Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 U 49/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Unterbrechung des versicherten Heimwegs, wenn die Versicherte bei dem Versuch, ihren zunächst vor der Garage abgestellten, dann aber zurück rollenden Pkw aufzuhalten, um ihn anschließend in die Garage zu fahren, verletzt wird.
Der Bescheid vom 24.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2011 wird aufgehoben
Es wird festgestellt, dass die Klägerin am 17.01.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall.
Am 17.01.2011 kehrte die Klägerin von ihrer Arbeitsstelle im XY. Markt in XY-Stadt nach Hause zurück. Sie stellte ihren Pkw vor der oberhalb eines Hangs stehenden Garage ab, zog die Handbremse an und stieg aus, um das Garagentor zu öffnen, wobei sie die Fahrertür offenstehen ließ. Nachdem die Klägerin das Garagentor geöffnet hatte, drehte sie sich um und sah, dass sich ihr Pkw rückwärtsrollend in Bewegung setzte. Sie versuchte, das rollende Fahrzeug aufzuhalten, indem sie um die geöffnete Fahrertür herumlief, um in das Auto zu gelangen. Dabei erhielt sie von der Fahrertür einen Schlag ins Gesicht und stürzte, sodass anschließend der Pkw ihr linkes Bein überrollte. Die Klägerin erlitt dabei multiple Prellungen am linken Knie, linken Unterschenkel und linken oberen Sprunggelenk sowie multiple Schürfwunden am Unterkiefer links (Durchgangsarztbericht vom 18.01.2011, Blatt 1-1 Unfallakte).
Mit Bescheid vom 24.02.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 17.01.2011 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe im Zeitpunkt des Unfalls ihren versicherten Heimweg unterbrochen gehabt, um eigenwirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, nämlich ihren privaten Pkw vor einem Schaden zu bewahren. Die Fortbewegung zum Unfallzeitpunkt habe nicht dazu gedient, den versicherten Weg fortzusetzen, also das Fahrzeug in die Garage zu fahren. Die Klägerin habe somit im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2011, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 48-1 bis 48-2 der Unfallakte Bezug genommen wird, zurück, weil auch nach Auffassung des Widerspruchsausschusses ein versicherter Wegeunfall nicht vorgelegen habe, denn die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt ihrem privaten Pkw hinterher gelaufen und habe sich daher nicht mehr auf einem versicherungsrechtlich geschützten Weg befunden.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.05.2011 Klage erhoben und zur Begründung die Ansicht vertreten, bei dem Unfall habe es sich um einen Wegeunfall gehandelt, weil er sich auf dem Rückweg von der Arbeitsstätte ereignet habe. Der versicherte Weg sei erst abgeschlossen, wenn die Eingangstür passiert sei. Zum Unfallzeitpunkt sei ihre Handlungstendenz noch auf die Fortsetzung des versicherten Weges mit dem Ziel, ihr Haus zu erreichen, gerichtet gewesen. Entscheidend sei dieser objektivierte Zweck des Handelns.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 24.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2011 aufzuheben und festzustellen, dass sie am 17.01.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Ansicht fest und trägt vor, nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht mehr bei der versicherten Wegezurücklegung befunden, sondern bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit. Der Versuch, das zurückrollende Fahrzeug aufzuhalten, habe nicht mehr der Zurücklegung des Heimweges gedient, sondern sei von dem eigenwirtschaftlichen Interesse geprägt gewesen, mögliche Schäden zu verhindern. Mit dieser neuen Zielsetzung sei eine Änderung der Handlungstendenz eingetreten und damit eine Unterbrechung des versicherten Heimwegs. Insbesondere habe sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht mehr in Richtung ihrer Wohnung fortbewegt.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Unfallakte der Beklagten, der jeweils auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG –) zulässig (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG –, z. B. Urteil vom 27.04.2010, B 2 U 23/09 R, Rn. 9).
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 24.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2011 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig, weil die Klägerin am 17.01.2011 einen versicherten Arbeitsunfall erlitten hat. Die Tätigkeit der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls stand im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Heimweg und diese Tätigkeit war ursächlich für den Unfall und die dabei erlittene körperliche Schädigung.
Die Klägerin stand als Beschäftigte auf dem Weg von ihrem Arbeitsplatz nach Hause nach § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und sie hatte diesen versicherten Weg im Zeitpunkt des Unfalls nicht in rechtlich erheblicher Weise unterbrochen.
Die Annahme eines Arbeitsunfalls setzt in der Regel voraus, dass die Verrichtung des Versicherten zurzeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteil vom 04.09.2007, B 2 U 24/06 R, Rn. 9). Zu Unfällen auf Wegen hat das BSG ausgeführt, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit ist, die zu der eigentlichen versicherten Tätigkeit in einer mehr (z. B. bei Betriebswegen) oder weniger engen Beziehung (z. B. Weg zur Arbeit) steht, und dass die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen spezielle Probleme aufwirft. Daher seien bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs zwei Prüfungsschritte zu unterscheiden, nämlich zunächst die Zurechnung des Weges zu der grundsätzlich versicherten Tätigkeit im Hinblick darauf, ob es sich um einen Betriebsweg oder um einen anderen unter Versicherungsschutz stehenden Weg nach § 8 Abs. 2 SGB VII handelt, und, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, die Zurechnung der Verrichtung zurzeit des Unfalls zu diesem unter Versicherungsschutz stehenden Weg. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zurzeit des Unfalls sei die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen (bzw. der Wegezurücklegung) dienende Verrichtung ausüben wollte, wobei zu deren Beurteilung neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen sei (BSG, a.a.O., Rn. 11 f.).
Diese Voraussetzungen waren bei der Zurücklegung des Heimweges vom XY. Markt in XY-Stadt zum Wohnhaus der Klägerin in A-Stadt zweifelsfrei erfüllt und auch das Abstellen des Pkw in der vom Haus getrennten Garage sowie die damit zusammenhängenden Verrichtungen, also das Aussteigen aus dem Pkw, das Öffnen des Garagentores und das von der Klägerin geplante anschließende Einstellen des Pkw in die Garage sowie der Weg von der Garage bis zur Haustür standen bzw. hätten im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden.
Zwischen den Beteiligten streitig ist somit lediglich, ob die Klägerin auch bei der letztlich zum Unfall führenden Tätigkeit, nämlich dem Versuch, in das zurückrollende Fahrzeug hineinzugelangen, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Denn der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz entfallen, wenn der Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen wird. Entscheidend hierfür ist die Änderung der Handlungstendenz weg von der Zurücklegung des durch die versicherte Tätigkeit veranlassten Weges hin zu einer dem unversicherten privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtung. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Zäsur oder eine Abweichung vom direkten Weg nicht als Unterbrechung im Rechtssinne zu werten ist, wenn sie keine in der Privatsphäre des Versicherten begründeten Ursachen hat, sondern weiterhin der Zurücklegung des versicherten Weges dienen soll (BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 39/06 R, Rn. 10).
So verhält es sich im Fall der Klägerin. Die sich der Klägerin darstellende Situation als sie sich nach dem Öffnen des Garagentors umdrehte und sah, wie sich ihr Pkw den Hang hinabrollend in Bewegung setzte, stellte zwar im Verhältnis zum üblichen Vorgehen beim Einstellen des Pkw in die Garage eine Abweichung dar, die von der Klägerin infolgedessen vorgenommene Handlung hatte jedoch keine in ihrer Privatsphäre begründeten Ursachen, sondern ihre Handlungstendenz war weiterhin darauf gerichtet, die mit dem Abstellen das Pkw in der Garage verbundenen Verrichtungen fortzusetzen, nämlich das Fahrzeug anzuhalten und dann in die Garage zu fahren. Diese Situation ist vergleichbar mit der Situation eines Versicherten, der seinen Heimweg mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, das Fahrrad vor der Garage oder dem Fahrradabstellraum abstellt, um die Tür zu öffnen, das Fahrrad umkippt und der Versicherte sich beim Wiederaufstellen des Fahrrades z. B. am verrosteten Schutzblech verletzt. Auch hierbei ist das Wiederaufstellen des Fahrrades notwendige Voraussetzung, um es anschließend in die Garage oder den Abstellraum schieben zu können, und erfolgt mit der Handlungstendenz, den versicherten Heimweg abzuschließen.
