S 6 SO 1867/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 1867/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Jedenfalls nach bereits durchgeführter Bestattung ist der Hilfesuchende darauf zu verweisen, vor Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen Ersatzansprüche gegen Miterben durchzusetzen oder nachzuweisen, dass dies endgültig gescheitert ist (Anschluss an LSG SH, 14.3.2006 – L 9 B 65/06 SO ER).
2. Ein endgültiges Scheitern der Durchsetzung dieser Ansprüche kann nicht angenommen werden, wenn einer der Miterben dem Hilfesuchenden gegenüber nur telefonisch eine Übernahme der Bestattungskosten verweigert hat und der Hilfesuchende nicht wenigstens zwei Mal schriftlich seine Ansprüche geltend gemacht hat.
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 12.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2007 verpflichtet, der Klägerin weitere 7,77 Euro für Bestattungskosten zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Sozialhilfe für Beerdigungskosten.

Die Klägerin ist die Witwe ihres am XX.XX.2006 verstorbenen Ehemannes. Sie hat ihn neben dessen sechs Kindern zu ein Halb beerbt. Der Nachlass des Verstorbenen hatte einen Wert von 78,03 Euro.

Die Klägerin bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich zirka 560 Euro und Witwenrente in Höhe von knapp 400 Euro. Am 30.4.2006 hatte sie Bankguthaben in Höhe von insgesamt 7,77 Euro.

Am 27.4.2006 beantragte die Klägerin bei der Stadt Ob ... die Übernahme der für die Bestattung ihres verstorbenen Mannes angefallenen Kosten in Höhe von insgesamt 3.090,33 Euro. Sie fügte dem Antrag eine Rechnung eines Bestattungsunternehmens über 1.174,50 Euro, eines Steinmetzes über 861,30 Euro, einen Friedhofsgebührenbescheid der Stadt Op ... über 536 Euro, eine Krematoriumsrechnung über 409,83 Euro, eine Rechnung des Klinikums Of ... über 31 Euro und eine Rechnung des Floristen "B ..." über 77,70 Euro bei.

Mit Bescheid vom 12.9.2006 übernahm der Beklagte einen Teil der Bestattungskosten in Höhe von 1482,03 Euro. Zur Begründung führte er aus, von der eingereichten Rechnung der Firma "B ..." hätten nur die Kosten für ein Trauergesteck in Höhe von 45 Euro berücksichtigt werden können. Von den anerkennungsfähigen Bestattungskosten sei der Nachlass des Verstorbenen in Höhe von 78,03 Euro abzuziehen. Von dieser Differenz entfalle auf die Klägerin ein Anteil in Höhe der Hälfte, also 1.489,80 Euro. Von diesem Anteil sei vorrangig einzusetzendes Vermögen der Klägerin in Höhe von insgesamt 7,77 Euro abzuziehen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 2.10.2006 mit dem Ziel der vollen Kostenübernahme durch den Beklagten Widerspruch. Sie sei nach dem baden-württembergischen Bestattungsgesetz bestattungspflichtig. Diese Bestattungspflicht bestehe unabhängig von ihrer Erbeneigenschaft. Zudem sei es ihr nicht zumutbar, sich an die Erben zu wenden.

Im Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 23.2.2007 blieb der Widerspruch der Klägerin ohne Erfolg. Anspruchsberechtigte im Sinne von § 74 SGB XII sei derjenige, der zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet sei. Aus den Sozialhilferichtlinien ergebe sich, dass der Erbe die Kosten der Bestattung des Erblassers zu tragen habe. Der Klägerin werde nicht zugemutet, die gesamten Bestattungskosten zu übernehmen. Vielmehr habe sie die Möglichkeit, die Hälfte der Bestattungskosten von den anderen Erben zu erlangen. Es sei vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, dass der Sozialhilfeträger als Ausfallbürge eintritt. Soweit die Miterben nicht in der Lage seien, sich auf Grund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an den Bestattungskosten zu beteiligen, stehe es ihnen frei, bei dem zuständigen Sozialhilfeträger einen Antrag auf Übernahme des auf sie entfallenden Bestattungskostenanteils zu stellen.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 12.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2007 hat die Klägerin am 16.3.2007 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben. Sie ist der Auffassung, dass es im Rahmen von § 74 SGB XII nicht auf die gesetzliche Erbfolge ankomme. Der Beklagte habe die Kosten vielmehr unabhängig von der Erbfolge zu erstatten. Die Klägerin sei nach § 31 des baden-württembergischen Bestattungsgesetzes zur Bestattung verpflichtet gewesen. Die Miterben seien nicht in der Lage, sich an den Kosten der Bestattung zu beteiligen. Sie ist weiter der Auffassung, dass es ihr unzumutbar sei, die Bestattungskosten zu tragen, weil ihr Einkommen nur sehr knapp über dem Sozialhilfeniveau liege.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 12.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, weitere 1.608,39 Euro für Bestattungskosten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Erhält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Im Erörterungstermin am 19.6.2008 haben die Beteiligten an ihren Auffassungen festgehalten und sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten über die Klägerin (1 Bd. Akten Bl. 1–365) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, jedoch nur in geringem Umfang begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2007 ist rechtswidrig, insoweit der Beklagte darin einen niedrigeren Anspruch der Klägerin als 1.489,80 Euro feststellt.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der Bestattungskosten in Höhe von 1.489,80 Euro aus § 74 des Sozialgesetzbuches – Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII).

Nach dieser Vorschrift werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.

Zu Recht ist der Beklagte davon ausgegangen, dass erforderliche Bestattungskosten nur in Höhe von insgesamt 3.057,63 Euro entstanden sind. Die Kosten für neun Handsträuße zu je 1,80 Euro und einen Strauß mit fünf Lilien zu 16,50 Euro sind waren nicht erforderlich in diesem Sinne. Für den Maßstab der Erforderlichkeit ist maßgeblich, was für eine würdige, den örtlichen Verhältnissen entsprechende, einfache Bestattung aufgewendet werden muss (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 SGB XII, Rn. 31 unter Berufung auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu § 15 BSHG). Nach der Überzeugung der Kammer ist bei einfachen Bestattungen zwar jedenfalls ein Trauergesteck üblich. Im Rahmen einer einfachen Bestattung ist es aber nicht üblich, dass die Trauergäste und die Witwe je einen Handstrauß oder einen größeren Lilienstrauß tragen oder in das Grab werfen. Ohne Würdeverlust kann statt eines Handstraußes auch Erde in das Grab geworfen werden.

Die Klägerin gehört zum Kreis der zur Kostentragung der Bestattung ihres verstorbenen Ehemannes Verpflichteten. Sie ist aber nur verpflichtet, die nach Abzug des Nachlasses ihres verstorbenen Ehemannes verbleibenden Bestattungskosten zur Hälfte zu tragen.

Nach der Rechtsprechung und Kommentarliteratur zu § 74 SGB XII und der im wesentlichen gleich lautenden Vorgängervorschrift des § 15 des früheren Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ist Kostentragungspflichtiger in diesem Sinne derjenige, der die Kosten letztlich zu tragen hat (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 SGB XII, Rn. 12). In der Regel ist dies gemäß § 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der Erbe des Verstorbenen. Im Innenverhältnis haben mehrere Erben die Bestattungskosten nach dem Verhältnis der Erbteile zu tragen (vgl. § 2047 Abs. 1 BGB).

Damit hat der Beklagte rechtmäßig zunächst den den Erben angefallenen Nachlass des Verstorbenen, der aus Bankguthaben bestand, von den erforderlichen Bestattungskosten in Abzug gebracht. Denn insoweit der Nachlass die Bestattungskosten deckt, ist die Kostentragung jedenfalls nicht unzumutbar im Sinne des § 74 SGB XII. Insbesondere gehört der Nachlass nicht zum Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 SGB XII Rn. 37).

Da die Klägerin nur zur Hälfte darin ihres verstorbenen Mannes geworden ist, hat sie letztlich auch nur die Hälfte der übrigen Bestattungskosten zu tragen. Wegen der anderen Hälfte kann und muss sie sich zunächst an die übrigen Miterben halten.

Zwar kann ein Hilfebedürftiger im Rahmen des Sozialhilferechts grundsätzlich nur auf eine präsente Selbsthilfemöglichkeit verwiesen werden. Nach herrschender Auffassung hat jedoch der Hilfebedürftige jedenfalls dann, wenn – wie hier – die Bestattung bereits erfolgt ist, zunächst zu versuchen, die Ersatzansprüche gegenüber den Miterben geltend zu machen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 SGB XII, Rn. 27 f.). Erst dann, wenn dies endgültig gescheitert ist, kann Hilfe nach § 74 SGB XII in Anspruch genommen werden (LSG SH, 14.3.2006 – L 9 B 65/06 SO ER). Dabei wird zwar nicht zu verlangen sein, dass ein Hilfebedürftiger unter Eingehung eines Kostenrisikos Klagen anhängig macht. Eine endgültige schriftliche Weigerung der Miterben muss jedoch vorliegen. Hier hat die Klägerin zwar vorgetragen, dass eine der Miterbinnen, die ihr gegenüber immer als Sprecherin der anderen aufgetreten sei, telefonisch jede Übernahme von Bestattungskosten durch die übrigen Miterben abgelehnt habe. Erforderlich ist nach Auffassung der Kammer jedoch zumindest, dass der Hilfebedürftige seine Ansprüche jeweils gegenüber allen Miterben schriftlich geltend macht. Erst, wenn diese schriftlich die Kostenübernahme ablehnen oder auch auf eine schriftliche Erinnerung nicht antworten, wird von einem endgültigen Scheitern der Geltendmachung auszugehen sein. Eine schriftliche Geltendmachung hält die Kammer deshalb für erforderlich, weil diese zum einen leichter beweisbar sind und zum anderen ein anderes Gewicht besitzen als ein bloß mündliches Verlangen.

Hieran ändert auch die nach § 31 des baden-württembergischen Gesetzes über das Friedhofs- und Leichenwesen (Bestattungsgesetz – bwBestattG) bestehende Bestattungspflicht der Klägerin nichts. Denn diese Bestattungspflicht führt nur dazu, dass sie die Bestattung zu veranlassen hat. Wer letztlich im Verhältnis zu ihr in welchem Umfang diese Kosten zu tragen hat, richtet sich dagegen nach bürgerlichem Recht.

Soweit der Beklagte allerdings das Vermögen der Klägerin in Höhe von 7,77 Euro vollständig auf den auf die Klägerin entfallenden Anteil der Bestattungskosten angerechnet hat, ist der Bescheid rechtswidrig.

Denn die Zumutbarkeit des Einsatzes von Vermögen ist nach den Bestimmungen der §§ 90, 91 SGB XII zu beurteilen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 SGB XII, Rn. 37).

Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist zwar das gesamte verwertbare Vermögen eines Hilfebedürftigen einzusetzen. Die Sozialhilfe darf aber nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 nicht vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BarbetragsVO) sind kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, wenn – wie hier – die Sozialhilfe vom Vermögen der nachfragenden Person abhängt, bei Leistungen nach dem Fünften bis – wie hier – Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2.600 Euro. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin am 19.6.2008, dem Tag der Entscheidung der Kammer, ein diesen Freibetrag überschreitendes Vermögen hatte, bestehen nicht. Damit war Vermögen der Klägerin nicht auf ihren Anspruch anzurechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei dem nur sehr geringfügigen Obsiegen der Klägerin erschien es der Kammer nicht billig, den Beklagten zur Tragung auch nur eines Teils der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verpflichten.

Gründe, für den Beklagten die Berufung zuzulassen, sieht die Kammer nicht.
Rechtskraft
Aus
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