L 2 U 35/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 234/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 35/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Trauma und einem Herpes Zoster kann nicht begründet werden, wenn die konkreten Mechanismen zur Reaktivierung der Viren nicht bekannt sind und deshalb weder die zeitliche Komponente noch der Ort der Erkrankung als maßgebliche Indizien für die Rechtfertigung eines Zusammenhangs in Betracht kommen und weitere, auf den Einzelfall bezogene Umstände nicht vorliegen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.01.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der am.1934 geborene Kläger war am 02.03.2001 als selbstständiger Schmiedemeister tätig, als beim Öffnen eines Großcontainers der Verriegelungshebel gegen seinen linken Oberschenkel schlug (Unfallanzeige vom 05.03.2001).

Mit Schmerzen im linken lateralen distalen Oberschenkel stellte sich der Kläger am 05.03.2001 bei Dr. R1 , Chirurg/Unfallchirurg/D Arzt, vor. Dieser dokumentierte im Bereich des lateralen Oberschenkelmuskels einen Druckschmerz und eine eindeutige Eindellung. Ein Hämatom zeigte sich nicht. Der Arzt diagnostizierte eine Muskelquetschung des linken Oberschenkels mit Muskelfaserriss.

Am 14.03.2001 suchte der Kläger Dr. W , Facharzt für Allgemeinmedizin, wegen seit 07.03.2001 bestehender heftiger Schmerzen im linken Oberschenkel mit Ausstrahlung in den Rücken und eines seit 10.03.2001 aufgetretenen Hautausschlags am linken Bein auf. Dr. W. stellte ein ausgeprägtes papulöses Exanthem an der Beugeseite des linken Oberschenkels und der Streckseite des linken Unterschenkels sowie einzelne Effloreszenzen am Rücken und an der Stirn fest. Bei erneuter Vorstellung am 27.03.2001 fiel Dr. W eine beginnende Atrophie der Oberschenkelstreckmuskulatur links auf. Es bestand eine erhebliche Gehbehinderung im linken Bein.

Dem am 11.04.2001 konsultierten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B schilderte der Kläger, nach dem Auftreten von Bläschen am linken Unterschenkel am 10.03.2001 hätten sich die Lähmungserscheinungen insbesondere des Oberschenkelmuskels des linken Beines verstärkt. Dr. B. stellte Bläschen am linken ventralen Unterschenkel (L4), eine schwere Myatrophie und Parese des Musculus quadriceps femoris links, einen linksseitig nicht auslösbaren Patellarsehnenreflex (PSR) sowie eine nicht sicher gestörte Sensibilität fest. Die Elektroneurographie (ENG) vom 11.04.2001 ergab eine motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus fibularis beidseits an der unteren Normalgrenze. Die am gleichen Tag durchgeführte Elektromyographie (EMG) des Musculus vastus lateralis links zeigte eine schwere neurogene Läsion. Der Arzt stellte die Diagnose eines Zustandes nach Quetschverletzung des Musculus quadriceps femoris links. Die nunmehr vordergründigen Ausfallerscheinungen entsprächen jedoch einer Radikulopathie im Segment L4 links wahrscheinlich im Sinne einer Zosterradikulitis.

Im Zeitraum vom 30.04.2001 bis 22.05.2001 befand sich der Kläger in stationärer neurologischer Behandlung im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in R. Die Untersuchungen zeigten eine Kraftminderung bei der Hüftbeugung, -abduktion, -adduktion und der Kniestreckung im linken Bein. Im EMG des Musculus quadriceps femoris links fanden sich Zeichen einer aktiven Denervierung. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten u.a. neben einer Muskelquetschung des linken Oberschenkels eine Herpes Zoster Radikulitits in den Segmenten L3 und L4 links. Im Anschluss daran absolvierte der Kläger vom 24.05.2001 bis 28.06.2001 eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der M ... Klinik in Bad K ... Die während dieser Behandlung durchgeführten neurologischen Untersuchungen ergaben eine Hypästhesie und Hypalgesie im Dermatom L4 links, Parästhesien im Bereich des linken Unterschenkels, eine Atrophie des Musculus quadriceps links sowie ein Schmerzsyndrom des linken Unterschenkels und des linken Knies.

Dem Befundbericht von Dr. B. vom 02.07.2001 zufolge könne der Kläger etwa 100 bis 200 Meter mit Gehhilfen laufen. Es bestehe eine hochgradige Myatrophie des Musculus quadriceps femoris links. Im EMG des Musculus vastus lateralis und rektus femoralis links seien schwere neurogene Läsionen mit Verschlechterung gegenüber der im April 2001 durchgeführten Voruntersuchung erkennbar.