Soweit die Beklagte annimmt, im Zeitpunkt des Unfalls sei eine Änderung der Handlungstendenz der Klägerin erfolgt, geprägt von dem eigenwirtschaftlichen Interesse, mögliche Schäden am Pkw zu verhindern, so vermag die Kammer dieser Beurteilung nicht zu folgen. Allenfalls könnte insoweit von einer Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz bzw. mit gemischter Motivationslage gesprochen werden, also von einer Verrichtung mit sowohl privatwirtschaftlicher als auch betrieblicher Handlungstendenz. Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage steht dann im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Es ist in diesen Fällen zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 14/10 R, Rn. 23 f.).
Auch wenn hinsichtlich der unmittelbar zum Unfall führenden Handlungsweise der Klägerin zu der Absicht, das Fahrzeug in die Garage zu fahren, eine weitere Absicht, nämlich ihr Fahrzeug vor einer drohenden Beschädigung zu bewahren, hinzugetreten sein mag, so stand das Herumlaufen um die geöffnete Fahrertür, um in das Fahrzeug hineinzugelangen, nach Beurteilung der Kammer gleichwohl im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Heimweg. Denn selbst wenn die private Motivation hinweggedacht wird, war es, nachdem sich das Fahrzeug zurückrollend von der Garage entfernte, erforderlich, das Fahrzeug anzuhalten, um es anschließend in die Garage zu fahren. Eine grundsätzliche Änderung der auf die Wegezurücklegung bezogenen Handlungstendenz ist somit nicht eingetreten. Dies unterscheidet den hier zu entscheidenden Fall von den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen ein grundsätzlich versicherter Weg z. B. durch einen mit dem Verlassen des Fahrzeugs verbundenen privaten Einkauf oder das Wenden des Fahrzeugs, um wegen des vorangegangenen Unfalls Regulierungsgespräche zu führen (BSG, Urteil vom 09.12.2003, B 2 U 23/03 R, und Urteil vom 17.02.2009, B 2 U 26/07 R), mehr als geringfügig unterbrochen wird und wegen der damit verbundenen Änderung der Handlungstendenz der sachliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vorübergehend oder endgültig entfällt.
Da eine mehr als geringfügige Unterbrechung des Heimweges somit nicht festzustellen ist, stand die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls und mit der dabei ausgeführten Handlung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Da diese Handlung ferner ursächlich für den Unfall und die dabei erlittene körperliche Schädigung war, hat die Klägerin einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes erlitten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin am 17.01.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall.
Am 17.01.2011 kehrte die Klägerin von ihrer Arbeitsstelle im XY. Markt in XY-Stadt nach Hause zurück. Sie stellte ihren Pkw vor der oberhalb eines Hangs stehenden Garage ab, zog die Handbremse an und stieg aus, um das Garagentor zu öffnen, wobei sie die Fahrertür offenstehen ließ. Nachdem die Klägerin das Garagentor geöffnet hatte, drehte sie sich um und sah, dass sich ihr Pkw rückwärtsrollend in Bewegung setzte. Sie versuchte, das rollende Fahrzeug aufzuhalten, indem sie um die geöffnete Fahrertür herumlief, um in das Auto zu gelangen. Dabei erhielt sie von der Fahrertür einen Schlag ins Gesicht und stürzte, sodass anschließend der Pkw ihr linkes Bein überrollte. Die Klägerin erlitt dabei multiple Prellungen am linken Knie, linken Unterschenkel und linken oberen Sprunggelenk sowie multiple Schürfwunden am Unterkiefer links (Durchgangsarztbericht vom 18.01.2011, Blatt 1-1 Unfallakte).
