Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 R 173/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
ohne
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1950 geborene Klägerin war seit dem 01.04.2002 Kommanditistin in der durch notariellen Vertrag vom 29.11.2002 gegründeten und am 30.04.2002 ins Handelsregister eingetragenen DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG, ursprünglich mit einer Stammeinlage in Höhe von 800,00 EUR, was 94,12 % des Kapitalanteils entsprach.
Die DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG sowie eine weitere Gesellschaft übertrugen ihr Vermögen als Ganzes im Wege der Verschmelzung zur Neugründung auf die mit notariellem Vertrag vom 22.12.2005 gegründete Firma DDC International GmbH, bei der die Klägerin ab dem 01.01.2006 angestellt war. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Anstellungsvertrag vom 01.01.2006 (Bl. 10 ff. BA) Bezug genommen.
Am 08.02.2006 beantragte die Klägerin die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status für ihre Tätigkeit als Gesellschafterin/Geschäftsführerin bei der Firma DDC International GmbH.
Mit Bescheid vom 18.06.2007 teilte die Beklagte der Klägerin und der Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe mit, dass das Statusfeststellungsverfahren zu dem Ergebnis geführt habe, dass die Klägerin dem Grunde nach eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe.
Die dagegen von der Klägerin und der DDC International GmbH eingelegten Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 27.11.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die erhobenen Widersprüche nicht begründet und neue Tatsachen nicht vorgetragen worden seien.
Nachdem die Beklagte festgestellt hatte bzw. darauf hingewiesen wurde, dass die Widerspruchsbegründung der Klägerin vom 05.09.2007 übergangen worden sei, überprüfte die Beklagte die ergangenen Bescheide von Amts wegen.
Mit Bescheiden vom 21.12.2007 nahm die Beklagte gegenüber der Klägerin und der Firma DDC International GmbH die Bescheide vom 18.06.2007 und die Widerspruchsbescheide vom 27.11.2007 mit Wirkung ab dem 01.01.2006 zurück und stellte nunmehr fest, dass die Klägerin die Tätigkeit als mitarbeitende mittelbare Gesellschafterin für die DDC International GmbH seit dem 01.01.2006 selbstständig ausübe. Eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor.
Mit weiterem, undatiertem Schreiben, welches am 22.03.2006 bei der Beklagten eingegangen war, beantragte die Klägerin die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status für die Zeit vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005.
Mit Schreiben vom 06.04.2006 überreichte die Beklagte der Klägerin einen Fragebogen, den die Klägerin am 02.05.2006 ausgefüllt zurückreichte.
Am 01.08.2008 bat die Klägerin um Sachstandsmitteilung, da bislang noch keine Entscheidung ergangen sei und um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei.
Mit Bescheiden vom 24.02.2009 teilte die Beklagte der Klägerin und der Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe mit, dass das eingeleitete Statusfeststellungsverfahren ergeben habe, dass die Klägerin die Tätigkeit als mitarbeitende Kommanditistin in dem Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005 selbstständig ausgeübt habe. Eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor.
Am 17.03.2009 beantragte die Klägerin bei der für sie zuständigen Krankenkasse die Erstattung unter anderem der Beiträge zur Rentenversicherung.
Diesen Antrag leitete die Krankenkasse - BKK EE GmbH - an die Beklagte weiter, die mit Bescheid vom 02.04.2009 feststellte, dass die von der Klägerin ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Kommanditistin nicht zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung führt.
Mit Bescheid vom 28.04.2009 stellte die Beklagte fest, dass die in dem Versicherungskonto der Klägerin enthaltenen Pflichtbeiträge für den Zeitraum vom 01.12.2004 bis zum 31.12.2005 zu Unrecht gezahlt und zu beanstanden seien.
Dagegen gelten die Beiträge für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004 als zu Recht gezahlt, so dass eine Erstattung dieser Beiträge nicht möglich sei.
Dagegen legte die Klägerin am 12.05.2009 Widerspruch ein.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Berufung auf den Zeitablauf und die damit verbundene Wandlung der zu Unrecht gezahlten Beiträge ins Recht gezahlte Beiträge widersprochen werde, da bereits am 27.04.2006 der Antrag auf das zur Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status erforderliche Statusfeststellungsverfahren gestellt worden sei. Die Entscheidung darüber habe bis in das Jahr 2009 gedauert. Auf diesen Zeitablauf könne sich die Beklagte nicht berufen, da mit Eingang des Antrages der Zeitablauf gehemmt werde. Die unverhältnismäßig lange Bearbeitungszeit der Beklagten könne nicht zum Nachteil der Antragstellerin gereichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach dem mit Wirkung vom 01.01.2008 in § 26 Abs. 1 SGB IV angefügten Satz 3 zu Unrecht gezahlte Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV bestimmten Frist als zu Recht entrichtete Beiträge gelten. Diese Fiktion trete nach 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die unwirksamen Beiträge entrichtet worden seien ein. Es komme für die Fiktion also lediglich auf den Ablauf der 4 Kalenderjahre an. Auf die in § 27 Abs. 3 SGB IV genannten Regelungen zur Fristhemmung werde in § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht Bezug genommen. Einen Verzicht auf die Fiktion sehe das Gesetz nicht vor.
Betroffen von der ab dem 01.01.2008 geltenden Fiktion seien auch vor dem 01.01.2008 zu Unrecht gezahlte Pflichtbeiträge. Mit In-Kraft-Treten der Regelung seien die für Zeiten bis zum November 2003 - also im Jahre 2003 fällig gewordenen - betroffenen zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge zu rechtswirksamen Pflichtbeiträgen fingiert.
Vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze gestellte Erstattungsanträge, die am 01.01.2008 noch anhängig gewesen seien, seien nach dem Grundsatz der Anwendung des zum Zeitpunkt des Antrags geltenden Rechts nach der am 31.12.2007 geltenden Rechtslage zu entscheiden, so dass § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht gelte. Als Antrag in diesem Sinne sei eine Willenserklärung anzusehen, die auf die Erstattung der unwirksamen Beiträge gerichtet sei. Ein Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach § 28h Abs. 2 SGB IV oder eine Anfrage an die Clearingstelle nach § 7a SGB IV stellten insoweit noch keinen Erstattungsantrag dar.
Der von der Klägerin gestellte Antrag vom 08.02.2006 auf Statusfeststellung könne demnach nicht als Antrag auf Erstattung von zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträgen angesehen werden.
Ein Antrag auf Erstattung sei erstmals am 23.03.2009 bei der Beklagten eingegangen.
Dagegen hat die Klägerin am 20.07.2009 Klage erhoben.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Klägerin im Jahre 2006 ein Statusverfahren in die Wege geleitet habe, welches durch Bescheid der Beklagten vom 21.12.2007 beendet worden sei. Zuvor habe sich die Beklagte zweimal anders entschieden und jeweils nach Widerspruch durch die Klägerin die hier in Rede stehende Entscheidung nunmehr getroffen.
Soweit die Beklagte der Auffassung sei, dass erstmalig ein Antrag auf Erstattung am 23.03.2009 eingegangen sei, sei in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu verweisen. Danach entstehe und verjähre der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht, solange dem Berechtigten gegenüber durch Verwaltungsakt verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht festgestellt sei. Erstmalig mit dem Bescheid vom 21.12.2007 bzw. dem Bescheid vom 12.03.2008 habe die Klägerin damit Kenntnis davon gehabt, dass sie zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge gezahlt habe.
Nach Erhalt des Bescheides vom 12.03.2008 sei unmittelbar der Antrag auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gestellt worden. Vor diesem Zeitpunkt habe ein derartiger Erstattungsanspruch nicht bestanden und sei auch nicht fällig geworden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin den Arbeitnehmeranteil der vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf ihren Widerspruchsbescheid
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die einschlägige Behördenakte (2 Hefter) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, § 105 SGG.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 28.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004.
Die hier in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 2 SGB IV sieht eine Erstattung nur für "zu Unrecht" entrichtete Beiträge vor. Diese Voraussetzung wird für die hier streitbefangenen Beiträge nicht erfüllt, die als "zu Recht" entrichtete Pflichtbeiträge gelten.
Dies ergibt sich aus der mit Wirkung zum 1. Januar 2008 durch das Gesetz vom 19. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3024) eingefügten Vorschrift des § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV.
Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB IV gilt § 45 Abs. 2 SGB X entsprechend, wenn Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden sind. Nach Satz 2 gelten Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Der daran anschließende § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV greift mit dem Tatbestandsmerkmal "Gleiches gilt" die Fiktion von § 26 Abs. 1 S. 2 letzter Halbsatz SGB IV auf und erweitert diese für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV bestimmten Frist.
Für die zeitlich zuletzt gezahlten streitbefangenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 2004 trat Verjährung nach 27 Abs. 2 S. 1 vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, also zum 01.01.2009 ein.
Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere auf das Urteil vom 13.09.2006 (B 12 AL 1/05 R) hinweist, vermag dies eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist zu differenzieren zwischen dem Statusfeststellungsverfahren der Klägerin hinsichtlich ihrer zum 1. Januar aufgenommenen Tätigkeit bei der Firma DDC International GmbH einerseits und ihrer Tätigkeit vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005 bei der Firma DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG andererseits. Während die hier streitbefangenen Beiträge auf die Zeiten der Tätigkeit der Klägerin bei der Firma DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG entfallen, beziehen sich die von der Klägerin genannten Bescheide vom 21.12.2007 und vom 12.03.2008 auf die Tätigkeit der Klägerin bei der Firma DDC International GmbH. Soweit die später mit Bescheid vom 21.12.2007 zurückgenommenen Bescheide vom 18.06.2007 und die Widerspruchsbescheide vom 27.11.2007 die Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe KG als Arbeitgeberin benennen - was dem Anstellungsvertrag vom 01.01.2006 und der dortigen missverständlichen Bezeichnung des Arbeitgebers geschuldet sein mag - ergibt sich aus dem Text der Bescheide, dass sie sich tatsächlich nur auf die Zeit seit dem 01.01.2006 beziehen, also nicht auf die hier streitgegenständlichen Zeiträume.
Dass § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellt, vermag das erkennende Gericht nicht zu sehen. Die Vorschrift trat am 1. Januar 2008 in Kraft; damit liegt von vornherein kein Fall einer echten Rückwirkung vor. § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nimmt allerdings eine tatbestandliche Rückanknüpfung vor, indem sich der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich auch auf vor dem Inkrafttreten bereits erfolgte Beitragsentrichtungen erstreckt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 07.12.2011 - L 2 R 335/11 - Juris Rn. 39 m.w.N.). Tatbestandliche Rückanknüpfungen können Grundrechte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals vor Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden waren. In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen insbesondere die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit in der Weise ein, wie dies bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht.
Soweit vor Inkrafttreten von § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV entstandene Beitragserstattungsansprüche dem grundrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG unterfielen, lässt sich ein rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht nicht feststellen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift eine Inhaltsbestimmung des geschützten Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG mit der Maßgabe vorgenommen, dass anstelle des Anspruchs bzw. der Anwartschaft auf eine Beitragserstattung eine Rentenanwartschaft getreten ist. Die geleisteten Beiträge der Klägerin werden weder in ihrem Bestand noch in ihrer Höhe entwertet. Deshalb entsteht im Ergebnis keine Schlechterstellung gegenüber der Situation, wenn die Klägerin tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre, wovon sie selbst bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Versicherungspflicht selbst ausgegangen sein dürfte.
Diese Inhaltsbestimmung ist durch wichtige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Soweit die bis zum 31.12.2007 geltende Rechtslage in vielen Fallgestaltungen weit zurückreichende Erstattungsansprüche vorsah, widersprach dies bereits dem Versicherungsgedanken. Die Feststellung eines atypischen Ausnahmefalles, aufgrund dessen beispielsweise ein mitarbeitender Familienangehöriger ungeachtet seiner Anmeldung als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ausnahmsweise doch nicht der Versicherungspflicht unterlag, hing in der Praxis vielfach von unternehmensinternen Details ab, bezüglich derer zwar der Versicherte und der Arbeitgeber, nicht aber die Sozialleistungsträger Kenntnis hatten. Damit eröffnete die frühere Rechtslage in vielen Fällen die Möglichkeit, zunächst einmal Beiträge zu entrichten, um im eventuellen Versicherungsfall unter Versicherungsschutz zu stehen, diese aber gleichwohl unter Offenlegung der besonderen Umstände des Einzelfalles zurückzufordern, wenn sich im Laufe der Zeit der Nichteintritt eines solchen Versicherungsfalles ergab.
Bei dieser Sachlage ist das Vertrauen der Klägerin in den Fortbestand der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage weniger schutzwürdig als das öffentliche Interesse, das alsbald feststeht, welche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu Recht oder zu Unrecht entrichtet sind. Dies gilt umso mehr, als auch das bis zum 31. Dezember 2007 geltende Recht die Möglichkeit einer Verjährung einer Beitragserstattungsforderung grundsätzlich kannte (§ 27 Abs. 2 S. 1 SGB 4). Lediglich bedingt dadurch, dass im Falle einer Beanstandung der Rechtswirksamkeit von Beiträgen die Verjährung erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres der Beanstandung begann, verblieb für die Geltendmachung einer Verjährungseinrede vielfach kein Anwendungsbereich.
