S 6 AS 3764/08 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3764/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es besteht kein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur vorläufigen Erteilung einer abstrakte Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II, solange kein konkretes Wohnungsangebot vorgelegt wird.
Die Anträge werden abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Erteilung einer Zusicherung zur Anmietung einer Wohnung nach § 22 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die am XX.XX.1975 geborene Antragstellerin zu 1. ist die Mutter des am XX.XX.2004 geborenen Antragstellers zu 2.

Die Antragsteller beziehen seit 17.3.2005 Leistungen nach dem SGB II.

Seit 1.11.2007 bewohnen sie eine Zweizimmerwohnung in F ... mit einer Wohnfläche von 41,4 m², für die die Antragstellerin zu 1. eine Grundmiete von 262,10 Euro, Betriebskosten in Höhe von 40 Euro und Wasserkosten in Höhe von 15 Euro aufwendet. Die Wohnung besteht aus einem Flur mit abgetrennter Toilette, der in die offene Küche übergeht. Von dort aus ist das Badezimmer zu erreichen. Daneben besteht die Wohnung aus einem Wohn- und Schlafzimmer mit Balkon, durch das ein Kinderzimmer erreichbar ist.

Die Antragstellerin zu 1. ist schwanger. im Mutterpass ist als berechneter Entbindungstermin der 9.9.2008 eingetragen.

Am 13.3.2008 beantragte die Antragstellerin zu 1. "einen Umzug wie auch Kaution für eine größere Wohnung". Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18.3.2008 mit der Begründung ab, dass die Antragsteller ausreichend wohnraumversorgt seien. Die Notwendigkeit eines Umzugs im Sinne von § 22 SGB II liege nicht vor.

Gegen diese Ablehnung legte die Antragstellerin zu 1. am 8.4.2008 Widerspruch ein mit der Begründung, es sei absolut unmöglich, mit drei Personen in der bisherigen Wohnung wohnen zu bleiben. Ein Umzug sei unbedingt notwendig. Der Widerspruch blieb im Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 7.7.2008 ohne Erfolg. Die von den Antragstellern bewohnte Wohnung sei günstig geschnitten und könne auch nach der Entbindung mit zwei Kindern angemessen bewohnt werden. Die Antragsteller seien daher ausreichend wohnraumversorgt.

Am 28.7.2008 erhoben die Antragsteller vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen die Ablehnung der Zusicherung Klage zum Sozialgericht Freiburg (Az. S 6 AS 3765/08) und haben zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie sind der Auffassung, dass die Angemessenheit der Wohnung schon vor der Entbindung anhand eines Dreipersonenhaushalts zu bestimmen sei. Es könne nicht erwartet werden, dass sie erst die Geburt des Kindes abwarteten, um danach einen Umzug zu bewerkstelligen. Nach Möglichkeit solle der Umzug daher vor der Geburt stattfinden, da er danach aufwändiger und schwieriger werde. Den Antragstellern könne ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung, die bei der bekannten Überlastung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit erst im Jahre 2010 zu erwarten sei, nicht zugemutet werden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig eine Zusicherung zur Anmietung einer im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II für einen Drei-Personen-Haushalt angemessenen Wohnung zu erteilen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Anträge abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass ein Anordnungsanspruch nicht bestehe. Die von den Antragstellern bewohnte Wohnung überschreite jetzt und auch nach der Geburt des erwarteten Kindes die landesrechtlichen Maßstäbe zur Angemessenheit von Wohnraum im ausländerrechtlichen Sinne. Diese betrügen 22 m² für einen Zwei- und 32 m² für einen Dreipersonenhaushalt.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin über die Antragsteller (1 Bd. Akten zur Nr. d. Bedarfsgemeinschaft - O ... - XXXXX - BG - XXXXXXX) verwiesen.

II.

Die zulässigen Anträge sind unbegründet. Die Antragsteller haben keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend.

Maßgebliche Vorschrift ist vorliegend § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, denn den Antragstellern geht es nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Zustandes, sondern um die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer Zusicherung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (zu all dem LSG Baden-Württemberg, 15.8.2005 – L 7 SO 3804/05 ER-B, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein Anspruch auf Erteilung einer abstrakten Zusicherung bestehen kann (dagegen LSG Berlin-Brandenburg, 30.11.2007 – L 28 B 2043/07 AS ER, juris-Rn. 4; für einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung das dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller und der Antragsgegnerin bekannte Urteil des SG Freiburg, 27.2.2007 – S 9 AS 5964/06, S. 6–8 des Umdrucks).

Denn ein besonderes Eilbedürfnis an gerichtlichem Rechtsschutz (Anordnungsgrund) ist nicht glaubhaft gemacht. Dieses ergibt sich insbesondere nicht aus der Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1. Für die Kammer ist es unwahrscheinlich, dass die Antragsteller in den verbleibenden drei Wochen bis zum errechneten Entbindungstermin eine angemessene Wohnung zu finden und einen Umzug zu organisieren in der Lage wären. Sollten die Antragsteller dennoch ein konkretes Wohnungsangebot vorweisen können, sieht die Kammer deren Rechtsschutzbedürfnis in ausreichendem Maße durch die Möglichkeit gewahrt, nötigenfalls im Wege einer einstweiligen Anordnung dann – bei Vorliegen der Voraussetzungen – die begehrte Zusicherung zu erlangen. Dabei ist es für die Kammer bei summarischer Prüfung allerdings sehr wahrscheinlich, dass ab dem Zeitpunkt des Hinzutretens einer weiteren Person zur Bedarfsgemeinschaft, also voraussichtlich ab der Vollendung der Geburt (vgl. § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) des erwarteten Kindes, ein Umzug als erforderlich anzusehen wäre.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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