Mit Bescheid vom 24.02.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 17.01.2011 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe im Zeitpunkt des Unfalls ihren versicherten Heimweg unterbrochen gehabt, um eigenwirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, nämlich ihren privaten Pkw vor einem Schaden zu bewahren. Die Fortbewegung zum Unfallzeitpunkt habe nicht dazu gedient, den versicherten Weg fortzusetzen, also das Fahrzeug in die Garage zu fahren. Die Klägerin habe somit im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2011, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 48-1 bis 48-2 der Unfallakte Bezug genommen wird, zurück, weil auch nach Auffassung des Widerspruchsausschusses ein versicherter Wegeunfall nicht vorgelegen habe, denn die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt ihrem privaten Pkw hinterher gelaufen und habe sich daher nicht mehr auf einem versicherungsrechtlich geschützten Weg befunden.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.05.2011 Klage erhoben und zur Begründung die Ansicht vertreten, bei dem Unfall habe es sich um einen Wegeunfall gehandelt, weil er sich auf dem Rückweg von der Arbeitsstätte ereignet habe. Der versicherte Weg sei erst abgeschlossen, wenn die Eingangstür passiert sei. Zum Unfallzeitpunkt sei ihre Handlungstendenz noch auf die Fortsetzung des versicherten Weges mit dem Ziel, ihr Haus zu erreichen, gerichtet gewesen. Entscheidend sei dieser objektivierte Zweck des Handelns.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 24.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2011 aufzuheben und festzustellen, dass sie am 17.01.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Ansicht fest und trägt vor, nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht mehr bei der versicherten Wegezurücklegung befunden, sondern bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit. Der Versuch, das zurückrollende Fahrzeug aufzuhalten, habe nicht mehr der Zurücklegung des Heimweges gedient, sondern sei von dem eigenwirtschaftlichen Interesse geprägt gewesen, mögliche Schäden zu verhindern. Mit dieser neuen Zielsetzung sei eine Änderung der Handlungstendenz eingetreten und damit eine Unterbrechung des versicherten Heimwegs. Insbesondere habe sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht mehr in Richtung ihrer Wohnung fortbewegt.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Unfallakte der Beklagten, der jeweils auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG –) zulässig (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG –, z. B. Urteil vom 27.04.2010, B 2 U 23/09 R, Rn. 9).
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 24.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2011 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig, weil die Klägerin am 17.01.2011 einen versicherten Arbeitsunfall erlitten hat. Die Tätigkeit der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls stand im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Heimweg und diese Tätigkeit war ursächlich für den Unfall und die dabei erlittene körperliche Schädigung.
Die Klägerin stand als Beschäftigte auf dem Weg von ihrem Arbeitsplatz nach Hause nach § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und sie hatte diesen versicherten Weg im Zeitpunkt des Unfalls nicht in rechtlich erheblicher Weise unterbrochen.
Die Annahme eines Arbeitsunfalls setzt in der Regel voraus, dass die Verrichtung des Versicherten zurzeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteil vom 04.09.2007, B 2 U 24/06 R, Rn. 9). Zu Unfällen auf Wegen hat das BSG ausgeführt, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit ist, die zu der eigentlichen versicherten Tätigkeit in einer mehr (z. B. bei Betriebswegen) oder weniger engen Beziehung (z. B. Weg zur Arbeit) steht, und dass die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen spezielle Probleme aufwirft. Daher seien bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs zwei Prüfungsschritte zu unterscheiden, nämlich zunächst die Zurechnung des Weges zu der grundsätzlich versicherten Tätigkeit im Hinblick darauf, ob es sich um einen Betriebsweg oder um einen anderen unter Versicherungsschutz stehenden Weg nach § 8 Abs. 2 SGB VII handelt, und, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, die Zurechnung der Verrichtung zurzeit des Unfalls zu diesem unter Versicherungsschutz stehenden Weg. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zurzeit des Unfalls sei die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen (bzw. der Wegezurücklegung) dienende Verrichtung ausüben wollte, wobei zu deren Beurteilung neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen sei (BSG, a.a.O., Rn. 11 f.).
Diese Voraussetzungen waren bei der Zurücklegung des Heimweges vom XY. Markt in XY-Stadt zum Wohnhaus der Klägerin in A-Stadt zweifelsfrei erfüllt und auch das Abstellen des Pkw in der vom Haus getrennten Garage sowie die damit zusammenhängenden Verrichtungen, also das Aussteigen aus dem Pkw, das Öffnen des Garagentores und das von der Klägerin geplante anschließende Einstellen des Pkw in die Garage sowie der Weg von der Garage bis zur Haustür standen bzw. hätten im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden.
