Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3 R 130/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Die Verrechnung von Beiträgen gem. § 52 SGB I stellt eine Anforderung von Beiträgen im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG dar.
2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Verrechnung von Beiträgen kommt keine aufschiebende Wirkung zu.
2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Verrechnung von Beiträgen kommt keine aufschiebende Wirkung zu.
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßigkeit der Vollziehung einer Verrechnung.
In der Hauptsache S 3 R 130/11 ER streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung von Forderungen der Beigeladenen mit der Regelaltersrente des Antragstellers.
Dem Antragsteller, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wurde mit Bescheid vom 19.08.2008 Regelaltersrente durch die Antragsgegnerin bewilligt.
Mit Verrechnungsersuchen vom 06.03.2009 wandte sich die Beigeladene an die Antragsgegnerin und ermächtigte diese, Beitragsansprüche in Höhe von 5.635,99 EUR mit Ansprüchen auf Geldleistungen der Antragsgegnerin zu verrechnen. Bei dem Betrag handele es sich um Sozialversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung nach § 150 ff. SGB VII. Die Beiträge seien durch bestandskräftige Bescheide geltend gemacht. Seit dem 15.05.2006 sei die Zahlung fällig.
Mit Schreiben vom 02.03.2010 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Verrechnung in Höhe von monatlich 216,33 EUR angehört.
Mit Bescheid vom 06.04.2010 verrechnete die Antragsgegnerin die Beitragsforderung der Beigeladenen mit einem Betrag in Höhe von 216,33 EUR monatlich mit der Altersrente des Antragstellers. Der verbleibende monatliche Auszahlungsbetrag der Altersrente beläuft sich auf 216,34 EUR.
Am 28.04.2010 erhob der Antragsteller gegen die Verrechnung Widerspruch.
Mit Schreiben vom 25.10.2010 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie für die Zeit des Widerspruchsverfahrens die Verrechnung aussetze und gegebenenfalls bereits einbehaltene Beiträge wieder auszahle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2011 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurück.
Am 25.02.2011 erhob der Antragsteller in der Hauptsache gegen den Bescheid vom 06.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2011 Klage zum SG Fulda. Er hält den angegriffenen Bescheid für rechtswidrig, weil er durch die Verrechung hilfebedürftig werde. Im Übrigen seien die Beitragsforderungen der Beigeladenen verjährt. Nachweise für die Hilfebedürftigkeit hat der Antragsteller bis dato weder im Klage- noch im Eilverfahren vorgelegt.
In ihrer Klageerwiderung vom 30.03.2011 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass sie der Ansicht sei, dass der Klage keine aufschiebende Wirkung zukomme. Die grundsätzliche eintretende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 2 SGG entfalle gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei der Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Ferner käme einer Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG auch dann keine aufschiebende Wirkung zu, wenn ein Bescheid eine laufende Leistung herabsetze oder entziehe. Daher sei der Bescheid vom 06.04.2010 zugunsten der Beigeladenen zu vollziehen.
Am 15.04.2011 hat der Antragsteller beim SG Fulda um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Er hält die Vollziehung für rechtswidrig.
Der Antragsteller beantragt:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26. April 2010 sowie der Anfechtungsklage vom 24.02.2011 anzuordnen.
2. Die Antragsgegnerin zu verpflichten, die monatliche Rente i. H. v. 432,67 EUR monatlich in vollem Umfang an den Antragsteller auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt:
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass die nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG gebotene Interessenabwägung dazu führt, dass dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragsgegners Vorrang einzuräumen sei. Dabei stellt die Antragsgegnerin insbesondere darauf ab, dass der Antragsteller die vorgetragene Hilfebedürftigkeit nach wie vor nicht nachgewiesen habe. Aus der Tatsache, dass über das Vermögen des Antragstellers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, folge nichts anderes. Mit Beschluss vom 26.04.2011 hat das Gericht die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zum Verfahren beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Eilverfahrens wie auch des Hauptsacheverfahrens S 3 R 64/11 sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage S 3 R 64/11 vom 25.02.2011 gegen den Bescheid vom 26.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2011 nicht glaubhaft gemacht. Gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen weder ernstliche Zweifel noch führt die Vollziehung für den Antragssteller zu einer unbilligen Härte, mithin kommt auch ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch nicht in Betracht.
Gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Dabei geht die Kammer zunächst mit dem vorlegenden 13. Senat des BSG davon aus, dass eine Verrechnung gem. § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat (vgl. BSG, Vorlagebeschluss v. 25.02.2010 – B 13 R 76/09 R, juris, anhängig beim Großen Senat des BSG unter GS 2/10). Mithin war das Handeln der Antragsgegnerin nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil die ausgesprochene Verrechnungserklärung nicht in dieser Handlungsform hätte erfolgen dürfen, denn mit dem Verwaltungsakt hat die Antragsgegnerin die zutreffende Handlungsform gewählt (BSG, Vorlagebeschluss v. 25.02.2010 – B 13 R 76/09 R, juris Rn. 15).
Gem. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Entgegen der (im Hauptsacheverfahren vorgebrachten) Ansicht der Antragsgegnerin folgt die Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheides nicht aus § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Durch die Verrechnung nach § 52 SGB I wird der Rentenanspruch des Antragstellers indessen weder herabgesetzt noch vermindert, vielmehr wird ein Teil des fortbestehenden Anspruchs mit Forderungen der Beigeladenen verrechnet.
Der Entfall der aufschiebenden Wirkung folgt vorliegend aus § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Vorliegend richtet sich die Klage nicht gegen eine Entscheidung über eine Beitragspflicht. Diese Entscheidungen, namentlich die entsprechenden Beitragsbescheide der Beigeladenen, sind vorliegend nicht angegriffen und im Übrigen bereits bestandskräftig.
Die Verrechnung stellt jedoch eine Anforderung von Beiträgen im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG dar. Der Begriff der Anforderung ist abgaben- und kostenrechtlich nicht definiert. Er ist folglich entsprechend der Funktion des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG auszulegen. Erfasst wird zunächst der Leistungs- bzw. Heranziehungsbescheid, mithin die behördliche Geldanforderung als solche. Nach Sinn und Zweck meint § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei freiwillig nicht befolgtem Leistungsbescheid darüber hinaus die Verwirklichung eines Bescheides durch Vollstreckungsmaßnahmen als besonders intensive Form der Anforderung. (vgl. für die Parallelnorm § 80 VwGO SCHOCH, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hg.), VwGO, 20. Erg.-Lief. 2010, § 80 Rn. 121). Unter Anforderung sind nicht nur Geldanforderungen zu verstehen, sondern alle Verwaltungsakte, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf öffentliche Abgaben ergehen (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, V. Kap. Rn. 14; KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hg.), SGG, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 13a). § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG enthält eine vorweggenommene generalisierende gesetzliche Interessenabwägung zugunsten der öffentlichen Haushalte für den sozialgerichtlichen Bereich. Damit überträgt die Vorschrift den Vorrang der Finanzierungssicherheit auf die Bedürfnisse des Sozialrechts. Der Gesetzgeber verlagert das Vollzugsrisiko in diesen Fällen auf den Bescheidadressaten, um so die Funktionsfähigkeit der Sozialleistungsträger zu gewährleisten (vgl. KRODEL, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 105).
Vom Begriff der Anforderung wird insbesondere auch eine Verrechnung gem. § 52 SGB I erfasst (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 14.02.2011 – L 5 B 17/11 B ER, juris, Rn. 11; KRODEL, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 107-110).
Gem. § 86a Abs. 3 S. 2 SGG soll die Aussetzung in diesen Fällen erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen, wenn auf der Basis einer summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. HessLSG, Beschl. v. 26.03.2009, L 1 KR 331/08 B ER, juris, Rn. 25; KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rdnr. 12b und § 86a Rn. 27a m. w. N.).
Eine unbillige Härte liegt dann vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen oder ernsthaft drohen, die nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können, sofern sie über die eigentliche Zahlung hinausgehen (vgl. KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 27b m.w.N.).
Am Maßstab des Vorstehenden kommt – auf der Basis des aktuellen Sach- und Streitstandes – die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht, weil der angegriffene Bescheid nicht offensichtlich rechtswidrig ist und die Vollziehung für den Antragsteller auch keine unbillige Härte bedeutet.
Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger (vorliegend die Antragsgegnerin) mit der Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers (vorliegend der Beigeladenen) dessen Ansprüche mit der ihm obliegenden Geldleistung (vorliegend Altersrente) verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann mit Beitragsansprüchen – bei der Forderung der Beigeladenen handelt es sich um solche Beitragsansprüche – der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird.
Vorliegend hat der Antragsteller den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit – trotz mehrfacher Aufforderung durch die Antragsgegnerin – indessen nicht geführt, sondern deren Eintritt lediglich behauptet.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Höhe des dem Antragsteller verbleibenden auszuzahlenden monatlichen Altersrentenanspruchs (216,34 EUR) die eintretende Hilfebedürftigkeit möglich erscheinen lässt. Mit der Neufassung des § 51 SGB I hat der Gesetzgeber aber die Nachweispflicht der Hilfebedürftigkeit dem Leistungsberechtigten auferlegt. Obschon sowohl die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII als auch die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II der Absicherung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a., juris Rn. 133 ff.) dienen, hat die Kammer keinerlei Bedenken gegen diese gesetzgeberische Risikoverlagerung. Es ist für den Antragsteller ein Leichtes, den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit zu führen. Es bedarf lediglich der Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung des örtlichen Trägers der Sozialhilfe oder Grundsicherung. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller spätestens seit der Anhörung zur beabsichtigten Verrechnung Anfang März 2010, mithin seit über einem Jahr, davon Kenntnis hat, dass er die Hilfebedürftigkeit nachweisen muss, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, weshalb er den Nachweis bis heute nicht geführt hat.
Der Eintritt der Hilfebedürftigkeit folgt auch nicht zwingend aus der Eröffnung des (Privat-) Insolvenzverfahrens in Zusammenschau mit der Höhe des monatlich auszuzahlenden Betrages von 216,34 EUR, der unterhalb des gesetzlichen Regelsatzes gem. § 20 Abs. 2 SGB II (ab 01.01.2011 entspricht dieser 364,- EUR) liegt, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass beim Antragsteller, trotz Auszahlung eines den Regelsatz unterschreitenden Rentenanspruchs, keine Hilfebedürftigkeit besteht. Möglich wäre zum Beispiel, dass der Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und das gesamte Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft ausreicht, um keine Hilfebedürftigkeit auszulösen. Die Kammer war auch nicht gehalten weitere Ermittlungen in diese Richtung vorzunehmen, weil der Gesetzgeber – verfassungsrechtlich unbedenklich – die Nachweispflicht der Hilfebedürftigkeit dem Antragsteller auferlegt hat.
Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit im Hauptsacheverfahren zu führen, um damit die Auszahlung seiner vollen Altersrente zu erreichen. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besteht indessen auf der Basis des bisherigen Vortrages kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage S 3 R 64/11 vom 25.02.2011 gegen den Bescheid vom 26.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2011.
Besteht aber bereits kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, so scheidet ein entsprechender Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch gem. § 86b Abs. 1 S. 2 SGG denknotwendig aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Das Verfahren ist gem. § 183 SGG für den Antragsteller gerichtskostenfrei.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßigkeit der Vollziehung einer Verrechnung.
In der Hauptsache S 3 R 130/11 ER streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung von Forderungen der Beigeladenen mit der Regelaltersrente des Antragstellers.
Dem Antragsteller, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wurde mit Bescheid vom 19.08.2008 Regelaltersrente durch die Antragsgegnerin bewilligt.
Mit Verrechnungsersuchen vom 06.03.2009 wandte sich die Beigeladene an die Antragsgegnerin und ermächtigte diese, Beitragsansprüche in Höhe von 5.635,99 EUR mit Ansprüchen auf Geldleistungen der Antragsgegnerin zu verrechnen. Bei dem Betrag handele es sich um Sozialversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung nach § 150 ff. SGB VII. Die Beiträge seien durch bestandskräftige Bescheide geltend gemacht. Seit dem 15.05.2006 sei die Zahlung fällig.
Mit Schreiben vom 02.03.2010 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Verrechnung in Höhe von monatlich 216,33 EUR angehört.
Mit Bescheid vom 06.04.2010 verrechnete die Antragsgegnerin die Beitragsforderung der Beigeladenen mit einem Betrag in Höhe von 216,33 EUR monatlich mit der Altersrente des Antragstellers. Der verbleibende monatliche Auszahlungsbetrag der Altersrente beläuft sich auf 216,34 EUR.
Am 28.04.2010 erhob der Antragsteller gegen die Verrechnung Widerspruch.
Mit Schreiben vom 25.10.2010 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie für die Zeit des Widerspruchsverfahrens die Verrechnung aussetze und gegebenenfalls bereits einbehaltene Beiträge wieder auszahle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2011 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurück.
Am 25.02.2011 erhob der Antragsteller in der Hauptsache gegen den Bescheid vom 06.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2011 Klage zum SG Fulda. Er hält den angegriffenen Bescheid für rechtswidrig, weil er durch die Verrechung hilfebedürftig werde. Im Übrigen seien die Beitragsforderungen der Beigeladenen verjährt. Nachweise für die Hilfebedürftigkeit hat der Antragsteller bis dato weder im Klage- noch im Eilverfahren vorgelegt.
In ihrer Klageerwiderung vom 30.03.2011 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass sie der Ansicht sei, dass der Klage keine aufschiebende Wirkung zukomme. Die grundsätzliche eintretende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 2 SGG entfalle gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei der Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Ferner käme einer Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG auch dann keine aufschiebende Wirkung zu, wenn ein Bescheid eine laufende Leistung herabsetze oder entziehe. Daher sei der Bescheid vom 06.04.2010 zugunsten der Beigeladenen zu vollziehen.
Am 15.04.2011 hat der Antragsteller beim SG Fulda um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Er hält die Vollziehung für rechtswidrig.
Der Antragsteller beantragt:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26. April 2010 sowie der Anfechtungsklage vom 24.02.2011 anzuordnen.
2. Die Antragsgegnerin zu verpflichten, die monatliche Rente i. H. v. 432,67 EUR monatlich in vollem Umfang an den Antragsteller auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt:
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass die nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG gebotene Interessenabwägung dazu führt, dass dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragsgegners Vorrang einzuräumen sei. Dabei stellt die Antragsgegnerin insbesondere darauf ab, dass der Antragsteller die vorgetragene Hilfebedürftigkeit nach wie vor nicht nachgewiesen habe. Aus der Tatsache, dass über das Vermögen des Antragstellers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, folge nichts anderes. Mit Beschluss vom 26.04.2011 hat das Gericht die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zum Verfahren beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Eilverfahrens wie auch des Hauptsacheverfahrens S 3 R 64/11 sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage S 3 R 64/11 vom 25.02.2011 gegen den Bescheid vom 26.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2011 nicht glaubhaft gemacht. Gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen weder ernstliche Zweifel noch führt die Vollziehung für den Antragssteller zu einer unbilligen Härte, mithin kommt auch ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch nicht in Betracht.
Gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Dabei geht die Kammer zunächst mit dem vorlegenden 13. Senat des BSG davon aus, dass eine Verrechnung gem. § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat (vgl. BSG, Vorlagebeschluss v. 25.02.2010 – B 13 R 76/09 R, juris, anhängig beim Großen Senat des BSG unter GS 2/10). Mithin war das Handeln der Antragsgegnerin nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil die ausgesprochene Verrechnungserklärung nicht in dieser Handlungsform hätte erfolgen dürfen, denn mit dem Verwaltungsakt hat die Antragsgegnerin die zutreffende Handlungsform gewählt (BSG, Vorlagebeschluss v. 25.02.2010 – B 13 R 76/09 R, juris Rn. 15).
Gem. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Entgegen der (im Hauptsacheverfahren vorgebrachten) Ansicht der Antragsgegnerin folgt die Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheides nicht aus § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Durch die Verrechnung nach § 52 SGB I wird der Rentenanspruch des Antragstellers indessen weder herabgesetzt noch vermindert, vielmehr wird ein Teil des fortbestehenden Anspruchs mit Forderungen der Beigeladenen verrechnet.
Der Entfall der aufschiebenden Wirkung folgt vorliegend aus § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Vorliegend richtet sich die Klage nicht gegen eine Entscheidung über eine Beitragspflicht. Diese Entscheidungen, namentlich die entsprechenden Beitragsbescheide der Beigeladenen, sind vorliegend nicht angegriffen und im Übrigen bereits bestandskräftig.
Die Verrechnung stellt jedoch eine Anforderung von Beiträgen im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG dar. Der Begriff der Anforderung ist abgaben- und kostenrechtlich nicht definiert. Er ist folglich entsprechend der Funktion des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG auszulegen. Erfasst wird zunächst der Leistungs- bzw. Heranziehungsbescheid, mithin die behördliche Geldanforderung als solche. Nach Sinn und Zweck meint § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei freiwillig nicht befolgtem Leistungsbescheid darüber hinaus die Verwirklichung eines Bescheides durch Vollstreckungsmaßnahmen als besonders intensive Form der Anforderung. (vgl. für die Parallelnorm § 80 VwGO SCHOCH, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hg.), VwGO, 20. Erg.-Lief. 2010, § 80 Rn. 121). Unter Anforderung sind nicht nur Geldanforderungen zu verstehen, sondern alle Verwaltungsakte, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf öffentliche Abgaben ergehen (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, V. Kap. Rn. 14; KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hg.), SGG, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 13a). § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG enthält eine vorweggenommene generalisierende gesetzliche Interessenabwägung zugunsten der öffentlichen Haushalte für den sozialgerichtlichen Bereich. Damit überträgt die Vorschrift den Vorrang der Finanzierungssicherheit auf die Bedürfnisse des Sozialrechts. Der Gesetzgeber verlagert das Vollzugsrisiko in diesen Fällen auf den Bescheidadressaten, um so die Funktionsfähigkeit der Sozialleistungsträger zu gewährleisten (vgl. KRODEL, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 105).
Vom Begriff der Anforderung wird insbesondere auch eine Verrechnung gem. § 52 SGB I erfasst (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 14.02.2011 – L 5 B 17/11 B ER, juris, Rn. 11; KRODEL, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 107-110).
Gem. § 86a Abs. 3 S. 2 SGG soll die Aussetzung in diesen Fällen erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen, wenn auf der Basis einer summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. HessLSG, Beschl. v. 26.03.2009, L 1 KR 331/08 B ER, juris, Rn. 25; KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rdnr. 12b und § 86a Rn. 27a m. w. N.).
Eine unbillige Härte liegt dann vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen oder ernsthaft drohen, die nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können, sofern sie über die eigentliche Zahlung hinausgehen (vgl. KELLER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 27b m.w.N.).
Am Maßstab des Vorstehenden kommt – auf der Basis des aktuellen Sach- und Streitstandes – die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht, weil der angegriffene Bescheid nicht offensichtlich rechtswidrig ist und die Vollziehung für den Antragsteller auch keine unbillige Härte bedeutet.
Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger (vorliegend die Antragsgegnerin) mit der Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers (vorliegend der Beigeladenen) dessen Ansprüche mit der ihm obliegenden Geldleistung (vorliegend Altersrente) verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann mit Beitragsansprüchen – bei der Forderung der Beigeladenen handelt es sich um solche Beitragsansprüche – der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird.
Vorliegend hat der Antragsteller den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit – trotz mehrfacher Aufforderung durch die Antragsgegnerin – indessen nicht geführt, sondern deren Eintritt lediglich behauptet.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Höhe des dem Antragsteller verbleibenden auszuzahlenden monatlichen Altersrentenanspruchs (216,34 EUR) die eintretende Hilfebedürftigkeit möglich erscheinen lässt. Mit der Neufassung des § 51 SGB I hat der Gesetzgeber aber die Nachweispflicht der Hilfebedürftigkeit dem Leistungsberechtigten auferlegt. Obschon sowohl die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII als auch die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II der Absicherung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a., juris Rn. 133 ff.) dienen, hat die Kammer keinerlei Bedenken gegen diese gesetzgeberische Risikoverlagerung. Es ist für den Antragsteller ein Leichtes, den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit zu führen. Es bedarf lediglich der Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung des örtlichen Trägers der Sozialhilfe oder Grundsicherung. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller spätestens seit der Anhörung zur beabsichtigten Verrechnung Anfang März 2010, mithin seit über einem Jahr, davon Kenntnis hat, dass er die Hilfebedürftigkeit nachweisen muss, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, weshalb er den Nachweis bis heute nicht geführt hat.
Der Eintritt der Hilfebedürftigkeit folgt auch nicht zwingend aus der Eröffnung des (Privat-) Insolvenzverfahrens in Zusammenschau mit der Höhe des monatlich auszuzahlenden Betrages von 216,34 EUR, der unterhalb des gesetzlichen Regelsatzes gem. § 20 Abs. 2 SGB II (ab 01.01.2011 entspricht dieser 364,- EUR) liegt, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass beim Antragsteller, trotz Auszahlung eines den Regelsatz unterschreitenden Rentenanspruchs, keine Hilfebedürftigkeit besteht. Möglich wäre zum Beispiel, dass der Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und das gesamte Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft ausreicht, um keine Hilfebedürftigkeit auszulösen. Die Kammer war auch nicht gehalten weitere Ermittlungen in diese Richtung vorzunehmen, weil der Gesetzgeber – verfassungsrechtlich unbedenklich – die Nachweispflicht der Hilfebedürftigkeit dem Antragsteller auferlegt hat.
Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, den Nachweis des Eintritts der Hilfebedürftigkeit im Hauptsacheverfahren zu führen, um damit die Auszahlung seiner vollen Altersrente zu erreichen. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besteht indessen auf der Basis des bisherigen Vortrages kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage S 3 R 64/11 vom 25.02.2011 gegen den Bescheid vom 26.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2011.
Besteht aber bereits kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, so scheidet ein entsprechender Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch gem. § 86b Abs. 1 S. 2 SGG denknotwendig aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Das Verfahren ist gem. § 183 SGG für den Antragsteller gerichtskostenfrei.
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