L 3 AS 107/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 28 AS 890/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 107/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 25. Juni 2007 wird abgeändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 13. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Bewilligung einer Beihilfe zur Erstausstattung seiner Wohnung vom 27. Oktober 2005 insoweit erneut zu entscheiden, als nach dem 27. Oktober 2005 Aufwendungen für einen Spiegelschrank, einen Rollwagen, einen Schuhschrank und einen Tisch entstanden sind.
II. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe zur Erstausstattung einer Wohnung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der am 1963 geborene Kläger mietete gemäß Mietvertrag vom 20. September 2005 mit Wirkung ab dem 19. September 2005 eine Wohnung in L ... Er stellte am 26. September 2005 bei dem Beklagten einen formlosen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Den ausgefüllten Antrag gab er am 27. Oktober 2005 nebst Anlagen beim Beklagten ab. Am gleichen Tage stellte er zunächst formlos den Antrag auf die vorliegend streitige Leistung. Das Antragsformular wurde "ohne Förderzusage" ausgegeben.

In dem hierauf bezogenen am 1. November 2005 an den Beklagten zurückgereichten Antragsformulare führte der Kläger zur Begründung seines Antrages aus, er sei aus gesundheitlichen Gründen von G. nach L. zurückgekehrt. In G. habe er in einem möblierten Zimmer in einer Pension gewohnt. Eine vom 30. Oktober 2005 datierte Bestätigung seines dortigen Vermieters darüber, dass er keine Möbel mitgebracht oder mitgenommen habe und die dortigen Fremdenzimmer möbliert seien, fügte er dem Antragsformular bei.

Bei einem Hausbesuch am 30. November 2005 stellte der damit beauftragte Prüfer des Beklagten fest, dass bei der vorgefundenen Wohnungseinrichtung keine zusätzliche Ausstattung erforderlich sei.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil eine Grundausstattung an Möbeln und Haushaltsgeräten bereits vorhandenen gewesen sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, das Geld für die Beschaffung des notwendigen Mobiliars und der Haushaltsgeräte hätten ihm seine Eltern vorgeschossen, und er habe aus gesundheitlichen Gründen nicht in einer leeren Wohnungen wohnen und auf dem Fußboden schlafen können, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2006 zurück. Zur Begründung führte aus, dass nach § 23 Abs. 1 SGB II unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts bei entsprechendem Nachweis des Bedarfs als Darlehen gewährt werden könne. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II sei derjenige hilfebedürftig, der seinen Lebensunterhalt nicht sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Die Eltern des Klägers hätten nicht nur die Erstausstattung, sondern auch eine komplett eingerichtete Wohnung finanziert. Zur Schuldentilgung bei seinen Eltern biete der Beklagte dem Kläger ein Darlehen an, das mittels einer Einbehaltung in Höhe von 10% der Regelleistung zurückgezahlt werden solle. Ein Anspruch auf Beihilfe zur Erstausstattung nach dem SGB II bestehe nicht, da die Wohnung komplett eingerichtet sei.

Die hiergegen am 2. Juni 2006 erhobene Klage, mit der ausgeführt worden war, dem Anspruch aus § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II stehe nicht entgegen, dass der Kläger die Einrichtung unter Zuhilfenahme eines Darlehens seiner Eltern in Höhe von 1.455 Euro bereits vorgenommen habe, bevor er den Antrag auf Erstausstattung der Wohnung gestellt habe, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 25. Juni 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einrichtung der Wohnung sei bereits am 27. Oktober 2005 komplett gewesen. Das Erfordernis vorheriger Antragstellung gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II sei damit nicht gewahrt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei kein akuter Bedarf des Klägers mehr vorhanden gewesen. Eine Rückwirkung des Antrags komme nicht in Betracht. Eine über § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II, der hier nicht einschlägig sei, hinausgehende Härtefallklausel sehe das Gesetz nicht vor. Hilfebedürftigen sei zuzumuten, zumindest zuerst den Antrag zu stellen, bevor die Einrichtung der Wohnung betrieben werde. Dem Kläger habe es oblegen, unverzüglich nach Abschluss des Mietvertrages den Antrag zu stellen und auf die Dringlichkeit der erstmaligen Ausstattung hinzuweisen.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 5. Juli 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 26. Juli 2007 eingegangene Berufung des Klägers. Dieser führt aus, es sei fraglich, ob sich § 37 SGB II auf die Antragstellung zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II oder ob sich diese Regelung darüber hinaus auf einen konkreten Antrag zur Erstattung von Kosten bei abweichender Erbringung von Leistungen nach dem § 23 SGB II beziehe. Er sei der Auffassung, dass die abweichende Erbringung von Leistungen nach § 23 SGB II nicht von einer vorherigen Antragstellung abhängig sei. § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II belege, dass Leistungen nach Satz 1 auch dann erbracht werden könnten, wenn Hilfebedürftige keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigten. Dies belege auch, dass das Antragserfordernis des § 37, welches für Leistungen der Grundsicherung gelte, gerade für den Bereich des § 23 nicht gelte, denn von letzterer Vorschrift seien ja auch gerade Personen begünstigt, welche die Regelleistungen nicht benötigten. Der Kläger hat diverse Belege über seine Aufwendungen eingereicht, wegen derer auf Bl. 80/85 der Berufungsakteakte Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 25. Juni 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Erstausstattung der Wohnung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Anspruch des Klägers bestehe nicht, da er die Leistung nicht rechtzeitig beantragt habe.

