S 3 R 35/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3 R 35/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 324/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1) § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X geht gegenüber § 13 Abs. 3 S. 1 SGB X als lex specialis vor.
2) Auch bei Einschaltung eines Bevollmächtigten ist die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Kläger selbst zulässig und ausreichend.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger beantragte unter dem 26.03.2007 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Deutsche Rentenversicherung lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 07.05.2007 ab. Gegen die Ablehnung wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 16.05.2007. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2007 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Am 15.01.2008 ging bei der Beklagten das Original des Widerspruchsbescheides nebst eines Merkzettels ein, mit der handschriftlichen Bemerkung: "Bitte die Papiere wieder zurück schicken zu meiner Anschrift. Danke: C ..." Dem Schreiben waren weiterhin drei ärztliche Befundberichte beigefügt.

Mit Schriftsatz vom 16.01.2008 übersandte die Beklagte die Unterlagen zurück an den Kläger. In dem Schreiben wurde um Mitteilung gebeten, ob die Übersendung des Originalwiderspruchs als Klageerhebung gewertet werden soll. Daraufhin meldete sich der Kläger telefonisch bei der Beklagten. In der entsprechenden Gesprächsnotiz vom 18.01.2008 heißt es: "Der Wf gibt auf unser Schreiben vom 16.01.2008 zur Kenntnis, dass die Unterlagen Posteingang 14.01.2008 zum D. gesandt werden sollten, Zwecks Klageerhebung vor dem SG Fulda. Diese waren eigentlich nicht für die Deutsche Rentenversicherung Hessen gedacht. Ihm sei schleierhaft, wie die Unterlagen zur DRV gelangen konnten obwohl er diese an den D. adressiert hatte. Er bestätigt, dass er Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 18.12.2007 erheben möchte. Er habe diesbezüglich bereits letztes Jahr beim D. vorgesprochen. Von dort wurde ihm die Bearbeitung der Klage zugesichert. Der Wf wird sich mit dem D. zwecks weiterer Vorgehensweise in Verbindung setzen. Eventuell wurde bereits Klage vom D. erhoben."

Am 04.02.2008 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Klage zum SG Fulda erhoben und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Kläger ist der Ansicht, die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides sei zu Unrecht (nur) gegenüber dem Kläger selbst erfolgt. Auf Grund dessen, dass die Beklagte Kenntnis von den Bevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren hatte, hätte nach Meinung des Klägers die Bekanntgabe gegenüber diesen erfolgen müssen, weshalb die Klagefrist nicht versäumt sei. Wegen einer fehlerhaften Bekanntgabe habe die Rechtsmittelfrist noch nicht zu laufen begonnen. Ferner ist der Kläger der Meinung, dass für den Fall, dass ein Wiedereinsetzungsantrag erforderlich sei, der Beginn der Frist frühestens mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an die Bevollmächtigten des Klägers beginne, was am 21.01.2008 der Fall gewesen sei. Schließlich ist der Kläger der Meinung, in der Übersendung des Originalwiderspruchsbescheides an die Beklagte sei eine wirksame Klageerhebung zu sehen.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 07.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2007 aufzuheben und dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren sowie ihm die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen aus dem Bescheid vom 07.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2007.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 31.07.2009 bat der Kläger um Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Die Beklagte wurde dazu mit Schreiben vom 05.08.2009 angehört. Sie erklärte mit Schriftsatz vom 24.08.2009 ihr Einverständnis (sogar) zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 1 SGG durch Gerichtsbescheid in Beschlussbesetzung – ohne ehrenamtliche Richter – entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor darüber entsprechend angehört worden sind, ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, sowie der Sachverhalt darüber hinaus so, wie er für die Entscheidung allein rechtlich relevant ist, geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt insoweit als Urteil, § 105 Abs. 3, 1. H SGG.

Die Klage ist bereits unzulässig.

Die Klagefrist des § 87 Abs. 1 1 SGG ist nicht gewahrt.

Nach § 87 Abs. 1 1, Abs. 2 SGG ist eine Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Nach § 37 Abs. 2 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nach § 37 Abs. 2 2 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Ausweislich eines Stempelaufdrucks auf dem Widerspruchsbescheid wurde dieser am 18.12.2007 zur Post gegeben. Der Widerspruchsbescheid gilt daher - zumal hier kein Fall des § 37 Abs. 2 2 SGB X ersichtlich ist - mit Ablauf des 21.12.2007 als bekannt gegeben, so dass die Klagefrist nach §§ 87 Abs. 1 1, Abs. 2; 64 Abs. 2 SGG am 21.01.2008 endete. Da darüber hinaus hier keine Anhaltspunkte für eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne von § 66 Abs. 2 SGG ersichtlich sind, wurde die Klage am 04.02.2008 verfristet erhoben.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (ausschließlich und) unmittelbar gegenüber dem Kläger erfolgte. Gemäß § 37 Abs. 1 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ergänzend bestimmt § 37 Abs. 1 2 SGB X, dass in den Fällen, in denen ein Bevollmächtigter bestellt ist, die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden könne. Macht eine Behörde von der Möglichkeit der Bekanntgabe an den Bevollmächtigten gemäß Satz 2 der Bestimmung keinen Gebrauch, berührt dies allerdings nicht die Wirksamkeit einer nach Satz 1 vorgenommenen Bekanntgabe an den Beteiligten persönlich. Der Wortlaut des § 37 Abs. 1 1 SGB X lässt keine Zweifel daran, dass die Bekanntgabe an den Betroffenen den Verwaltungsakt in jedem Falle wirksam werden lässt. Die Ergänzung, dass der Verwaltungsakt auch einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden kann, stellt lediglich eine Erweiterung der der Behörde eröffneten Möglichkeiten dar (vgl. dazu zutreffend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.08.2002 – 2 L 70/01, juris Rn. 20 m.w.N.). Soweit § 13 Abs. 3 1 SGB X eine Pflicht der Behörden statuiert, sich bei Bestellung eines Bevollmächtigten sich an diesen zu wenden, tritt diese Vorschrift hinter der in Bezug auf die Bekanntgabe spezielleren Vorschrift des § 37 Abs. 1 2 SGB X zurück (vgl. ENGELMANN, in: Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 37 Rn. 10).

