L 3 AL 167/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AL 2028/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 167/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Ausnahmeregelungen des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und des § 434d Abs. 1 SGB III sollten nur solche Ausbildungen betreffen, bei denen Bundes- oder Landesgesetze (\"Berufsgesetze\") keine Verkürzung der Ausbildung vorsahen.
2. Die Verkürzung der Dauer der Umschulung zur Arzthelferin auf zwei Jahre war im Jahr 2003 nicht durch bundes- oder landesgesetzliche Regelungen ausgeschlossen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 5. Mai 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung der Förderung einer Umschulung zur Arzthelferin im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X).

Die 1975 geborene Klägerin ist gelernte Restaurantfachfrau. Vom 2. Oktober 1999 bis zum 29. Februar 2000 sowie erneut ab dem 17. April 2003 bezog sie Arbeitslosengeld. Zwischenzeitlich befand sich die Klägerin im Mutterschutz sowie im Erziehungsurlaub.

Am 16. Mai 2003 beantragte die Klägerin die Umschulung zu einer Arzthelferin. Laut Umschulungsvertrag vom 23. Mai 2003 betrug die Dauer der Ausbildung 30 Monate vom 25. August 2003 bis zum 24. Februar 1006.

Der Antrag wurde von der Beklagten am 8. August 2003 unter Verweis auf § 85 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) abgelehnt, da die Dauer der Umschulung im Vergleich zur regulären Ausbildung nicht um mindestens 1/3 verkürzt sei und der Ausnahmefall einer durch bundes- oder landesgesetzliche Regelungen ausgeschlossenen Verkürzung der Ausbildungszeit nicht vorliege. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. August 2003 zurück. Die Ausbildungszeit der Klägerin überschreite die maximale Dauer von 2 Jahren, die sich bei einer Verkürzung der regulären Ausbildungszeit von 36 Monaten um 1/3 ergebe. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Ausnahmeregelung des § 434d Abs. 1 SGB III berufen, da der Beruf der Arzthelferin kein bundes- oder landesgesetzlich geregelter Beruf sei. Die hiergegen gerichtete Klage wurde wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Am 18. November 2003 beantragte die Klägerin die Rücknahme des Bescheides vom 8.August 2003 gemäß § 44 SGB X. Die Verkürzung der Ausbildungszeit auf 30 Monate beruhe auf einem Beschluss der Sächsischen Landesärztekammer vom 4. Dezember 1993. Der Beschluss stelle Satzungsrecht und damit eine landesgesetzliche Regelung im Sinne des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III dar. Gemäß 434d SGB III sei die Ausbildung für ihre Gesamtdauer zu fördern. Das Auswahlermessen sei auf Null reduziert, da in Sachsen keine weiteren Umschulungsmaßnahmen dieser Art angeboten würden.

Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 15. Januar 2004 und Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2004 ab.

Hiergegen richtet sich die am 3. November 2004 erhobene Klage. Eine Verkürzung der dreijährigen Ausbildungsdauer sei ausgeschlossen, da weder eine bundes- noch eine landesgesetzliche Regelung über die Möglichkeit einer lediglich zweijährigen Ausbildung zur Arzthelferin existiere.

Im Verfahren über einen Antrag der Klägerin auf einstweiligen Rechtsschutz wurde die Beklagte durch Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2005 (Az. L 2 B 192/04 AL-ER) verpflichtet, der Klägerin einen vorläufigen Bildungsgutschein für eine zweieinhalb Jahre dauernde Umschulung zur Arzthelferin zu erteilen und ihr vorläufig die Kosten der bereits begonnenen Maßnahme und Unterhaltsgeld ab Maßnahmebeginn zu gewähren.

