Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 SF 59/10 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Anwendbarkeit des reduzierten Gebührenrahmens gem. Nr. 3103 VV RVG genügt nicht bereits irgendein innerer – zeitlicher oder sachlicher – Zusammenhang zwischen der anwaltlichen Tätigkeit im Verwaltungs-/Widerspruchsverfahren und im gerichtlichem (Eil )Verfahren. Zusätzlich müssen durch eine dem gerichtlichen Verfahren „vorausgegangene“ Tätigkeit im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren Vorkenntnisse über den Sachverhalt gewonnen worden sein, die sich nachfolgend im gerichtlichen Verfahren als „Synergieeffekte“ arbeitserleichternd für den Anwalt auswirken (im Anschluss an HessLSG, Beschluss vom 25. Mai 2009 – L 2 SF 50/09 E – juris).
2. Liegen lediglich wechselseitige Synergieeffekte durch zeitlich parallele Bearbeitung von Verwaltungs-/Widerspruchsverfahren und gerichtlichem (Eil )Verfahren vor oder werden Vorkenntnisse über den Sachverhalt aus dem gerichtlichen (Eil )Verfahren nachträglich etwa zur Begründung eines Widerspruchs verwendet, verbleibt es bei der Geltung des Gebührensrahmens gem. Nr. 3102 VV RVG.
2. Liegen lediglich wechselseitige Synergieeffekte durch zeitlich parallele Bearbeitung von Verwaltungs-/Widerspruchsverfahren und gerichtlichem (Eil )Verfahren vor oder werden Vorkenntnisse über den Sachverhalt aus dem gerichtlichen (Eil )Verfahren nachträglich etwa zur Begründung eines Widerspruchs verwendet, verbleibt es bei der Geltung des Gebührensrahmens gem. Nr. 3102 VV RVG.
Die Vergütungsfestsetzung vom 19. Oktober 2010 wird dahingehend abgeändert, dass die dem Erinnerungsführer für seine Tätigkeit im Verfahren des SG Fulda S 12 AS 201/10 ER aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf insgesamt 987,70 EUR festgesetzt wird.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über den anzuwendenden Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr für die Vergütung des Erinnerungsführers aufgrund gewährter Prozesskostenhilfe.
In dem zugrunde liegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes S 12 AS 201/10 ER wurde den dortigen Antragstellern (im Folgenden nur: Antragsteller) mit Beschluss vom 14. September 2010 Prozesskostenhilfe gewährt und der Erinnerungsführer als Prozessbevollmächtigter beigeordnet. Der das Eilverfahren einleitende Antragsschriftsatz des Erinnerungsführers, mit dem Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II geltend gemacht wurden, datiert vom 22. Juli 2010 und ging am Folgetag bei dem Sozialgericht Fulda ein. Hintergrund dieses Eilantrags war, dass der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens (im Folgenden nur: Antragsgegner) mit zwei Bescheiden vom 16. Juni 2010 zuvor erteilte Leistungsbescheide aufgehoben und SGB II-Leistungen für die Zukunft abgelehnt hatte.
Am 16. Juli 2010 hatte der Erinnerungsführer bereits gegenüber dem Antragsgegner per Faxschreiben namens der Antragsteller Widerspruch gegen die vorbezeichneten Bescheide vom 16. Juni 2010 erhoben und angekündigt, dass eine Begründung des Widerspruchs nachgereicht werde. Diese Begründung datiert sodann vom 23. Juli 2010 und ging per Fax am selben Tag bei dem Antragsgegner ein.
Das Ausgangsverfahren S 12 AS 201/10 endete ausweislich des entsprechenden Sitzungsprotokolls vom 14. September 2010 durch richterlich protokollierten Vergleich, in dessen Rahmen die Beteiligten dahin übereinkamen, dass sie einander keine Kosten zu erstatten haben.