Zwischen den Beteiligten streitig ist somit lediglich, ob die Klägerin auch bei der letztlich zum Unfall führenden Tätigkeit, nämlich dem Versuch, in das zurückrollende Fahrzeug hineinzugelangen, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Denn der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz entfallen, wenn der Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen wird. Entscheidend hierfür ist die Änderung der Handlungstendenz weg von der Zurücklegung des durch die versicherte Tätigkeit veranlassten Weges hin zu einer dem unversicherten privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtung. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Zäsur oder eine Abweichung vom direkten Weg nicht als Unterbrechung im Rechtssinne zu werten ist, wenn sie keine in der Privatsphäre des Versicherten begründeten Ursachen hat, sondern weiterhin der Zurücklegung des versicherten Weges dienen soll (BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 39/06 R, Rn. 10).
So verhält es sich im Fall der Klägerin. Die sich der Klägerin darstellende Situation als sie sich nach dem Öffnen des Garagentors umdrehte und sah, wie sich ihr Pkw den Hang hinabrollend in Bewegung setzte, stellte zwar im Verhältnis zum üblichen Vorgehen beim Einstellen des Pkw in die Garage eine Abweichung dar, die von der Klägerin infolgedessen vorgenommene Handlung hatte jedoch keine in ihrer Privatsphäre begründeten Ursachen, sondern ihre Handlungstendenz war weiterhin darauf gerichtet, die mit dem Abstellen das Pkw in der Garage verbundenen Verrichtungen fortzusetzen, nämlich das Fahrzeug anzuhalten und dann in die Garage zu fahren. Diese Situation ist vergleichbar mit der Situation eines Versicherten, der seinen Heimweg mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, das Fahrrad vor der Garage oder dem Fahrradabstellraum abstellt, um die Tür zu öffnen, das Fahrrad umkippt und der Versicherte sich beim Wiederaufstellen des Fahrrades z. B. am verrosteten Schutzblech verletzt. Auch hierbei ist das Wiederaufstellen des Fahrrades notwendige Voraussetzung, um es anschließend in die Garage oder den Abstellraum schieben zu können, und erfolgt mit der Handlungstendenz, den versicherten Heimweg abzuschließen.
Soweit die Beklagte annimmt, im Zeitpunkt des Unfalls sei eine Änderung der Handlungstendenz der Klägerin erfolgt, geprägt von dem eigenwirtschaftlichen Interesse, mögliche Schäden am Pkw zu verhindern, so vermag die Kammer dieser Beurteilung nicht zu folgen. Allenfalls könnte insoweit von einer Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz bzw. mit gemischter Motivationslage gesprochen werden, also von einer Verrichtung mit sowohl privatwirtschaftlicher als auch betrieblicher Handlungstendenz. Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage steht dann im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Es ist in diesen Fällen zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 14/10 R, Rn. 23 f.).
Auch wenn hinsichtlich der unmittelbar zum Unfall führenden Handlungsweise der Klägerin zu der Absicht, das Fahrzeug in die Garage zu fahren, eine weitere Absicht, nämlich ihr Fahrzeug vor einer drohenden Beschädigung zu bewahren, hinzugetreten sein mag, so stand das Herumlaufen um die geöffnete Fahrertür, um in das Fahrzeug hineinzugelangen, nach Beurteilung der Kammer gleichwohl im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Heimweg. Denn selbst wenn die private Motivation hinweggedacht wird, war es, nachdem sich das Fahrzeug zurückrollend von der Garage entfernte, erforderlich, das Fahrzeug anzuhalten, um es anschließend in die Garage zu fahren. Eine grundsätzliche Änderung der auf die Wegezurücklegung bezogenen Handlungstendenz ist somit nicht eingetreten. Dies unterscheidet den hier zu entscheidenden Fall von den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen ein grundsätzlich versicherter Weg z. B. durch einen mit dem Verlassen des Fahrzeugs verbundenen privaten Einkauf oder das Wenden des Fahrzeugs, um wegen des vorangegangenen Unfalls Regulierungsgespräche zu führen (BSG, Urteil vom 09.12.2003, B 2 U 23/03 R, und Urteil vom 17.02.2009, B 2 U 26/07 R), mehr als geringfügig unterbrochen wird und wegen der damit verbundenen Änderung der Handlungstendenz der sachliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vorübergehend oder endgültig entfällt.
Da eine mehr als geringfügige Unterbrechung des Heimweges somit nicht festzustellen ist, stand die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls und mit der dabei ausgeführten Handlung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Da diese Handlung ferner ursächlich für den Unfall und die dabei erlittene körperliche Schädigung war, hat die Klägerin einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes erlitten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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