Durch Urteil vom 5. Mai 2006 hat auch das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Januar 2004 verurteilt, den Bescheid vom 8. August 2003 gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen und der Klägerin den beantragten und bereits vorläufig erteilten Bildungsgutschein endgültig zu erteilen. Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 SGB III in der Fassung des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 für die Förderung der Umschulung und damit für die Erteilung eines Bildungsgutscheines seien erfüllt. Insbesondere sei gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III i. V. m. § 434d Abs. 1 SGB III auch eine zweieinhalbjährige Maßnahme zu fördern. Die Dauer der Ausbildung sei angemessen im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 4 SGB III, da eine Verkürzung der regulären Ausbildungsdauer von drei Jahren um mindestens 1/3 nach bundes- bzw. landesgesetzlichen Regelungen ausgeschlossen sei. Die Regelungen über die Förderungsfähigkeit trotz fehlender Verkürzungsmöglichkeit gingen auf § 417 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung vom 24. Juli 1999 zurück. In der Begründung zu dieser Übergangsvorschrift sei ausdrücklich auf die Gesundheitsfachberufe Bezug genommen worden, bei denen eine Verkürzung nach den jeweiligen Berufsgesetzen in der Regel ausscheide, sodass Weiterbildungsmaßnahmen in diesen Berufen ohne eine Sonderregelung nicht gefördert werden könnten. In der auf Grund der Ermächtigung in § 25 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) erlassenen Verordnung über die Berufsausbildung zum Arzthelfer/Arzthelferin (ArztHAusbV) vom 10. Dezember 1985 sei eine dreijährige Ausbildungsdauer bestimmt. Von der nach § 47 Abs. 3 BBiG eröffneten Möglichkeit kürzerer Ausbildungszeiten für Umschulungsmaßnahmen sei in dieser Verordnung kein Gebrauch gemacht worden. Damit sei eine Verkürzung auf Grund bundesgesetzlicher Reglungen ausgeschlossen. Dies werde bestätigt durch den auf § 29 Abs. 2 BBiG beruhenden Beschluss der Sächsischen Landesärztekammer vom 4. Dezember 1993 über die Möglichkeit der Verkürzung der Umschulung zum Arzthelfer auf zweieinhalb Jahre. Hieraus ergebe sich zwingend, dass eine weitere Verkürzung auf zwei Jahre auf Grund bundesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Bildungsgutscheines hätten somit vorgelegen. Das der Beklagten zustehende Entschließungsermessen sei auf Null reduziert, da keine gegen eine Förderung der Umschulung sprechenden Umstände ersichtlich seien.