Unter dem 22. September 2010 beantragte sodann der Erinnerungsführer, seine Vergütung gegenüber der Staatskasse wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV RVG 90,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 220,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 250,00 EUR
Pauschale für Post- und
Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 880,00 EUR
19 % USt, Nr. 7008 VV RVG 167,20 EUR
Summe 1.047,20 EUR
Demgegenüber setzte der Urkundsbeamte mit Datum vom 19. Oktober 2010 die Vergütung lediglich auf 786,59 EUR fest und begründete die Absetzung damit, dass die zu gewährende Verfahrensgebühr aus dem Gebührenrahmen gem. Nr. 3103 VV RVG zu bestimmen sei. Denn für dessen Anwendbarkeit sei ausreichend, dass der Erinnerungsführer im Verwaltungsverfahren tätig geworden sei und zu dem gerichtlichen Verfahren ein innerer Zusammenhang bestehe; ein vorhergehender Abschluss des gerichtlichen Verfahrens sei nicht erforderlich. Wegen der Bedeutung der Sache für die Antragsteller sei jedoch die Mittelgebühr nach Nr. 3103 VV RVG, also 170 EUR (zzgl. des Mehrvertretungszuschlags) zugrunde zu legen. Die Einigungsgebühr sei mit 200 EUR angemessen zu bestimmen.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2010 Erinnerung eingelegt und wendet sich gegen die Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG anstelle Nr. 3102 VV RVG. Zur Begründung verweist er auf, dass ihn die Antragsteller am 15. Juli 2010 erstmals konsultiert hätten. Hier habe er zur Einleitung eines Eilverfahrens geraten, wobei zuvor nach Sichtung des Streitstoffes eine eidesstattliche Versicherung habe formuliert werden sollen, was sodann am 21. Juli 2010 erfolgt sei.
Dass der Widerspruch gegen die Bescheide vom 16. Juni 2010 bereits am 16. Juli 2010 verfasst worden sei, führe nicht zur Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG. Entgegen der Begründung aus der Vergütungsfestsetzung führe nicht allein ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Verwaltung- und Gerichtsverfahren zur Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens, sondern allein, dass durch die vorangegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren Sach- und Rechtskenntnisse erworben worden seien und dadurch das gerichtliche Verfahren einen geringeren Aufwand erfordere. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Die Einlegung des Widerspruchs vom 16. Juli 2010 gegen die exakt einen Monat zuvor erlassenen Bescheide habe wegen der Fristgebundenheit keinen Aufschub geduldet. Im Falle der Bestandskraft der Bescheide hätte nämlich dem Ausgangsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt.
Eine Vorbefassung aufgrund der Einlegung des Widerspruchs habe nicht vorgelegen. Den Antragstellern sei nach Schilderung des Sachverhalts zugleich im ersten Gespräch zur Beantragung einer einstweiligen Anordnung geraten und der Erinnerungsführer damit beauftragt worden. Die Unterlagen seien im Hinblick auf Zulässigkeit und Begründetheit der einstweiligen Anordnung gesichtet worden, wobei das darauf aufbauende Diktate wegen notwendiger Rücksprache, u.a. mit den Beteiligten Zwangsverwalter, habe unterbrochen werden müssen. Die Befassung mit dem Widerspruch gegen die Bescheide vom 16. Juni 2010 sei am Tag nach dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolgt; die Widerspruchsbegründung vom 23. Juli 2010 beruhe zu den Ausführungen unter deren Nr. 2 auf den Erkenntnissen der Bearbeitung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Anordnung. Somit habe nicht die Widerspruchseinlegung zu geringerem Aufwand im gerichtlichen Verfahren geführt, sondern umgekehrt die im Eilrechtschutzverfahren erworbenen Sach- und Rechtskenntnisse zur Erleichterung der Widerspruchsbegründung. Der Widerspruch sei im eigentlichen Widerspruchschreiben vom 16. Juli 2010 gerade mangels Kenntnis des Sachverhalts nicht begründet worden. Diese Kenntnis habe der Erinnerungsführern erst nach Vorlage der weiteren, im Eilantrag genannten Unterlagen erhalten.
Die Verfahrensgebühr sei somit nach Nr. 3102 VV RVG oberhalb der Mittelgebühr auf 300 EUR festzusetzen wegen des überdurchschnittlichen Umfangs und der Schwierigkeit der Angelegenheit sowie deren massiver Bedeutung für die Antragsteller.
Der Erinnerungsführer beantragt, die Vergütung auf insgesamt 830 EUR zuzüglich Umsatzsteuer festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt, die Erinnerung des Erinnerungsführers gegen die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er darauf, dass entscheidendes Kriterium für die Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG der Umstand sei, dass zwischen Tätigkeit im Hauptsacheverfahren oder der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und einem Vorverfahren ein innerer – zeitlicher und sachlicher – Zusammenhang bestehe; dies sei hier der Fall. Aus der Gerichtsakte gehe hervor, dass der Erinnerungsführer im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens auf den Schriftverkehr des Widerspruchsverfahrens Bezug genommen habe. Dies stütze die Einschätzung des Urkundsbeamten, da der Erinnerungsführer in einem Vorverfahren tätig gewesen sei, dass im Zusammenhang mit den gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren stehe.
In der Sache liege ein überdurchschnittliches Verfahren vor, so dass die Verfahrensgebühr auch vor dem Hintergrund, dass durch das Hessische Landessozialgericht in einem durchschnittlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine auf 2/3 reduzierte Verfahrensgebühr als angemessen angesehen werde, eine insoweit um 50 % erhöhte Gebühr von 170 EUR als angemessen anzusehen sei.
II.
Die zulässige Erinnerung ist auch begründet; der Erinnerungsführer hat Anspruch auf Festsetzung einer Vergütung in der beantragten Höhe. Entgegen der angefochtenen Vergütungsfestsetzung ist die Verfahrensgebühr aus dem Rahmen von Nr. 3102 VV RVG zu bestimmen, da die Voraussetzungen der Anwendung von Nr. 3103 VV RVG nicht vorliegen.
1. Gem. Nr. 3102 VV RVG ist die Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), zwischen 40 und 460 EUR zu bestimmen. Gem. Nr. 3103 VV RVG beträgt diese Gebühr jedoch lediglich zwischen 20 bis 320 EUR, wenn "eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen" ist. Hinsichtlich des zwecks dieser Gebührenreduzierung hat das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 25. Mai 2009 – L 2 SF 50/09 E –, juris Rn. 27, ausgeführt:
"Nach der Struktur der Betragsrahmengebührenvorschriften enthält Nr. 3103 VV-RVG mit seinem gesenkten Betragsrahmen eine vorrangige Sondervorschrift gegenüber Nr. 3102 (BT-Drs. 15/1971 S 212, zu Nr. 3103). Voraussetzung für die Anwendung der Sondervorschrift ist, dass eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorangegangen ist. Dabei reichen Vorkenntnisse über den Sachverhalt im Sinne eines inneren – sachlichen und zeitlichen – Zusammenhangs der Tätigkeiten aus, um durch die Bearbeitung einen Synergieeffekt für den Rechtsanwalt anzunehmen. Die grundsätzlichen Voraussetzungen für den ermäßigten Verfahrensgebührenrahmen erfordern aber nicht, dass das Vorverfahren auch schon durch einen Widerspruchsbescheid zum Abschluss gekommen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 8. Januar 2009, L 5 SF 154/08 R mit weiteren Nachweisen). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine vorgerichtliche Befassung (etwa im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens) in einem nachfolgenden, dadurch für den Prozessbevollmächtigten weniger aufwändigen Gerichtsverfahren, gebührenmindernd berücksichtigt werden (siehe auch SG Dresden, Beschluss vom 27. Mai 2009, S 24 SF 180/09 R/F)."
Gemessen an diesem Maßstab muss es in einer Konstellation wie der vorliegenden bei der Anwendung des nicht reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3102 VV RVG verbleiben. Bei rein formal-zeitlicher Betrachtung kann hier zwar bejaht werden, dass der Erinnerungsführer vor Anbringung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Widerspruchsverfahren insofern tätig war, als er den Widerspruch als solchen bereits eingelegt hatte. Daher ist der Einleitung des gerichtlichen Eilverfahrens eine Tätigkeit des Erinnerungsführers im "der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen", nämlich in Form der formalen Erhebung des Widerspruchs. Eine weitergehende Tätigkeit im Widerspruchsverfahren erfolgte vor dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung jedoch nicht. Dies folgt aus dem insoweit nicht in Zweifel zu ziehen den Vortrag des Erinnerungsführers und wird durch den Akteninhalt dahingehend bestätigt, als der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung samt umfassender Begründung vom 22. Juli 2010 datiert und mit normaler Briefpost am 23. Juli 2010 bei dem SG Fulda eingegangen ist, also mindestens am Vortag gefertigt worden sein muss. Demgegenüber datiert die Widerspruchsbegründung, die auch im Widerspruchsverfahren selbst eine nähere Auseinandersetzung mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt dokumentiert, erst vom 23. Juli 2010 und wurde an diesem Tag dem Antragsgegner per Fax übermittelt.