Die Eltern des Klägers wurden als Zeugen gehört. Wegen des Ergebnisses von deren Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. April 2008 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nur zum Teil begründet. Die Beklagte war nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu einer Neubescheidung zu verpflichten.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II. Danach sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung (§ 20 SGB II) umfasst; sie werden gesondert erbracht. Die Leistungen können nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II).

Der Anspruch des Klägers auf Leistungen für die Wohnungserstausstattung besteht nur in Bezug auf Gegenstände, die ab der Antragstellung am 27. Oktober 2005 angeschafft wurden. Soweit Gegenstände vor dem 27. Oktober 2005 angeschafft wurden, ist der Beklagte wegen des Antragserfordernisses nach § 37 Abs. 1 und 2 SGB II nicht zur Erbringung der begehrten Leistungen verpflichtet.

Für den Bereich des Krankenversicherungsrechts wie auch im Rehabilitationsrecht, Bereichen des Sozialrechts also, in denen schneller Ausgleich der sozialrechtlichen Bedarfslage erfordert ist, steht nach der Rechtsprechung im Einklang mit der dieser nach gefolgten Gesetzeslage fest, dass nur dann eine Kostenerstattungspflicht des Leistungsträgers besteht, wenn der Leistungsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war (BSG, Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 - JURIS-Dokument, Rdnr. 23 ff., m. w. N.). Im Bereich des Sozialhilferechts ist seit langem anerkannt, dass eine Bedarfsdeckung vor dem Zeitpunkt, in dem der Sozialhilfeträger von dem Bedarf Kenntnis erlangt, nur dann unberücksichtigt bleibt, wenn es dem Hilfesuchenden nicht zumutbar war, diese Entscheidung abzuwarten (s. hierzu grundlegend BVerwG, Urteil v. 30. April 1992 - 5 C 12/87 - BVerwGE 90, 254 ff.). Bei der im Einzelfall anzustellenden Beurteilung, welche Zeitspanne dem Hilfe- suchenden zuzumuten ist, ist von dessen Obliegenheit auszugehen, die Hilfeleistung so rechtzeitig zu beantragen bzw. von seiner Hilfebedürftigkeitskenntnis zu geben, dass die Hilfe vom Sozialhilfeträger rechtzeitig erwartet werden kann. Eine sofortige Hilfeleistung kann nur in Eilfällen erwartet werden (BVerwG, a. a. O.).

Diese Grundsätze gelten auch im Bereich des SGB II mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Kenntniserlangens die Stellung des Antrages tritt. Denn bei den Leistungen des SGB II handelt es sich, wie § 37 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II belegt, um antragsabhängige Leistungen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien zu § 37 SGB II hat der Antrag auf Leistungen konstitutive Wirkung, sodass dem erwerbstätigen Hilfebedürftigen Leistungen erst ab Antragstellung zustehen. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass es auf die Kenntnis des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchenden von der Hilfebedürftigkeit anders als im Sozialhilferecht nicht ankommt (BT-Drs. 15/1516, S. 62 zu § 37).

Wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers meint, § 37 SGB II gelte für die Leistungen des § 23 SGB II nicht, findet diese einengende Auslegung im SGB II keine Stütze. Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden "Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende" auf Antrag erbracht. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden als Dienst-, Geld- und Sachleistungen erbracht (§ 4 Abs. 1 SGB II). Die Leistungen sind im Einzelnen in Kapitel 3 des SGB II (§§ 14 bis 35 SGB II) geregelt. In diesem Kapitel finden sich auch die Regelungen des § 23 Abs. 3 SGB II über Leistungen der Wohnungserstausstattung. Aus diesem Grund gilt das Antragserfordernis aus § 37 Abs. 1 SGB II für alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 37 RdNr. 2), mithin auch für Leistungen für Erstausstattung der Wohnung einschließlich Hausgeräten.

Maßgeblich für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch nach § 23 Abs. 3 SGB II ist der Antrag vom 27. Oktober 2005 und nicht bereits der Antrag vom 26. September 2005, mit dem er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt hat.

Bei der Bestimmung des Inhaltes des am 26. September 2005 formlos gestellten Antrages auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist zu berücksichtigen, dass ein im sozialrechtlichen Verfahren gestellter Antrag eine einseitige, empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung darstellt, auf die die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung finden, soweit sich nicht aus dem Sozialrecht eine spezielle Regelung ergibt. Die Erklärung ist somit auszulegen, wobei der Grundsatz der Meistbegünstigung zu beachten ist (vgl. Link, a.a.O., § 37 Rdnr. 21). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist mithin davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigten über die genannte Leistung hinaus auch diejenige begehrt, die nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommt (Link, a. a. O., Rdnr. 21 zu § 37), oder mit anderen Worten ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Antrages das begehrt, was ihm den größten Nutzen bringen kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.). Dies setzt jedoch voraus, dass auch demjenigen, dem gegenüber der Antrag gestellt wird, in seinem Empfängerhorizont ersichtlich werden muss, dass über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im engeren Sinne (Regelleistungen und Kosten der Unterkunft und Heizung) hinaus auch weitere unabweisbare Bedarfe in Betracht kommen.

Vor diesem Hintergrund kann der Antrag vom 26. September 2005 nicht dahingehend ausgelegt werden, dass auch Leistungen zur Wohnungserstausstattung mit beantragt werden sollten. Diese Leistungen sind in einem Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erkennbar mit inbegriffen, denn sie betreffen einen speziellen, mit dem Bezug einer Wohnung verbundenen einmaligen Bedarf. Zudem bedingt der Bezug einer Wohnung nicht notwendigerweise einen Bedarf an Erstausstattung, weil die Leistungsberechtigten in der Regel bei einem Umzug über die erforderlichen Ausstattungsgegenstände verfügen. Sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen ist ein Bedarf an Wohnungserstausstattung neben dem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes geltend zu machen.

Damit hat der Kläger erst am 27. Oktober 2007 einen Antrag auf Wohnungserstausstattung gestellt. Angesichts dessen, dass der Antrag gemäß § 37 Abs. 1 SGB II konstitutive Wirkung hat, d.h. ohne ihn keine Leistungen zu erbringen sind (vgl. Link, a. a. O., § 37 Rdnr. 24), und dass der Antrag ex nunc wirkt, d.h. grundsätzlich keine rückwirkende Leistungserbringung erfolgt (vgl. Link, a.a.O.,), hat dies zur Folge, dass die bis zu diesem Tage entstandenen Kosten für die Erstausstattung der Wohnung nicht von dem Beklagten zu erstatten sind. Für die in § 23 Abs. 3 Satz 5 eröffnete Ermessensbetätigung ist kein Raum.

Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Leistungserbringung gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II liegen, was unstreitig ist, nicht vor.

Eine frühere Antragstellung wäre dem Kläger, da sie nicht unter persönlicher Vorsprache hätte erfolgen müssen und formlos hätte erfolgen können (vgl. Link, a.a.O., Rdnr. 20), jederzeit vor dem 27. Oktober 2007 möglich gewesen. Insbesondere kann eine frühere Antragstellung hier nicht über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. Fichte, in: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht [6. Aufl., 2008], S. 119 ff.) "hergestellt" werden. Denn dies würde voraussetzen, dass eine nicht erfolgte, aber aufgrund der Umstände des Einzelfalles gebotenen Beratung oder eine unrichtige oder unvollständige Beratung den beim Kläger entstandenen Schaden, weniger Erstausstattung verlangen zu können, kausal herbeigeführt hat.

