L 7 AS 395/10 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 44 AS 2505/10 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 395/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Vom Arbeitgeber gezahlte Verpflegungszuschüsse können zweckbestimmte Einnahmen i. S. d. § 11 Abs. 3
Nr. 1a SGB II sein. Maßgeblich ist, ob die Zuwendung mit einer konkreten Zweckbestimmung erfolgt; nicht
entscheidend ist, ob der Empfänger zur zweckentsprechenden Verwendung der Einnahme verpflichtet ist.
2. Die zweckentsprechende Verwendung ist im Rahmen der Gerechtfertigkeitsprüfung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 2.
Hlbs. SGB II von Bedeutung.
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 01.06.2010 aufgehoben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern deren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab dem 01.05.2010, insbesondere um die Frage der Anrechnung von sog. Verpflegungsaufwendungen als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg.).

Die 1984 bzw. 1983 geborenen Bg. zu 1. und 2., die seit 2005 im Leistungsbezug der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) stehen, leben mindestens seit 2005 in einer gemeinsamen Wohnung. Seit 18.08.2008 arbeitete der Bg. zu 2. als Kraftfahrer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Als Gehalt wurde, wie sich aus § 4 des Arbeitsvertrages vom 13.08.2008 ergibt, ein Gehalt von 1.475,00 EUR pro Monat vereinbart. Ferner wurde vereinbart, dass bei einer Einsatzzeit von über acht Stunden 6,00 EUR, bei einer Einsatzzeit von über 12 Stunden 12,00 EUR und bei einer Einsatzzeit von über 24 Stunden 24,00 EUR "Verpflegungsaufwendungen" gezahlt würden. Die Zahlung des Lohnes sei jeweils am 10. des Folgemonats fällig.

Zum 01.07.2008 mieteten die Bg. zu 1. und 2. eine Dreizimmerwohnung mit einer Wohnung einer Wohnfläche von 70 qm, für die sie eine monatliche Kaltmiete i.H.v. 325,00 EUR zuzüglich Betriebskosten i.H.v. 140,00 EUR monatlich zu zahlen haben. Am 10.09.2008 wurde die gemeinsame Tochter, die Bg. zu 3., geboren.

Mit Bescheid vom 09.10.2009 wurden der Bedarfsgemeinschaft vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 Leistungen i.H.v. monatlich 391,78 EUR bewilligt; dieser Bescheid wurde wegen der zum 01.01.2010 erfolgten Kindergelderhöhung mit Bescheid vom 17.12.2009 dahin geändert, dass nunmehr monatliche Leistungen i.H.v. 371,78 EUR gezahlt wurden.

Am 22.03.2010 beantragten die Bg. die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Der Arbeitgeber des Bg. zu 2. bescheinigte am 16.03.2010 ein monatliches Bruttoentgelt von 1.475,00 EUR und ein Nettoentgelt von 1.069,39 EUR. Ausweislich der mit dem Antrag vorgelegten Lohnbescheinigungen für die Zeit von September 2009 bis Februar 2010 wurden zudem "Verpflegungszuschüsse" i.H.v. 325,26 EUR in 09/09, 330,00 EUR in 10/09, 384,00 EUR in 11/09, 210,00 EUR in 12/09, 378,00 EUR in 01/10 und 318,00 EUR in 02/10 gezahlt.

Nachdem der Antrag vom 22.03.2010 bis zum 28.04.2010 nicht beschieden worden war, haben die Bg. am 29.04.2010 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.05.2010 gestellt. Ihnen sei telefonisch mitgeteilt worden, dass ein Ablehnungsbescheid ergehen werde. Nunmehr sollten der Bedarfsgemeinschaft die Verpflegungszuschüsse als Einkommen angerechnet werden. Ohne die Anrechung der Verpflegungszuschüsse liege das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft unter deren Mindestbedarf. Jedoch handele es sich bei Verpflegungszuschüssen um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass die Bg. schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müssten, die nach Abschluss der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. So müsse sich die Bg. zu 1. allein krankenversichern und hierfür monatlich einen Versicherungsbeitrag von ca. 140,00 EUR aufbringen. Die Bg. haben ferner die Lohnsteuerbescheinigung von 2009, aus welcher sich Verpflegungszuschüsse i.H.v. 3.936,00 EUR ergeben, und die Lohnbescheinigung für März 2010 mit einem dokumentierten Verpflegungszuschuss von 366,00 EUR vorgelegt.