Die Beklagte hat am 24. August 2006 Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Regelung des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III, wonach die Verkürzung auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen sein müsse, betreffe nur Berufsgesetze, die auf Bundes- oder Landesebene im regulären Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen seien und die bezüglich der Dauer keine Verkürzungsmöglichkeiten zuließen, etwa das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltpflG). Die vom Sozialgericht getroffene Auslegung des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III würde den Ausnahmecharakter der Vorschrift unterlaufen, da die für eine Verkürzung der Ausbildungsdauer zuständigen Stellen im Bereich der Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung (HwO) über die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung bestimmen könnten. Im Übrigen handele es sich bei dem Beruf der Arzthelferin nicht um einen Gesundheitsfachberuf im Sinne der Gesetzesbegründung zu § 417 SGB III.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 5. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich der angefochtenen Entscheidung an und verweist des Weiteren auf den Beschluss des 2. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2005. Die Verwendung des Terminus "auf Grund" in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III bedeute, dass sich der Ausschluss der Verkürzungsmöglichkeit nicht direkt aus einer gesetzlichen Regelung ergeben, sondern lediglich auf eine solche zurückzuführen sein müsse. Bei der Ausbildung zur Arzthelferin sei dies das Berufsbildungsgesetz, da es die Rechtsgrundlage für die nach diesem Gesetz durchzuführenden, durch Rechtsverordnung geregelten Ausbildungen bilde. Entscheidend sei somit, ob nach der jeweiligen Ausbildungsordnung eine Verkürzung der Ausbildung möglich sei. Dies sei bei der Ausbildung zur Arzthelferin nicht der Fall. Eine Verkürzung nach § 29 Abs. 2 BBiG sei hingegen erst im Laufe der Ausbildung möglich, wenn die Leistungen des Auszubildenden eine solche rechtfertigten. Die Förderfähigkeit der Weiterbildung müsse jedoch zu Beginn der Maßnahme festgestellt werden. Darüber hinaus handele es sich um eine individuelle Verkürzungsmöglichkeit. § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III verlange jedoch den Ausschluss einer generellen Verkürzung der Ausbildungszeit. Eine solche generelle Verkürzung sei auch nicht in Punkt II Nr. 2.3. des Beschlusses des Berufsbildungsausschusses Arzthelferinnen der Sächsischen Landesärztekammer vom 4. Dezember 1993 geregelt, da dieser die Verkürzung der Umschulung zur Arzthelferin auf zwei Jahre nur für Umschüler mit bestimmten Fachberufen zulasse. Die Anfechtung einer auf diese Regelung gestützten, eine Verkürzung ablehnenden Verwaltungsentscheidung durch von der Verkürzungsmöglichkeit ausgenommene Umschüler sei nicht zumutbar. Einer Erstreckung der Vorschrift des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III auf nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung durchzuführende Ausbildungen stehe auch nicht der Ausnahmecharakter der Norm entgegen, da in den meisten Ausbildungsverordnungen eine Verkürzung der Ausbildungszeit vorgesehen sei. Die Ausnahmeregelung solle allerdings nach den Gesetzesmaterialien zu § 417 SGB III nicht nur die dort beispielhaft angeführten Gesundheitsfachberufe betreffen, wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergebe. Im Übrigen handele es sich bei dem Beruf der Arzthelferin ausweislich einer Übersicht der Bundesärztekammer um einen Gesundheitsfachberuf. Schließlich bestehe auch ein arbeitsmarktpolitisches Bedürfnis für die Anwendung des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III auf die Umschulung zur Arzthelferin, da anderenfalls diese Weiterbildung für Umschüler ohne Fachberufe im Sinne des Beschlusses der Landesärztekammer nicht möglich sei. Gerade fachfremde Umschüler benötigten jedoch die Weiterbildung, um auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen zu können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Akte L 2 B 192/04 AL-ER sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung.

II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte ist zur Rücknahme ihres Bescheides vom 8. August 2003 nicht verpflichtet. Die Ablehnung des Antrags auf Förderung der Umschulung zur Arzthelferin ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Förderung.

Eine Behörde ist gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nur dann verpflichtet, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben sind. Die Beklagte hat der Klägerin die beantragte Förderung jedoch zu Recht versagt.

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der hier maßgebenden, ab dem 1. Januar 2003 geltenden Fassung des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4607) können Arbeitnehmer bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten und Leistung von Unterhaltsgeld gefördert werden, wenn 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden, bei Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung eine Vollzeitbeschäftigung zu erlangen oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. die Vorbeschäftigungszeit erfüllt ist, 3. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch das Arbeitsamt erfolgt ist und 4. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Daran gemessen steht einer Förderung der Umschulung der Klägerin zur Arzthelferin entgegen, dass diese Weiterbildungsmaßnahme weder für die Förderung zugelassen war noch die Zulassungsvoraussetzungen des § 85 SGB III erfüllte.

Zugelassen für die Förderung sind gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB III Maßnahmen, bei denen eine fachkundige Stelle festgestellt hat, dass die Maßnahme 1. nach Gestaltung der Inhalte der Maßnahme sowie der Methoden und Materialien ihrer Vermittlung eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten lässt und nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig ist, 2. angemessene Teilnahmebedingungen bietet, 3. mit einem Zeugnis abschließt, das Auskunft über den Inhalt des vermittelten Lehrstoffs gibt, 4. nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant und durchgeführt wird, insbesondere die Kosten und die Dauer angemessen sind.

Eine Zulassung der von der Klägerin durchgeführten Umschulung durch eine fachkundige Stelle liegt nicht vor. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Ob bei einer fehlenden Zulassung durch eine fachkundige Stelle gleichwohl ein Förderungsanspruch bejaht werden kann, wenn sämtliche Voraussetzungen für eine Zulassung vorlagen, kann dahingestellt bleiben. Denn die durchgeführte Umschulung war für eine Förderung zumindest deshalb nicht zuzulassen, weil ihre Dauer nicht angemessen war.