Dies sollte nach dem Willen des Gesetzgebers, der von den Gerichten möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen ist (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011 - NJW 2011,836 (838) m.w.N.) zeitnah korrigiert werden.
Soweit das Gericht im Vorfeld erwogen hatte, über die Fragen, welche Pflichtbeiträge beanstandet werden dürfen/müssen und für welchen Zeitraum sie zu erstatten sind, nach dem bis zum 31.12.2007 gültigen Recht zu entscheiden und die am 01.01.2008 in Kraft getretene Vorschrift des § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht zu berücksichtigen, sieht das Gericht hierfür nach nochmaliger Überprüfung keine tragfähige Grundlage.
Der in Betracht kommende, vom Bundessozialgericht entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Sozialleistungsträger eine ihm gegenüber dem Betroffenen - der Klägerin - aufgrund eines Gesetzes oder eines konkreten Rechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat. Eine solche ließe sich im vorliegenden Fall annehmen, da der Antrag auf Statusfeststellung bereits am 22.03.2006 gestellt worden war, jedoch erst mit Bescheid vom 24.02.2009 darüber entschieden wurde. Hätte die Beklagte innerhalb der von § 88 SGG vorgesehenen Fristen entschieden, hätte die Klägerin den Erstattungsantrag vor Inkrafttreten von § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV stellen können.
Allerdings ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, hätte der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Pflicht rechtmäßig erfüllt. Kann der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung im zuvor beschriebenen Sinne beseitigt werden, ist für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum (Bundessozialgericht, Urteil vom 11.03.2004 - BSGE 92,241 (244)).
Im vorliegenden Fall würde die Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanpruchs darauf hinauslaufen, unter Missachtung der in § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV enthaltenen gesetzlichen Regelung einen objektiv rechtswidrigen Zustand herzustellen, denn mit dem Ablauf der dort in Bezug genommenen Frist des § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV war der hier verfolgte Erstattungsanspruch untergegangen. Deshalb ist im vorliegenden Fall für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum (vgl. für einen wegen § 111 SGB X nicht mehr durchsetzbaren Erstattungsanspruch Bundessozialgericht, Urteil vom 28.03.2000 - BSGE 86,78 (85)).
Unabhängig davon würde dem Erstattungsverlangen der Klägerin auf dem Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X, die auf Ansprüche auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines Herstellungsanpruchs entsprechend anzuwenden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2007 - BSG 98, 162 (163); Beschluss vom 25.08.2009 - B 3 KS 1/09 B - Juris Rn. 17 m.w.N.), entgegenstehen. Bei dem geltend gemachten Erstattungsanspruch handelt es sich um eine Geldleistung und damit nach der Legaldefinition des § 11 S. 1 SGB I um eine Sozialleistung (Bundessozialgericht, Urteil vom 13.10.1983 - BSGE 56,1 (3)) im Sinne des § 44 SGB X. Für eine einschränkende Auslegung dergestalt, dass die Anwendung des § 11 SGB I und der daran anknüpfenden weiteren Vorschriften des SGB stets die Feststellung voraussetzt, dass die Leistung der Verwirklichung der in den §§ 3-10 SGB I aufgeführten sozialen Rechten diene, bietet § 11 S. 1 SGB I keinen Anhalt (vgl. BSG a.a.O.).
Auch der im Rechtstaatsprinzip gründende Folgenbeseitigungsanspruch vermag das Erstattungsverlangen der Klägerin nicht zu tragen. Bei dem Folgenbeseitigungsanspruch handelt es sich um einen Wiederherstellungsanspruch und nicht um einen allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch. Er ist allein auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens gerichtet und gibt dem Betroffenen daher grundsätzlich nichts, was dieser vor dem Eingriff nicht schon selbst hatte. Der Folgenbeseitigungsanspruch soll also nicht den Zustand herstellen, der bestünde, wenn die Beeinträchtigung nicht eingetreten wäre und ermöglicht deshalb auch keinen Ausgleich für Schäden, die durch rechtswidriges Verwaltungshandeln verursacht worden sind (Hess VGH, Beschluss vom 01.11.2010 - 11 A 686/10 - Juris Rn. 32 m.w.N.). Ein in Betracht kommender Schadensanspruch wäre im Wege der Amtshaftung vor den Zivilgerichten geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1950 geborene Klägerin war seit dem 01.04.2002 Kommanditistin in der durch notariellen Vertrag vom 29.11.2002 gegründeten und am 30.04.2002 ins Handelsregister eingetragenen DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG, ursprünglich mit einer Stammeinlage in Höhe von 800,00 EUR, was 94,12 % des Kapitalanteils entsprach.
Die DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG sowie eine weitere Gesellschaft übertrugen ihr Vermögen als Ganzes im Wege der Verschmelzung zur Neugründung auf die mit notariellem Vertrag vom 22.12.2005 gegründete Firma DDC International GmbH, bei der die Klägerin ab dem 01.01.2006 angestellt war. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Anstellungsvertrag vom 01.01.2006 (Bl. 10 ff. BA) Bezug genommen.
Am 08.02.2006 beantragte die Klägerin die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status für ihre Tätigkeit als Gesellschafterin/Geschäftsführerin bei der Firma DDC International GmbH.
Mit Bescheid vom 18.06.2007 teilte die Beklagte der Klägerin und der Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe mit, dass das Statusfeststellungsverfahren zu dem Ergebnis geführt habe, dass die Klägerin dem Grunde nach eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe.
Die dagegen von der Klägerin und der DDC International GmbH eingelegten Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 27.11.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die erhobenen Widersprüche nicht begründet und neue Tatsachen nicht vorgetragen worden seien.
Nachdem die Beklagte festgestellt hatte bzw. darauf hingewiesen wurde, dass die Widerspruchsbegründung der Klägerin vom 05.09.2007 übergangen worden sei, überprüfte die Beklagte die ergangenen Bescheide von Amts wegen.
Mit Bescheiden vom 21.12.2007 nahm die Beklagte gegenüber der Klägerin und der Firma DDC International GmbH die Bescheide vom 18.06.2007 und die Widerspruchsbescheide vom 27.11.2007 mit Wirkung ab dem 01.01.2006 zurück und stellte nunmehr fest, dass die Klägerin die Tätigkeit als mitarbeitende mittelbare Gesellschafterin für die DDC International GmbH seit dem 01.01.2006 selbstständig ausübe. Eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor.
Mit weiterem, undatiertem Schreiben, welches am 22.03.2006 bei der Beklagten eingegangen war, beantragte die Klägerin die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status für die Zeit vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005.
Mit Schreiben vom 06.04.2006 überreichte die Beklagte der Klägerin einen Fragebogen, den die Klägerin am 02.05.2006 ausgefüllt zurückreichte.
Am 01.08.2008 bat die Klägerin um Sachstandsmitteilung, da bislang noch keine Entscheidung ergangen sei und um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei.
Mit Bescheiden vom 24.02.2009 teilte die Beklagte der Klägerin und der Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe mit, dass das eingeleitete Statusfeststellungsverfahren ergeben habe, dass die Klägerin die Tätigkeit als mitarbeitende Kommanditistin in dem Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005 selbstständig ausgeübt habe. Eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor.
Am 17.03.2009 beantragte die Klägerin bei der für sie zuständigen Krankenkasse die Erstattung unter anderem der Beiträge zur Rentenversicherung.
Diesen Antrag leitete die Krankenkasse - BKK EE GmbH - an die Beklagte weiter, die mit Bescheid vom 02.04.2009 feststellte, dass die von der Klägerin ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Kommanditistin nicht zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung führt.
Mit Bescheid vom 28.04.2009 stellte die Beklagte fest, dass die in dem Versicherungskonto der Klägerin enthaltenen Pflichtbeiträge für den Zeitraum vom 01.12.2004 bis zum 31.12.2005 zu Unrecht gezahlt und zu beanstanden seien.
Dagegen gelten die Beiträge für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004 als zu Recht gezahlt, so dass eine Erstattung dieser Beiträge nicht möglich sei.
Dagegen legte die Klägerin am 12.05.2009 Widerspruch ein.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Berufung auf den Zeitablauf und die damit verbundene Wandlung der zu Unrecht gezahlten Beiträge ins Recht gezahlte Beiträge widersprochen werde, da bereits am 27.04.2006 der Antrag auf das zur Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status erforderliche Statusfeststellungsverfahren gestellt worden sei. Die Entscheidung darüber habe bis in das Jahr 2009 gedauert. Auf diesen Zeitablauf könne sich die Beklagte nicht berufen, da mit Eingang des Antrages der Zeitablauf gehemmt werde. Die unverhältnismäßig lange Bearbeitungszeit der Beklagten könne nicht zum Nachteil der Antragstellerin gereichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach dem mit Wirkung vom 01.01.2008 in § 26 Abs. 1 SGB IV angefügten Satz 3 zu Unrecht gezahlte Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV bestimmten Frist als zu Recht entrichtete Beiträge gelten. Diese Fiktion trete nach 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die unwirksamen Beiträge entrichtet worden seien ein. Es komme für die Fiktion also lediglich auf den Ablauf der 4 Kalenderjahre an. Auf die in § 27 Abs. 3 SGB IV genannten Regelungen zur Fristhemmung werde in § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht Bezug genommen. Einen Verzicht auf die Fiktion sehe das Gesetz nicht vor.