Die Bf. hat mit Bescheid vom 03.05.2010 vorläufig Leistungen i.H.v. jeweils 17,06 EUR für die Bg. zu 1. und 2. und von 6,49 EUR für die Bf. zu 3. für die Zeit vom 01.05.2010 bis 31.10.2010 bewilligt und als Grund für die Vorläufigkeit der Leistung zum einen die nicht bekannte Höhe des Erwerbseinkommens des Bg. zu 2. angegeben. Darüber hinaus würden die Leistungen als Überbrückungsleistung für die der Höhe nach ungeklärten Ansprüche gegenüber der Familienkasse Plauen und der Wohngeldstelle des Landratsamtes Erzgebirgskreis gewährt. Es müsse unverzüglich Antrag auf Kinderzuschlag und Wohngeld gestellt werden. Ferner müsse die Höhe des Beitrags zu einer freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung belegt werden. Der Berechnung der Leistungen hat die Bf. einen Gesamtbedarf von 1.360,00 EUR (davon 445,00 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung - KdU) und ein Nettoerwerbseinkommen von monatlich 1.423,39 EUR abzüglich eines Freibetrages von 312,00 EUR bereinigt um 60,00 EUR, somit ein Erwerbseinkommen von 1111,39 EUR zuzügl. Kindergeld i.H.v. 184,00 EUR zugrunde gelegt. Gegen den Bescheid ist Widerspruch eingelegt worden.

Das SG hat die Bf. mit Beschluss vom 01.06.2010 verpflichtet, den Bg. vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache monatliche Leistungen in Höhe von weiteren 378,39 EUR zu gewähren. Im Rahmen der Begründung des Beschlusses hat es ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich der durch den Bescheid vom 29.12.2009 umrissene Bewilligungszeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010. Die Bf. habe die Verpflegungszuschüsse zu Unrecht als Einkommen angerechnet. Diese dienten dem Ausgleich von Mehraufwendungen, die die Tätigkeit des Bg. zu 2. mit sich bringe und nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes der Bedarfsgemeinschaft. Schon aufgrund der Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten müsse der Bg. zu 2. regelmäßig Rasthöfe anfahren und dort längere Zeit verweilen. Zudem verbessere die Gewährung der Sonderzahlungen die Lage der Bg. nicht derart, dass daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt seien. Die einzelnen Ausgaben müssten dabei nicht konkret nachgewiesen werden, da dies dem Sinn einer Pauschalregelung widerspreche. Dass es sich um missbräuchliche verdeckte Lohnzahlung handele, liege fern. Es sei gerichtsbekannt, dass die gezahlten Spesen im Fernfahrergewerbe üblich seien. Aus § 6 Abs. 3 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ergebe sich nichts anderes. Diese Vorschrift habe keinen Bezug zu Spesenzahlungen des Arbeitgebers, sondern berücksichtige den Verpflegungsmehraufwand mit einem Pauschbetrag. Als rangniedere Norm könne sie die Vorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II nicht verdrängen. Auch die Verordnungsermächtigung des § 13 SGB II reiche nicht so weit, diese Abweichung zu legitimieren. Hiernach ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen von monatlich 701,50 EUR, so dass sich ein Anspruch auf Zahlung von (gerundet) monatlich 419,00 EUR ergebe. Somit habe die Bf. den Bg. weitere 378,39 EUR monatlich zu zahlen. Auch ein Anordnungsgrund sei, da es um die Sicherung des sog. soziokulturellen Existenzminimums gehe und die streitigen Beträge 10 % des Bedarfs überschritten, gegeben.

Gegen den ihr am 04.06.2010 zugestellten Beschluss hat die Bf. am 15.06.2010 Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Bg. zu 2. habe 2010 durchschnittlich 354,00 EUR Verpflegungszuschuss erhalten, welcher als Einkommen zu berücksichtigen sei. Der Bg. zu 2. sei durchschnittlich 17 Tage pro Monat mehr als 12 Stunden abwesend, so dass vom Einkommen Absetzungen i.H.v. 102,00 EUR monatlich gemäß § 6 Abs. 3 AlgII-V wegen Verpflegungsmehraufwandes vorgenommen worden seien. Soweit der Verpflegungsmehraufwand dazu diene, einen Mehraufwand auszugleichen, werde dieser Zweckbestimmung dadurch Rechnung getragen, dass vom Gesamteinkommen alle berufsbedingten Mehraufwendungen als Werbungskosten gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II in Abzug gebracht werden könnten.

Die Bf. beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 01.06.2010 aufzuheben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Bg. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei den vom Arbeitgeber gewährten Verpflegungszuschüssen um eine pauschale Abrechnung der dem Arbeitnehmer während seiner Tätigkeit entstandenen Aufwendungen. Da insoweit Kosten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber gezahlt würden, könne dieser genau bezifferte Anteil nicht als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden. Dieser Sichtweise stehe § 6 Abs. 3 Alg II-V nicht entgegen, da diese Regelung nur greife, wenn zum einen anrechenbares Einkommen vorliege und zum anderen eine vorübergehende entfernte Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor.

Sie haben noch mitgeteilt, sie könnten nicht alle Ausgaben, die der Bg. zu 2. im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gehabt habe, belegen, da manche nicht aufbewahrt worden seien. Dusch- und Toilettenmarken müssten abgegeben werden. Da der Bg. zu 2. im LKW einen kleinen Kühlschrank habe, nehme er größtenteils sein Essen von zuhause mit. Belege für Mahlzeiten und Lebensmittel in Raststätten aus der Zeit von 26.04.2008 bis 06.08.2008 sind i.H.v. insgesamt ca. 105,00 EUR vorgelegt worden. Ferner sind Belege aus dieser Zeit für Einkäufe in einer Filiale des Netto Einkaufsmarktes des Wohnortes der Bg., vorgelegt worden, wobei die Bg. als Einkäufe des Bg. 2. für seine berufliche Tätigkeit einen Betrag i.H.v. insgesamt ca. 252,00 EUR gekennzeichnet haben. Ferner sind zwei Duschbelege (2,50 EUR und 2,60 EUR), fünf sanifair-Belege zu je 0,50 EUR und 16 Einzelfahrscheine zu je 1,70 EUR vorgelegt worden. Mit Schreiben vom 14.09.2010 sind noch die Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Bg. zu 2. für die Zeit von März 2010 bis Juli 2010 vorgelegt worden, aus denen sich Verpflegungszuschüsse für Mai 2010 i.H.v. 390,00 EUR, für Juni 2010 i.H.v. 444,00 EUR und für Juli 2010 i.H.v. 420,00 EUR ergeben. Die Lohnabrechnung für August 2010 könne noch nicht vorgelegt werden

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Bf. verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig; insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Insbesondere fehlt es nicht deswegen an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde, weil die Antragsgegnerin, ohne die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG zu nutzen, ihrer Verpflichtung aus dem Beschluss vom 30.11.2007 nachgekommen ist und sich der Rechtsstreit dadurch erledigt haben könnte (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2006 - L 10 B 654/06 AS, RdNr. 1f, zitiert nach Juris). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung Geleistete den Rechtsstreit nicht erledigt (BGH, Urteil vom 16.11.1993 - X ZR 7/92; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2007 - L 32 B 1565/07 AS ER, RdNr. 2f m.w.N.). Es gibt nämlich keine gesetzliche Grundlage, aufgrund derer von einer Beschränkung des Rechtsschutzes der unterlegenen Behörde ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren ausgegangen werden könnte; die Beschwerde setzt nur voraus, dass der Beschwerdeführer sein Begehren auf eine vorläufige Regelung beschränkt und nicht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine endgültige Klärung begehrt (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., RdNr. 2). Somit ist die Möglichkeit der Durchsetzung eines Erstattungsanspruches bei Aufhebung der einstweiligen Anordnung noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens grundsätzlich ausreichend, um ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin für die Beschwerde zu bejahen (SächsLSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss vom 09.08.2010 - L 7 AS 595/09 B ER m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, wobei sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsache- oder Widerspruchsverfahren streitigen Anspruch bezieht (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, RdNr. 291). Es sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und Antragstellern nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was sie im Hauptsacheverfahren erreichen können. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl. 2006, § 86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können und sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).

Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage eines Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O, § 86b RdNr. 27a).

Vorliegend ist zunächst ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der dem Bg. zu 2. gewährte Verpflegungszuschuss ist als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft der Bg. zu berücksichtigen; deren Bedarf ist durch die vorhandenen Einkünfte gedeckt.

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Der dem Bg. zu 2. von seinem Arbeitgeber gewährte Verpflegungszuschuss unterfällt keiner der in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II genannten Ausnahmen. Er ist des Weiteren auch nicht als zweckbestimmte Leistung i.S. des § 11 Abs 3 Nr. 1a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen.

Nach letzterer Vorschrift sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Die an den Begriff der zweckbestimmten Einnahmen zu stellenden Anforderungen ergeben sich aus der Systematik des § 11 SGB II und dem Sinn und Zweck der Regelung. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind grundsätzlich alle eingehenden geldwerten Leistungen, unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrem Rechtscharakter zu berücksichtigen. Die Nichtberücksichtigung von Einnahmen als Einkommen erfolgt nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II nur unter engen Voraussetzungen, die ausdrücklich durch den Zweck der weiteren Einnahmen gerechtfertigt sein müssen. Es war die Intention des Gesetzgebers des SGB II, die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie bisher in der Sozialhilfe zu regeln (BT-Drucks 15/1516 S. 53 zu § 11). Nach sozialhilferechtlichen Vorschriften sollte es bei der Einkommensberücksichtigung verbleiben, wenn eine Zweckidentität mit Sozialhilfeleistungen festgestellt oder die andere Leistung ohne ausdrückliche Nennung eines Zwecks "zweckneutral" gewährt wurde. Sinn des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II ist es hiernach, zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch ihre Berücksichtigung als Einkommen im Rahmen des SGB II verfehlt wird bzw. für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden. Dabei ergibt sich die Zweckbestimmung in der Regel aus einer öffentlich-rechtlichen Norm, jedoch können auch zweckbestimmte Einnahmen auf privatrechtlicher Grundlage hierunter fallen, wobei eine Vereinbarung erforderlich ist, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung von dem Arbeitnehmer für einen bestimmten privatrechtlichen Verwendungszweck verwendet werden soll (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 89/09 R, RdNr. 17f m. zahlreichen w.N.).

Einkommen des Bg. zu 2. i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist vorliegend das ihm von seinem Arbeitgeber monatlich gezahlte Nettoentgelt von 1.069,39 EUR zuzüglich der jeweils gezahlten Verpflegungszuschüsse (i.H.v. 390,00 EUR für Mai 2010, von 440,00 EUR für Juni 2010, und von 420,00 EUR für Juli 2010). Eine der Ausnahmen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist für diese Einnahmen nicht gegeben.

Eine Privilegierung der dem Bg. zu 2. gezahlten Verpflegungszuschüsse nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II kommt vorliegend in Betracht, weil der Bg. zu 2. und sein Arbeitgeber im Arbeitsvertrag vom 03.08.2008 eine Regelung dahin getroffen haben, dass Verpflegungsaufwendungen in der dort genannten Höhe zuzüglich zum monatlichen Gehalt gezahlt werden und diese Vereinbarung jedenfalls so zu verstehen ist, dass mit den gezahlten Beträgen erhöhte Kosten für Verpflegung pauschal ersetzt werden sollten und somit dem Bg. zu 2. mit einer konkreten Zweckbestimmung zugewandt wurden (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2006 - L 5 B 549/06 AS ER, RdNr. 14), die nicht identisch mit dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II - Sicherung der Existenz des Leistungsempfängers bzw. der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft Lebenden - ist. Für die Annahme einer zweckbestimmten Einnahme ist dabei nach Ansicht des Senates nicht entscheidend, ob der Empfänger zur Verwendung der Einnahme dem Zweck entsprechend verpflichtet war. Ausreichend ist, dass eine Vereinbarung vorhanden sein muss, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung von dem Arbeitnehmer für einen bestimmten Zweck (privatrechtlicher Verwendungszweck) verwendet werden soll (BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 47/08 RdNr. 21, bestätigt in BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/09 R RdNrn. 16 ff.; Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 19/07 R, RdNr. 15 ff; ebenfalls bestätigt in BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/09 R, RdNrn. 16 ff; a.A. SG Dresden, Urteil vom 01.09.2010, RdNr. 34 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt vorliegend die Vereinbarung in § 4 des zwischen dem Bg. zu 2. und seinem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrages, soweit sie bestimmt, dass "Verpflegungsaufwendungen" gezahlt werden. Allerdings ist weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen auch bei fehlender Zweckidentität nur dann nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II als Einkommen unberücksichtigt bleiben, wenn sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Eine solche Besserstellung kann gegeben sein, wenn zweckbestimmte, aber frei verfügbare Lohnzuschüsse, ggf. in Höhe der steuerfreien Sätze, den tatsächlich entstehenden Mehraufwand vor allem für Auswärtsverpflegung übersteigen, deshalb nur zum Teil bestimmungsgemäß verwendet werden müssen und mit dem überschießenden Betrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen (vgl. BSG, Urt. v. 30.09.2008, a.a.O.; Dau in jurisPR-SozR 7/2010, Anm. zu SG Chemnitz, Urteil vom 28.01.2010 - S 6 AS 2054/09).

Die Privilegierung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II scheitert vorliegend unter Würdigung der Besonderheiten des hier zu entscheidenden Einzelfalles an der sog. Gerechtfertigkeitsprüfung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Für diese ist unter Berücksichtigung der Dauer und Höhe der Einnahmen eine vergleichende Betrachtung mit anderen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen vorzunehmen (vgl. Urteil des Senats vom 17.05.2010 - L 7 AS 25/07 RdNR. 54 ff. m.w.N.). Sie ergibt vorliegend, dass die dem Bg. zu 2. gezahlten Verpflegungszuschüsse seine Lage bzw. die Lage der Bedarfsgemeinschaft der Bg. im Vergleich mit derjenigen sonstiger Leistungsempfänger so günstig beeinflussen, dass es nach Ansicht des Senates nicht gerechtfertigt wäre, sie bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II von der Einkommensanrechnung auszunehmen. Denn der Bg. zu 2. hat nicht glaubhaft gemacht, dass er die ihm gewährten Verpflegungszuschüsse in voller Höhe dem Zweck der Zuwendung entsprechend eingesetzt hat und die ihm tatsächlich entstandenen Mehraufwendungen sind zudem wegen der Vorschrift des § 6 Abs. 3 Alg II-V von der Bf. bereits vom Einkommen abgesetzt worden. Aus den vom Bg. zu 2. vorgelegten Belegen ergeben sich glaubhaft gemachte Aufwendungen von insgesamt ca. 350,00 EUR für Verpflegung während der Arbeitszeit des Bg. zu 2., bezogen auf einen Zeitraum von ca. 3 ½ Monaten, wobei lediglich ein Betrag von ca. 105,00 EUR auf Mahlzeiten und Einkäufe in Raststätten entfällt (monatlich jeweils weit unter 100,00 EUR) und der weiter geltend gemachte Verpflegungsaufwand in Form von Einkäufen in einem Lebensmittelmarkt im Wohnort des Bg. zu 2. nur zu einem geringen Teil einen Mehraufwand gegenüber der häuslichen Verpflegung darstellen dürfte. Da die Bf. zum Ausgleich von Mehraufwendungen für Verpflegung bereits einen Betrag von monatlich 102,00 EUR gemäß § 6 Abs. 3 Alg II-V vom Einkommen des Bg. zu 2. abgesetzt hat, kann davon ausgegangen werden, dass ihm die ihm tatsächlich entstandenen Mehraufwendungen für Verpflegung in vollem Umfange ersetzt worden sind. Die ihm darüber hinaus von seinem Arbeitgeber gezahlten Verpflegungszuschüsse bzw. Verpflegungsaufwendungen in der Größenordnung der Regelleistung für einen erwachsenen Hilfebedürftigen stehen der Bedarfsgemeinschaft der Bg. in vollem Umfang zur Deckung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der Lage anderer Hilfebedürftiger und unter Beachtung auch des fiskalischen öffentlichen Interesses wäre es nach Ansicht des Senates deshalb nicht gerechtfertigt, den Bg. Leistungen ohne Berücksichtigung der sog. Verpflegungsaufwendungen als Einnahmen zu gewähren.

Soweit der Bg. zu 2. über die Verpflegung hinaus gehende, mit der Erzielung seines Einkommens notwendig verbundene Aufwendungen z. B. für Übernachtungskosten, Dusche i.H.v. ca. 10,00 EUR glaubhaft gemacht hat, sind diese bei der endgültigen Berechnung der den Bg. zustehenden Leistungen ggf. einschließlich erforderlicher Fahrtkosten mit öffentlichen Verkehrsmitteln § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Angesichts der geringen Höhe der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes insoweit glaubhaft gemachten Aufwendungen (insgesamt unter 40,00 EUR in ca. 3 1/2 Monaten) ist jedoch ein Anordnungsgrund insoweit nicht gegeben.

Hiernach war der Beschluss des SG aufzuheben, soweit er nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved