S 7 AY 1/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 7 AY 1/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 2/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AY 4/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.07.2009 bis 17.01.2011 Leistungen nach § 2 AsylblG zu bewilligen und die Differenz zu den bislang gezahlten Leistungen für diesen Zeitraum auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X.

Der 1976 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Im Herbst 2002 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Das entsprechende Asylverfahren blieb erfolglos. Die Ablehnung des Asylantrages und die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2-7 AufenthG nicht vorliegen, wurde mit Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30.10.2006 rechtskräftig.

Der Beklagte gewährte dem Kläger seit November 2002 bis einschließlich September 2005 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Ab dem 01.10.2005 wurden dem Kläger sodann so genannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG gewährt.

Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde Gießen dem Beklagten mit Schreiben vom 12.01.2007 mitgeteilt hatte, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Kläger nicht vollzogen werden könnten, da sich dieser weigere, an einer Passbeschaffung mitzuwirken, beschränkte der Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 21.02.2007 dessen Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.04.2007 erneut auf die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung einer weiteren Kürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2007 als unbegründet zurück. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen (Az. S 18 AY 9/07) wurde in der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2009 ein Vergleich mit folgendem Wortlaut geschlossen:

1. Der Beklagte ändert den Bescheid vom 27.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2007 ab und gewährt dem Kläger für den Zeitraum 01.04.2007 bis 31.08.2007 ungekürzte Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Ab dem 01.09.2007 bleibt es bei der in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung.

2. Der Beklagte wird diesen Betrag an den Kläger sobald als möglich auszahlen.

3. Der Rechtsstreit ist damit umfänglich erledigt.

Der Beklagte zahlte dem Kläger daraufhin einen Betrag in Höhe von 885,35 EUR für den Zeitraum April 2007 bis August 2007 aus und gewährte ab dem 01.09.2007 weiterhin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der oben genannten Kürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG.

Bereits am 26.05.2008 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.01.2009 abgelehnt wurde, woraufhin der Kläger am 23.01.2009 Klage zum Verwaltungsgericht Gießen erhob (Az.: 3 K 78/09.Gl.A).

Mit Schreiben vom 01.09.2009 teilte die Zentrale Ausländerbehörde bei dem Regierungspräsidium Gießen dem Kläger mit, dass dieser geduldet werde, da er nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Passersatzes sei und damit eine Ausreise zurzeit nicht möglich sei. Weiterhin forderte die Zentrale Ausländerbehörde den Kläger erneut auf, an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach.

Mit Urteil vom 07.10.2010 verpflichtete das Verwaltungsgericht Gießen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege. Soweit der Kläger mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten begehrte, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, verbunden mit einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festzustellen, wurde die Klage abgewiesen.

Nach Rechtskraft des vorgenannten Urteils stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.01.2011 das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes in Bezug auf die Islamische Republik Iran fest.

Seit dem 18.01.2011 erhält der Kläger Leistungen nach dem SGB II.

Bereits mit Schreiben vom 20.12.2010, bei dem Beklagten eingegangen am 21.12.2010, stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X mit dem Begehren, die Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ab dem 26.05.2008 aufzuheben und die vollen Leistungen nach § 2 AsylbLG rückwirkend auszuzahlen. Zur Begründung bezog sich der Kläger auf seinen Asylfolgeantrag vom 26.05.2008 und führte aus, dass mit dem vorgenannten Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 07.10.2010 festgestellt worden sei, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege und dementsprechend eine Leistungskürzung wegen nicht erfolgter Mitwirkung an der Passbeschaffung nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Mit Bescheid vom 10.08.2011 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 26.03.2007, 23.11.2008 und 22.02.2009 für die Zeit vom 26.05.2008 bis 30.09.2009 auf und bewilligte dem Kläger für diesen Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG mit der Folge, dass ein Betrag in Höhe von insgesamt 662,58 EUR an den Kläger erstattet wurde. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich der Kläger nach Stellung seines Asylfolgeantrages am 26.05.2008 wiederum im September 2009 geweigert habe, bei der Passersatzpapierbeschaffung mitzuwirken, so dass es ab Oktober 2009 bei der Kürzung nach § 1a AsylbLG verbleibe. Eine Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG komme nicht in Betracht, da durch die Stellung des Asylfolgeantrages ein neues Verfahren angestrebt worden sei, so dass ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG erst wieder nach 48 Monaten bestehen könne.

Den hierauf am 09.09.2011 erhobenen Widerspruch des Klägers, mit welchem dieser vortrug, dass die Forderung der Ausländerbehörde, an der Passbeschaffung mitzuwirken, aufgrund der im Iran für ihn nachweislich bestehenden Lebensgefahr unzumutbar gewesen sei, wies das Regierungspräsidium Gießen mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 als unbegründet zurück. Die Widerspruchsbehörde führte hierin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.06.2008 zu dem Aktenzeichen B 8/9b AY 1/07 R aus, dass der Kläger ab dem 26.05.2008 lediglich einen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gehabt habe, da die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG in der Fassung vom 19.08.2007 (gültig ab 28.08.2007), also die Bezugsfrist von 48 Monaten mit Leistungen nach § 3 AsylbLG unter Einschluss von Zeiten vor dem 28.08.2007, noch nicht erfüllt waren. Eine Bezugszeit von 48 Monaten von Leistungen nach § 3 AsylbLG komme zwar ab dem 01.07.2009 in Betracht, allerdings nur für den Fall, dass der Kläger die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe. Insoweit sei aber durch den vorgenannten Vergleich vom 16.06.2009 vor dem Sozialgericht Gießen rechtskräftig festgestellt worden, dass bereits vor Stellung des Asylfolgeantrages eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch den Kläger vorgelegen habe. Da schon ein möglicherweise einmaliges Fehlverhalten die fehlende Schutzbedürftigkeit des Ausländers bewirke, solange diesem kein Aufenthaltsrecht zustehe, entfalle eine erneute Überprüfung für die Zeit ab Stellung des Asylfolgeantrages am 26.05.2008 bzw. ab dem 19.02.2008.

Im Hinblick auf die Zeiten ab 01.10.2009 führte die Widerspruchsbehörde aus, dass insoweit die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG vorgelegen hätten. Der Kläger sei in diesem Zeitraum vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und sei damit dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Nr. 2 AsylbLG unterfallen. Daneben habe der Kläger auch durch ein ihm vorwerfbares Verhalten die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bewirkt. Ein abgelehnter Asylbewerber habe der Ausländerbehörde gem. §§ 15 AsylVfG, 48, 49 AufenthG auf Verlangen seinen Pass vorzulegen und auszuhändigen. Besitze er keinen Pass, habe er an der Pass- oder Passersatzbeschaffung bzw. an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Bis zur Feststellung des Abschiebeschutzes sei der Kläger demnach verpflichtet gewesen, sämtliche in seinem Besitz befindlichen Identitätsnachweise der Ausländerbehörde vorzulegen und an der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken. Durch die dem Kläger obliegenden Mitwirkungspflichten solle erreicht werden, dass nach negativem Abschluss des Asylverfahrens die Rückführung des Antragstellers nicht wegen seiner fehlenden Mitwirkung verzögert oder behindert werde. Durch die entsprechende Weigerung des Klägers, seinen Mitwirkungspflichten, welche während der gesamten Dauer des Asylverfahrens unabhängig von dessen Ausgang bestanden hätten, hätten durch die konsularische Vertretung des Iran letztlich keine Reisedokumente ausgestellt werden können. Weiterhin bestehe auch an der Verhältnismäßigkeit der Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG kein Zweifel, da die Maßnahme geeignet gewesen sei, den Druck auf den Kläger zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu erhöhen. Die Maßnahme sei daneben auch erforderlich gewesen, da mildere, aber gleich wirksame Mittel nicht in Betracht gekommen seien.

Mit seiner am 22.02.2012 zum Sozialgericht Fulda erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Kläger vertieft seine Ausführungen aus dem Vorverfahren und ist der Auffassung, für die Zeit vom 01.09.2007 bis 31.08.2008 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 3 AsylbLG und für den Zeitraum 01.09.2008 bis 17.01.2011 einen Anspruch auf Zahlung der Differenzbeträge zwischen Leistungen nach § 1a AsylbLG und den Leistungen nach § 2 AsylbLG zu haben.

Weiterhin beruft sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 zu den Aktenzeichen 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.09.2007 bis 31.08.2008 die Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 1a AsylblG und den Leistungen nach § 3 AsylblG und für den Zeitraum 01.09.2008 bis 17.01.2011 die Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 1a AsylblG und den Leistungen nach § 2 AsylblG zu zahlen

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung des Klageabweisungsantrages beruft sich der Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Weiterhin trägt der Beklagte im Hinblick auf das vorgenannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 vor, dass der Gesetzgeber durch das Gericht nicht dazu verpflichtet worden sei, die Leistungen für einen Zeitraum vor dem 01.01.2011 rückwirkend neu festzusetzen. Im Hinblick auf die durch das Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung für Zeiten ab dem 01.01.2011 bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers errechnete der Beklagte einen Nachzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 01.01.2011 bis 17.01.2011 in Höhe von 48,49 EUR und zahlte diesen Betrag mit Bescheid vom 08.11.2012 an den Kläger aus.

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, welcher (wie hier) bei durchgehender Bedürftigkeit auch im Hinblick auf Leistungen nach dem AsylbLG anwendbar ist (BSG, Urteil vom 09.06.2011 – B 8 AY 1/10 R, juris, Rn. 20) die Zahlung weiterer Leistungen nach dem AsylbLG für den Zeitraum 01.09.2007 bis 17.01.2011.

Die so verstandene Klage ist jedenfalls insoweit unzulässig, als Leistungen für die Zeit vor dem 26.05.2008 begehrt werden, da diese Zeiten nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Bescheide sind. Der Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 betrifft - entsprechend dem Antrag des Klägers vom 20.12.2010 - lediglich den Zeitraum ab dem 26.05.2008.

Darüber ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis insoweit unzulässig, als Leistungen für den Zeitraum 26.05.2008 bis 16.06.2009 begehrt werden. Dies folgt daraus, dass der Kläger im Termin der mündlichen Verhandlung bei dem Sozialgericht Gießen am 16.06.2009 im Rahmen des dort geschlossenen Vergleichs ausdrücklich erklärte, dass es für die Zeit ab dem 01.09.2007 bei der in den dort angefochtenen Bescheiden getroffenen Regelung bleibe, mithin bei der verfügten Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG. Dadurch, dass der Kläger mit seinem Antrag nach § 44 SGB X und mit der vorliegenden Klage den Zeitraum 01.09.2007 bis 16.06.2009 wiederum zur Überprüfung stellt, setzt er sich in Widerspruch zu seinem damaligen Verhalten im Termin der mündlichen Verhandlung, was die Kammer als rechtsmissbräuchlich wertet, zumal der Asylfolgeantrag zum damaligen Zeitpunkt bereits abgelehnt und Klage zum Verwaltungsgericht Gießen erhoben war. Die dem Vergleich vom 16.06.2009 zu Grunde liegende Sachlage betreffend den Zeitraum 01.09.2007 bis 16.06.2009 änderte sich demnach in der Folgezeit nicht mehr.

Darüber hinaus ist die Klage mit dem Begehren, für den Zeitraum bis zum 31.08.2008 ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren, auch aus dem Grund unzulässig, als diesem Begehren bereits durch den Bescheid vom 10.08.2011 entsprochen wurde.

Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber lediglich im tenorierten Umfang begründet. Der Bescheid vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als dem Kläger für den Zeitraum 01.07.2009 bis 17.01.2011 nicht die diesem zustehenden Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt wurden.

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

In Anbetracht des Umstandes, dass dem klägerischen Begehren im Hinblick auf den Zeitraum bis zum 31.08.2008 bereits durch den Bescheid vom 10.08.2011 vollumfänglich entsprochen wurde, war für das Gericht lediglich zu prüfen, ob für den Zeitraum 01.09.2008 bis 17.01.2011 ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG bestand.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. vom 19.08.2007,) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

In Anbetracht des Umstandes, dass vorliegend die in dem Zeitraum 01.10.2005 bis 31.08.2007 bezogenen Leistungen nach § 2 AsylbLG nicht zur Erfüllung der Vorbezugszeit im vorgenannten Sinne herangezogen werden können (BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, juris, Rn. 19), kann zunächst festgehalten werden, dass der Kläger am 01.09.2008 erst 35 Monate (01.11.2002 bis 30.09.2005) Vorbezugszeit erfüllte. Darüber hinaus kann festgehalten werden, dass vor dem Hintergrund des am 16.06.2009 vor dem Sozialgericht Gießen geschlossenen Vergleichs, verbunden mit der Klagerücknahme, soweit Zeiten ab dem 01.09.2007 betroffen waren, grundsätzlich auch eine Berücksichtigung der in dem Zeitraum 26.05.2008 bis 16.06.2009 erhaltenen Leistungen nach § 3 AsylbLG zur Berechnung der Bezugsfrist von 48 Monaten nicht in Betracht käme. Insoweit bleibt allerdings zu beachten, dass dem Kläger durch die teilweise Abhilfe mit Bescheid vom 10.08.2011 für den Zeitraum 26.05.2008 bis 30.09.2009 ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gewährt wurden mit der Folge, dass die Vorbezugszeit ab dem 01.07.2009 erfüllt war.

Die Kammer ist insoweit zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger die Dauer seines Aufenthalts auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hatte i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Hierzu kann zunächst festgehalten werden, dass die Ausführungen der Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid, wonach durch Abschluss des Vergleichs vom 16.06.2009 festgestellt worden sei, dass bereits vor Stellung des Asylfolgeantrages eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch den Kläger vorgelegen habe, nicht zwingend und so auch nicht zutreffend sind. Durch den Vergleich wurde lediglich klargestellt, dass es für den Zeitraum ab 01.09.2007 bei der verfügten Kürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG verbleibe. Das Tatbestandsmerkmal der rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ist nicht gleichzusetzen mit den Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG. Der Vorschrift des § 2 AsylbLG und damit dem - die Beeinflussung der Aufenthaltsdauer dienenden - Rechtsmissbrauch liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Demgegenüber genügt - anders als bei § 1a AsylbLG, nicht, dass die Dauer des Aufenthalts auf Gründen beruht, die in der Verantwortungssphäre des Hilfesuchenden liegen. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Der Ausländer soll danach von Analog-Leistungen ausgeschlossen sein, wenn die von § 2 AsylbLG vorgesehene Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der Ausländer darf sich also nicht auf einen Umstand (Aufenthaltsdauer von 36 bzw 48 Monaten mit Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG) berufen, den er selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG für dessen minderjährige Kinder so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, juris, Rn. 32 ff.).

Hierzu wird durch das Sächsische LSG (Beschluss vom 30.06.2011 – L 7 AY 8/10 B ER, juris, Rn. 32) vertreten, dass ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches sozialwidriges Verhalten in der verweigerten Mitwirkung bei der Beschaffung gültiger Reisedokumente gesehen werden kann. Durch das LSG NRW (Beschluss vom 31.03.2010 – L 20 B 3/09 AY ER, juris, Rn. 22) wird dagegen vertreten, dass der Umstand, dass sich ein Antragsteller über lange Zeit nicht um die Beschaffung von Passpapieren gekümmert hat, einer Leistungserbringung i.S.v. § 2 AsylbLG nicht entgegensteht und eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer dann nicht vorliegt, wenn der Antragsteller in der gesamten Zeit des Aufenthalts nicht hätte abgeschoben werden können.

Die Kammer ist vorliegend unter Berücksichtigung der gesamten besonderen Situation des Klägers zum damaligen Zeitpunkt zu der Einschätzung gelangt, dass dessen Weigerung, an der Beschaffung von Passpapieren mitzuwirken, zwar eine Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG rechtfertigte; dieses Verhalten kann jedoch im Hinblick auf die obigen strengen Voraussetzungen nicht als derart unredlich und von der Rechtsordnung zu missbilligend anerkannt werden, dass dadurch der gesamte Ausschluss von Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG gerechtfertigt wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass - wie auch durch das Verwaltungsgericht Gießen in dessen Urteil vom 07.10.2010 ausgeführt wurde - für den Kläger im Falle einer Rückkehr Lebensgefahr in seinem Herkunftsland bestanden hatte.

Nach alledem hatte der Kläger ab dem 01.07.2009 Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Ob - wie vom Beklagten vertreten - für die Zeit ab dem 01.10.2009 wiederum die Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG gegeben waren, bedarf keiner weiteren Ausführungen, da Analog-Leistungsberechtigte i.S.v. § 2 AsylbLG vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG ausgenommen sind (Oppermann in: jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG, Rn. 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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