Die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führt, ist angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit verkürzt wird (§ 85 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Ist eine Verkürzung um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen, so ist die Förderung eines Maßnahmeteils von bis zu 2/3 der Maßnahme nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist (§ 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III). Die Dauer einer Vollzeitmaßnahme der beruflichen Weiterbildung, die bis zum 31. Dezember 2004 beginnt, ist gemäß § 434d Abs. 1 SGB III auch dann angemessen, wenn sie auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen nicht um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit verkürzt ist. Insofern ist § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB III (lies: § 85 Abs 2 Satz 3 SGB III) in der seit dem 1. Januar 2002 (bzw. in der seit dem 1. Januar 2003) geltenden Fassung nicht anzuwenden.

Die Dauer der Umschulung zur Arzthelferin von 30 Monaten überschritt die zulässige Dauer einer gegenüber der regulären Berufsausbildung um 1/3 verkürzten Ausbildungszeit.

Gemäß § 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Arzthelfer/zur Arzthelferin (Arzthelfer-Ausbildungsverordnung – ArztHAusbV) vom 10. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2002) handelte es sich bei der Berufsausbildung zur Arzthelferin um eine dreijährige Ausbildung. Eine um 1/3 verkürzte Ausbildungszeit betrug somit lediglich 24 Monate. Die diese Ausbildungszeit überschreitende Umschulung der Klägerin hatte daher keine für eine Förderung angemessene Dauer.

Ein Ausnahmefall nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III oder § 434d Abs. 1 SGB III ist – entgegen der Auffassung der Vorinstanz – hier nicht gegeben.

Diese Vorschriften setzen voraus, dass eine Verkürzung der Ausbildungszeit auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Vorschriften ausgeschlossen ist. Dies trifft auf die hier streitige Umschulung zur Arzthelferin in Sachsen nicht zu, wie die Auslegung der Normen nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Regelungszweck ergibt.

Schon der Wortlaut der Vorschriften spricht gegen ihre Erstreckung auf die streitige Ausbildung. Wie bereits ausgeführt, war diese Ausbildung in der vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit auf der Grundlage des § 25 BBiG (in der hier maßgeblichen, bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung) erlassenen Arzthelfer-Ausbildungsverordnung vom 10. Dezember 1985 geregelt. Es handelte sich somit um eine durch Rechtsverordnung des Bundes geregelte Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz. § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und § 434d Abs. 1 SGB III fordern jedoch ausdrücklich eine die Verkürzung der Ausbildungszeit ausschließende "gesetzliche" Regelung. Zwar wird im juristischen Sprachgebrauch unter einem Gesetz nicht nur das Gesetz im formellen Sinn verstanden, das einen im förmlichen Gesetzgebungsverfahren durch die gesetzgebende Körperschaft ergangenen Beschluss voraussetzt (Creifelds, Rechtswörterbuch [19. Aufl., 2007], S. 564), sondern auch das materielle Gesetz, also die eine abstrakt-generelle Regelung enthaltene Rechtsnorm (Creifelds, a. a. O.). Hätte der Gesetzgeber in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und § 434d Abs. 1 SGB III allerdings materiell-gesetzliche Regelungen, mithin auch eine Rechtsverordnung, genügen lassen wollen, hätte er sich des Begriffs "rechtlich" bedienen können. Bereits der Wortlaut legt somit nahe, dass es dem Gesetzgeber ausdrücklich um eine Beschränkung auf gesetzliche Regelungen im formellen Sinne gegangen ist.

Diese Auslegung wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und des § 434d Abs. 1 SGB III. Vorläuferregelung des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III war § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB III in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3443). Diese wurde bereits flankiert durch § 434d Abs. 1 SGB III, dem wiederum der bis zum 31. Dezember 2001 geltende § 417 SGB III in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 2007 (BGBl. I S. 594) und des 2. SGB-III-Änderungsgesetzes vom 21. Juli 1999 (BGBl. I S. 1648) vorausging.

In der Gesetzesbegründung zu § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB III hieß es (BT-Drucks. 14/6944, S. 35): "Nach geltendem Recht können Weiterbildungsmaßnahmen, die zu einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf führen, nur dann für die Weiterbildungsförderung anerkannt werden, wenn die Weiterbildungsdauer im Vergleich zur Dauer einer beruflichen Erstausbildung mindestens um mindestens 1/3 der Ausbildungszeit verkürzt ist; Berufe, die im Rahmen der beruflichen Erstausbildung in drei Jahren erlernt werden, sind dementsprechend bei beruflicher Weiterbildung innerhalb von 2 Jahren zu erlernen. Insbesondere in den Gesundheitsfachberufen ist eine Verkürzung der Ausbildungszeit auf Grund bestehender Bundes- und Landesgesetze, teilweise auf Grund von EU-Richtlinien nicht zulässig. Durch den bisherigen § 417 ist für diese Berufe eine Sonderregelung geschaffen worden, die eine Weiterbildungsförderung für die Dauer von drei Jahren ermöglicht. Diese Vorschrift gilt für bis zum 31. Dezember 2001 neu beginnende Maßnahmen. Die mit der befristeten Sonderregelung des bisherigen § 417 verbundene Erwartung, dass in den Berufsgesetzen Verkürzungsmöglichkeiten der Ausbildung bei Umschulung geschaffen werden, ist nicht eingetreten. Betroffen sind insbesondere die Gesundheitsfachberufe. Die Arbeitsämter sollen wegen der arbeitsmarktpolitischen Bedeutung solche Weiterbildungen trotzdem weiter fördern können. Die Förderung ist jedoch künftig längstens für die Dauer möglich, auf die die Weiterbildung bei bestehenden Verkürzungsmöglichkeiten zu verkürzen wäre, d.h., bei dreijähriger Weiterbildung für zwei Jahre. Um zu vermeiden, dass solche Weiterbildungen bei Beendigung der Förderung durch die BA aus finanziellen Gründen abgebrochen werden, ist eine Förderung außerdem nur dann zulässig, wenn bereits zu Beginn der Weiterbildung die Finanzierung für die gesamte Dauer gesichert ist. Die Finanzierung kann z.B. durch Leistungen Dritter gesichert sein. Da die Finanzierungsstrukturen für eine Teilfinanzierung durch Dritte noch geschaffen werden müssen, wird für eine dreijährige Übergangszeit eine Vollförderung durch die Bundesanstalt für Arbeit gewährleistet (s. Begründung zu § 434d)."

Entsprechend hatte der Regierungsentwurf zu § 417 SGB III bereits folgende Begründung enthalten (BT-Drucks. 13/4941, S. 225): "Für eine Übergangszeit soll diese Sonderregelung gewährleisten, dass auch die Teilnahme an einer Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung gefördert werden kann, wenn die Maßnahme wegen gesetzlicher Regelungen über die Dauer von Weiterbildungen nicht entsprechend § 92 Abs. 2 gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung verkürzt durchgeführt wird. Insbesondere in den gesetzlich geregelten gesundheitlichen Fachberufen und sozialpflegerischen Berufen scheidet eine Verkürzung nach den jeweiligen Berufsgesetzen in der Regel aus, so dass ohne diese Sonderregelung Weiterbildungsmaßnahmen mit entsprechenden Bildungszielen nicht mehr für die Weiterbildungsförderung anerkannt werden könnten. Die zulässige längere Dauer von Maßnahmen [ ] eröffnet den gesetzgebenden Körperschaften in Bund und Ländern die Möglichkeit, in angemessener Zeit in den jeweiligen Berufsgesetzen Verkürzungsmöglichkeiten für die berufliche Weiterbildung zu schaffen."

Folgerichtig wurde die Einführung des § 434d Abs. 1 SGB III wie folgt begründet (BT-Drucks. 14/6944, S. 52): "Die Regelung stellt bis zur Schaffung von Finanzierungsstrukturen für die Beteiligung Dritter an den Kosten nicht verkürzbarer Weiterbildungsmaßnahmen (s. Begründung § 92) für eine dreijährige Übergangszeit die volle Förderung solcher Weiterbildungen durch die Bundesanstalt für Arbeit sicher. Es wird davon ausgegangen, dass bis zum Ablauf der genannten Frist die erforderlichen Voraussetzungen für die Finanzierungsbeteiligung durch Dritte geschaffen worden sind."

Aus diesen Materialien wird deutlich, dass die Ausnahmeregelungen des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und des § 434d Abs. 1 SGB III nur solche Ausbildungen betreffen sollten, bei denen Bundes- oder Landesgesetze ("Berufsgesetze") keine Verkürzung der Ausbildung vorsahen (so wohl auch Stratmann, in: Niesel, SGB III – Arbeitsförderung – [2. Aufl., 2002], § 92 Rdnr. 8; vgl. nunmehr auch Stratmann, in: Niesel, SGB III – Arbeitsförderung – [4. Aufl., 2007], § 85 Rdnr. 13). Insbesondere handelte es sich nach den Begründungen um Ausbildungen in jenen Gesundheitsfachberufen und sozialpflegerischen Berufen, die – wie etwa die Krankenpflegeberufe – nicht durch Rechtsverordnungen, sondern durch Bundes- oder Landesgesetze geregelt waren (vgl. das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege – Krankenpflegegesetz [KrPflg] – vom 16. Juli 2003 [BGBl. I S. 1442]).

Es lässt sich den Materialien hingegen kein Hinweis entnehmen, dass auch nach dem Berufsbildungsgesetz in Rechtsverordnungen geregelte Berufsausbildungen erfasst seien sollten. Dies lässt sich angesichts des Ausnahmecharakters des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und des § 434d Abs. 1 SGB III auch nicht rechtfertigen. Die Beklagte hat insofern zurecht darauf hingewiesen, dass eine Erstreckung der Ausnahmeregelungen auf nach dem Berufsbildungsgesetz erlassene Rechtsverordnungen über Berufsausbildungen zur Einbeziehung einer Vielzahl von Berufen in deren Anwendungsbereich hinausliefe, die mit dem Zweck der Regelungen, eine Förderung von Ausbildungen ohne verkürzbare Ausbildungszeit nur ausnahmsweise für eine Übergangszeit in bestimmten Berufen zuzulassen, nicht zu vereinbaren ist.

Darüber hinaus ist eine Einbeziehung der nach dem Berufsbildungsgesetz durchgeführten Ausbildungen schon deshalb nicht erforderlich, weil in § 29 Abs. 2 BBiG eine Verkürzungsmöglichkeit vorgesehen war. Danach konnte die Dauer der nach dem Berufsbildungsgesetz durchgeführten Ausbildungen, zu denen nach § 47 BBiG auch die beruflichen Umschulungen zählen, auf Antrag durch die zuständige Stelle gekürzt werden, wenn zu erwarten war, dass der Auszubildende das Ausbildungsziel in der gekürzten Zeit erreicht. Eine solche Verkürzung wurde der Klägerin auch bereits vor Beginn der Ausbildung gewährt. Insofern kann diese nicht mit dem Argument durchdringen, eine Entscheidung über die Verkürzung wäre erst im Laufe der Ausbildung möglich gewesen. Nach § 29 Abs. 2 BBiG war vielmehr eine Verkürzung der Ausbildungszeit nicht von den während der Ausbildung erbrachten Leistungen abhängig, sondern konnte auch schon bei Vertragsabschluss vereinbart und der zuständigen Stelle zur Genehmigung vorgelegt werden (Wohlgemuth, BBiG [2. Aufl., 1995], § 29 Rdnr. 5). Dementsprechend sah auch der unter Bezugnahme auf § 29 Abs. 2 BBiG ergangene Beschluss des Berufsbildungsausschusses Arzthelferinnen der Sächsischen Landesärztekammer vom 4. Dezember 1993 unter Punkt II Nr. 2.1. und Nr. 2.3. vor, dass eine Umschulung "von vornherein" um sechs oder zwölf Monate abgekürzt werden könne. Dass im Falle der Klägerin keine Verkürzung auf zwei Jahre erfolgte, führt gleichwohl nicht dazu, den gesetzlichen Ausschluss einer solchen Verkürzung anzunehmen. Es hätte der Klägerin freigestanden, eine Verkürzung ihrer Ausbildung auf zwei Jahre zu beantragen und eine ablehnende Entscheidung gerichtlich anzufechten. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ihr dies unzumutbar gewesen sein sollte. Soweit die Klägerin geltend macht, bei § 29 Abs. 2 BBiG handele es sich um eine individuelle Verkürzungsmöglichkeit, die dem in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und § 434d Abs. 1 SGB III vorausgesetzten Fehlen einer generellen Verkürzungsmöglichkeit nicht entgegenstünde, ist dies ebenfalls nicht überzeugend. Nach den oben zitierten Gesetzesbegründungen kommt es allein auf das Fehlen jeglicher Verkürzungsmöglichkeit an. Existiert eine Verkürzungsregelung, besteht kein Bedürfnis mehr für die Anwendung der Ausnahmevorschriften.

Auf Grund der Verkürzungsmöglichkeit nach § 29 Abs. 2 BBiG kann schließlich der – auch von der Klägerin vertretenen – Auffassung, die Formulierung "auf Grund" mache deutlich, dass in Rechtsverordnungen geregelte Ausbildungen ohne in der Verordnung vorgesehene Kürzungsmöglichkeit ebenfalls von § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III und § 434d Abs. 1 SGB III erfasst würden (so SächsLSG, Urteil vom 4. März 2004 – L 2 AL 253/03), nicht gefolgt werden. Zwar werden – insbesondere – in Verfassungstexten häufig die qualifizierten Gesetzesvorbehalte von den schlichten Gesetzesvorbehalten durch die Verwendung der Worte "durch" oder "auf Grund" abgegrenzt. "Durch Gesetz" bedeutet regelmäßig, dass die erforderlichen Regelungen in einem Parlamentsgesetz enthalten sein müssen. Hingegen können bei der Verwendung der Formel "auf Grund eines Gesetzes" die hoheitlichen Akte auch von Verwaltungsbehörden (vgl. z. B. Artikel 2 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes [GG]) oder Gerichten (vgl. z. B. Artikel 104 Abs. 1 Satz 4 GG) nach Maßgabe hinreichender gesetzlicher Vorgaben erlassen werden. Eine verbindliche Begriffsbestimmung für die Worte "durch" oder "auf Grund" gibt es aber nicht. Aus diesem Grund ist stets in Bezug auf die jeweils entscheidungserhebliche Vorschrift zu prüfen, welcher der beiden Gesetzesvorbehalte gemeint ist (vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz [2. Aufl., 1999], Vor Art. 1 Rdnr. 117, m. w. N.).

Für die Regelung in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III ist festzustellen, dass sich der Gesetzgeber nach den Gesetzgebungsmaterialien nicht mit der beschriebenen terminologischen Unterscheidung befasst hat. Ausgehend von der Intention des Gesetzgebers, die Ausnahmeregelung in § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB III in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung und dann in der Nachfolgeregelung des § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III nur auf "Berufsgesetze", die keine Verkürzung der Ausbildungszeit vorsehen, zu beschränken, würde die Einbeziehung von Ausbildungsverordnungen ohne Verkürzungsmöglichkeiten zu einer nicht gewollten Ausweitung des Anwendungsbereiches der Ausnahmeregelung führen.

Die Verkürzung der Dauer der Umschulung zur Arzthelferin auf zwei Jahre war somit nicht durch bundes- oder landesgesetzliche Regelungen ausgeschlossen. Die eine solche Ausbildungszeit übersteigende Ausbildung der Klägerin war mangels Angemessenheit der Ausbildungsdauer nicht für die Förderung der beruflichen Weiterbildung nach dem SGB III zuzulassen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat hatte lediglich über den Einzelfall der Umschulung einer Restaurantfachfrau zur Arzthelferin im Freistaat Sachsen zu befinden.
Rechtskraft
Aus
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