Neben der rein formal-zeitlich vorhergehenden Tätigkeit eines Bevollmächtigten (wie hier etwa der – begründungslosen – Einlegung eines Widerspruchs) erfordert die Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG entsprechend den zitierten Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts aber zusätzlich, dass bei der Bearbeitung der Sache im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren Synergieeffekte für einen Bevollmächtigten entstehen; denn ansonsten würde eine Gebührenreduzierung auch dann und folglich ohne Rechtfertigung eintreten, wenn aus der Tätigkeit im Vorverfahren keinerlei Erleichterung im gerichtlichen (Eil-)Verfahren folgt (s. gleichsinnig etwa SG Marburg, Beschl. v. 16.6.2008 – S 8 AS 17/07 ER – juris Rn. 8 = ASR 2008, S. 228 f.).
Dabei müssen diese Synergieeffekte Folge der Tätigkeit im Vorverfahren sein; Nr. 3103 VV RVG kommt hingegen nicht auch dann zur Anwendung, wenn aus der parallelen Bearbeitung von Widerspruchsverfahren und gerichtlichem Eilverfahren solche Synergieeffekte entstehen oder gar durch eine dem gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren nachfolgende Tätigkeit im Widerspruchsverfahren. Dies ergibt sich zum einen aus der gesetzlichen Formulierung, der zufolge die Tätigkeit im Vorverfahren "vorausgegangen" sein muss. Zum anderen hat der Gesetzgeber gerade keine wechselseitige Reduzierung zwischen Geschäftsgebühr (Nr. 2400 VV RVG) und Verfahrensgebühr (N. 3102 VV RVG) konzipiert und insbesondere auch keine "Anrechnungslösung" wie in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des VV RVG im Falle der Anwendung von Nr. 2300 bis 2303 VV RVG. Mit dieser bewussten Alternativkonzeption wäre es de lege lata unvereinbar, Kenntnisse über den Sachverhalt aus dem gerichtlichen Verfahren, die nachfolgend im (Verwaltungs )Vorverfahren verwertet werden können, als Rechtfertigung für die Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG zu nehmen.
Diese Wertung wird zudem gestützt durch den Referentenentwurf für ein Zweites Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Stand: 13.12.2012), wonach es mit dem Ziel einer Änderung der Rechtslage zu einer Streichung von Nr. 3103 VV RVG kommen soll bei gleichzeitiger Einbeziehung auch der Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des VV RVG und somit in das Anrechnungssystem, ohne dass dann noch auf den vorausgehenden Charakter der Tätigkeit im Vorverfahren abgestellt wird (s. S. 159, 412 d. Entwurfs).
Aufgrund dieser Erwägungen genügt somit nicht irgendein innerer sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Verwaltungs /Widerspruchsverfahren und einem gerichtlichen Verfahren, der zu wechselseitiger Arbeitserleichterung im Sinne von Synergieeffekten führt. Vielmehr muss die vorausgehende Tätigkeit im Verwaltungsverfahren solche Synergieeffekte für das insoweit nachfolgende gerichtliche Verfahren zeitigen – nicht aber "umgekehrt".
Für den vorliegenden Fall führt dies dazu, dass Nr. 3103 VV RVG nicht zur Anwendung kommen kann, sondern die Bestimmung der Verfahrensgebühr auf der Grundlage des Rahmens aus Nr. 3102 VV RVG zu erfolgen hat, so dass hier auch offen bleiben kann, ob der Gebührenrahmen gem. Nr. 3103 VV RVG überhaupt auf Eilverfahren Anwendung findet (vgl. zum Argumentationsstand AnwK-RVG/Wahlen, 5. Aufl. 2010, VV 3102-3103 Rn. 6 m.w.Nw.).
Denn der Erinnerungsführer hat nachvollziehbar sowie durch den Akteninhalt bestätigt dargelegt, dass er sachadäquat zunächst das Eilverfahren bearbeitet und dann die Widerspruchsbegründung gefertigt hat, während die formale Einlegung des Widerspruchs selbst keine substanzielle Kenntnisgewinnung in Bezug auf den Sachverhalt erbrachte oder eine solche ihr auch nicht spezifisch vorausgegangen war. Folglich fehlt es an einer Sachverhaltskenntnis aus dem Vorverfahren, dass danach im gerichtlichen Verfahren Synergieeffekte erzeugt haben könnte.