Die Beklagte zog eine Auflistung der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von der IKK Sachsen und die Patientenunterlagen von Dr. R1. und Dr. W. bei.

Auf Veranlassung der Beklagten erstellten Dr. O .../Dipl.-Med. R2 , Klinik für Chirurgie des Klinikums C. gGmbH, am 16.04.2002 ein fachärztliches Gutachten. Im Vorfeld dieser Begutachtung erstattete OMR Dr. H , Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, ein neurologisches Zusatzgutachten vom 02.03.2002. Darin stellte er beim Kläger eine Femoralisparese links, eine Muskelatrophie im linken Oberschenkel sowie Hyp-, Hyper- und Parästhesien im Dermatom L4, überlagert durch das Dermatom des Nervus femoralis, fest. Nach Einschätzung von OMR Dr. H ... sei eine Virusinfektion der Nervenwurzeln L4/L3 links nach dem Muskeltrauma des linken Oberschenkels aufgetreten. Es bestehe zwar die Möglichkeit, dass die Verletzung der linken Oberschenkelmuskulatur zu einer Reizung der entsprechenden Nervenwurzeln L3/4 geführt habe. Wahrscheinlicher sei aber, dass sowohl das Muskeltrauma als auch die Nervenwurzelentzündung zwei getrennte Ereignisse darstellten, die schicksalhaft nebeneinander aufgetreten seien. Der Beweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Trauma des Oberschenkelmuskels und der Nervenwurzelentzündung gelinge ihm nicht. Die gegenwärtig vorliegenden pathologischen Befunde im linken Bein, insbesondere die inkomplette linksseitige Femoralisparese, seien als Folge der Zosterneuritis der Nervenwurzeln L3/4 und nicht als Unfallfolgen zu beurteilen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete der Sachverständige mit 30 v.H. aufgrund der inkompletten linksseitigen Femoralisparese.

Dr. O /Dipl.-Med. R2. schlossen sich diesen Bewertungen in ihrem Gutachten vom 16.04.2002 an. Die Zoster-Radikulitis L3 und L4 links sei mit resultierender Femoralisparese links, Muskelatrophie des linken Oberschenkels, hyp-, hyper-, parästhetischem Dermatom des Nervus femoralis und der L4-Wurzel links, ausgefallenem PSR links, resultierenden Bewegungsdefiziten des linken Hüft- und Kniegelenks und verbliebener neuralgischer Schmerzsymptomatik nicht durch das Unfallereignis verursacht worden. Die Beschwerden aufgrund der unfallbedingt entstandenen Kontusion des Musculus quadriceps femoris sinistra und des annehmbaren partiellen Muskelfaserrisses im Bereich des distalen linken Femurdrittels hätten lediglich zu einer Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 30.04.2001 geführt. Eine schwere Muskelquetschung und ein partieller Muskelfaserriss im Bereich des distalen linken Oberschenkels dürften nach nahezu zwei Monaten ausgeheilt sein.

Mit Bescheid vom 06.05.2002 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.03.2001 ab, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus gemindert sei. Als Folgen des Unfalls seien ein ausgeheilter Faserriss des seitlichen Oberschenkelmuskels links, der bis 30.04.2001 zur unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit geführt habe, nicht jedoch die Folgen einer Gürtelrose mit einer Entzündung der Wurzeln der Spinalnerven des 3. und 4. Lendenwirbels, ein Zustand nach Distorsionstrauma des linken Kniegelenks, degenerative Veränderungen des linken Kniegelenks und im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule anzuerkennen. Den Einschätzungen von Dr. O. und OMR Dr. H. zufolge seien die über den 30.04.2001 hinausgehenden Beschwerden keine Unfallfolgen.

Mit Schreiben vom 13.05.2002 legte der Kläger Widerspruch ein. Nach Einschätzung des Oberarztes für Orthopädie in der Fachklinik für Rehabilitation in Bad K , Dr. N ..., seien Ursache für die Zoster-Erkrankung die durch den Unfall ausgelösten starken Schmerzen. Vor dem Unfall seien degenerative Veränderungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule nicht festgestellt und behandelt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Voraussetzung für die Entschädigungsleistung nach einem Arbeitsunfall sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem festgestellten Körperschaden. Für diesen Zusammenhang müsse eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen. Die bloße Möglichkeit genüge nicht. Nach kritischer Würdigung der vorliegenden objektiven Befunde seien die Gürtelrose und die vom Kläger geklagten Beschwerden nicht ursächlich auf den Unfall vom 02.03.2001 zurückzuführen. Bei einem Herpes-Zoster handele es sich um eine akute Hautkrankheit als Rezidiv (Reaktivierung des Virus) bzw. als Reinfektion einer Infektion mit Varicella-Zoster-Viren bei verminderter Immunität. Nach übereinstimmender Meinung der medizinischen Sachverständigen sei der Faserriss des linken seitlichen Oberschenkelmuskels bis zum 30.04.2001 ausgeheilt. Die Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenks seien auf verschleißbedingte Veränderungen zurückzuführen. Dem Vorerkrankungsverzeichnis zufolge bestünden seit 1991 lumbale Wirbelsäulenbeschwerden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass vor dem Unfall eine völlige Beschwerdefreiheit vorgelegen hätte, wäre dies kein Beweis für eine traumatische Verursachung der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule.

Mit der am 17.09.2002 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) eingereichten Klage hat der Kläger weiterhin die Anerkennung der Gürtelrose als Unfallfolge sowie alle gesetzlich zustehenden Leistungen einschließlich der Zahlung einer Verletztenrente begehrt und ausgeführt, das Auftreten der Gürtelrose sei Folge des Unfalls vom 02.03.2001. Diesen Standpunkt habe auch Prof. Dr. G ... von der Uniklinik M ... in der Fernsehsendung des MDR (Hauptsache gesund) am 24.10.2002 vertreten. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe erst am 14.06.2002 geendet.

Das SG hat einen Befundbericht von Dr. W beigezogen und Prof. Dr. L ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zum Sachverständigen ernannt. In dem am 02.07.2003 nach Aktenlage erstellten medizinischen Gutachten hat der Sachverständige eingeschätzt, die Zoster-Radikulitis im Dermatom L3/L4 mit Kraftminderung bei Hüftbeugung und Kniestreckung links, einer aktiven Denervierung im Musculus quadriceps links und einer postzosterischen Schmerzsymptomatik sei nicht unfallbedingt ausgelöst worden, da deren Entstehung nicht durch lokale, sondern allgemeinkörperliche Gesundheitsstörungen verursacht werde. Das Varicella-Zoster-Virus sei für die Windpockenerkrankung sowie mittels Reaktivierung eines latenten Virus, vor allem in den sensiblen, afferenten Hinterwurzelganglien, für die Gürtelrose oder Zoster verantwortlich. Die Mechanismen seien nicht voll erklärbar. Beim Zoster handele es sich um eine sporadisch auftretende Erkrankung bei Erwachsenen, die auf eine gesundheitliche Allgemeinstörung zurückgeführt werde. Disponierende Faktoren für die Reaktivierung einer latenten Infektion könnten konsumierende Erkrankungen, Immunsuppression, Fieber, UV-Exposition und maligne Tumore sein. Eine traumatische Verursachung sei bislang nicht bekannt.

Mit Urteil vom 29.01.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, über den 30.04.2001 hinausgehende Ansprüche auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung stünden dem Kläger nicht zu. Die Nervenwurzelentzündung L3/L4 und die daraus resultierende Nervenlähmung des linken Beines infolge einer Virusinfektion durch den Varicella-Zoster-Virus sei keine Folge des Arbeitsunfalls vom 02.03.2001. Ein Zusammenhang sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Zwar bestehe nach Einschätzung von OMR Dr. H. die Möglichkeit, dass die Verletzung der linken Oberschenkelmuskulatur zu einer Reizung der Nervenwurzeln L3 bis L4 geführt habe. Wahrscheinlicher sei jedoch nach Einschätzung dieses Sachverständigen, dass beide Ereignisse unabhängig voneinander aufgetreten seien. Den Ausführungen von Prof. Dr. L zufolge werde die Entstehung einer Zoster-Radikulitis nach derzeitigem medizinischen Kenntnisstand nicht durch lokale, sondern durch allgemeinkörperliche Gesundheitsstörungen ausgelöst. Eine traumatische Verursachung sei bisher nicht bekannt.

Hiergegen hat der Kläger am 11.03.2004 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Die Klage könne nicht abgewiesen werden, wenn der Einschätzung von Dr. H zufolge die Entstehung einer Gürtelrose aufgrund des Unfallereignisses möglich sei. Der Arbeitsunfall habe eine lokale Störung in Form einer Muskelquetschung und damit eine von Prof. Dr. L. geforderte Allgemeinstörung verursacht, die zum Entstehen einer Zoster-Radikulitis geführt habe. Prof. Dr. L. könne eine Feststellung darüber, ob durch eine lokale Verletzung eine allgemeinkörperliche Gesundheitsstörung eingetreten sei, nicht treffen, da er ein Gutachten lediglich nach Aktenlage erstellt habe.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat Dr. L2 , Chefarzt der Klinik für Neurologie am Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie R , mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 25.01.2006 benennt der Sachverständige als Reaktivierungsfaktoren u.a. Traumen, schwere Traumen, Verbrennungen, Stress sowie Gewebsschädigungen. Allgemein anerkannt sei der Aspekt einer Gewebsschädigung oder eines Traumas als prädispositionierender Faktor zwar nicht, jedoch werde in den Deutschen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie aus dem Jahr 2005 auch ein Trauma als Auslöser für die Reaktivierung einer Herpes-Zoster-Radikulitis beschrieben, ebenso besondere Lebensumstände ("stressfull live events"). Es sei zu vermuten, dass durch das Trauma psychoimmunologische Vorgänge in Gang gesetzt worden seien, die das allgemeine körpereigene Abwehrsystem unterdrückten und somit die Reaktivierung der Herpesinfektion begünstigten. Zudem werde in den Deutschen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie ein Trauma als Auslöser benannt. Ein Vollbeweis für den Zusammenhang könne nicht erbracht werden, die Aspekte, die für einen Zusammenhang sprechen würden, seien jedoch gewichtiger als die Gegenargumente. OMR Dr. H. habe seine entgegengesetzte Auffassung nicht begründet. Die MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 12.09.2006 hat Dr. L2 ausgeführt, dass die aktenkundig dokumentierten Schmerzen des Klägers unmittelbar nach dem Arbeitsunfall Ausdruck der vorliegenden Muskelquetschung gewesen seien. Eine Schmerzverstärkung durch die Zosterradikulitis ab 07.03.2001 sei typisch für dieses Krankheitsbild, eine Trennung von Schmerzanteilen nicht möglich. Ab der zweiten Märzwoche stünden aber die Schmerzen durch die Herpesradikulitis eher im Vordergrund. Auch wenn eine einheitliche wissenschaftliche Lehrmeinung zu Traumata als Auslöser der Virusaktivierung nicht existiere, sei für ihn die Nennung dieses Zusammenhangs in den Deutschen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie von wesentlicher Bedeutung. In diesen Leitlinien fänden sich keine Hinweise dafür, dass es eine Einschränkung bezüglich der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gebe. Ein "stressfull live event” sei abhängig von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur und deren Vorliegen denkbar, jedenfalls könne negativer Stress das Auftreten oder die Unterhaltung organischer Erkrankungen nur begünstigen.

Am 30.01.2007 hat Dr. L2 ... in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass die Lokalisation der Hautveränderungen am oberen äußeren Oberschenkel (Vorderseite), am gesamten unteren Oberschenkel (Vorderseite) sowie an der Streckseite des Unterschenkels medial mit den sensiblen Versorgungsgebieten der Wurzel L 3 und L 4 erklärbar sei, wobei bei manchen Menschen auch Abweichungen der beschriebenen Verteilungsregionen der Nervenwurzeln bestehen könnten. Die MdE sei, da zwar eine deutliche partielle Läsion des Nervus femoralis, nicht aber eine totale Femoralislähmung bestehe, mit 25 v.H. anzunehmen.

In der mündlichen Verhandlung am 28.06.2007 hat Dr. L2 ... seine Ausführungen erläutert. Der Grund einer Virusreaktivierung sei im Einzelnen nicht abschließend gesichert; offen sei auch, ob eine Reaktivierung bei einem Trauma unmittelbar oder mittelbar über die Auswirkungen auf das Allgemeinbefinden oder nachfolgenden Stress mit der Folge einer Abschwächung der Immunabwehr erfolge. Eine kausale Verbindung zwischen lokalem Trauma und lokaler Radikulitits sei für ihn nicht herstellbar. Auch könne er, da der Kausalverlauf nicht gesichert sei, keine konkrete Zeitabhängigkeit für das Auftreten der Zosterbläschen angeben. Eine zeitliche Festlegung sei angesichts dessen, dass der Auslösemechanismus nicht feststehe, nicht möglich. Die zeitliche Abhängigkeit zwischen Reaktivierung und Auftreten der Bläschen lasse sich nicht sicher bestimmen, jedenfalls müsse die Reaktivierung vorausgegangen sein. Für den Zusammenhang im zu entscheidenden Einzelfall spreche, dass eine Verursachung einer Zoster-Radikulitis durch ein Trauma in den "Deutschen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie" genannt sei und der Kläger vorliegend ein Trauma erlitt. Gleichzeitig führe das Trauma zu begünstigenden Faktoren für eine Virusaktivierung durch Schwächung der körpereigenen Abwehr. Möglicherweise habe der Schmerz zu einer Verringerung der körpereigenen Abwehr geführt, man könne es aber nicht beweisen. In den "Leitlinien" seien Traumata ohne nähere Beschreibung, insbesondere des Schweregrades, erfasst. Jeder Mensch empfinde ein Trauma auch jeweils unterschiedlich. Es wäre wünschenswert, wenn eine nähere Umschreibung erfolgt wäre. Da das nicht der Fall sei, seien die Leitlinien als solche von den Neurologen zu akzeptieren.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.01.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente ab 15.06.2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Einholung eines virologisch-immunologischen Zusammenhangsgutachtens zu der Frage, inwieweit hier eine Virusreaktivierung mit nachfolgender Herpes-Zoster-Radikulitis durch Trauma oder "stressfull live event" in Betracht kommt,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die erstinstanzliche Entscheidung sei weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden. Auch nach dem Gutachten von Dr. L2 ... sei unter Bezugnahme auf beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. R3 vom 22.03.2006 und vom 23.03.2007 ein Zusammenhang nicht anzunehmen, da nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eine traumatische Verursachung einer Zosterradikulitis nicht angenommen werden könne. Ferner bestünden Zweifel an einem "stressfull live event", da der Kläger nach dem Unfall zunächst weitergearbeitet und sich erst drei Tage später erstmals ärztlich vorgestellt habe. Die nach anfänglicher Besserung aufgetretene Schmerzsymptomatik mit Schlaflosigkeit sei Folge der Zosterinfektion. Als auslösendes Moment seien auch die degenerativen Veränderungen in Gestalt einer Meniskusläsion und eines Reizknies bei Gonarthrose am linken Bein sowie einer Osteochondrose und Spondylarthrose der unteren LWS in Betracht zu ziehen. Bei der Bewertung durch Dr. L2 fehle ferner eine Berücksichtigung der vom Hausarzt Dr. W beschriebenen initialen Generalisierung des Ekzems im Bereich von Rücken und Stirn.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 06.05.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) haben Versicherte einen Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist.

Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Der von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid anerkannte Arbeitsunfall, der gemäß §§ 7,8 SGB VII einen Versicherungsfall darstellt, hat nicht zu Gesundheitsschäden geführt, die über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus eine rentenberechtigende MdE bedingen.

1. Zutreffend hat die Beklagte die Muskelquetschung und den Muskelfaserriss am linken seitlichen Oberschenkel nicht mit einer dauerhaften MdE bewertet, da diese Verletzungen nach übereinstimmender und für den Senat überzeugender Einschätzung der Sachverständigen Prof. Dr. L., Dr. H. und Dr. O./Dipl.-Med. R2 sowie Dr. L2. folgenlos ausgeheilt sind. Zweifel an der Einschätzung von Dr. O .../Dipl.-Med. R2 ... daran, dass eine schwere Muskelquetschung und ein partieller Muskelfaserriss im Bereich des distalen linken Oberschenkels nach nahezu zwei Monaten ausgeheilt sind, bestehen für den Senat nicht.

2. Nicht als Unfallfolge ist die sich nach dem Unfall entwickelnde Zoster-Erkrankung zu bewerten. Diese führte zu Funktionsbeeinträchtigungen in Form einer Lähmung des Nervus femoralis, einer Atrophie des Musculus quadriceps links, eines Kraftverlustes und von Bewegungsdefiziten bei der Hüftbeugung und Kniestreckung, einer Standunsicherheit, von Sensibilitätsstörungen durch Hyp- und Parästhesien im Dermatom des Nervus femoralis und der L4-Wurzel links und eines Neuralgieschmerzes.

Die Zoster-Radikulitis steht zur Überzeugung des Senats fest. Bei einer Zoster-Erkrankung (syn. Herpes Zoster) handelt es sich um eine Virusinfektion der Nervenwurzeln durch Reaktivierung des latenten Varicella-Zoster-Virus in den Zellen der Spinalganglien (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Seite 1819f.). Bei dem Kläger hat die Nervenwurzelentzündung zu einer Schädigung der sensiblen und motorischen Nervenwurzeln in den Dermatomen L3 und vor allem L4 geführt. Übereinstimmend haben die behandelnden und begutachtenden Ärzte aufgrund der geschilderten und für diese Krankheit typischen Beschwerdesymptomatik und der erhobenen Befunde diese Diagnose gestellt. Diese Erkrankung wird charakterisiert durch akute Entzündungen eines oder mehrerer Dorsalwurzelganglien. Für drei bis vier Tage treten auf der von den betroffenen Wurzeln versorgten Hautoberfläche lanzinierende Schmerzen und Hyperalgesie auf, gefolgt vom Auftreten des herpetischen Exanthems im gleichen Segment, das durch schmerzhafte Bläschen auf gerötetem Untergrund gekennzeichnet ist. Wenn der Entzündungsprozess auf die angrenzenden motorischen Vorderhornwurzeln des Rückenmarks übergreift, treten segmentale motorische Schwäche und Schwund auf (Harrisens, Innere Medizin, 14. Aufl., Seite 2904).

Die beim Kläger aufgetretenen Beschwerden entsprechen dem dargestellten Verlauf dieser Erkrankung. Gegenüber Dr. W ... hat der Kläger seit 07.03.2001 aufgetretene heftige Schmerzen im linken Oberschenkel und einen drei Tage später bemerkten Hautausschlag am linken Bein angegeben. Die Schilderung des Klägers über seit 10.03.2001 bestehende Bläschen am linken Unterschenkel wird von Dr. B bestätigt. Am 14.03.2001 hat Dr. W ... ein ausgeprägtes papulöses Exanthem im Bereich der Beugeseite des linken Oberschenkels und der Streckseite des linken Unterschenkels sowie am Rücken und der Stirn festgestellt. Zur Vorstellung am 27.03.2001 war bereits eine beginnende Atrophie der Oberschenkelstreckmuskulatur links durch Dr. W ... dokumentiert worden. In der Untersuchung am 11.04.2001 vermerkte Dr. B ... neben der anamnestischen Angabe von Bläschen am linken Unterschenkel eine schwere Atrophie der Muskulatur im linken Bein und eine Lähmung des Musculus quadriceps femoris links. Die neurologischen Untersuchungen (EMG) bestätigten eine schwere neurogene Läsion des Nervus femoralis links.

Neben dem Vollbeweis des Unfallereignisses einerseits sowie der (geltend gemachten) Unfallfolge andererseits muss ein kausaler Zusammenhang bestehen.

Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge eines Arbeitsunfalls ist, dass das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der vorliegende Gesundheitsschaden entfiele (Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne). Dabei ist der Ursachenzusammenhang zwischen Arbeitsunfall und Gesundheitsschaden nach ständiger Rechtsprechung des BSG bereits dann zu bejahen, wenn er hinreichend wahrscheinlich ist (BSGE 45, 285). Hinreichende Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209).

Im Rahmen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden geht es um die Zuordnung des Schadens zum Unfallereignis. Schwierigkeiten entstehen dann, wenn das Unfallereignis den Gesundheitsschaden nicht allein und deshalb als einzige Bedingung im naturwissenschaftlichen Sinne hervorgerufen hat. Da der gesetzlichen Unfallversicherung eine teilbare Kausalität fremd ist, insofern gilt das Alles- oder-Nichts-Prinzip, ist die Kausalität für den gesamten bestehenden Schaden einheitlich zu beurteilen. Folge davon ist, dass der Schaden entweder durch ein versichertes Ereignis wesentlich im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung verursacht sein kann oder auch nicht.

Ein Gesundheitsschaden ist nur dann infolge einer versicherten Tätigkeit eingetreten, wenn die beruflichen Umstände in rechtlich wesentlicher Weise bei der Entstehung des Körperschadens mitgewirkt haben. Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen (in medizinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht) gemeinsam zum Entstehen des Gesundheitsschadens beigetragen, so sind sie nebeneinander (Mit-)Ursachen im Rechtssinne, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Der Begriff "wesentlich" ist hierbei nicht identisch mit den Beschreibungen "überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern verhältnismäßig niedriger zu bewertende Bedingung kann für den Erfolg wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor ist nur dann unwesentlich, wenn er von einer anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig, eine rein naturwissenschaftlich betrachtet nicht gleichwertige Ursache rechtlich als wesentlich anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache der Erfolg eintreten konnte. Letztere Ursache hat dann im Verhältnis zu der ersteren keine überragende Bedeutung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 10/2006, Rn. 8.2.3 zu § 8 SGB VII).

Im Hinblick auf den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung ist jeder Versicherte grundsätzlich in dem Gesundheitszustand geschützt, in dem er sich bei Aufnahme der Tätigkeit befindet, auch wenn dieser Zustand eine größere Gefährdung begründet. Insoweit eingebunden sind alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingten Schwächen und Krankheitsdispositionen (vgl. zu alledem Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 78 ff.).

Dementsprechend darf nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 02.02.1999, Az.: B 2 U 6/98 R) eine Schadensanlage bzw. ein Vorschaden als rechtlich allein wesentliche Bedingung nur dann gewertet werden, wenn sie bzw. er so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung des akuten Krankheitsbildes an sich keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung aus der versicherten Tätigkeit bedurft hat, sondern wenn der Gesundheitsschaden wahrscheinlich auch ohne diese Einwirkungen durch beliebig austauschbare Einwirkungen des unversicherten Alltagslebens zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd gleicher Schwere entstanden wäre (BSG, Urteil vom 08.03.1990, HV-Info 8/1990, S. 638 ff.).

Um diese wertende Gegenüberstellung vornehmen zu können, müssen die konkurrierenden Ursachen zunächst sicher feststehen. Ebenso wie die betriebsbedingte Ursache müssen auch die körpereigenen Ursachen erwiesen sein. Kann eine Ursache nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinne in Betracht zu ziehen ist (BSG, Urteil vom 08.03.1990, a.a.O.).

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes: Die Entstehung der Zoster-Radikulitis und die dadurch eingetretenen Funktionsstörungen im linken Bein sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den Arbeitsunfall vom 05.03.2001 verursacht worden. Es fehlt bereits an einem Zusammenhang nach der Bedingungslehre.

Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen OMR Dr. H ... und Prof. Dr. L ... Soweit Dr. L2.in seinen schriftlichen Ausführungen und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 28.06.2007 auf den Fall des Klägers bezogen die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs annimmt, war diese Wertung für den Senat aufgrund der von ihm im Einzelnen mitgeteilten Umstände nicht überzeugend. Es spricht nicht mehr für als gegen einen Zusammenhang.

Zwar wird in der medizinischen Literatur ein Trauma als Auslöser der Zoster-Erkrankung angesehen. Auch wenn Prof. Dr. L ... hierzu keine Erkenntnisse vorlagen und Dr. H. sich dieser Auffassung nicht anschließen konnte, folgt der Senat hier der von Dr. L2 ... vertretenen Ansicht. Die von Dr. L2 ... in Bezug genommenen "Deutschen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie" aus dem Jahr 2005 sehen ein Trauma als Auslöser für die Reaktivierung einer Herpes-Zoster-Radikulitis an. Unter Beachtung der jüngeren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R) kommt sowohl für die Benennung einer Erkrankung als auch für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine besondere Bedeutung zu, wobei sich dieser aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand u.a. aus den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften ergibt. Bei den von Dr. L2 ... in Bezug genommenen "Leitlinien" handelt es sich um den von einem Gremium erarbeiteten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Dem Senat sind keine gleichwertigen Veröffentlichungen bekannt, die ein Trauma als auslösendes Moment definitiv ausschließen. Auch die anderen im Verfahren beteiligten Sachverständigen haben ihren Bewertungen keine den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergebenden und den o.g. "Leitlinien" widersprechenden Veröffentlichungen zugrunde gelegt. Soweit Dr. R3. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.03.2006 maßgeblich Bezug nimmt auf das Werk "Die entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems" von Henkes/Kölmel, das ausweislich des Literaturverzeichnisses auch dem Sachverständigen Dr. L2. vorlag, ergibt sich daraus nichts anderes. Auch darin wird neben einem höheren Lebensalter, geschwächter Immunabwehr und ultraviolettem Licht ein Trauma als prädisponierender Faktor bei einem Herpes Zoster angesehen (a.a.O., S.1, 3). Auch in Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch – wird die Reaktivierung der Viruskrankheit "bei Resistenzminderung des Organismus, z.B. durch örtl. Provokation (Zoster traumaticus) ..." beschrieben (Pschyrembel, a.a.O., S. 1819 f., Stichwort Zoster).

Nicht geklärt sind jedoch die konkreten Mechanismen. Weder in den "Leitlinien" noch bei Henkes/Kölmel (a.a.O.) oder in Pschyremblel (a.a.O.) sind Ausführungen zu den Abläufen einer traumatischen Reaktivierung der Viren zu finden. Damit in Einklang stehen die Ausführungen von Dr. L2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 28.06.2007. Danach ist der Grund einer Virusreaktivierung im Einzelnen nicht abschließend gesichert; offen ist auch, ob eine Reaktivierung bei einem Trauma unmittelbar oder mittelbar über die Auswirkungen auf das Allgemeinbefinden oder nachfolgenden Stress mit der Folge einer Abschwächung der Immunabwehr erfolgt. In sich schlüssig und für den Senat nachvollziehbar erachtet er eine kausale Verbindung zwischen lokalem Trauma und lokaler Radikulitis als nicht herstellbar. Auch eine konkrete Zeitabhängigkeit für das Auftreten der Zosterbläschen konnte er angesichts der genannten Unsicherheiten für den Senat überzeugend nicht benennen; eine zeitliche Festlegung ist angesichts des nicht feststehenden Auslösemechanismus nicht möglich. Die zeitliche Abhängigkeit zwischen Reaktivierung und Auftreten der Bläschen lässt sich nach den Darlegungen von Dr. L2. nicht sicher bestimmen, jedenfalls muss aber die Reaktivierung vorausgegangen sein.