Betroffen von der ab dem 01.01.2008 geltenden Fiktion seien auch vor dem 01.01.2008 zu Unrecht gezahlte Pflichtbeiträge. Mit In-Kraft-Treten der Regelung seien die für Zeiten bis zum November 2003 - also im Jahre 2003 fällig gewordenen - betroffenen zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge zu rechtswirksamen Pflichtbeiträgen fingiert.
Vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze gestellte Erstattungsanträge, die am 01.01.2008 noch anhängig gewesen seien, seien nach dem Grundsatz der Anwendung des zum Zeitpunkt des Antrags geltenden Rechts nach der am 31.12.2007 geltenden Rechtslage zu entscheiden, so dass § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht gelte. Als Antrag in diesem Sinne sei eine Willenserklärung anzusehen, die auf die Erstattung der unwirksamen Beiträge gerichtet sei. Ein Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach § 28h Abs. 2 SGB IV oder eine Anfrage an die Clearingstelle nach § 7a SGB IV stellten insoweit noch keinen Erstattungsantrag dar.
Der von der Klägerin gestellte Antrag vom 08.02.2006 auf Statusfeststellung könne demnach nicht als Antrag auf Erstattung von zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträgen angesehen werden.
Ein Antrag auf Erstattung sei erstmals am 23.03.2009 bei der Beklagten eingegangen.
Dagegen hat die Klägerin am 20.07.2009 Klage erhoben.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Klägerin im Jahre 2006 ein Statusverfahren in die Wege geleitet habe, welches durch Bescheid der Beklagten vom 21.12.2007 beendet worden sei. Zuvor habe sich die Beklagte zweimal anders entschieden und jeweils nach Widerspruch durch die Klägerin die hier in Rede stehende Entscheidung nunmehr getroffen.
Soweit die Beklagte der Auffassung sei, dass erstmalig ein Antrag auf Erstattung am 23.03.2009 eingegangen sei, sei in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu verweisen. Danach entstehe und verjähre der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht, solange dem Berechtigten gegenüber durch Verwaltungsakt verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht festgestellt sei. Erstmalig mit dem Bescheid vom 21.12.2007 bzw. dem Bescheid vom 12.03.2008 habe die Klägerin damit Kenntnis davon gehabt, dass sie zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge gezahlt habe.
Nach Erhalt des Bescheides vom 12.03.2008 sei unmittelbar der Antrag auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gestellt worden. Vor diesem Zeitpunkt habe ein derartiger Erstattungsanspruch nicht bestanden und sei auch nicht fällig geworden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin den Arbeitnehmeranteil der vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf ihren Widerspruchsbescheid
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die einschlägige Behördenakte (2 Hefter) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, § 105 SGG.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 28.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 30.11.2004.
Die hier in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 2 SGB IV sieht eine Erstattung nur für "zu Unrecht" entrichtete Beiträge vor. Diese Voraussetzung wird für die hier streitbefangenen Beiträge nicht erfüllt, die als "zu Recht" entrichtete Pflichtbeiträge gelten.
Dies ergibt sich aus der mit Wirkung zum 1. Januar 2008 durch das Gesetz vom 19. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3024) eingefügten Vorschrift des § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV.
Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB IV gilt § 45 Abs. 2 SGB X entsprechend, wenn Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden sind. Nach Satz 2 gelten Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Der daran anschließende § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV greift mit dem Tatbestandsmerkmal "Gleiches gilt" die Fiktion von § 26 Abs. 1 S. 2 letzter Halbsatz SGB IV auf und erweitert diese für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV bestimmten Frist.
Für die zeitlich zuletzt gezahlten streitbefangenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 2004 trat Verjährung nach 27 Abs. 2 S. 1 vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, also zum 01.01.2009 ein.
Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere auf das Urteil vom 13.09.2006 (B 12 AL 1/05 R) hinweist, vermag dies eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist zu differenzieren zwischen dem Statusfeststellungsverfahren der Klägerin hinsichtlich ihrer zum 1. Januar aufgenommenen Tätigkeit bei der Firma DDC International GmbH einerseits und ihrer Tätigkeit vom 01.04.2002 bis zum 31.12.2005 bei der Firma DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG andererseits. Während die hier streitbefangenen Beiträge auf die Zeiten der Tätigkeit der Klägerin bei der Firma DD GmbH und Co. Kosmetische Rohstoffe KG entfallen, beziehen sich die von der Klägerin genannten Bescheide vom 21.12.2007 und vom 12.03.2008 auf die Tätigkeit der Klägerin bei der Firma DDC International GmbH. Soweit die später mit Bescheid vom 21.12.2007 zurückgenommenen Bescheide vom 18.06.2007 und die Widerspruchsbescheide vom 27.11.2007 die Firma DD GmbH und Co. KG Kosmetische Rohstoffe KG als Arbeitgeberin benennen - was dem Anstellungsvertrag vom 01.01.2006 und der dortigen missverständlichen Bezeichnung des Arbeitgebers geschuldet sein mag - ergibt sich aus dem Text der Bescheide, dass sie sich tatsächlich nur auf die Zeit seit dem 01.01.2006 beziehen, also nicht auf die hier streitgegenständlichen Zeiträume.
Dass § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellt, vermag das erkennende Gericht nicht zu sehen. Die Vorschrift trat am 1. Januar 2008 in Kraft; damit liegt von vornherein kein Fall einer echten Rückwirkung vor. § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nimmt allerdings eine tatbestandliche Rückanknüpfung vor, indem sich der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich auch auf vor dem Inkrafttreten bereits erfolgte Beitragsentrichtungen erstreckt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 07.12.2011 - L 2 R 335/11 - Juris Rn. 39 m.w.N.). Tatbestandliche Rückanknüpfungen können Grundrechte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals vor Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden waren. In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen insbesondere die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit in der Weise ein, wie dies bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht.
Soweit vor Inkrafttreten von § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV entstandene Beitragserstattungsansprüche dem grundrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG unterfielen, lässt sich ein rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht nicht feststellen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift eine Inhaltsbestimmung des geschützten Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG mit der Maßgabe vorgenommen, dass anstelle des Anspruchs bzw. der Anwartschaft auf eine Beitragserstattung eine Rentenanwartschaft getreten ist. Die geleisteten Beiträge der Klägerin werden weder in ihrem Bestand noch in ihrer Höhe entwertet. Deshalb entsteht im Ergebnis keine Schlechterstellung gegenüber der Situation, wenn die Klägerin tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre, wovon sie selbst bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Versicherungspflicht selbst ausgegangen sein dürfte.
Diese Inhaltsbestimmung ist durch wichtige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Soweit die bis zum 31.12.2007 geltende Rechtslage in vielen Fallgestaltungen weit zurückreichende Erstattungsansprüche vorsah, widersprach dies bereits dem Versicherungsgedanken. Die Feststellung eines atypischen Ausnahmefalles, aufgrund dessen beispielsweise ein mitarbeitender Familienangehöriger ungeachtet seiner Anmeldung als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ausnahmsweise doch nicht der Versicherungspflicht unterlag, hing in der Praxis vielfach von unternehmensinternen Details ab, bezüglich derer zwar der Versicherte und der Arbeitgeber, nicht aber die Sozialleistungsträger Kenntnis hatten. Damit eröffnete die frühere Rechtslage in vielen Fällen die Möglichkeit, zunächst einmal Beiträge zu entrichten, um im eventuellen Versicherungsfall unter Versicherungsschutz zu stehen, diese aber gleichwohl unter Offenlegung der besonderen Umstände des Einzelfalles zurückzufordern, wenn sich im Laufe der Zeit der Nichteintritt eines solchen Versicherungsfalles ergab.
Bei dieser Sachlage ist das Vertrauen der Klägerin in den Fortbestand der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage weniger schutzwürdig als das öffentliche Interesse, das alsbald feststeht, welche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu Recht oder zu Unrecht entrichtet sind. Dies gilt umso mehr, als auch das bis zum 31. Dezember 2007 geltende Recht die Möglichkeit einer Verjährung einer Beitragserstattungsforderung grundsätzlich kannte (§ 27 Abs. 2 S. 1 SGB 4). Lediglich bedingt dadurch, dass im Falle einer Beanstandung der Rechtswirksamkeit von Beiträgen die Verjährung erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres der Beanstandung begann, verblieb für die Geltendmachung einer Verjährungseinrede vielfach kein Anwendungsbereich.
Dies sollte nach dem Willen des Gesetzgebers, der von den Gerichten möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen ist (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011 - NJW 2011,836 (838) m.w.N.) zeitnah korrigiert werden.
Soweit das Gericht im Vorfeld erwogen hatte, über die Fragen, welche Pflichtbeiträge beanstandet werden dürfen/müssen und für welchen Zeitraum sie zu erstatten sind, nach dem bis zum 31.12.2007 gültigen Recht zu entscheiden und die am 01.01.2008 in Kraft getretene Vorschrift des § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV nicht zu berücksichtigen, sieht das Gericht hierfür nach nochmaliger Überprüfung keine tragfähige Grundlage.
Der in Betracht kommende, vom Bundessozialgericht entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Sozialleistungsträger eine ihm gegenüber dem Betroffenen - der Klägerin - aufgrund eines Gesetzes oder eines konkreten Rechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat. Eine solche ließe sich im vorliegenden Fall annehmen, da der Antrag auf Statusfeststellung bereits am 22.03.2006 gestellt worden war, jedoch erst mit Bescheid vom 24.02.2009 darüber entschieden wurde. Hätte die Beklagte innerhalb der von § 88 SGG vorgesehenen Fristen entschieden, hätte die Klägerin den Erstattungsantrag vor Inkrafttreten von § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV stellen können.
Allerdings ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, hätte der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Pflicht rechtmäßig erfüllt. Kann der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung im zuvor beschriebenen Sinne beseitigt werden, ist für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum (Bundessozialgericht, Urteil vom 11.03.2004 - BSGE 92,241 (244)).
Im vorliegenden Fall würde die Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanpruchs darauf hinauslaufen, unter Missachtung der in § 26 Abs. 1 S. 3 SGB IV enthaltenen gesetzlichen Regelung einen objektiv rechtswidrigen Zustand herzustellen, denn mit dem Ablauf der dort in Bezug genommenen Frist des § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV war der hier verfolgte Erstattungsanspruch untergegangen. Deshalb ist im vorliegenden Fall für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum (vgl. für einen wegen § 111 SGB X nicht mehr durchsetzbaren Erstattungsanspruch Bundessozialgericht, Urteil vom 28.03.2000 - BSGE 86,78 (85)).
Unabhängig davon würde dem Erstattungsverlangen der Klägerin auf dem Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X, die auf Ansprüche auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines Herstellungsanpruchs entsprechend anzuwenden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2007 - BSG 98, 162 (163); Beschluss vom 25.08.2009 - B 3 KS 1/09 B - Juris Rn. 17 m.w.N.), entgegenstehen. Bei dem geltend gemachten Erstattungsanspruch handelt es sich um eine Geldleistung und damit nach der Legaldefinition des § 11 S. 1 SGB I um eine Sozialleistung (Bundessozialgericht, Urteil vom 13.10.1983 - BSGE 56,1 (3)) im Sinne des § 44 SGB X. Für eine einschränkende Auslegung dergestalt, dass die Anwendung des § 11 SGB I und der daran anknüpfenden weiteren Vorschriften des SGB stets die Feststellung voraussetzt, dass die Leistung der Verwirklichung der in den §§ 3-10 SGB I aufgeführten sozialen Rechten diene, bietet § 11 S. 1 SGB I keinen Anhalt (vgl. BSG a.a.O.).
Auch der im Rechtstaatsprinzip gründende Folgenbeseitigungsanspruch vermag das Erstattungsverlangen der Klägerin nicht zu tragen. Bei dem Folgenbeseitigungsanspruch handelt es sich um einen Wiederherstellungsanspruch und nicht um einen allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch. Er ist allein auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens gerichtet und gibt dem Betroffenen daher grundsätzlich nichts, was dieser vor dem Eingriff nicht schon selbst hatte. Der Folgenbeseitigungsanspruch soll also nicht den Zustand herstellen, der bestünde, wenn die Beeinträchtigung nicht eingetreten wäre und ermöglicht deshalb auch keinen Ausgleich für Schäden, die durch rechtswidriges Verwaltungshandeln verursacht worden sind (Hess VGH, Beschluss vom 01.11.2010 - 11 A 686/10 - Juris Rn. 32 m.w.N.). Ein in Betracht kommender Schadensanspruch wäre im Wege der Amtshaftung vor den Zivilgerichten geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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