L 3 AS 26/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 2387/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 26/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Unter Berufsausbildung im Sinne von § 15 SGB III ist nicht auch die schulische Berufsausbildung zu verstehen.
2. Zur Abgrenzung eines Ausbildungsverhältnisses mit einem Arbeitgeber zu einer Ausbildung in einem öffentlich-rechtlichen Schulverhältnis (hier: Bildungsgang zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin an einer Berufsfachschule).
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für die Fahrt zu einer Informationsveranstaltung des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. streitig.

Die am 1990 geborene Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug der Beklagten.

Mit Aufnahmebescheid des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. vom 18. Mai 2006 wurde die Klägerin zum Bildungsgang "Pharmazeutisch-technische Assistentin" an der Berufsfachschule des Schulzentrums zugelassen.

Am 20. Juni 2006 beantragte die Klägerin die Übernahme von Reisekosten zu einer Informationsveranstaltung des Ausbildungsberufs Pharmazeutisch-technische Assistentin an diesem Schulzentrum, an der sie am 13. Juni 2006 teilgenommen hatte, nachdem sie erst am gleichen Tag durch die Schule von der Veranstaltung telefonisch in Kenntnis gesetzt worden war. Seit dem 4. September 2006 befindet sich die Klägerin an der Berufsfachschule des Schulzentrums in der Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2006 lehnte die Beklagte die Erstattung von Reisekosten ab, da es sich bei der Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin um eine schulische Ausbildung handele, welche prinzipiell nicht förderfähig sei.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 5. September 2006 zurück, da die Übernahme von Reisekosten als Leistung zur Eingliederung in Arbeit nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung unterstützen solle. Ausbildungen an schulischen Ausbildungsstätten seien daher nicht förderfähig.

Die am 5. Oktober 2006 gegen den Ablehnungsbescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht am 5. Februar 2007 durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nach § 16 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) i. V. m. § 45 Satz 2 Nr. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) lägen nicht vor. Voraussetzung für die Bewilligung sei, dass die Klägerin arbeit- oder ausbildungsuchend sei. Ausbildungsuchende seien gemäß § 15 SGB III Personen, die eine Berufsausbildung suchten. Unter Berufsausbildung im Sinne von § 15 SGB III sei nicht die schulische Berufsausbildung zu verstehen, da diese kein Ausbildungsverhältnis mit einem Arbeitgeber als Teil des dualen Systems begründe. Aus § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III folge jedoch, dass die Vermittlungstätigkeit im Rahmen der Arbeitsförderung auf die Zusammenführung von Ausbildungssuchenden mit Arbeitgebern zur Begründung eines Ausbildungsverhältnisses ausgerichtet sei. Eine solche Ausbildung finde an Ausbildungsstellen des dualen Systems, nicht aber an den durch abstrakt-theoretische Wissensvermittlung gekennzeichneten Schulen statt. Das Landessozialgericht Berlin habe in einer Entscheidung vom 15. August 2003 (Az.: L 4 AL 22/02) bestätigt, dass § 45 SGB III nur die Ausbildungsuchenden erfasse, die ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anstrebten. Dies folge aus der Nennung der Ausbildungsuchenden neben der Gruppe der Arbeitslosen und der von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden sowie aus dem Äquivalenzprinzip der Arbeitslosenversicherung.

Die Klägerin hat am 5. März 2007 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Dem Wortlaut des § 15 SGB III sei nicht zu entnehmen, dass die eine schulische Ausbildung Suchenden nicht erfasst seien. Auch eine schulische Ausbildung stelle eine Ausbildung dar. Nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) zähle die Ausbildung an einer Berufsfachschule zum dualen Bildungssystem. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin vom 15. August 2003 betreffe einen anderen Sachverhalt. Im Übrigen sei die Klägerin auch als Arbeitslose im Sinne des § 45 SGB III anzusehen. Ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf darlehensweise Leistungsgewährung werde nicht geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Reisekosten) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Ausbildung der Klägerin zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin stelle keine Berufsausbildung im Sinne des § 15 Satz 1 SGB III dar, sondern eine schulische Ausbildung an einer Berufsfachschule. Kennzeichnend für eine Berufsausbildung sei das Lernen und Arbeiten in einem Ausbildungsbetrieb über den gesamten Zeitraum der Ausbildung. Ein Auszubildender einer schulischen Ausbildung absolviere dagegen nach seiner theoretischen Ausbildung lediglich ein Betriebspraktikum.

Das Gericht hat zur Sachaufklärung und Beweiserhebung berufskundliche Unterlagen zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin aus der Berufenet-Datenbank der Bundesagentur für Arbeit beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch das Sozialgericht gemäß § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 SGG form- und fristgereicht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Fahrtkosten zur Informationsveranstaltung des Ausbildungsberufs Pharmazeutisch-technische Assistentin am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen D. am 13. Juni 2006.

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung kann die Agentur für Arbeit, deren Aufgaben als Leistungsträger nach dem SGB II gemäß § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II von der Arbeitsgemeinschaft wahrgenommen werden, für erwerbsfähige Hilfebedürftige als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit bestimmte im SGB III geregelte Leistungen erbringen. Dazu zählt auch die im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III in § 45 Satz 2 Nr. 2 vorgesehene Kostenübernahme für Fahrtkosten zur Berufsberatung, Vermittlung, Eignungsfeststellung und zu Vorstellungsgesprächen (Reisekosten). Die Leistung wird gemäß § 45 Satz 1 SGB III Arbeitslosen, von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden sowie Ausbildungsuchenden gewährt, wenn der Arbeitgeber eine gleichartige Leistung nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Sie steht im Ermessen des Leistungsträgers.

Der Klägerin standen als Anspruchsberechtigter nach dem SGB II zwar grundsätzlich Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu. Die Voraussetzungen für die Übernahme der im Zusammenhang mit der Fahrt zur Informationsveranstaltung am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen D. entstandenen Kosten sind jedoch nicht erfüllt, da die Klägerin keiner der in § 45 Satz 1 SGB III genannten Personengruppen unterfällt.

Sie ist insbesondere keine Ausbildungsuchende im Sinne des SGB III. Nach der Legaldefinition des § 15 Satz 1 SGB III sind Ausbildungsuchende Personen, die eine Berufsausbildung suchen. Die von der Klägerin angestrebte Ausbildung an einer Berufsfachschule stellt keine Berufsausbildung im Sinne von § 15 Satz 1 SGB III dar. Das SGB III unterscheidet entsprechend seiner Zielsetzung, durch Leistungen der Arbeitsförderung Beschäftigungsstand und Beschäftigungsstruktur auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern (§ 1), ausdrücklich zwischen der beruflichen Ausbildung und der schulischen Bildung. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III, § 7 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gilt nur der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen der betrieblichen Berufsausbildung auch als (versicherungspflichtige) Beschäftigung. Demgegenüber stellt die Wissensvermittlung an schulischen Ausbildungsstätten, auch wenn diese der beruflichen Bildung dient, kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des SGB III dar, da keine Eingliederung in den Produktions- oder Dienstleistungsprozess einer betrieblichen Organisation erfolgt. Eine berufliche Ausbildung ist demgemäß nach § 60 Abs. 1 SGB III nur dann durch eine Berufsausbildungsbeihilfe förderfähig, wenn sie betrieblich oder außerbetrieblich aufgrund eines Berufsausbildungsvertrages durchgeführt wird. Entsprechend umfasst die Ausbildungsvermittlung als eine der Leistungen der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III nur jene Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, Ausbildungsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines (betrieblichen) Ausbildungsverhältnisses zusammenzuführen. Ebenso erstreckt sich nach § 30 Satz 2 SGB III die Berufsberatung nur dann auch auf die Erteilung von Auskunft und Rat zu Fragen der schulischen Ausbildung, soweit sie für die Berufswahl und die berufliche Ausbildung von Bedeutung sind. Daraus wird deutlich, dass unter Berufsausbildung im Sinne des § 15 SGB III nicht auch die schulische Berufsausbildung verstanden werden kann (ebenso Fuchsloch, in: Gagel, SGB III-Arbeitsförderung [Stand: 30. Erg.-Lfg., September 2007], § 15 Rdnr. 8; Brand, in: Niesel, SGB III [4. Aufl., 2007], § 30 Rdnr. 5, § 35 Rdnr. 18; Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III [Stand. Dezember 2007], § 15 Rdnr. 19; Rademacher in: Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsrecht [Stand; September 2007], § 15 SGB III Rdnr. 14, 15). Im Übrigen ist diese Auslegung auch § 45 SGB III selbst zu entnehmen, da die Vorschrift Leistungen lediglich für den Fall vorsieht, dass der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht erbringt oder erbringen wird. § 45 SGB III setzt demnach ebenfalls voraus, dass die Ausbildungssuche auf die Kontaktaufnahme mit einem potenziellen Arbeitgeber ausgerichtet ist.

Der Bildungsgang zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin an der Berufsfachschule des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. erfolgt nicht im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses mit einem Arbeitgeber (Ausbilder), sondern stellt eine Ausbildung in einem öffentlich-rechtlichen Schulverhältnis dar. Er findet an einer staatlichen Berufsfachschule statt. Das Ausbildungsverhältnis wird durch einen Aufnahmebescheid begründet. Ein Berufsausbildungsvertrag nach § 10 BBiG wird nicht abgeschlossen. Die Ausbildung besteht ausweislich der beigezogenen berufskundlichen Unterlagen aus theoretischem und praktischem Unterricht an der Berufsfachschule einschließlich eines vierwöchigen Apothekenpraktikums. Erst danach ist ein sechsmonatiges Anerkennungspraktikum zu absolvieren. Es handelt sich demzufolge bei diesem Bildungsgang nicht um eine duale Ausbildung, die in einem Ausbildungsbetrieb und einer schulischen Ausbildungsstätte durchgeführt wird, sondern um eine rein schulische Ausbildung, die aus dem betrieblichen Geschehen ausgegliedert ist. Unerheblich ist, ob der Beruf der Pharmazeutisch-technischen Assistentin einen anerkannten Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz darstellt. Ebenso wenig von Belang ist, ob die Berufsfachschule des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. Lernort im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBiG im Rahmen einer dualen Ausbildung sein kann. Ausschlaggebend ist, dass die Ausbildung an dieser Schule nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb eines Arbeitgebers anzusehen ist. Die Klägerin war somit bei ihrer Teilnahme an der Informationsveranstaltung der Schule keine Ausbildungssuchende im Sinne des SGB III.

Eine Kostenerstattung steht der Klägerin auch nicht als Arbeitsloser zu. Arbeitslose im Sinne des § 45 SGB können nach der insofern anwendbaren Legaldefinition des § 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nur Personen sein, die nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung suchen. Die Fahrt der Klägerin zur Informationsveranstaltung der Berufsfachschule erfolgte jedoch nicht im Rahmen der Suche nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern zur Aufnahme einer schulischen Ausbildung, wie bereits ausgeführt wurde.

Die Klägerin erfüllt damit bereits nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für Leistungen nach § 45 SGB III.

Es kann daher offen bleiben, ob der Klägerin eine rechtzeitige Antragstellung nach § 37 Abs. 1 SGB II tatsächlich unmöglich war, sodass der nachträgliche Antrag einer Leistungsgewährung trotz § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht entgegenstünde.

Weitere Anspruchsgrundlagen für Leistungen der Beklagten sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Klägerin einen Sonderbedarf nach § 23 Abs. 1 SGB II ausdrücklich nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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