L 3 AL 166/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AL 9/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 166/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Mobilitätsbeihilfen sollen nicht die Kosten für eine Einsatzwechseltätigkeit, dh für eine Tätigkeit mit typischerweise ständig wechselnden Tätigkeitsstätten, abdecken (vgl LSG Chemnitz vom 7.6.2007 - L 3 AL 303/05).

2. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Erstattung von fiktiven, d.h. tatsächlich nicht angefallenen, Fahrkosten von der Wohnung zur Niederlassung des Arbeitgebers.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. Juni 2007 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von höherer Fahrkostenbeihilfe.

Die 1962 geborene Klägerin ist in G. wohnhaft und schloss am 22. Oktober 2005 mit der Firma V. P. GmbH H. , Niederlassung D. , einen Arbeitsvertrag als Produktionsarbeiterin. Die Klägerin wurde ab dem 24. Oktober 2005 für den Einsatz bei verschiedenen Kunden der Arbeitgeberin im Bereich Sachsen für nicht näher umschriebene Produktionsarbeiten eingestellt.

Am 21. Oktober 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe. Sie gab an, ab dem 24. Oktober 2005 bei der Firma U. in M. eingesetzt zu sein und mit dem Pkw zur Arbeitsstelle zu fahren (130 km Hin- und Rückfahrt).

Mit Bescheid vom 7. November 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Fahrkostenbeihilfe ab dem 24. Oktober 2005 bis zum 23. April 2006. Sie ging von einer Pendelstrecke zwischen Wohnort und Sitz des Arbeitgebers von 56 km aus, zog hiervon 20 km als "Eigenanteil" ab und errechnete eine Beihilfe in Höhe von 7,20 EUR arbeitstäglich.

Den hiergegen am 14. November 2005 eingelegten Widerspruch der Klägerin, mit dem diese auf eine arbeitstäglich zurückzulegende Pendelstrecke von 120 km zwischen Wohnort und Arbeitsort in M. abstellte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2005 zurück. Als Arbeitsstelle sei der Ort anzusehen, an dem der Arbeitgeber die Vorkehrungen zur Verrichtung der Arbeit treffe. Das sei in der Regel der Sitz des Arbeitgebers als Organisationseinheit bzw. eine Niederlassung desselben. Bei Fahrten zu von diesem Sitz abweichenden Einsatzorten sei der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht im nach § 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gefordert. Als Arbeitgeber der Klägerin sei die V. P. GmbH anzusehen. Da anderweitige Vereinbarungen über den Arbeitsort dem Arbeitsvertrag nicht zu entnehmen seien, sei vorliegend auf den Sitz der Niederlassung in D. abzustellen, so dass sich auch in Ausübung des eingeräumten Ermessens kein höherer Anspruch ergebe.

Auf die von der Klägerin am 4. Januar 2006 erhobene Klage hin hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27. Juni 2007 den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2005 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für den darin genannten Bewilligungszeitraum Fahrkostenbeihilfe unter Berücksichtigung der zwischen dem Wohnort der Klägerin und deren Einsatzort bei der Firma U ...(18,80 EUR statt 7,20 EUR arbeitstäglich) zu zahlen. Nach § 54 Abs. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) sei auf die tatsächlich entstandenen Fahrtkosten und nicht auf eine fiktive Wegstrecke abzustellen. Die Erstattung erfasse die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Ein "Eigenanteil" von 10 km einfacher Fahrt sei nicht in Ansatz zu bringen. Die tatsächlich 94 km umfassende Pendelstrecke sei arbeitstäglich mit 0,20 EUR/km zu vergüten.

Gegen dieses ihr am 16. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. August 2006 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass die Niederlassung der Firma V. P. GmbH H. in D. als Arbeitsstelle der Klägerin im Sinne von § 53 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b SGB III anzusehen sei. Sie hat ergänzt, dass sich dies auch aus dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juni 2007 (Az.: L 3 AL 303/05) ergebe. Dass gegebenenfalls wechselnde Einsatzorte nicht als "Arbeitsstelle" anzusehen seien, habe das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 25. Juni 1998 (Az.: 6 AZR 475/96) entschieden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. Juni 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da die angegriffenen Bescheide rechtmäßig sind und die Klägerin deshalb nicht beschweren (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Fahrkostenbeihilfe gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b SGB III.

Nach § 53 Abs. 1 SGB III in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitssuchende, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist. Nach § 53 Abs. 2 Nr. 3 SGB III umfassen die Mobilitätshilfen bei auswärtiger Arbeitsaufnahme die Übernahme der Kosten für die Fahrt zum Antritt einer Arbeitsstelle (a), tägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (b), eine getrennte Haushaltsführung (c) und einen Umzug (d). Die Vorschrift des § 53 SGB III regelt verschiedene Unterstützungsleistungen, welche die Aufnahme einer neuen Beschäftigung erleichtern bzw. ermöglichen sollen. Damit soll der Vielzahl von Zusatzausgaben Rechnung getragen werden, die beim Antritt einer neuen Arbeitsstelle anfallen und für die der Arbeitslose in der Regel in Vorleistung treten muss, bis er sein erstes Gehalt erhält und damit die erhöhten Anfangskosten auffangen kann. § 53 Abs. 2 Nr. 3 SGB III regelt dabei die Leistungen bei auswärtiger Arbeitsaufnahme, wobei die Fahrkostenbeihilfe, die Trennungskostenbeihilfe und die Umzugskostenbeihilfe im Zusammenhang betrachtet werden müssen. Diese Beihilfen sollen bei einer Arbeitsstelle außerhalb des Wohnortes des Arbeitssuchenden die Kosten für tägliche Pendelfahrten oder, soweit ein Pendeln nicht zumutbar ist, die Kosten einer getrennten Haushaltsführung abdecken. Sofern ein Umzug zur Verkürzung der Wegstrecke zur neuen Arbeitsstelle erfolgt, kann eine Umzugskostenbeihilfe gewährt werden. Aus dieser Systematik ergibt sich, dass diese Beihilfen keinesfalls die Kosten für eine Einsatzwechseltätigkeit, d.h. für eine Tätigkeit mit typischerweise ständig wechselnden Tätigkeitsstätten, abdecken sollen. Die im Zusammenhang mit einer Einsatzwechseltätigkeit anfallenden Zusatzkosten für den Arbeitnehmer muss grundsätzlich der Arbeitgeber nach § 670 BGB, der auch auf Dienst- und Arbeitsverhältnisse anwendbar ist (vgl. SächsLSG, Urteil vom 7. Juni 2007 - L 3 AL 303/05; Weidenkaff, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [66. Aufl., 2007], § 611 RdNr. 125, m.w.N.), tragen. Soweit im Einzelfall eine solche Übernahme (durch einzelvertragliche Regelung oder durch Tarifvertrag) nicht oder nur teilweise erfolgt, kann dies konsequenterweise nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen. Solche Kosten stehen nicht im Zusammenhang mit der Aufnahme einer neuen Beschäftigung, sondern resultieren aus den Besonderheiten der Einsatzwechseltätigkeit. Sofern bei einer Einsatzwechseltätigkeit die Gewährung von Mobilitätshilfen nach § 53 Abs. 2 Nr. 3 SGB III überhaupt in Betracht kommt (z.B. § 53 Abs. 2 Nr. 3a SGB III), muss bezüglich der auswärtigen Arbeitsstelle jedoch auf den Sitz des Arbeitgebers abgestellt werden. Dabei geht es nicht vordergründig um den im Handelsregister eingetragenen Sitz eines Unternehmens, sondern um die jeweilige Organisationseinheit, die das Arbeitsverhältnis "betreut", d. h. den Einsatz des Arbeitnehmers regelt (SächsLSG, Urteil vom 7. Juni 2007 - L 3 AL 303/05).

Die Leistungen des Arbeitsförderungsrechts sind für typische Sachverhalte konzipiert. Typisch ist im Arbeitsleben derzeit noch die Arbeitsleistung am Sitz des Arbeitgebers. Die Tätigkeit an wechselnden Einsatzorten ist zwar häufig ("Montagearbeit"), die damit verbundene finanzielle Mehrbelastung wird aber in der Regel entsprechend den arbeitsrechtlichen Vorgaben und den Vereinbarungen von Tarifvertragsparteien sozialverträglich aufgefangen und durch steuerliche Maßnahmen abgefedert. Die mit der Zunahme von Zeitarbeit vermehrt festzustellende Tätigkeit an anderen Orten als dem Sitz des Arbeitgebers nimmt zwar prozentual zu; sie typisiert aber die derzeitige Arbeitswelt nicht.

Danach hat die Klägerin im maßgeblichen Förderzeitraum (vgl. § 54 Abs. 4 SGB III) keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Fahrkostenbeihilfe. Denn Arbeitgeber der Klägerin ist die V. P. n GmbH mit Sitz in H ... Als für das konkrete Arbeitsverhältnis zuständige Organisationseinheit ist die Niederlassung dieser GmbH in D. anzusehen. Die Personalbearbeiterin dieser Niederlassung hat den Arbeitsvertrag mit der Klägerin für den Niederlassungsbereich Sachsen abgeschlossen. Nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages ist die Niederlassung für die Meldung einer Arbeitsverhinderung zuständig. Die Klägerin ist danach auch verpflichtet, eventuelle Arbeitsverhinderungen oder Änderungen im persönlichen Bereich bei der Niederlassung zu melden, so dass der Einsatz der Klägerin von dieser Niederlassung entsprechend disponiert werden kann. Die der Klägerin entstandenen Kosten für die Fahrten zwischen ihrem Wohnort und den konkreten Einssatzstellen stehen nicht im Zusammenhang mit der Aufnahme der Beschäftigung bei ihrem Arbeitgeber, die durch § 53 SGB III gefördert wird, sondern sind vielmehr auf die Arbeitsplatzzuweisung ihres Arbeitgebers zurückzuführen.

Die Frage, ob die Klägerin überhaupt Anspruch auf die im Bescheid vom 7. November 2005 bewilligten Fahrkosten hat, muss nicht entschieden werden, weil sie durch diese Regelung begünstigt wird und die Regelung nicht Gegenstand des Klagebegehrens auf höhere Leistungen ist. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bewilligung bestehen allerdings deswegen, weil damit fiktive, d.h. tatsächlich nicht angefallene, Fahrkosten von der Wohnung der Klägerin zur Niederlassung der Arbeitsgeberin und nicht die tatsächlich angefallenen Fahrkosten erstattet werden.

Der Einwand der Klägerin, bei Kollegen von ihr, die ebenfalls einen Vertrag mit einer Zeitarbeitsfirma hätten und im selben Betrieb wie sie eingesetzt seien, werde die Fahrkostenbeihilfe für die Strecke von ihrem Wohnort zu der Einsatzstelle berechnet, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn weder bei der Auslegung des Begriffes "Arbeitsstelle" im Sinne von § 53 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b SGB III noch bei der Beantwortung der Frage, welches die Fahrstrecke im Sinne dieser Regelung ist, hat der Gesetzgeber der Beklagten einen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum eingeräumt. Wenn die Beklagte entsprechend dem Vortrag der Klägerin in anderen Fällen die Regelung des § 53 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b SGB III unzutreffend ausgelegt und angewandt haben sollte, kann sich die Klägerin hierauf nicht mit Erfolg berufen. Denn das geltende Recht kennt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 - 1 BvL 25/77 - BVerfGE 50, 142 [166] = JURIS, Rdnr. 59, und BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 32/02 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 = JURIS, Rdnr. 38).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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