S 1 R 19/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 R 19/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist nicht "Versicherungsträger" iSd § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG; es bedarf deshalb vor Erhebung einer Anfechtungsklage der Durchführung eines Vorverfahrens.
Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung über den bereits eingelegten Widerspruch des Klägers ausgesetzt.

Gründe:

I.

Der klagende Landkreis wendet sich gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen durch die beklagte Rentenversicherung. Der Kläger ist aufgrund der Verordnung vom 24. September 2004 (BGBI. I S. 2349) zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6a SGB II.

Vom 06.06.2011 bis zum 08.07.2011 führte die Beklagte eine Prüfung der Beitragszahlung und des Meldeverfahrens aus Arbeitslosengeld II nach § 212a SGB VI durch.

Dabei stellte die Beklagte fest, dass - nach ihrer Auffassung - die maßgebenden Vorschriften über die Beurteilung der Versicherungspflicht, der Versicherungsfreiheit und der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht immer zutreffend angewandt sowie Beiträge zur Rentenversicherung verspätet gezahlt wurden.

Mit Bescheid vom 30.12.2011 machte die Beklagte deshalb aufgrund der verspäteten Beitragsentrichtung die Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von 59.595,00 EUR geltend.

Dieser Bescheid belehrte abschließend darüber, dass dagegen innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Klage erhoben werden kann.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 27.01.2012 Klage erhoben. Darüber hinaus hat der Kläger zwischenzeitlich Widerspruch eingelegt.

Der Kläger beantragt,
den Rechtsstreit analog § 114 Abs. 2 SGG auszusetzen, um das Vorverfahren nachzuholen.

Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass Bescheide an optierende Kommunen nach § 36 SGB X eine Klageklausel enthielten, weil die optierende Kommune ein Versicherungsträger im Sinne des § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG sei.

II.

Ist bei einer Anfechtungsklage das vorgeschriebene Vorverfahren vor Klageerhebung nicht durchgeführt worden, dann kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.1980 – SozR 1500 § 78 Nr. 16 Rn. 15 m.w.N.) das Vorverfahren noch während des Prozesses nachgeholt werden. Dabei hat das Prozessgericht durch Aussetzung des Verfahrens bis zur Widerspruchsentscheidung in analoger Anwendung von § 114 Abs. 2 SGG der Verwaltung Gelegenheit zu geben, das Vorverfahren durchzuführen. Dieses hat nach § 83 SGG mit dem vom Kläger bereits erhobenen Widerspruch begonnen; im Übrigen wäre die Erhebung des Widerspruchs hilfsweise in der Klage zu erblicken gewesen (Bundessozialgericht, Urteil vom 22.06.1966 - BSGE 25,66 (68)). Gerade in Fällen der vorliegenden Art, in denen es ernstlich zweifelhaft ist, ob ein Vorverfahren durchzuführen ist, muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger für den Fall, dass sich die Durchführung des Vorverfahrens als notwendig erweist, dieses mit der Klage beantragt hat. Anderenfalls liefe er Gefahr, infolge Versäumung der Widerspruchsfrist seiner Rechte verlustig zu gehen (Bundessozialgericht a.a.O.).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Vorverfahrens nicht wegen der Vorschrift des § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG entbehrlich. Nach dieser Vorschrift bedarf es - vor Erhebung der Anfechtungsklage - eines Vorverfahrens nicht, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

Die Auffassung der Beklagten, bei dem Kläger handele sich um einen "Versicherungsträger" im Sinne dieser Vorschrift, wird vom beschließenden Gericht nicht geteilt. Schon eine am Wortlaut orientierte Betrachtung legt nahe, dass der Kläger als kommunaler Träger der Grundsicherung nicht "Versicherungsträger" ist, weil die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II keine beitragsfinanzierten Versicherungsleistungen, sondern steuerfinanzierte (§ 46 Abs. 1 SGB II) und Hilfebedürftigkeit (§ 7Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 SGB II) voraussetzende Sozialleistungen sind.

Eine erweiternde Auslegung dergestalt, dass als "Versicherungsträger" auch der kommunale Träger der Grundsicherung gilt bzw. eine analoge Anwendung von § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG auf kommunale Träger der Grundsicherung verbietet sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts angesichts des Umstandes, dass es sich bei § 78 Abs. 1 S. 2 um Ausnahmen vom Vorverfahrenszwang nach § 78 Abs. 1 S. 1 SGG handelt.

Dies findet nach Auffassung des beschließenden Gerichts eine Bestätigung in der Vorschrift des § 75 Abs. 5 SGG. Diese Vorschrift, die ursprünglich nur bei einem Versicherungsträger und in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechtes bei einem Land die Möglichkeit einer Verurteilung nach Beiladung vorsah, wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706, 1718) dahingehend ergänzt, dass die Wörter "ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe" eingefügt wurden.

Da eine vergleichbare Ergänzung vom Gesetzgeber in § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG nicht vorgenommen wurde, bedarf es bei einem kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor Erhebung der Anfechtungsklage der Durchführung eines Vorverfahrens.
Rechtskraft
Aus
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