Angesichts dieser Ausführungen war für den Senat die Schlussfolgerung von Dr. L2. nicht nachvollziehbar, die Annahme der Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs für den hier zu entscheidenden Einzelfall ist nicht möglich. Wenn weder die zeitliche Komponente noch der Ort der Erkrankung als maßgebliche Indizien für die Rechtfertigung eines Zusammenhangs im vorliegenden Fall für die Beurteilung maßgeblich sind, sondern allein das Auftreten des Herpes Zoster nach einem Trauma als gesichert angesehen werden kann, spricht nach Auffassung des Senats nicht mehr für als gegen den Zusammenhang, zumal aus der Literatur bekannt ist, dass mit zunehmendem Lebensalter spontan – mithin ohne auslösendes Ereignis – Herpes Zoster auftreten kann (Henkes/Kölmel, a.a.O., S. 1, 3). Die Benennung von Traumata als Auslöser eines Herpes Zoster in den "Leitlinien" (a.a.O.) kann daran nichts ändern. Würde ausschließlich die dortige Nennung ohne ergänzende Kriterien die Annahme eines Kausalzusammenhangs rechtfertigen können, müsste eine Herpes-Zoster-Erkrankung immer als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt werden, wenn ein solcher Unfall irgendwann zeitlich vorhergehend aufgetreten ist. Eine Abgrenzung vom zufälligen Auftreten der Herpes-Zoster-Erkrankung ist praktisch nicht möglich, wenn weder zeitliche noch örtliche oder anderweitige Aspekte konkretisiert werden können.

Zu einem anderen Ergebnis kann auch nicht die Bewertung des Sachverständigen Dr. L2 führen, wonach das Trauma auch zu begünstigenden Faktoren für eine Virusaktivierung durch Schwächung der körpereigenen Abwehr führt. Entsprechende Umstände, die für eine solche Schwächung der körpereigenen Abwehr im Einzelfall sprechen könnten, sind von Dr. L2. weder dargelegt noch nachgewiesen worden und auch für den Senat nicht ersichtlich. Dr. L2. führt aus, dass eine schmerzbedingte Verringerung der körpereigenen Abwehr möglich, aber nicht bewiesen ist.

Auch soweit Dr. L2. ein "stressfull live event" als möglichen Auslöser für eine Reaktivierung des Herpes Zoster benennt, verdichtet sich dies nicht zur Wahrscheinlichkeit. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.09.2006 führt Dr. L2. ausdrücklich aus, dass aus seinem Gutachten nicht der Schluss gezogen werden dürfe, dass Stress Auslöser der Zosterradikulitis sei; negativer Stress kann das Auftreten oder die Unterhaltung organischer Erkrankungen nur begünstigen. Zwar schließt Dr. L2. ein "stressfull live event" für den Fall des Klägers nicht grundsätzlich aus, insbesondere da diese als individuell unterschiedlich belastende Situationen zu definieren sind und die individuelle Stressempfindung eines Menschen stets abhängig ist von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur und den persönlichkeitsspezifischen Bewältigungsstrategien. Er hat aber keine Umstände benannt, die beim Kläger die Annahme einer entsprechenden Konstellation rechtfertigen könnten.

Diesen Umständen entsprechend konnten die Sachverständigen OMR Dr. H., Dr. O .../Dipl.-Med. R. sowie Prof. Dr. L. jeweils keinen Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeit begründen. Dies ist für den Senat angesichts der spärlichen medizinischen Erkenntnisse zur Reaktivierung eines Herpes Zoster nachvollziehbar und überzeugend. Auch Ansatzpunkte für ergänzende Ermittlungen waren für den Senat nicht ersichtlich.

3. Nicht relevant für die Bewertung der MdE ist ferner die bestehende Außenmeniskus- und Knorpelläsion des linken Kniegelenks. Diese ist nicht durch den Arbeitsunfall vom 02.03.2001, sondern bereits durch einen im Jahr 1999 erlittenen Unfall verursacht worden. Darüber hinaus ist die erhebliche degenerativ bedingte Patellararthrose des linken Kniegelenks nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, da keine traumatische Einwirkung auf dieses Gelenk stattgefunden hat. Ebenfalls ist ein kausaler Zusammenhang der degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule im Zusammenhang mit dem Unfallereignis abzulehnen, da keine Anhaltspunkte für eine traumatische Einwirkung im Bereich der Lendenwirbelsäule zum Unfallzeitpunkt vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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