Soweit das LSG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 11.03.2009 – L 28 B 1370/08 AS, juris) und (wohl auch) das LSG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 13.07.2007 – L 20 B 16/07 AS, juris, wobei der Beschluss nur davon spricht, dass es "durchaus angemessen erscheint, bei Bestellung eines Bevollmächtigten und Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Adressaten selbst dem Bevollmächtigten eine Durchschrift zukommen zu lassen) für den Fall der Einschaltung eines Bevollmächtigten eine Pflicht zur Bekanntgabe einer Durchschrift an diesen statuieren wollen, findet sich dafür im Gesetz keine hinreichende Grundlage, so dass dieser Ansicht an dieser Stelle nicht gefolgt werden kann.

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers, stellt auch die Übersendung des Originalwiderspruchsbescheides an die Beklagte am 15.01.2007 keine wirksame Klageerhebung i.d. § 90 SGG dar. Es trifft zwar zu, dass eine wirksame Klageerhebung nicht ein Schreiben mit der Bezeichnung "Klageerhebung" enthalten muss und auch nicht bei Gericht eingereicht werden muss, § 91 SGG. Jedoch muss sich zumindest durch Auslegung ermitteln lassen, dass mit dem Schreiben eine Klage eingereicht werden soll. Dergleichen kann dem vorbezeichneten Schreiben des Klägers indessen auch bei wohlwollenster Auslegung nicht entnommen werden. Im Übrigen hat der Kläger selbst zum Ausdruck gebracht, dass das Schreiben gerade keine Klageerhebung sein sollte. Ausweislich der Gesprächsnotiz der Rentenversicherung hat der Kläger telefonisch angegeben, er hätte die Unterlagen zwecks Klageerhebung an den D. senden wollen. Mithin sollte gerade von dort Klage erhoben werden. Aus dem Vermerk ergibt sich ferner, dass der Kläger bereits vor der Übersendung der Unterlagen beim D. vorstellig war und von dort die Bearbeitung der Klage zugesichert wurde. Schließlich hat auch die Rentenversicherung – entgegen der Ansicht des Klägers – in dem Schreiben des Klägers keine Klageerhebung gesehen. Anderenfalls hätte Sie diese gem. § 91 Abs. 2 SGG unverzüglich an das zuständige Gericht abgeben müssen. Letztlich kommt es (nur) auf den objektiven Empfängerhorizont bei der Auslegung an. Der Wertung der Rentenversicherung kommt jedoch insoweit Indizwirkung zu.

Dem Kläger konnte auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 SGG gewährt werden, weil die Voraussetzungen, welche eine solche rechtfertigen würden, weder vorgetragen noch ersichtlich sind.

Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist bei Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Verschulden ist dann zu verneinen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. KELLER, in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2009, § 67 Rn. 3). Besteht auch nur die Möglichkeit einer unverschuldeten Fristversäumnis, scheidet eine Wiedereinsetzung aus (KELLER, in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2009, § 67 Rn. 10d). Bezüglich der Vorwerfbarkeit der Fristversäumnis kommt es auf die persönlichen Verhältnisse an (vgl. BayLSG, Beschl. v. 08.05.2009 – L 8 SO 46/09 B ER, juris Rn. 11).

Am Maßstab des Vorstehenden erweist sich die Fristversäumnis als Verschulden des Klägers. Die fehlerhafte Übersendung von verfahrensrelevanten Unterlagen stellt keine gewissenhafte Prozessführung dar. Im Übrigen hatte der Kläger spätestens am 18.01.2008 Kenntnis von der fehlerhaften Übersendung, so dass er ohne weiteres die Möglichkeit hatte selbst oder durch seinen Prozessbevollmächtigten rechtzeitig – bis zum 21.01.2008 – Klage zu erheben. Überdies führt der Kläger selbst aus, dass er bereits im Dezember 2007 Kontakt zu seinen Prozessbevollmächtigten hatte und mit diesen die Klageerhebung besprochen habe.

Ein Anspruch des Klägers auf Wiedereinsetzung folgt insbesondere auch nicht daraus wie der Kläger meint – dass er rechtlicher Laie ist und sich im Verfahren anwaltlicher Hilfe bedient hat. Anderenfalls würde die Vorschrift des § 37 Abs. 1 SGB X leerlaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved