Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
31
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 31 SB 194/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gesichtspunkte der Ermessensentscheidung nach § 193 SGG sind die Erfolgsaussichten der Klage und das sog. Veranlassungsprinzip sein. Im Rahmen der Prüfung des Veranlassungsprinzips kann relevant sein, ob die Versorgungsverwaltung einer eingetretenen Verschlechterung umgehend Rechnung getragen hat oder ob bei Eintritt einer Verzögerung eine Erinnerung seitens des Gerichts erforderlich war.
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 10 % zu erstatten.
Gründe:
Der zulässige Antrag auf Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers durch den Beklagten ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet, auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung der Kostentragung erfolgt nach billigem Ermessen. Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG enthält bei einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage zugleich eine Entscheidung über die Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X (vgl. LSG München, Beschluss vom 31.01.2013, Az.: L 7 AS 883/13 B PKH).
Grundsätzlich hat das Gericht zur Ausfüllung des Begriffs des "billigen Ermessens" im konkreten Einzelfall den gesamten bisherigen Sach- und Streitstand zu bewerten. Dabei kommt im Wesentlichen den Bewertungskriterien der Erfolgsaussicht der Klage sowie des sog. "Veranlassungsprinzips" Bedeutung zu (Leitherer in Meyer-Ladewig, § 193 Rn. 12a f.).
Es ist ferner zu berücksichtigen, dass grundsätzlich keine Kosten seitens einer Behörde zu erstatten sind, sofern die Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen erst nach Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind und die Behörde der neuen Sachlage umgehend durch ein Anerkenntnis oder ein Vergleichsangebot Rechnung trägt. Dies gilt ausdrücklich auch, wenn bei der Maßgeblichkeit eines medizinischen Sachverhalts der Kläger auf Grund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes quasi in den begehrten Anspruch hineinwächst, denn in einem solchen Fall war ein gerichtliches Verfahren nicht veranlasst und der Betroffene hätte den Anspruch vorrangig durch ein kostenfreies behördliches Neufeststellungsverfahren geltend machen können. Aus der umgehenden Reaktion des Prozessgegners wird vielmehr deutlich, dass es eines gerichtlichen Verfahrens nicht bedurft hätte (vgl. Gutzler in Roos/Wahrendorf, 1. Auflage 2014, § 193 Rn. 32).
Dabei gelten die §§ 91 – 107 ZPO grundsätzlich nicht unmittelbar, wobei die sozialgerichtliche Rechtsprechung verschiedene Grundsätze der Zivilprozessordnung zur Bestimmung des billigen Ermessens heranzieht (Leitherer in Meyer-Ladewig, Vor § 183 Rn. 14f.). Hinsichtlich der Anwendung des Rechtsgedanken des § 93 ZPO ist streitig, ob eine Anwendung bei sofortigen Anerkenntnis in Betracht kommt (vgl. Roos, SGb 1995, S. 333 – 335; Roos, Anmerkung zu LSG NRW, Beschluss vom 21.03.1996, Az.: L 18 SJ 7/95, in SGb 1996, S. 674 – 675; a. A. Knickrehm, SGb 1996, S. 650 – 653); das erkennende Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass die Grundsätze jedenfalls entsprechend anwendbar sind (somit entgegen Hessischen Landessozialgericht, Beschluss vom 07.02.2003, Az: L 12 B 93/02 RJ; ebenfalls den Gedanken des § 93 ZPO für anwendbar haltend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 1996, Az.: L 18 SJ 7/95).
