegen ungeklärter Grundstücksverhältnisse bis zur Klärung dieser Verhältnisse ruhe. Das Grundstück sei deshalb nicht zu verwerten. Außerdem sei es höher als sein Wert belastet. Schließlich gab der Antragsteller an, ab 1. Februar 2005 eine monatliche Regelaltersrente In Höhe von 498,12 Euro zu beziehen und legte den entsprechenden Rentenbescheid vor. Schließlich wies er darauf hin, dass er nicht krankenversichert sei.

Am 5. April 2005 erinnerte der Antragsteller den Antragsgegner an die Bearbeitung seines Antrages. Daraufhin teilte der Antragsgegner durch Schreiben vom 18. April 2005 mit, dass die vorläufige Aussetzung der Zwangsversteigerung wegen der fehlenden Bestimmbarkeit des Versteigerungsgegenstandes nicht bedeute, dass das Grundstück nicht verwertbar sei und kein Vermögen darstelle. Der Antragsgegner verwies darauf, dass ein vorausgegangener Antrag aus dem Jahre 2004 aus diesen Gründen durch Bescheid vom 15. Juli 2004 abgelehnt worden sei. Die dagegen erfolgte Klage sei vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Da aus dem neuen Antrag nichts anderes hervorgehe, müsse man davon ausgehen, dass die Gründe, die zur damaligen Ablehnung geführt hätten, immer noch vorhanden seien. Vor Erlass eines Ablehnungsbescheides werde dem Antragsteller jedoch die Möglichkeit eingeräumt, sich nochmals zum Sachverhalt zu äußern. Davon unabhängig würde sich ein theoretischer Grundsicherungsbedarf von 101,88 Euro monatlich ergeben. Dieser setze sich aus dem Regelbedarf in Höhe von 345 Euro, anerkannten Unterkunftskosten in Höhe von 215 Euro und anerkannten Heizkosten in Höhe von 40 Euro zusammen, also insgesamt 600 Euro. Davon sei die bezogene Regelaltersrente in Höhe von 498,12 Euro abzuziehen.

Im Mai und Juni 2005 suchten Mitarbeiter des Antragsgegners mehrmals die Wohnung des Antragstellers auf, um zu klären, ob der Antragsteller in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit seiner Vermieterin, Frau Z., lebt. Als Ergebnis ihrer Ermittlungen wiesen sie darauf hin, dass die Wohnung des Antragstellers einen "präparierten" Eindruck mache und sich bei einem zweiten Wohnungsbesuch in fast identischem Zustand wie beim ersten Besuch dargestellt habe. Sie äußerten deshalb die Vermutung, dass der Antragsteller nicht regelmäßig in der von ihm angegebenen Wohnung, für die er Unterkunftskosten beansprucht, lebe.

Mit einem am 20. Mai 2005 beim C. eingegangenen Schreiben beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe. Durch Beschluss vom 1. Juni 2005 verwies das C. das einstweilige Anordnungsverfahren an das sachlich zuständige Sozialgericht Fulda.

Der Antragsteller verweist darauf, dass ihm die beantragten Leistungen zustünden. Sein Hausgrundstück in B. sei nicht verwertbar und überschuldet. Mit Frau Z. verbinde ihn nur eine längerfristige Freundschaft. Er lebe nicht mit ihr in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Er helfe ihr lediglich im Haus und im Büro und erhalte sich so das Recht auf seine Wohnung, für die er noch rückständige Miete in Höhe von 6 Monatsmieten nachzahlen müsse.

Der Antragsteller
beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Grundsicherungsleistungen in Höhe von 101,88 Euro monatlich ergänzend zu der von ihm bezogenen Rente zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag kostenpflichtig abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, der Antragsteller habe weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch nachgewiesen. Zwischen dem Antragsteller und Frau Z. bestehe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft. Dies hätten die Ermittlungen des Außendienstes des Antragsgegners ergeben. Außerdem wären auch bereits verschiedene verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen aus den Jahren 2003 und 2004 davon ausgegangen, dass zwischen dem Antragsteller und Frau Z. eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestehe. Das Einkommen von Frau Z. wäre daher bei einer Leistungsgewährung zu berücksichtigen. Auch wenn man nicht von einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit Frau Z. ausgehen könne, lebe der Antragsteller jedoch in der Wohnung von Frau Z. in der A-Straße in A-Stadt, so dass ihm auf keinen Fall Unterkunftskosten zuständen. Er könne deshalb nur den Regelbedarf in Höhe von 345 Euro monatlich ohne Miet- und Heizkosten beanspruchen. Dieser werde jedoch bereits durch die von ihm bezogene Altersrente in Höhe von monatlich 498,12 Euro gedeckt. Außerdem verfüge der Antragsteller über ein Hausgrundstück über dessen Wert er trotz seiner bestehenden Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren keine verwertbaren Angaben gemacht habe. Auch deshalb stünden ihm insgesamt keine Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Antragsgegners, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des Eilverfahrens verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, also einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen.

Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund. Da im vorliegenden Fall die Verpflichtung des Antragsgegners zu Geldleistungen begehrt wird, würde bei positiver Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen. Die Vorwegnahme der Hauptsache kommt zwar dann in Betracht, wenn es sich um akut benötigte existenzsichernde Leistungen handelt, da anderenfalls Grundrechte des Bürgers auf ein menschenwürdiges Leben und die Sicherung seines Existenzminimums nicht mehr gewährleistet wären. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Dem Antragsteller drohen keine wesentlichen Nachteile, wenn bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache keine vorläufigen monatlichen Zahlungen von ergänzenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erfolgen. Durch die monatliche Zahlung einer Altersrente in Höhe von 498,12 Euro wird vielmehr der unerlässliche, auch verfassungsrechtlich verbürgte Lebensunterhalt des Antragstellers bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gesichert. Die Rentenzahlung deckt sowohl den Bedarf des Antragstellers an Leistungen zum unmittelbaren Lebensunterhalt als auch seinen Bedarf an Leistungen zum Wohnen (Unterkunft und Heizung) und führt dazu, dass der akute Bedarf des Antragstellers an existenzsichernden Leistungen auch ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung gesichert ist.

Der existenzsichernde Bedarf ergibt sich in der Regel aus einer vollständigen Deckung der tatsächlich angefallen Kosten für die Unterkunft (§ 29 Abs. 1 SGB XII) und der angemessenen, tatsächlichen Kosten für die Heizung (§ 29 Abs. 3 SGB XII) und aus einem Teil der Regelsatzleistung nach § 28 SGB XII. Die volle Regelsatzleistung nach § 28 SGB XII ist nicht existenziell notwendig; vielmehr ist zur Deckung des existenziellen Bedarfs - neben Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs - nur ein Anteil von ca. 70 bis 80% des Regelsatzes erforderlich (Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 26 Rdnr. 27 m.w.N.; Conradis, in: LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, § 26 Rdnr. 12 m.w.N.; Grieger, Vorläufiger Rechtsschutz in Angelegenheiten der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitssuchende durch Verwaltungs- und Sozialgerichte, ZFSH/SGB 2004, 579 (585) m.w.N.). Für den Antragsteller bedeutet dies, dass bei der Berücksichtigung der anfallenden Kosten der Unterkunft die im Gesamtmietpreis von 295 Euro enthaltenen Kosten für die Möblierung der Wohnung herauszurechnen sind (ca. 50 Euro), da die Kosten des Hausrats von den pauschalierten Ansätze des Regelbedarfs erfasst werden (§§ 27 Abs. 1, 28 SGB XII) und nur in diesem Rahmen berücksichtigt werden können. Außerdem sind nur die angemessenen tatsächlichen Kosten der Heizung (ca. 40 Euro) zu berücksichtigen. Durch die monatliche Rentenzahlung in Höhe von 498,12 Euro werden jedoch die Kosten für Unterkunft und Heizung (ohne Möblierung) vollständig gedeckt. Darüber hinaus deckt diese Rentenzahlung mehr als 70% des Regelsatzes ab. Insgesamt ist damit der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherstellung des aktuellen existenzsichernden Bedarfs nicht notwendig.

Dem Antragsteller droht bei einer fehlenden einstweiligen Anordnung auch kein sonstiger wesentlicher Nachteil. Insbesondere ist nicht zu erwarten, dass ihm seine Vermieterin wegen der von ihm behaupteten Mietrückstände die Wohnung kündigt und er wohnungslos wird. Der Antragsteller ist mit der Vermieterin zumindest freundschaftlich verbunden und ist ihr - wohl auch wegen der rückständigen Miete - laufend im Haus und im Büro behilflich. Die Vermieterin wird somit vor einer Kündigung zumindest den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten.

Darüber hinaus ist es bei summarischer Prüfung auch keineswegs überwiegend wahrscheinlich, dass ein Anordnungsanspruch besteht. Zur Begründung wird auf die ausführlichen und in sich schlüssigen Darlegungen des Beklagten im Klageverfahren verwiesen. Diese geben Anhaltspunkten für das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller mit seiner Vermieterin, begründen Zweifel, ob der Antragsteller die Wohnung, für die er Unterkunfts- und Heizkosten geltend macht, auch tatsächlich nutzt, und verweisen auf das Vorhandensein und die Verwertbarkeit von Grundbesitz des Antragstellers. Jeder dieser drei Aspekte würde bereits alleine einer Leistungsgewährung entgegenstehen. Das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seiner Vermieterin würde zur Anrechenbarkeit ihres Einkommens und damit mutmaßlich zu einem Ausschluss eines Anspruchs des Antragstellers auf Leistungen führen. Die fehlende Nutzung der von Antragsteller angegebenen Wohnung würde seinen Bedarf so weit reduzieren, dass er keinen Anspruch ergänzende Leistungen zu seiner Rente hätte. Schließlich würde die Möglichkeit der Berücksichtigung seines Grundbesitzes ebenfalls zur Versagung einer Leistung führen.

Auch nach § 34 SGB XII kann kein Anordnungsanspruch auf die begehrte Leistung bestehen. Nach § 34 SGB XII können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und soweit Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um Ermessensleistungen handelt und das Gericht außer bei der Ermessensreduktion auf Null sein Ermessen nicht an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen darf, ist nicht glaubhaft gemacht, dass eine Notlage im Sinne des § 34 SGB XII vorliegt. Denn der Mietvertrag ist trotz der behaupteten Mietrückstände in Höhe von 6 Monatsmieten nicht gekündigt. Im Übrigen leistet der Antragsteller bei seiner Vermieterin, mit der er zumindest freundschaftlich verbunden ist, handwerkliche Arbeiten im Haus und Computerarbeiten im Büro, so dass nicht zu erwarten ist, dass ihm Wohnungslosigkeit droht, wenn er bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auf die monatliche Zahlung seiner Altersrente in Höhe von 498,12 Euro verwiesen wird.

Insgesamt führt die Folgenabwägung dazu, dass die Nachteile, die bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache entstehen, nicht so gravierend sind, dass im Eilverfahren die Hauptsache vorweggenommen werden müsste, zumal es wegen eventueller Mietschulden und Grundstücksbelastungen des Antragstellers zweifelhaft wäre, ob der Antragsteller eine vorläufig gewährte Leistung bei einem Unterliegen in der Hauptsache zurückzahlen könnte.
Rechtskraft
Aus
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