S 4 BK 4/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 BK 4/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 27. 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2010 in der Zeit vom Februar bis April 2009 Kinderzuschlag nach § 6 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in gesetzlicher Höhe zu zahlen und hierbei die Kinderbetreuungskosten als notwendige Werbungskosten anzurechnen.

II. Die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu zahlen.

III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin im Zeitraum von Februar bis April 2009 einen Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hatte.

Der Klägerin war auf ihren zunächst im Oktober 2007 gestellten Antrag hin von der Beklagten Kinderzuschlag bewilligt worden, zuletzt vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum mit Bescheid vom 03.07.2008 für die Zeit von April 2008 bis Dezember 2008 in Höhe von monatlich 245 Euro sowie nachträglich mit Bescheid vom 27.07.2009 für Januar 2009 in Höhe von monatlich 200 Euro. Mit weiterem Bescheid ebenfalls vom 27.07.2009 hob die Beklagte die Bewilligung des Kinderzuschlages ab Februar 2009 wegen Änderung der Verhältnisse auf. Der Gesamtbedarf liege bei 1.148,08 Euro und sei durch das zu berücksichtigende Einkommen in Höhe von 1.175,08 Euro gedeckt.

Hiergegen legte die Klägerin am 30.07.2009 Widerspruch ein und trug vor, dass im Januar das Einkommen genauso hoch wie in den Monaten Februar, März und April gewesen sei; auch die Ausgaben, z.B. Kinderbetreuungskosten seien genauso gewesen. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2010 den Widerspruch zurück. Sie führte hierbei aus, dass der Antrag auf Gewährung von Kinderzuschlag abzulehnen gewesen sei, weil Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft ausgereicht hätten um den Bedarf zu decken.

Daraufhin erhob die Klägerin mit Schreiben vom 15.02.2010 am 17.02.2010 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Sie gab an, dass weder die erste noch die zweite Berechnung der Beklagten für sie nachvollziehbar seien. Auch seien einige Ausgaben nicht berück-sichtigt worden, wie z.B. die Kinderbetreuungskosten ab Februar einschließlich der Ferienbetreuung für das Schulkind; ohne die Betreuung wäre ihr jedoch die Arbeit gar nicht möglich gewesen. Außerdem habe es kein Wohngeld, kein Kindergartengeld und keine ergänzende Leistung von Seiten der ARGE gegeben.

Die Beklagte äußerte sich mit Schreiben vom 23.03.2010 dahingehend, dass Kinderbetreuungskosten bei der Berechnung des Kinderzuschlags nicht mit einfließen würden. In einem Erörterungstermin vom 07.05.2010 wurde festgestellt, dass ausschließlich die Zeit von Februar 2009 bis April 2009 im vorliegenden Rechtsstreit streitgegenständlich ist.

Die Bevollmächtigten der Klägerin verwiesen im Weiteren auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (L 14 KG 11/06 vom 05.04.2007). Auch sei der Literatur zu entnehmen, dass die mit der Erziehung des Einkommens verbundenen Aufwendungen abzusetzen seien, was auch für die Kinderbetreuungskosten während der Arbeitszeit gelte (vgl. zum Beispiel Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II). Die Klägerin legte noch die entsprechenden Kindergartenunterlagen für die Nachmittags- und Ferienbetreuung des älteren Kindes (Schulkind) im Kindergarten sowie für den Kindergartenbesuch des jüngeren Kindes vor.

Das Jugendamt bestätigte mit Telefax vom 21.09.2010, dass für das ältere Kind A, geboren 2002 im Zeitraum vom 01.12.2006 bis 31.07.2007 und im Zeitraum vom 01.09.2007 bis 31.07.2008 Kindergartenbeiträge in Höhe von monatlich 94,50 Euro gewährt worden seien. Das ältere Kind sei im darauffolgenden Jahr eingeschult worden. Im Übrigen teilte das Jugendamt mit, dass Zahlungen überhaupt erst ab dem vollendeten dritten Lebensjahr eines Kindes möglich seien und ein Antrag der Klägerin für ihr zweites Kind, geboren 2005, nicht vorliege.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide dazu zu verurteilen, ihr für die Zeit von Februar bis April 2009 Kinderzuschlag zu gewähren und hierbei die angegebenen Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten vom Einkommen abzuziehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird die Zulassung der Berufung beantragt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben (§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte zu Unrecht die Kinderbetreuungskosten unberücksichtigt gelassen hat.

Nach § 6 a BKGG hat Anspruch auf Kinderzuschlag, wer für seine Kinder Anspruch auf Kindergeld hat, über ein Mindesteinkommen von 900 Euro verfügt - wobei Wohngeld und Kindergeld nicht mitgerechnet werden - und höchstens über Einkommen oder Vermögen verfügt, dass sich aus § 6 a Abs. 4 Satz 1 BKGG zuzüglich dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 ermittelt - wobei Wohngeld nicht mitgerechnet wird. Durch den Kinderzuschlag muss ferner Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden werden. Die Berechnung des Kinderzuschlages entsprechend § 6 a Abs. 4 BKGG folgt den Berechnungsvorschriften der §§ 11 und 12 SGB II und der dazu ergangenen Arbeitslosengeld II-Verordnung (ALG II-V).

Bei der Klägerin sind nach Aufnahme einer Beschäftigung notwendige Kinderbetreuungskosten – die Klägerin hätte ohne diese die Beschäftigung so nicht ausüben können - angefallen, die im Einzelnen den Kindergartenbeitrag für die jüngere Tochter J. sowie die Nachmittags- und die Ferienbetreuung für das Schulkind A. betrafen. Die hierfür aufzuwendenden Kosten beliefen sich entsprechend der vorgelegten Unterlagen auf einen Monatsbetrag von 171,82 Euro. Nach § 90 Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) soll im Falle von § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII, d.h. bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII, der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden bzw. vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung wird auf das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Bezug genommen (§ 90 Abs. 4 SGB VIII). Zwar argumentiert die Kommentarliteratur (Schindler in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 2009, § 90 Rn. 16) damit, dass es sich hierbei um einen Regelrechtsanspruch handele, der nur im einem atypischen Fall nicht zum Tragen komme; die Bildung von atypischen Fallgruppen sei hierbei nicht möglich. Gleichwohl handhabt das zuständige Landratsamt diese Vorschrift so, dass ein Kostenübernahmeantrag außerhalb des Rechtsrahmens des § 24 Abs. 1 S. 1 SGB VIII (Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt) nicht bewilligt wird. Im Fall der Klägerin wäre damit zwar im streitgegenständlichen Zeitraum möglicherweise eine Kostenübernahme für das jüngere Kind Jeanie in Betracht gekommen, was aber für die Klägerseite aufgrund der vorangegangenen Ablehnungen zu Beginn des Kindergartenjahres nicht oder nur schwer erkennbar gewesen war. Unabhängig davon ist das Gericht der Auffassung, dass nicht nur die Betreuungskosten für das Schulkind, sondern auch für das Kindergartenkind als notwendige Kinderbetreuungskosten beim Einkommen der Klägerin als Werbungskosten abzusetzen sind (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II). Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht keine Vorschrift, wonach die Berücksichtigung dieser Werbungskosten beim Kinderzuschlag ausgeschlossen wäre und auch keine Vorschrift, wonach vorrangig Leistungen des SGB VIII – soweit überhaupt erlangbar - in Anspruch genommen werden müssten (vgl. Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 11 Rn. 113; die dort genannte Einschränkung bezieht sich nur auf tatsächlichen Kostenersatz, will also eine Doppelberücksichtigung vermeiden).

Im streitgegenständlichen Zeitraum ist somit bei der Klägerin und ihrer Familie von folgenden Bedarf auszugehen: Der Regelbedarf von 1.054,00 Euro und die Kosten der Unterkunft in Höhe von 422,28 Euro ergeben unter Gegenrechnung der Kindergeldzahlung in Höhe von 328,00 Euro einen monatlichen Gesamtbedarf von 1.148,28 Euro.

Diesem Bedarf steht ein monatliches Einkommen von 1.025,08 Euro gegenüber, so dass Leistungen des Kinderzuschlages zur Bedarfsdeckung erforderlich sind.

Das monatliche Einkommen im Zeitraum von Februar 2009 bis April 2009 ermittelt sich aus einem Bruttoarbeitslohn des Ehemanns der Klägerin in Höhe von 1.650,00 Euro (eine Hinzunahme der folgenden Lohnerhöhung ist im Hinblick auf einen Abschluss des maßgeblichen Bewilligungsabschnittes wegen Änderung der Verhältnisse nicht möglich). Hiervon waren abzuziehen Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 338,67 Euro, Werbungskosten inklusive Fahrtkosten in Höhe von 60,93 Euro, Kfz-Haftpflicht-Versicherung in Höhe von 32,63 Euro, die Versicherungspauschale von 30,00 Euro und Altersvorsorgebeiträge in Höhe von 23,33 Euro sowie der Erwerbstätigenfreibetrag von 310,00 Euro unter Anrechnung einer hierin bereits enthaltenen Grundpauschale von 100,00 Euro. Der Anrechnungsbetrag der Erwerbseinkünfte des Ehemanns der Klägerin belief sich somit auf 954,44 Euro.

Bei der Klägerin war von einem monatlichen Durchschnittseinkommen im Bewilligungsabschnitt von 371,93 Euro auszugehen (eine Hinzurechnung von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 17,78 Euro im April 2009 ist nicht möglich, da diese Leistung erst im Mai 2009 zugeflossen ist). Hiervon sind Werbungskosten in Höhe von 187,15 Euro (171,82 Euro Kinderbetreuungskosten und 15,33 Euro Werbungskostenpauschale), Kfz-Haftpflicht-Versicherung in Höhe von 24,75 Euro, die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro, Altersvorsorgebeiträge in Höhe von 5,00 Euro und der Erwerbstätigkeitsfreibetrag in Höhe von 154,39 Euro unter Anrechnung der enthaltenen Grundpauschale von 100,00 Euro in Abzug zu bringen. Es ergibt sich für die Klägerin ein Anrech-nungsbetrag der Erwerbseinkünfte von monatlich 70,64 Euro. Aufaddiert führt dies zum Familieneinkommen von 1.025,08 Euro.

Im Übrigen wäre auch für den Fall, dass man – anders als das Gericht - die Einschränkungen im Sinne des Einkommensteuerrechts (§ 9 c Einkommensteuergesetz – EStG a.F.) in die Berücksichtigungsvorschriften hineinlesen wollte, ein Restbedarf gegeben (Ausgehend von Kinderbetreuungskosten von 114,55 Euro[= 2/3 von 171,82 Euro] würden sich die Werbungskosten auf 129,88 Euro belaufen; das anrechenbare Einkommen der Klägerin würde dann bei 127,91 Euro liegen und ein Gesamteinkommen von 1.082,35 Euro bewirken).

Dementsprechend war die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu zu verurteilen, der Klägerin Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG für ihre beiden Kinder für die Zeit von Februar 2009 bis April 2009 in gesetzlicher Höhe, d.h. ausgehend von den Entscheidungen und Berechnungen des Gerichts, zu bewilligen. Dass die Beklagte im Ausgangsbescheid vom 27.07.2009 zunächst irrig von einer Aufhebung der Bewilligung ausging, ist ohne weitere Bedeutung, da im Widerspruchsbescheid jedenfalls die materiellrechtliche Anspruchssituation geprüft worden war.

Nachdem die Klägerin mit ihrer Klage in vollem Umfang Erfolg gehabt hatte, war die Beklagte auch zur Tragung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verurteilen (§ 193 SGG).

Aus Sicht des Gerichtes war auch über den Hilfsantrag der Beklagten zu entscheiden. Zwar würde der maximale Kinderzuschlag für 3 Monate im Fall der Klägerin 840,00 Euro betragen und damit bereits den Berufungsstreitwert (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreichen. Da nach überschlägiger Berechnung hier jedoch durch Anrechnung von Erwerbseinkommen eine monatliche Leistung des Kinderzuschlags von weniger als 250 Euro zu erwarten ist (vgl. die Bewilligung in den Vormonaten) wäre eine Berufung möglicherweise ausgeschlossen. Aus Sicht des Gerichtes ist die zentrale Frage der Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten jedoch von grundsätzlicher Bedeutung und obergerichtlich noch nicht entschieden, so dass auf den entsprechenden Hilfsantrag der Beklagten die Berufung zuzulassen war.
Rechtskraft
Aus
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