Im Hinblick auf die konkrete Gebührenhöhe sind im Hinblick auf § 14 RVG die Wertungen des Urkundsbeamten, denen sich der Erinnerungsgegner angeschlossen hat, beizubehalten sind. Somit ist die durchschnittlich bei einem Eilrechtsschutzverfahren anzunehmende 2/3-Mittelgebühr (gerundet 170 EUR) um ca. 50 % zu erhöhen, woraus sich eine Gebühr von (erneut gerundet) 250 EUR ergibt. Unter Beachtung des dem Erinnerungsführer zuzubilligenden Toleranzrahmens von 20 % (vgl. BSGE 104, 30 [33]) ist die Gebührenbestimmung von 300 EUR als nicht unbillig und damit bindend anzusehen, was sodann auch zu einem Mehrvertretungszuschlag von 90 EUR führt.
Weitere Vergütungspositionen waren nicht streitig, so dass sich abschließend folgende Vergütungsberechnung ergibt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV RVG 90,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 220,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 200,00 EUR
Pauschale für Post- und
Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 830,00 EUR
19 % USt, Nr. 7008 VV RVG 157,70 EUR
Summe 987,70 EUR
2. Gerichtskosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG im Verfahren über die Erinnerung nicht erhoben, Kosten gem. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über den anzuwendenden Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr für die Vergütung des Erinnerungsführers aufgrund gewährter Prozesskostenhilfe.
In dem zugrunde liegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes S 12 AS 201/10 ER wurde den dortigen Antragstellern (im Folgenden nur: Antragsteller) mit Beschluss vom 14. September 2010 Prozesskostenhilfe gewährt und der Erinnerungsführer als Prozessbevollmächtigter beigeordnet. Der das Eilverfahren einleitende Antragsschriftsatz des Erinnerungsführers, mit dem Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II geltend gemacht wurden, datiert vom 22. Juli 2010 und ging am Folgetag bei dem Sozialgericht Fulda ein. Hintergrund dieses Eilantrags war, dass der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens (im Folgenden nur: Antragsgegner) mit zwei Bescheiden vom 16. Juni 2010 zuvor erteilte Leistungsbescheide aufgehoben und SGB II-Leistungen für die Zukunft abgelehnt hatte.
Am 16. Juli 2010 hatte der Erinnerungsführer bereits gegenüber dem Antragsgegner per Faxschreiben namens der Antragsteller Widerspruch gegen die vorbezeichneten Bescheide vom 16. Juni 2010 erhoben und angekündigt, dass eine Begründung des Widerspruchs nachgereicht werde. Diese Begründung datiert sodann vom 23. Juli 2010 und ging per Fax am selben Tag bei dem Antragsgegner ein.
Das Ausgangsverfahren S 12 AS 201/10 endete ausweislich des entsprechenden Sitzungsprotokolls vom 14. September 2010 durch richterlich protokollierten Vergleich, in dessen Rahmen die Beteiligten dahin übereinkamen, dass sie einander keine Kosten zu erstatten haben.
Unter dem 22. September 2010 beantragte sodann der Erinnerungsführer, seine Vergütung gegenüber der Staatskasse wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV RVG 90,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 220,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 250,00 EUR
Pauschale für Post- und
Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 880,00 EUR
19 % USt, Nr. 7008 VV RVG 167,20 EUR
Summe 1.047,20 EUR
Demgegenüber setzte der Urkundsbeamte mit Datum vom 19. Oktober 2010 die Vergütung lediglich auf 786,59 EUR fest und begründete die Absetzung damit, dass die zu gewährende Verfahrensgebühr aus dem Gebührenrahmen gem. Nr. 3103 VV RVG zu bestimmen sei. Denn für dessen Anwendbarkeit sei ausreichend, dass der Erinnerungsführer im Verwaltungsverfahren tätig geworden sei und zu dem gerichtlichen Verfahren ein innerer Zusammenhang bestehe; ein vorhergehender Abschluss des gerichtlichen Verfahrens sei nicht erforderlich. Wegen der Bedeutung der Sache für die Antragsteller sei jedoch die Mittelgebühr nach Nr. 3103 VV RVG, also 170 EUR (zzgl. des Mehrvertretungszuschlags) zugrunde zu legen. Die Einigungsgebühr sei mit 200 EUR angemessen zu bestimmen.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2010 Erinnerung eingelegt und wendet sich gegen die Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG anstelle Nr. 3102 VV RVG. Zur Begründung verweist er auf, dass ihn die Antragsteller am 15. Juli 2010 erstmals konsultiert hätten. Hier habe er zur Einleitung eines Eilverfahrens geraten, wobei zuvor nach Sichtung des Streitstoffes eine eidesstattliche Versicherung habe formuliert werden sollen, was sodann am 21. Juli 2010 erfolgt sei.
Dass der Widerspruch gegen die Bescheide vom 16. Juni 2010 bereits am 16. Juli 2010 verfasst worden sei, führe nicht zur Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG. Entgegen der Begründung aus der Vergütungsfestsetzung führe nicht allein ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Verwaltung- und Gerichtsverfahren zur Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens, sondern allein, dass durch die vorangegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren Sach- und Rechtskenntnisse erworben worden seien und dadurch das gerichtliche Verfahren einen geringeren Aufwand erfordere. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Die Einlegung des Widerspruchs vom 16. Juli 2010 gegen die exakt einen Monat zuvor erlassenen Bescheide habe wegen der Fristgebundenheit keinen Aufschub geduldet. Im Falle der Bestandskraft der Bescheide hätte nämlich dem Ausgangsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt.
Eine Vorbefassung aufgrund der Einlegung des Widerspruchs habe nicht vorgelegen. Den Antragstellern sei nach Schilderung des Sachverhalts zugleich im ersten Gespräch zur Beantragung einer einstweiligen Anordnung geraten und der Erinnerungsführer damit beauftragt worden. Die Unterlagen seien im Hinblick auf Zulässigkeit und Begründetheit der einstweiligen Anordnung gesichtet worden, wobei das darauf aufbauende Diktate wegen notwendiger Rücksprache, u.a. mit den Beteiligten Zwangsverwalter, habe unterbrochen werden müssen. Die Befassung mit dem Widerspruch gegen die Bescheide vom 16. Juni 2010 sei am Tag nach dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolgt; die Widerspruchsbegründung vom 23. Juli 2010 beruhe zu den Ausführungen unter deren Nr. 2 auf den Erkenntnissen der Bearbeitung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Anordnung. Somit habe nicht die Widerspruchseinlegung zu geringerem Aufwand im gerichtlichen Verfahren geführt, sondern umgekehrt die im Eilrechtschutzverfahren erworbenen Sach- und Rechtskenntnisse zur Erleichterung der Widerspruchsbegründung. Der Widerspruch sei im eigentlichen Widerspruchschreiben vom 16. Juli 2010 gerade mangels Kenntnis des Sachverhalts nicht begründet worden. Diese Kenntnis habe der Erinnerungsführern erst nach Vorlage der weiteren, im Eilantrag genannten Unterlagen erhalten.
Die Verfahrensgebühr sei somit nach Nr. 3102 VV RVG oberhalb der Mittelgebühr auf 300 EUR festzusetzen wegen des überdurchschnittlichen Umfangs und der Schwierigkeit der Angelegenheit sowie deren massiver Bedeutung für die Antragsteller.
Der Erinnerungsführer beantragt, die Vergütung auf insgesamt 830 EUR zuzüglich Umsatzsteuer festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt, die Erinnerung des Erinnerungsführers gegen die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er darauf, dass entscheidendes Kriterium für die Anwendung des Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG der Umstand sei, dass zwischen Tätigkeit im Hauptsacheverfahren oder der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und einem Vorverfahren ein innerer – zeitlicher und sachlicher – Zusammenhang bestehe; dies sei hier der Fall. Aus der Gerichtsakte gehe hervor, dass der Erinnerungsführer im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens auf den Schriftverkehr des Widerspruchsverfahrens Bezug genommen habe. Dies stütze die Einschätzung des Urkundsbeamten, da der Erinnerungsführer in einem Vorverfahren tätig gewesen sei, dass im Zusammenhang mit den gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren stehe.
In der Sache liege ein überdurchschnittliches Verfahren vor, so dass die Verfahrensgebühr auch vor dem Hintergrund, dass durch das Hessische Landessozialgericht in einem durchschnittlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine auf 2/3 reduzierte Verfahrensgebühr als angemessen angesehen werde, eine insoweit um 50 % erhöhte Gebühr von 170 EUR als angemessen anzusehen sei.
II.
Die zulässige Erinnerung ist auch begründet; der Erinnerungsführer hat Anspruch auf Festsetzung einer Vergütung in der beantragten Höhe. Entgegen der angefochtenen Vergütungsfestsetzung ist die Verfahrensgebühr aus dem Rahmen von Nr. 3102 VV RVG zu bestimmen, da die Voraussetzungen der Anwendung von Nr. 3103 VV RVG nicht vorliegen.
1. Gem. Nr. 3102 VV RVG ist die Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), zwischen 40 und 460 EUR zu bestimmen. Gem. Nr. 3103 VV RVG beträgt diese Gebühr jedoch lediglich zwischen 20 bis 320 EUR, wenn "eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen" ist. Hinsichtlich des zwecks dieser Gebührenreduzierung hat das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 25. Mai 2009 – L 2 SF 50/09 E –, juris Rn. 27, ausgeführt:
"Nach der Struktur der Betragsrahmengebührenvorschriften enthält Nr. 3103 VV-RVG mit seinem gesenkten Betragsrahmen eine vorrangige Sondervorschrift gegenüber Nr. 3102 (BT-Drs. 15/1971 S 212, zu Nr. 3103). Voraussetzung für die Anwendung der Sondervorschrift ist, dass eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorangegangen ist. Dabei reichen Vorkenntnisse über den Sachverhalt im Sinne eines inneren – sachlichen und zeitlichen – Zusammenhangs der Tätigkeiten aus, um durch die Bearbeitung einen Synergieeffekt für den Rechtsanwalt anzunehmen. Die grundsätzlichen Voraussetzungen für den ermäßigten Verfahrensgebührenrahmen erfordern aber nicht, dass das Vorverfahren auch schon durch einen Widerspruchsbescheid zum Abschluss gekommen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 8. Januar 2009, L 5 SF 154/08 R mit weiteren Nachweisen). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine vorgerichtliche Befassung (etwa im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens) in einem nachfolgenden, dadurch für den Prozessbevollmächtigten weniger aufwändigen Gerichtsverfahren, gebührenmindernd berücksichtigt werden (siehe auch SG Dresden, Beschluss vom 27. Mai 2009, S 24 SF 180/09 R/F)."
Gemessen an diesem Maßstab muss es in einer Konstellation wie der vorliegenden bei der Anwendung des nicht reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3102 VV RVG verbleiben. Bei rein formal-zeitlicher Betrachtung kann hier zwar bejaht werden, dass der Erinnerungsführer vor Anbringung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Widerspruchsverfahren insofern tätig war, als er den Widerspruch als solchen bereits eingelegt hatte. Daher ist der Einleitung des gerichtlichen Eilverfahrens eine Tätigkeit des Erinnerungsführers im "der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen", nämlich in Form der formalen Erhebung des Widerspruchs. Eine weitergehende Tätigkeit im Widerspruchsverfahren erfolgte vor dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung jedoch nicht. Dies folgt aus dem insoweit nicht in Zweifel zu ziehen den Vortrag des Erinnerungsführers und wird durch den Akteninhalt dahingehend bestätigt, als der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung samt umfassender Begründung vom 22. Juli 2010 datiert und mit normaler Briefpost am 23. Juli 2010 bei dem SG Fulda eingegangen ist, also mindestens am Vortag gefertigt worden sein muss. Demgegenüber datiert die Widerspruchsbegründung, die auch im Widerspruchsverfahren selbst eine nähere Auseinandersetzung mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt dokumentiert, erst vom 23. Juli 2010 und wurde an diesem Tag dem Antragsgegner per Fax übermittelt.
Neben der rein formal-zeitlich vorhergehenden Tätigkeit eines Bevollmächtigten (wie hier etwa der – begründungslosen – Einlegung eines Widerspruchs) erfordert die Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG entsprechend den zitierten Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts aber zusätzlich, dass bei der Bearbeitung der Sache im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren Synergieeffekte für einen Bevollmächtigten entstehen; denn ansonsten würde eine Gebührenreduzierung auch dann und folglich ohne Rechtfertigung eintreten, wenn aus der Tätigkeit im Vorverfahren keinerlei Erleichterung im gerichtlichen (Eil-)Verfahren folgt (s. gleichsinnig etwa SG Marburg, Beschl. v. 16.6.2008 – S 8 AS 17/07 ER – juris Rn. 8 = ASR 2008, S. 228 f.).