Zwar kann nach dem Ergebnis der Befragung der Mutter des Klägers als Zeugin davon ausgegangen werden, dass diese im September 2005 beim Beklagten die Auskunft erhalten hat, dass ein Antrag auf Erstausstattung keine Aussicht auf Erfolg habe. Er könne zwar gestellt werden, werde jedoch abgelehnt werden. Es ist jedoch ungeklärt, ob die Zeugin auf den Sachverhalt ihres Sohnes individuell bezogene Fragen gestellt oder nur eine allgemeine Einschätzung der entsprechenden, nicht benannten Mitarbeiterin des Beklagten zum begünstigten Personenkreis erfragt hat. Angesichts des nicht mehr von der Zeugin erinnerten Gesprächsverlaufs und genaueren Gesprächsinhalts ist offen, ob die Zeugin Tatsachen genannt hat, aus denen die Mitarbeiterin des Beklagten weitergehenden Klärungsbedarf hätte ableiten müssen.

Aus gegebenem Anlass weist der erkennende Senat allerdings ergänzend darauf hin, dass entgegen der von der Beklagten wohl gegebenen Auskunft, die so auch im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck kommt, regelmäßig nicht nur Haftentlassene oder von Wohnungsbrand Betroffene von der Anspruchsregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II umfasst werden (vgl. hierzu Lang/Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 23 Rdnr. 95, 96; Münder, in: Münder, SGB II [2. Aufl., 2007], § 23 RdNr. 27, m.w.N.). Eine Beschränkung des Kreises der Begünstigten in dem beschriebenen Sinne durch eine restriktive Auslegung des § 23 Abs. 3 SGB II findet im SGB II keine Stütze.

Unabhängig von der Frage der etwaigen objektiven Beweislosigkeit für eine insoweit dem Kläger günstige Sachlage war weitere Beweiserhebung hierzu nicht veranlasst, weil die fehlerhafte Auskunft nicht kausal war für die im Wesentlichen zu spät erfolgte Antragstellung. Denn dem Kläger war nach seinen Bekundungen und den diese bestätigenden Aussagen der Zeugin bereits vor seiner Antragstellung die - fehlerhafte - Rechtsmeinung des Beklagten bekannt. Dies hat ihn aber nicht von einer späteren Antragstellung abgehalten. Dafür, dass ihn die eingeholte Auskunft von einer rechtzeitigen Antragstellung abgehalten hätte, spricht nichts. Im Gegenteil spricht hiergegen, dass er sich auf gesundheitliche Gründe und den weiten Weg von G. zur zuständigen Dienststelle des Beklagten berufen hat, die ihn an einer persönlichen Antragstellung gehindert hätten. Er und auch seine Mutter haben jedoch nicht behauptet, dass seitens des Beklagten die Auskunft erteilt worden sei, es sei nur eine persönliche Antragstellung in einer Dienststelle des Beklagten notwendig. Die Mutter des Klägers hätte - unter Nachreichung der Vollmacht des Klägers - einen Antrag auf die begehrte Erstausstattung stellen können. Auch der Kläger selbst führt nicht aus, handlungsunfähig gewesen zu sein; er hätte demgemäß den Antrag formlos schriftlich stellen oder seine Mutter hiermit beauftragen können. Auch wäre es dem Kläger möglich gewesen, den Antrag gemäß § 16 Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) auch bei dem unzuständig gewesenen Leistungsträger des SGB II in G. mit Wirkung ab Eingang des Antrags bei diesem (Link , a.a.O., Rdnr. 15 zu § 37) zu stellen. Der Kläger hat aber ausgeführt, dass er dort wegen der Erstausstattung gar nicht nachgefragt habe, weil - zutreffenderweise - das dortige Amt nach seinem Umzug nicht mehr zuständig gewesen wäre.

Die in Bezug auf zahlreiche Ausstattungsgegenstände verspätete Antragstellung ist angesichts des Vorstehenden nicht auf eine Fehlberatung durch den Beklagten, sondern auf das eigene Verhalten des Klägers zurückzuführen. Er hat einen etwaigen Beratungsbedarf hinsichtlich der Möglichkeit der Antragstellung weder beim Beklagten noch bei anderen (unzuständigen) Leistungsträgern bekannt gegeben. Soweit er sich in dem weder von dem Beklagten noch einem anderen Leistungsträger herbeigeführten Glauben befunden haben sollte, die Antragstellung persönlich in einer Dienststelle des Beklagten vornehmen zu müssen, ändert dies nichts an diesem Ergebnis. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verbleibt mithin kein Raum.

Die Berufung ist jedoch hinsichtlich der im Tenor genannten weiteren Gegenstände begründet. Diese wurden erst ab Antragstellung angeschafft. Die Quittungen hierüber begegnen zwar insoweit gewissen Bedenken, als diese nach dem Wortlaut bestätigen, dass der Kläger von dem Möbellager der Arbeiterwohlfahrt für Tisch, Rollwagen und Schuhschrank die in den Quittungen genannten Beträge erhalten habe. Dies ist nach dem glaubwürdigen Vortrag des Klägers jedoch auf einen Fehler, der einem Mitarbeiter des Möbellagers beim Ausfüllen der Quittungsformulare unterlaufen ist, zurückzuführen. Für den erkennenden Senat gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dem Möbellager der Arbeiterwohlfahrt diese Gegenstände etwa verkauft hätte, oder dass die Quittungen gar gefälscht wären. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang nach Verkündung des Urteils noch eine Bestätigung der Arbeiterwohlfahrt (Kreisverband Oberlausitz) vom 21. April 2008 vorgelegt hat, kann diese nicht berücksichtigt werden, da sie nicht Gegenstand des Verfahren geworden ist.

Die im Tenor genannten Gegenstände (Spiegelschrank, Rollwagen, Schuhschrank, Tisch) sind nicht etwa deswegen von der Leistungspflicht des Beklagten ausgenommen, weil sie nicht mehr von dem Begriff der Erstausstattung umfasst wären. Denn der Begriff der Erstausstattung für Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte ist umfassend (vgl. Münder, a.a.O., § 23 Rdnr. 29) und darf nicht zu eng ausgelegt werden (vgl. hierzu Lang/Blüggel, a.a.O., § 23 Rdnr. 101).

Bei einer Bedarfsdeckung nach Antragstellung ist die zwischenzeitlich erfolgte Bedarfsdeckung - zum Beispiel durch Leistungen Dritter - nicht anspruchsvernichtend, zumindest nicht in Fällen, in denen dem Antragsteller - wie hier - ein längeres Zuwarten auf die Entscheidung über die Erstausstattungsgewährung aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar erscheint und der Leistungsträger bereits darauf hingewiesen hat, dass die Entscheidung wohl negativ ausfallen werde. Dies war zu der Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz ständige Rechtsprechung des damals zuständigen Bundesverwaltungsgerichts (s. hierzu grundlegend BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1994 5 - C 26/92 - BVerwGE 96, 152 bis 160). Gründe, die unter der Geltung des SGB II dafür sprächen, hiervon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Zudem haben die Eltern des Klägers die Kosten der Erstausstattung auch nicht endgültig übernommen. Vielmehr gehen sie, wie die Mutter des Klägers ausgesagt hat, davon aus, dass der Kläger die Aufwendungen im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten und gegebenenfalls in Teilbeträgen an sie zurückzahlen werde. Diese Ausführungen der Zeugin sind auf Grund ihrer Angaben zu den finanziellen und sozialen Verhältnissen von ihr und ihrem Ehemann sowie des Klägers und seiner Geschwister glaubhaft.

Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber dem Leistungsträger gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II die Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Art der Bedarfsdeckung (Geldleistung, gegebenenfalls als Pauschalbetrag, oder Sachleistung) eingeräumt hat, war eine Verurteilung des Beklagten zu einer bestimmten Höhe der Leistung nicht möglich, sondern nur zu einer Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes. Bei der Ausübung seines Ermessens wird sich der Beklagte insoweit an seine durch bisherige Verwaltungspraxis und ermessenslenkende Binnenvorschriften halten können und müssen, als es um die Frage geht, welche Gegenstände er in die Bemessung etwaiger Pauschalen hat einfließen lassen und welche Werte er für die einzelfallbezogene Erstattung gegebenenfalls pauschal einzelnen Gegenständen beigemessen hat. Zu berücksichtigen hat er aber, dass eine Sachleistung im vorliegenden Fall ausgeschlossen ist, da der Kläger die in die Leistungspflicht des Beklagten fallenden Gegenstände bereits angeschafft hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Ermessensentscheidung hinsichtlich seiner gesamten Aufwendungen für die Erstausstattung seiner Wohnung begehrt hat, die Verurteilung des Beklagten aber hiervon nur einen wertmäßig geringen Bruchteil erfasst.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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