Die Beteiligten stritten sich um die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Einen entsprechenden Abänderungsantrag hatte der Beklagte abgelehnt (Bescheid vom 28.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 04.05.2016). Während des Klageverfahrens erlitt der Kläger am 04.09.2016 einen Schlaganfall. Das Sozialgericht bat nach Einreichung des ärztlichen Berichts um Stellungnahme des Beklagten (Schreiben vom 21.09.2016). Mit Schreiben vom 13.10.2016 reichte der Prozessbevollmächtigte einen weiteren ärztlichen Bericht ein, welche das Sozialgericht mit Schreiben vom 14.10.2016, abgesandt am 20.10.2016, mit Fristsetzung zur Stellungnahme innerhalb von vier Wochen an den Beklagten versandete. Eine weitere Erinnerung erfolgte durch gerichtliches Schreiben vom 17.11.2016. Eine Reaktion des Beklagten erfolgte erst durch Bescheid vom 21.11.2016, dem Sozialgericht am 22.11.2016 übermittelt (Anerkennung eines GdB von 80 sowie des Merkzeichens "G").
Der Kläger hatte vorher allerdings als Klageziel einen Grad der Behinderung von 100 ausgegeben (Schreiben vom 29.06.2016). Weiterhin begehrte er neben dem Merkzeichen "G" die Merkzeichen "B" und "RF" (Schreiben vom 13.10.2016).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens "G" erst durch den Schlaganfall eingetreten. Entgegen der Klagebegründung lagen vorher nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vor.
Ein behinderter Mensch ist infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken.
Die bei dem Kläger vorliegenden funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Hüfte und des Knies sowie der unteren Gliedmaßen erreichen nicht einen Teil-Grad der Behinderung von 50 für dieses Funktionssystem. Ausweislich des ärztlichen Befundberichts vom 18.02.2016 sind die Hüftgelenke frei beweglich und die Kniegelenke bis über 120 Grad flektierbar bei freier Streckung. Zudem bestand bei dem Kläger trotz der geklagten Gleichgewichtsstörung ein sicherer, mittelschrittiger Gang ohne nennenswertes Hinken oder Lateropulsion. Auch aus dem ärztlichen Befundbericht vom 23.06.2016 ergeben sich keine ausreichenden funktionellen Einschränkungen. Danach bestand bei der linken Hüfte lediglich eine Bewegungseinschränkung geringen Grades (0-0-90). Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten – geäußert im Schriftsatz vom 29.06.2016 – ergeben sich daraus weder ein Einzel-GdB von 30 bezüglich der Hüftgelenksarthrose noch ein Einzel-GdB von 40 für die Kniegelenksarthrose, sodass keine solche funktionelle Beeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die an sich bereits einen GdB von 50 bedingen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die objektiv vorliegenden orthopädische Leiden sich besonders auf die Gehfähigkeit ausgewirkt haben. Bei dem Kläger lag zwar Taubheit rechts sowie eine mittelgradige Schwerhörigkeit links mit Gleichgewichtsstörungen vor; allerdings sieht die Versorgungsmedizin-Verordnung das Innehaben des Merkzeichens "G" bei Erwachsenen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit kombiniert mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion vor. Eine solche erhebliche Störung der Ausgleichsfunktion war bei dem Kläger jedoch nicht gegeben.
Insofern ist festzustellen, dass der Kläger lediglich im Klageverfahren mit 1/3 bei dem Grad der Behinderung und einem 1/3 bei den erstrittenen Merkzeichen erfolgreich war. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass vorher die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Verleihung des Merkzeichens "G" nicht vorlagen. Es ist weiterhin festzustellen, dass die bei dem Kläger auftretende nachteilige Veränderung im Klageverfahren durch einen Neufeststellungsantrag hätte geltend gemacht werden können. Ein umgehendes Anerkenntnis oder Vergleichsangebot seitens der Behörde ist vorliegend allerdings nicht erfolgt, da seitens des Gerichts eine Erinnerung an die erbetene Stellungnahme erfolgen musste. Das Gericht ist insofern der Auffassung, dass bei medizinischen Sachverhalten ein sofortiges Anerkenntnis nur vorliegt, sofern dieses innerhalb von maximal sechs Wochen nach Übersendung des neuen ärztlichen Befundberichts abgegeben wird. Das erkennende Gericht bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05. In dieser Entscheidung hat das oberste Zivilgericht zum sofortigen Anerkenntnis ausgeführt, dass ein solches sogar dann vorliegt, wenn es erst innerhalb der Klageerwiderungsfrist abgegeben wird. Es müsse gerade nicht innerhalb der Frist zur Verteidigungsanzeige abgegeben werden. Das erkennende Gericht liest aus der Entscheidung zudem heraus, dass sogar dann ein sofortiges Anerkenntnis vorliegen soll, wenn die im Zivilverfahren verklagte Partei die Frist zur Klageerwiderung verlängern lässt und innerhalb der verlängerten Klageerwiderungsfrist ein Anerkenntnis abgibt (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05 – juris – Rn. 22, 24; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 23. November 2000 – L 10 B 10/00 SB). Diese Grundsätze lassen sich sicherlich ungeachtet der zivilrechtlichen Besonderheiten nicht eins zu eins auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen. Jedoch ist bei Berücksichtigung des Rechtsgedanken des sofortigen Anerkenntnisses zu berücksichtigen, ob eine Erinnerung an den Beklagten an eine Stellungnahme erfolgen musste oder das Anerkenntnis umgehend erfolgte.
Der mit Schreiben vom 20.09.2016 übersandte ärztliche Befundbericht führte vorliegend erst am 21.11.2016 zu einem Anerkenntnis des Beklagten bezüglich des Merkzeichens "G" sowie der Feststellung eines Grads der Behinderung von 80. Damit ist damit einerseits zu berücksichtigen, dass selbst bei Berücksichtigung von Postlaufzeiten ein Teilanerkenntnis erst nach acht Wochen abgegeben wurde. Zudem musste der Beklagte zweifach an die erbetene Stellungnahme erinnert werden. Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte auch bei Stellung eines Neufeststellungsantrages nicht umgehend das Merkzeichen "G" und einen GdB von 80 anerkannt, sodass es durchaus eines gerichtlichen Verfahrens bedurft hätte.
Vor diesem Hintergrund hält das Gericht eine Kostentragungspflicht des Beklagten von 10 % für angemessen, da die Frist von sechs Wochen vorliegend nur geringfügig überschritten wurde und die wesentliche Veränderung erst während des Klageverfahrens eingetreten ist.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
Gründe:
Der zulässige Antrag auf Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers durch den Beklagten ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet, auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung der Kostentragung erfolgt nach billigem Ermessen. Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG enthält bei einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage zugleich eine Entscheidung über die Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X (vgl. LSG München, Beschluss vom 31.01.2013, Az.: L 7 AS 883/13 B PKH).
Grundsätzlich hat das Gericht zur Ausfüllung des Begriffs des "billigen Ermessens" im konkreten Einzelfall den gesamten bisherigen Sach- und Streitstand zu bewerten. Dabei kommt im Wesentlichen den Bewertungskriterien der Erfolgsaussicht der Klage sowie des sog. "Veranlassungsprinzips" Bedeutung zu (Leitherer in Meyer-Ladewig, § 193 Rn. 12a f.).
Es ist ferner zu berücksichtigen, dass grundsätzlich keine Kosten seitens einer Behörde zu erstatten sind, sofern die Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen erst nach Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind und die Behörde der neuen Sachlage umgehend durch ein Anerkenntnis oder ein Vergleichsangebot Rechnung trägt. Dies gilt ausdrücklich auch, wenn bei der Maßgeblichkeit eines medizinischen Sachverhalts der Kläger auf Grund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes quasi in den begehrten Anspruch hineinwächst, denn in einem solchen Fall war ein gerichtliches Verfahren nicht veranlasst und der Betroffene hätte den Anspruch vorrangig durch ein kostenfreies behördliches Neufeststellungsverfahren geltend machen können. Aus der umgehenden Reaktion des Prozessgegners wird vielmehr deutlich, dass es eines gerichtlichen Verfahrens nicht bedurft hätte (vgl. Gutzler in Roos/Wahrendorf, 1. Auflage 2014, § 193 Rn. 32).
Dabei gelten die §§ 91 – 107 ZPO grundsätzlich nicht unmittelbar, wobei die sozialgerichtliche Rechtsprechung verschiedene Grundsätze der Zivilprozessordnung zur Bestimmung des billigen Ermessens heranzieht (Leitherer in Meyer-Ladewig, Vor § 183 Rn. 14f.). Hinsichtlich der Anwendung des Rechtsgedanken des § 93 ZPO ist streitig, ob eine Anwendung bei sofortigen Anerkenntnis in Betracht kommt (vgl. Roos, SGb 1995, S. 333 – 335; Roos, Anmerkung zu LSG NRW, Beschluss vom 21.03.1996, Az.: L 18 SJ 7/95, in SGb 1996, S. 674 – 675; a. A. Knickrehm, SGb 1996, S. 650 – 653); das erkennende Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass die Grundsätze jedenfalls entsprechend anwendbar sind (somit entgegen Hessischen Landessozialgericht, Beschluss vom 07.02.2003, Az: L 12 B 93/02 RJ; ebenfalls den Gedanken des § 93 ZPO für anwendbar haltend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 1996, Az.: L 18 SJ 7/95).
Die Beteiligten stritten sich um die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Einen entsprechenden Abänderungsantrag hatte der Beklagte abgelehnt (Bescheid vom 28.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 04.05.2016). Während des Klageverfahrens erlitt der Kläger am 04.09.2016 einen Schlaganfall. Das Sozialgericht bat nach Einreichung des ärztlichen Berichts um Stellungnahme des Beklagten (Schreiben vom 21.09.2016). Mit Schreiben vom 13.10.2016 reichte der Prozessbevollmächtigte einen weiteren ärztlichen Bericht ein, welche das Sozialgericht mit Schreiben vom 14.10.2016, abgesandt am 20.10.2016, mit Fristsetzung zur Stellungnahme innerhalb von vier Wochen an den Beklagten versandete. Eine weitere Erinnerung erfolgte durch gerichtliches Schreiben vom 17.11.2016. Eine Reaktion des Beklagten erfolgte erst durch Bescheid vom 21.11.2016, dem Sozialgericht am 22.11.2016 übermittelt (Anerkennung eines GdB von 80 sowie des Merkzeichens "G").
Der Kläger hatte vorher allerdings als Klageziel einen Grad der Behinderung von 100 ausgegeben (Schreiben vom 29.06.2016). Weiterhin begehrte er neben dem Merkzeichen "G" die Merkzeichen "B" und "RF" (Schreiben vom 13.10.2016).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens "G" erst durch den Schlaganfall eingetreten. Entgegen der Klagebegründung lagen vorher nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vor.
Ein behinderter Mensch ist infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken.
Die bei dem Kläger vorliegenden funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Hüfte und des Knies sowie der unteren Gliedmaßen erreichen nicht einen Teil-Grad der Behinderung von 50 für dieses Funktionssystem. Ausweislich des ärztlichen Befundberichts vom 18.02.2016 sind die Hüftgelenke frei beweglich und die Kniegelenke bis über 120 Grad flektierbar bei freier Streckung. Zudem bestand bei dem Kläger trotz der geklagten Gleichgewichtsstörung ein sicherer, mittelschrittiger Gang ohne nennenswertes Hinken oder Lateropulsion. Auch aus dem ärztlichen Befundbericht vom 23.06.2016 ergeben sich keine ausreichenden funktionellen Einschränkungen. Danach bestand bei der linken Hüfte lediglich eine Bewegungseinschränkung geringen Grades (0-0-90). Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten – geäußert im Schriftsatz vom 29.06.2016 – ergeben sich daraus weder ein Einzel-GdB von 30 bezüglich der Hüftgelenksarthrose noch ein Einzel-GdB von 40 für die Kniegelenksarthrose, sodass keine solche funktionelle Beeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die an sich bereits einen GdB von 50 bedingen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die objektiv vorliegenden orthopädische Leiden sich besonders auf die Gehfähigkeit ausgewirkt haben. Bei dem Kläger lag zwar Taubheit rechts sowie eine mittelgradige Schwerhörigkeit links mit Gleichgewichtsstörungen vor; allerdings sieht die Versorgungsmedizin-Verordnung das Innehaben des Merkzeichens "G" bei Erwachsenen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit kombiniert mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion vor. Eine solche erhebliche Störung der Ausgleichsfunktion war bei dem Kläger jedoch nicht gegeben.
Insofern ist festzustellen, dass der Kläger lediglich im Klageverfahren mit 1/3 bei dem Grad der Behinderung und einem 1/3 bei den erstrittenen Merkzeichen erfolgreich war. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass vorher die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Verleihung des Merkzeichens "G" nicht vorlagen. Es ist weiterhin festzustellen, dass die bei dem Kläger auftretende nachteilige Veränderung im Klageverfahren durch einen Neufeststellungsantrag hätte geltend gemacht werden können. Ein umgehendes Anerkenntnis oder Vergleichsangebot seitens der Behörde ist vorliegend allerdings nicht erfolgt, da seitens des Gerichts eine Erinnerung an die erbetene Stellungnahme erfolgen musste. Das Gericht ist insofern der Auffassung, dass bei medizinischen Sachverhalten ein sofortiges Anerkenntnis nur vorliegt, sofern dieses innerhalb von maximal sechs Wochen nach Übersendung des neuen ärztlichen Befundberichts abgegeben wird. Das erkennende Gericht bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05. In dieser Entscheidung hat das oberste Zivilgericht zum sofortigen Anerkenntnis ausgeführt, dass ein solches sogar dann vorliegt, wenn es erst innerhalb der Klageerwiderungsfrist abgegeben wird. Es müsse gerade nicht innerhalb der Frist zur Verteidigungsanzeige abgegeben werden. Das erkennende Gericht liest aus der Entscheidung zudem heraus, dass sogar dann ein sofortiges Anerkenntnis vorliegen soll, wenn die im Zivilverfahren verklagte Partei die Frist zur Klageerwiderung verlängern lässt und innerhalb der verlängerten Klageerwiderungsfrist ein Anerkenntnis abgibt (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05 – juris – Rn. 22, 24; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 23. November 2000 – L 10 B 10/00 SB). Diese Grundsätze lassen sich sicherlich ungeachtet der zivilrechtlichen Besonderheiten nicht eins zu eins auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen. Jedoch ist bei Berücksichtigung des Rechtsgedanken des sofortigen Anerkenntnisses zu berücksichtigen, ob eine Erinnerung an den Beklagten an eine Stellungnahme erfolgen musste oder das Anerkenntnis umgehend erfolgte.
Der mit Schreiben vom 20.09.2016 übersandte ärztliche Befundbericht führte vorliegend erst am 21.11.2016 zu einem Anerkenntnis des Beklagten bezüglich des Merkzeichens "G" sowie der Feststellung eines Grads der Behinderung von 80. Damit ist damit einerseits zu berücksichtigen, dass selbst bei Berücksichtigung von Postlaufzeiten ein Teilanerkenntnis erst nach acht Wochen abgegeben wurde. Zudem musste der Beklagte zweifach an die erbetene Stellungnahme erinnert werden. Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte auch bei Stellung eines Neufeststellungsantrages nicht umgehend das Merkzeichen "G" und einen GdB von 80 anerkannt, sodass es durchaus eines gerichtlichen Verfahrens bedurft hätte.
Vor diesem Hintergrund hält das Gericht eine Kostentragungspflicht des Beklagten von 10 % für angemessen, da die Frist von sechs Wochen vorliegend nur geringfügig überschritten wurde und die wesentliche Veränderung erst während des Klageverfahrens eingetreten ist.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
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