Dabei müssen diese Synergieeffekte Folge der Tätigkeit im Vorverfahren sein; Nr. 3103 VV RVG kommt hingegen nicht auch dann zur Anwendung, wenn aus der parallelen Bearbeitung von Widerspruchsverfahren und gerichtlichem Eilverfahren solche Synergieeffekte entstehen oder gar durch eine dem gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren nachfolgende Tätigkeit im Widerspruchsverfahren. Dies ergibt sich zum einen aus der gesetzlichen Formulierung, der zufolge die Tätigkeit im Vorverfahren "vorausgegangen" sein muss. Zum anderen hat der Gesetzgeber gerade keine wechselseitige Reduzierung zwischen Geschäftsgebühr (Nr. 2400 VV RVG) und Verfahrensgebühr (N. 3102 VV RVG) konzipiert und insbesondere auch keine "Anrechnungslösung" wie in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des VV RVG im Falle der Anwendung von Nr. 2300 bis 2303 VV RVG. Mit dieser bewussten Alternativkonzeption wäre es de lege lata unvereinbar, Kenntnisse über den Sachverhalt aus dem gerichtlichen Verfahren, die nachfolgend im (Verwaltungs )Vorverfahren verwertet werden können, als Rechtfertigung für die Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens nach Nr. 3103 VV RVG zu nehmen.
Diese Wertung wird zudem gestützt durch den Referentenentwurf für ein Zweites Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Stand: 13.12.2012), wonach es mit dem Ziel einer Änderung der Rechtslage zu einer Streichung von Nr. 3103 VV RVG kommen soll bei gleichzeitiger Einbeziehung auch der Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des VV RVG und somit in das Anrechnungssystem, ohne dass dann noch auf den vorausgehenden Charakter der Tätigkeit im Vorverfahren abgestellt wird (s. S. 159, 412 d. Entwurfs).
Aufgrund dieser Erwägungen genügt somit nicht irgendein innerer sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Verwaltungs /Widerspruchsverfahren und einem gerichtlichen Verfahren, der zu wechselseitiger Arbeitserleichterung im Sinne von Synergieeffekten führt. Vielmehr muss die vorausgehende Tätigkeit im Verwaltungsverfahren solche Synergieeffekte für das insoweit nachfolgende gerichtliche Verfahren zeitigen – nicht aber "umgekehrt".
Für den vorliegenden Fall führt dies dazu, dass Nr. 3103 VV RVG nicht zur Anwendung kommen kann, sondern die Bestimmung der Verfahrensgebühr auf der Grundlage des Rahmens aus Nr. 3102 VV RVG zu erfolgen hat, so dass hier auch offen bleiben kann, ob der Gebührenrahmen gem. Nr. 3103 VV RVG überhaupt auf Eilverfahren Anwendung findet (vgl. zum Argumentationsstand AnwK-RVG/Wahlen, 5. Aufl. 2010, VV 3102-3103 Rn. 6 m.w.Nw.).
Denn der Erinnerungsführer hat nachvollziehbar sowie durch den Akteninhalt bestätigt dargelegt, dass er sachadäquat zunächst das Eilverfahren bearbeitet und dann die Widerspruchsbegründung gefertigt hat, während die formale Einlegung des Widerspruchs selbst keine substanzielle Kenntnisgewinnung in Bezug auf den Sachverhalt erbrachte oder eine solche ihr auch nicht spezifisch vorausgegangen war. Folglich fehlt es an einer Sachverhaltskenntnis aus dem Vorverfahren, dass danach im gerichtlichen Verfahren Synergieeffekte erzeugt haben könnte.
Im Hinblick auf die konkrete Gebührenhöhe sind im Hinblick auf § 14 RVG die Wertungen des Urkundsbeamten, denen sich der Erinnerungsgegner angeschlossen hat, beizubehalten sind. Somit ist die durchschnittlich bei einem Eilrechtsschutzverfahren anzunehmende 2/3-Mittelgebühr (gerundet 170 EUR) um ca. 50 % zu erhöhen, woraus sich eine Gebühr von (erneut gerundet) 250 EUR ergibt. Unter Beachtung des dem Erinnerungsführer zuzubilligenden Toleranzrahmens von 20 % (vgl. BSGE 104, 30 [33]) ist die Gebührenbestimmung von 300 EUR als nicht unbillig und damit bindend anzusehen, was sodann auch zu einem Mehrvertretungszuschlag von 90 EUR führt.
Weitere Vergütungspositionen waren nicht streitig, so dass sich abschließend folgende Vergütungsberechnung ergibt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR
Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV RVG 90,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 220,00 EUR
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 200,00 EUR
Pauschale für Post- und
Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 830,00 EUR
19 % USt, Nr. 7008 VV RVG 157,70 EUR
Summe 987,70 EUR
2. Gerichtskosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG im Verfahren über die Erinnerung nicht erhoben, Kosten gem. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved