S 15 SO 60/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 60/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger, vertreten durch dessen Betreuer, Akteneinsicht in die Verfahrensakte zu gewähren.

II. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist vorliegend, ob ein Anspruch des Klägers auf Einsicht in die beim Beklagten geführte Akte bezüglich der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), Kostenübernahme einer Werkstatt für Behinderte bezüglich des Klägers, besteht.

I.

Der Kläger war bis zum 07.08.2007 in der Werkstätte für geistig behinderte Menschen in H. Während dieser Zeit beantragte der Betreuer des Klägers mit Schreiben vom 10.01.2007 beim Beklagten einen Wechsel in die Werkstatt für Behinderte Menschen in S., da inzwischen die psychische Behinderung des Klägers in den Vordergrund getreten sei. Die Angelegenheit sei eilig und sollte in der nächsten Fachausschuss-Sitzung besprochen werden. Dem Antrag war eine fachärztliche Bescheinigung beigefügt.

In der Fachausschuss-Sitzung am 24.01.2007 wurde die Aufnahme des Klägers in S. nicht befürwortet, da nicht beurteilt werden könne, ob der Kläger wirklich seelisch behindert ist, weil er während einer Hospitation psychisch völlig unauffällig gewesen sei.

Aufgrund einer Anfrage des Beklagten vom 16.01.2007 erstattete der Landesarzt für geistige und seelische Behinderte, Professor Dr. J. unter dem 12.06.2007 ein Gutachten. Im Ergebnis wurde der Wechsel in die Werkstatt für seelisch behinderte Menschen nach S. als sinnvoll und notwendig erachtet.

In der Fachausschuss-Sitzung am 12.07.2007 wandte sich die Werkstätte für behinderte Menschen S. gegen einen Wechsel des Klägers dorthin, wozu sie sich noch schriftlich äußern wolle.

Der Kläger bat mit Schreiben vom 12.07.2007 um Übersendung des landesärztlichen Gutachtens, um den Sachverhalt selbst würdigen zu können. Diese Bitte wurde am 18.07.2007 wiederholt. Der Beklagte erwiderte darauf, dass eine Übersendung nur mit Einwilligung des Landesarztes möglich sei. Daraufhin forderte der Kläger am 19.07.2007 den Beklagten nochmals auf, ihm das Gutachten bis spätestens 23.07.2007 zu übersenden.

Am 23.07.2007 gab der Beklagte sein Einverständnis für den Wechsel in die Werkstätte für behinderte Menschen in S. Die Werkstätte erklärte sich am 24.07.2007 zur Aufnahme bereit.

Der Kläger erklärte unter dem 24.07.2007, dass er auch bei einer Verlegung in die Werkstätte in S., Einsicht in das landesärztliche Gutachten nehmen wolle. Insofern verlangte er die unverzügliche Akteneinsicht oder Zusendung des Gutachtens bis spätestens 27.07.2007. Der Beklagte erwiderte darauf, dass kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehe, da einer Aufnahme zugestimmt worden sei. Im übrigen fehle nach wie vor eine entsprechende Einverständniserklärung des Landesarztes. Der Kläger wiederholte sein Begehren mit Schreiben vom 26.07.2007. Der Beklagte verblieb jedoch bei seinem Standpunkt.

Mit Schreiben vom 01.08.2007 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Würzburg mit dem Begehren, eine einstweilige Anordnung dahingehend zu erlassen, dass der Beklagte verpflichtet wird, die Akteneinsicht zu gestatten. Der Antrag wurde mit Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 14.08.2007 (Az. S 15 SO 54/07 ER) abgelehnt. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass es zum einen an einem Rechtsschutzbedürfnis, zum anderen aber jedenfalls an einem Anordnungsgrund fehle.

II.

Der Kläger erhob am 22.08.2007 Klage beim Sozialgericht Würzburg mit dem Antrag:

Den Beklagten auf vollständige lückenlose Akteneinsicht der dort geführten Akte zu verurteilen.

Zur Begründung wurde unter dem 05.09.2007 ausgeführt, dass der Leistungserbringer die Aufnahme nicht freiwillig durchgeführt habe, sondern nur nach Intervention des Beklagten. Dies sei die ungünstigste Ausgangslage, sodass die Entscheidungswege zu würdigen seien. Der Kläger sei weiterhin hochgradig verunsichert, sodass weiterhin ein rechtliches Interesse bestehe. Der Beklagte habe auch die Verfügungsgewalt über das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten.

Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 24.09.2007:

Die Klage wird abgewiesen.

Ein Anspruch auf Akteneinsicht bestehe nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht, da zum einen kein rechtliches Interesse vorliege und zum anderen das Verwaltungsverfahren mit Erlass des Bescheides vom 24.08.2007 abgeschlossen worden sei. Auch ein Anspruch nach § 83 SGB X bestehe nicht, da hieraus jedenfalls keine Verpflichtung des Beklagten resultiere, an den Kläger Ablichtungen oder Abschriften der landesärztlichen Stellungnahme zu übersenden. Die Gefahr von gesundheitlichen Nachteilen in diesem Zusammenhang sei nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus sei dem Kläger der Inhalt des landesärztlichen Gutachtens bereits bekannt. Schließlich fehle es an dem Einverständnis des Landesarztes, der dieses als Urheber der Stellungnahmen erteilen müsse.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Würzburg am 21.07.2008 beantragte der Kläger zuletzt:

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger, vertreten durch dessen Betreuer, voll-ständige Akteneinsicht in die Verfahrensakte des Klägers zu gewähren.

Der Beklagte beantragte zuletzt:

Die Klage wird abgewiesen.

Abschließend wird auf den Inhalt der Leistungsakte und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat Erfolg, da sie auch begründet ist.

Vorliegend ist die Klage als zulässig anzusehen. Bei der Gewährung von Akteneinsicht handelt es sich um tatsächliches Verwaltungshandeln, sodass die allgemeine Leistungsklage statthaft ist. Ein Vorverfahren ist deshalb nicht notwendig. Sofern man in der negativen Entscheidung einen Verwaltungsakt sieht und deshalb ein Vorverfahren für notwendig erachtet (so Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 83 Rn. 9), hat sich der Beklagte insofern zumindest rügelos auf die Klage eingelassen und das fehlende Vorver-fahren nicht beanstandet. Somit wäre ein ggf. notwendiges Vorverfahren jedenfalls entbehrlich.

Der Kläger hat vorliegend einen Anspruch gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X auf Einsichtnahme in die über ihn geführte Akte beim Beklagten. Nach der Vorschrift des § 83 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X ist dem Betroffenen Auskunft über die gespeicherten Daten zu erteilen. Hierzu zählt auch die landesärztliche Stellungnahme vom 12.06.2007. Im Hinblick auf die eindeutige Formulierung dieser Norm ("ist") steht dem Beklagten insofern auch kein Ermessen zu.

Es widerspricht weder dem Urheberschutz noch stellt es einen Geheimnisverrat im Sinne von § 203 Strafgesetzbuch (StGB) dar, wenn der Beklagte dem Kläger Akteneinsicht gewährt. Insbesondere ist keine Rechtsgrundlage erkennbar, wonach hierfür eine Einverständniserklärung derjenigen von Nöten sein soll, die eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben haben und deren Gutachten sich in der Akte befindet. Dies würde im übrigen gerade dem Zweck des § 83 Abs. 1 SGB X entgegen stehen. Die diesbezüglichen Aus-schlussgründe ergeben sich alleine aus § 83 Abs. 4 SGB X, wozu die generelle Amts-verschwiegenheit gerade nicht zählt (vergleiche Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 6. Auf-lage 2008, § 83 Rn. 17).

Einen Anspruch darauf, dass dem Kläger das Gutachten oder die Akte zur Akteneinsicht zugeschickt wird - einen solchen hat der Kläger aber auch im Klageverfahren gar nicht geltend gemacht - besteht dabei grundsätzlich nicht, da die Ausgestaltung der Auskunft dem Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen obliegt, § 83 Abs. 1 S. 4 SGB X. So kann der Beklagte seiner Verpflichtung nach § 83 SGB X auch dadurch nachkommen, dass ei-ne Einsichtnahme bei persönlichen Erscheinen gestattet wird (vergleiche Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 83 Rn. 8).

Da ausweislich des Betreuerausweises vom 17.11.2005 der Aufgabenkreis insbesondere auch die Gesundheitsfürsorge und die Vertretung gegenüber Behörden umfasst, ist insofern dem Betreuer die Akteneinsicht zu gewähren.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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