Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 20 SF 675/09 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 438/10 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine entsprechende Anwendung des § 278 Abs. 6 ZPO im Sozialgerichtsprozess.
Die Abweichung im Wortlaut der Nr. 3106 VVRVG von der Nr. 3104 VVRVG ist kein Redaktionsversehen, sondern hängt damit zusammen, dass es den \"schriftlichen Vergleich\" gem. § 278 Abs. 6 ZPO im Sozialgerichtsprozess nicht gibt.
Die Abweichung im Wortlaut der Nr. 3106 VVRVG von der Nr. 3104 VVRVG ist kein Redaktionsversehen, sondern hängt damit zusammen, dass es den \"schriftlichen Vergleich\" gem. § 278 Abs. 6 ZPO im Sozialgerichtsprozess nicht gibt.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 28.06.2010 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Anwaltskosten in einer Angelegenheit nach dem SGB II. Die Beschwerdeführerin erhob im Auftrag von zwei in Bedarfsgemeinschaft lebenden Anspruchstellern am 18.02.2009 Klage zum SG Chemnitz mit dem Antrag, einen – mehrfach geänderten – Bescheid insoweit aufzuheben, als er "vom Einkommen des Klägers zu 2 den Abzug für die Kraftfahrzeugversicherung ab Dezember 2008 nicht gewährt und die angemessenen Kosten der Unterkunft auf den Betrag von 363,91 EUR begrenzt". Der angefochtene Bescheid betraf die Bewilligung für drei Monate. Betragsmäßig streitig waren somit pro Monat 45,09 EUR auf Grund der Begrenzung der KdU auf 363,91 EUR (die Gesamtkosten beliefen sich auf 409,00 EUR) und 14,15 EUR pro Monat (Kfz-Versicherung), insgesamt also für drei Monate 177,72 EUR.
Die Beteiligten einigten sich, die Sache vergleichsweise zu regeln, und zwar entsprechend einer Regelung in einem Parallelverfahren mit dem Aktenzeichen S 20 AS 140/08.
Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 11.05.2009 bewilligt.
Nachdem zunächst noch wegen gewisser Einzelposten nicht völlige Übereinstimmung in den schriftsätzlichen Erklärungen der Beteiligten bestand, schlug das Gericht mit Schreiben vom 11.06. einen Vergleich vor, der eine Kostenregelung (50 %) enthält und den ausdrücklichen Satz, dass der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt ist. Nachdem die Beklagte auch diesen Vergleich noch nicht annehmen wollte und einen zu ihren Gunsten um 0,54 EUR abgeänderten Vergleich vorschlug, mit dem sich die Klägerseite sofort einverstanden erklärte, erließ das Sozialgericht Chemnitz am 08.07.2009 folgenden Beschluss: Es wird gemäß den § 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, dass zwischen den Beteiligten folgender Vergleich zustande gekommen ist: I. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum Kosten der Unterkunft und Heizung von monatlich 404,06 EUR (sich zusammensetzend aus Grundmiete: 266,00 EUR; Betriebskosten: 61,00 EUR und Heizkosten: 89,00 EUR, abzüglich 11,94 EUR Warmwasserpauschale) übernimmt und den Klägern den sich ergebenden Differenzbetrag nachzahlt. II. Die Beklagte erstattet den Klägern 50 % von deren notwendigen außergerichtlichen Kosten. III. Damit ist der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt.
Die Abschlussverfügung stellt fest, dass das Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung erledigt worden sei, von den Alternativen - übereinstimmende Erledigungserklärung - angenommenes Anerkenntnis - Zurücknahme - Verbindung mit anderer Sache - Unterbrechen/Ruhen/Aussetzen - Sonstiges - Abgabe ist jedoch nichts angekreuzt.
Mit Schreiben vom 21.07.2009 beantragte die Beschwerdeführerin die Vergütungsfest- setzung wie folgt: VV RVG Nr. Betrag in Euro 3102, 1008 325,00 EUR 3106, Nr.1 200,00 EUR 1006 190,00 EUR 7002 20,00 EUR Zwischensumme 735,00 EUR 7008 139,65 EUR 874,65 EUR Davon 50 % 437,32 EUR
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 02.12.2009 wurde dem Antrag gefolgt mit Ausnahme der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG, eine solche sei nicht entstanden. Es ergab sich dadurch eine aus der Staatskasse zu erstattende Gesamtsumme von 199,32 EUR.
Mit der Erinnerung wurde geltend gemacht, es liege sehr wohl der Tatbestand der Nr. 3106 VV RVG vor, wonach die Terminsgebühr in Verfahren vor dem Sozialgericht auch dann entstehe, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. Der Beschluss vom 08.07.2009 sei eine solche Entscheidung.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28.06.2010 die Beschwerde zurückgewiesen. Auf den ausführlich begründeten Beschluss wird Bezug genommen.
Mit der Beschwerde wird das Vorbringen im Erinnerungsverfahren wiederholt und außerdem auf eine Entscheidung des SG Stuttgart vom 23.12.2009 hingewiesen, wonach die Nichterwähnung des schriftlichen Vergleichs in Nr. 3106 VV RVG eine richterrechtlich auszufüllende planwidrige Regelungslücke darstelle.
Der Bezirksrevisor ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die unstreitigen Positionen stehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats und bedürfen insoweit keiner weiteren Erörterung.
Streitig ist lediglich, ob eine "fiktive Terminsgebühr" in Analogie zu Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG auch in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), dann entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, "ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird".
Die Beschwerdeführerin hatte zunächst anders argumentiert und die Auffassung vertreten, es sei "im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden" worden. Ein solcher Fall liegt aber offensichtlich nicht vor. Eine Entscheidung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG wurde nicht getroffen.
Zu der Frage, inwiefern der Anwendungsbereich der Nr. 3106 VV RVG über ihren Wortlaut hinaus in Analogie zu Nr. 3104 VV RVG ausgedehnt werden muss, hat der Senat bereits mit Entscheidung vom 17.07.2006 (– L 6 B 168/06 R-KO –) Stellung genommen. Es heißt dort:
In Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, also in Verfahren wie dem vorliegenden mit nach § 183 SGG kostenpriviligierten Klägern (§ 197a Abs. 1 SGG) entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Verfahrensgebühr beträgt nach Nr. 3102 VV RVG 40,00 bis 460,00 EUR, die Mittelgebühr ist mithin bei 250,00 EUR anzusetzen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 werden in sonstigen Verfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Für die Berechnung der Gebühr nach dem Gegenstandswert schreibt § 13 RVG eine starre Gebührentabelle vor. Von diesen Sätzen entsteht dann die 1,3-fache Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) und eine 1,2-fache Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG). In dieser Norm ist festgelegt, dass die Gebühr auch entsteht, wenn 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren vor dem Sozialgericht nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Für die Fälle nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG (Fälle mit Betragsrahmengebühr) gilt allerdings eine grundsätzlich andere Berechnung. Es wird nicht auf die Tabelle nach § 13 JVG Bezug genommen, vielmehr nennt § 14 JVG mehrere Kriterien, die es ermöglichen, innerhalb des in der Regel sehr breit gefassten Rahmens eine Gebühr zu bestimmen. Die Verfahrensgebühr bestimmt sich in diesen Fällen nach Nr. 3102 VV RVG und beträgt 40,00 bis 460,00 EUR, im denkbar unkompliziertesten Fall also 40,00 EUR. Eine Terminsgebühr entsteht auch in diesen Fällen, und zwar nach der Ziffer 3106 VV RVG in Höhe von 20,00 bis 380,00 EUR. Die Gebühr entsteht auch – so der ausdrückliche Wortlaut -, 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, in Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Die drei Ziffern von Nrn. 3104 und 3106 VV RVG entsprechen sich also mit Ausnahme des "schriftlichen Vergleichs", der in Nr. 3106 nicht erwähnt ist.
Es handelt sich hierbei nicht um ein Redaktionsversehen (vgl. hierzu auch SG Berlin, Entscheidung vom 27.10.2005 – S 15 KN 23/03 – RVGreport 2006, 106). Dass in Nr. 3106 VV RVG der "schriftliche Vergleich" nicht erwähnt wird, hängt damit zusammen, dass es den schriftlichen Vergleich in Verfahren nach dem SGG nicht gibt (a. A. aber offenbar SG Berlin a.a.O.). Sowohl die ZPO (§ 278 Abs. 6) als auch die VwGO (§ 106 Satz 2) sehen die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichs durch Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag vor. Dieses Prozedere ist im SGG ausdrücklich nicht vorgesehen. Selbst in dem Fall, dass sich die Beteiligten bereits nach § 124 Abs. 2 SGG auf das schriftliche Verfahren geeinigt haben, ist für die wirksame Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs die mündliche Verhandlung erforderlich (vgl. Meyer-Ladewig-Leitherer, § 101 SGG Rd.-Nr. 9 m.w.N.). Die Alternative der Nr. 3104 Ziff. 1 a. E. VV RVG ("oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird") läuft also in jedem Fall für die Sozialgerichtsbarkeit leer, und zwar auch dann, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem die Gebühren nach dem GKG berechnet werden. Im Sozialgerichtsverfahren führt eine entsprechende Vorgehensweise immer nur zu einem außergerichtlichen Vergleich, der als solcher nicht prozessbeendigend wirkt; so wurde ja im vorliegenden Verfahren die Prozessbeendigung durch eine Erledigterklärung erreicht, die im SGG als Klagerücknahme auszulegen ist. Diese Konsequenz ist auch nicht unbillig. Grundsätzlich gilt: Fällt die mündliche Verhandlung nur deswegen aus, weil ein anderes Verfahren gewählt wurde, so entsteht die Terminsgebühr. Fällt sie aus, weil sich der Rechtsstreit vorher anders erledigt, so entsteht die Terminsgebühr nicht. Man könnte insoweit den untechnischen Terminus "schriftliche Verhandlung" gebrauchen, als eine solche ist es auch anzusehen, wenn das grundsätzlich in mündlicher Verhandlung zu erklärende, im konkreten Fall aber schriftlich abgegebene Anerkenntnis schriftlich angenommen wird und somit zur Prozessbeendigung führt.
Unabhängig von den Bemühungen des Anwalts im konkreten Fall ist aber festzuhalten, dass in den Fällen der Klaglosstellung – mag er sie auch durch geschicktes Verhandeln erreicht haben – eine mündliche Verhandlung (oder deren schriftliches Surrogat) gerade nicht mehr stattfindet und auch nicht mehr stattfinden muss, wenn nämlich vorher die Klage zurückgenommen bzw. der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird.
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch angesichts der hieran geäußerten Kritik (vgl. SG Chemnitz, Entscheidung vom 17.05.2010 – S 35 SF 189/10 E –) fest. Der entscheidende Grund hierfür ist nicht ein quantitativer – der Auffassung, wonach der Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG in Anlehnung an die Nr. 3104 VV RVG zu ergänzen ist, wird von der Rechtsprechung mehrheitlich widersprochen (vgl. die Auflistung in der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.03.2009 – L 2 B 20/80 KN P –) –, sondern folgt daraus, dass die Abweichung im Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG von der Nr. 3104 VV RVG tatsächlich auch sinnvoll ist. Vom Landessozialgericht NRW (a. a. O. m. w. N.) und vom Thüringer Landessozialgericht (– L 6 B 80/07 SF –) wird in erster Linie mit dem Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber argumentiert; der Wortlaut sei verbindlich, es fehle eine Regelungslücke, der Gesetzgeber habe offenbar einen zusätzlichen Gebührenanreiz für den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches bei Verfahren mit Rahmengebühren nicht für notwendig erachtet, und schließlich könne man auch auf Grund des Gesetzgebungsverfahrens keineswegs von einem Redaktionsversehen ausgehen. Die speziellen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung fehlten daher und eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht sei somit durch den Gewaltenteilungsgrundsatz ausgeschlossen.
Dies ist alles zutreffend, erklärt aber noch nicht in befriedigender Weise, warum denn eine von Ziffer 3104 abweichende Regelung in der ansonsten gleich lautenden Ziffer 3106 getroffen wurde.
In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Frage der Anwendbarkeit von § 278 Abs. 6 ZPO zurückzukommen; das Sozialgericht Chemnitz meint in seiner zitierten Entscheidung vom 17.05.2010 (S 35 SF 189/10 E) mit Hinweis auf einige Kommentarstellen, dass die Rechtsansicht, wonach § 278 Abs. 6 ZPO in der Sozialgerichtsbarkeit keine Anwendung finde, sei "schlichtweg überholt". In der Tat vertrat Eschner (in Jansen, SGG, 2003, S. 314) und ihm dann folgend ML-Leitherer in der 8. Auflage und Hk-SGG Lüdtke/Roller in der 3. Auflage – allerdings ohne nähere Begründung – die Auffassung, dass § 278 Abs. 6 ZPO gemäß § 202 SGG auch in der Sozialgerichtsbarkeit Anwendung finde. In den Vorauflagen (ML SGG, 7. Auflage, § 101 Rdnr. 9; Hk-SGG Lüdtke/Roller, 2. Auflage 2005, Rdnr. 7) war noch dezidiert die gegenteilige Auffassung vertreten worden: Die schriftliche Aufnahme eines Vergleichsvorschlages des Gerichts oder der Beteiligten (§ 106 Satz 2 VwGO, § 278 Abs. 6 ZPO) kenne das SGG nicht. Dies war bisher auch so einhellige Meinung gewesen (vgl. Rohwer-Kahlmann, SGG, § 101 Rdnr. 13; Zeihe, SGG, § 101 Rdnr. 6: "Die Möglichkeit, entsprechend § 106 Satz 2 VwGO, § 278 Abs. 6 ZPO schriftsätzlich einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen, sieht das SGG bewusst nicht vor.")
Eine Rechtsansicht wird allerdings noch nicht dadurch überholt, dass eine gegenteilige ohne entsprechende Begründung von Kommentatoren unter Berufung aufeinander vertreten wird. § 202 SGG bestimmt, dass das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind, soweit das SGG keine Bestimmung über das Verfahren enthält und wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Ganz unproblematisch und selbstverständlich ist also die unmittelbare oder entsprechende Anwendung von Vorschriften aus der ZPO nicht, vor allen Dingen wenn man berücksichtigt, dass das SGG grundsätzlich die Technik der Einzelverweisung gewählt hat und in zahlreichen Paragraphen (§ 60 Abs. 1, § 63 Abs. 2, § 71 Abs. 4, § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1, § 74, § 76 Abs. 3, § 85 Abs. 3, § 86b Abs. 2, § 118 Abs. 1, § 122, § 175 Satz 2, § 178a Abs. 5, § 179 Abs. 1, § 182a, § 194, 197a Abs. 1, § 198 Abs. 1, § 199 Abs. 1) die entsprechende Anwendung einzeln genannter ausgewählter ZPO-Regeln vorschreibt. Vor diesem Hintergrund kann die Globalverweisung des § 202 SGG nicht bedeuten, dass ohnehin nach Belieben auf alle ZPO-Regeln zurückgegriffen werden kann.
Die erste Tatbestandsvoraussetzung für den Rückgriff auf § 202 SGG ist, dass das SGG für den entsprechenden Fall keine Bestimmung über das Verfahren enthält. Dies ist aber nun gerade bei dem Vergleich ausdrücklich der Fall: § 101 Abs. 1 SGG bestimmt: "Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können." Diese Regel ist ausführlich, klar und abschließend. Bezeichnenderweise fehlt gerade in der ZPO eine entsprechende Regel: Der Vergleich wird hier in einem völlig anderen Zusammenhang erwähnt, nämlich als Vollstreckungstitel (§ 794 ZPO). Hierauf wird noch später zurückzukommen sein. Ferner betrifft § 278 ZPO das Güteverfahren; die Norm wurde durch das ZPO-Reformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I 2001, 1887) eingefügt; ein Güteverfahren kennt das SGG nicht. § 202 SGG hat die weitere Tatbestandsvoraussetzung, dass "die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten" die entsprechende Anwendung nicht ausschließen dürfen. In ML-Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 202 Rdnr. 3, heißt es ausdrücklich, dass die §§ 275 ff. ZPO über die Vorbereitung und Straffung der mündlichen Verhandlung vor dem ordentlichen Gericht und das Güteverfahren keine entsprechende Anwendung in der Sozialgerichtsbarkeit erfahren. Es muss wohl nicht ausdrücklich betont werden, dass damit auch die entsprechende Anwendung von § 278 Abs. 6 ZPO – entgegen der an anderer Stelle dieses Kommentars vertretenen Auffassung – definitiv ausgeschlossen ist. Es stellt sich die Frage, womit der erwähnte Schwenk in der Kommentarliteratur zusammenhängen kann. Zwar fand dieser Schwenk – bezogen auf das Sechste SGG-Änderungsgesetz vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144) – mit einer gehörigen Zeitverzögerung statt; denkbar ist aber gleichwohl, dass die Einfügung des § 197a SGG den Gedanken an eine weitere Annäherung an die anderen Prozessordnungen (VwGO, ZPO) nahelegt. Wird beispielsweise in einem Verfahren nach § 179a SGG ein außergerichtlicher Vergleich geschlossen, welcher keine Kostenregelung vorsieht, so wäre, weil das Verfahren dann durch Klagerücknahme endet, die für den Kläger negative Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO obligatorisch. Diese Kostenfolge könnte dadurch umgangen werden, dass man den außergerichtlichen Vergleich über § 278 Abs. 6 ZPO zu einem gerichtlichen macht, wodurch immerhin dann die Kostenfolge des § 160 VwGO einträte. Die praktische Bedeutung dieses Problems dürfte aber ausgesprochen gering sein, da es naheliegt, bei einem außergerichtlichen Vergleich auch eine Regelung über die Kosten zu treffen. Noch ein anderer Gesichtspunkt könnte eine Rolle spielen: Es wurde bereits erwähnt, dass der Vergleich in der ZPO als Vollstreckungstitel erwähnt wird (§ 794) und dies ist ja auch seine eigentliche und wichtige Bedeutung im Rahmen des Zivilprozesses. Bei Verfahren nach § 183 SGG spielt die Vollstreckung gegenüber Behörden (§ 201 SGG) praktisch keine Rolle, deswegen wird der Vergleich im SGG in seiner Rolle als Verfahrensbeendigung erwähnt und nicht als Vollstreckungstitel. Bei Verfahren, bei denen eine Zwangsvollstreckung in Betracht kommt, mag es jedoch angezeigt sein, auch dem Vergleich die Qualität als Vollstreckungstitel zukommen zu lassen, was eben nur möglich ist, wenn es sich um einen gerichtlichen Vergleich handelt. In diesem Zusammenhang kann dann durchaus die Frage auftauchen, warum das, was in anderen Prozessordnungen pragmatisch möglich ist, in der Sozialgerichtsbarkeit nicht möglich sein soll, mit anderen Worten, warum der Anwalt extra anreisen muss, damit ein Vergleich protokolliert wird. Dass er nur in diesem Fall die Terminsgebühr verdient, steht so nicht im RVG. Nr. 3104 VV RVG, wonach diese Gebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, gilt grundsätzlich auch für die Sozialgerichtsbarkeit, und zwar für die Fälle nach § 197a SGG. Gleichwohl läuft diese Alternative der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG für die Sozial-gerichtsbarkeit leer, da nämlich, wie oben dargelegt, der "schriftliche Vergleich" in dieser Verfahrensordnung nicht stattfindet. Dies war während der ersten 50 Jahre der Sozialgerichtsbarkeit eine Selbstverständlichkeit und daran hat sich auch ab 2003 nichts geändert.
Wenn es zu Beschlüssen wie im vorliegenden Ausgangsverfahren kommt, so haben sie rein deklaratorischen Charakter und beziehen sich auf den außergerichtlichen Vergleich, sie bestätigen also das Zustandekommen des öffentlich-rechtlichen Vertrages. Dies mag sinnvoll sein, wie es auch sinnvoll sein kann, durch deklaratorischen Beschluss festzustellen, dass das Verfahren durch Klagerücknahme erledigt ist. Ein gerichtlicher Vergleich kommt dadurch allerdings nicht zustande. Auch das Ausgangsverfahren ist durch Erledigterklärung – die als Klagerücknahme auszulegen ist – abgeschlossen worden und nicht durch Vergleich gemäß § 101 Abs. 1 SGG.
Es kann als ungerecht empfunden werden, wenn Anwälte bei allen Gerichtsbarkeiten außer der Sozialgerichtsbarkeit die fiktive Terminsgebühr bei dem Abschluss eines "schriftlichen Vergleiches" verdienen; es liegt jedoch insoweit keine Ungleichbehandlung vor, der Grund liegt nicht im RVG, sondern im SGG. Für einen Tatbestand, den es nicht gibt (schriftlicher Vergleich im Sozialgerichtsprozess) kann keine Gebühr verdient werden. Allerdings lässt sich dieses Ergebnis unproblematisch vermeiden: Die Terminsgebühr wird auch durch eine Besprechung mit dem Gegner, welche auch telefonisch stattfinden kann, verdient.
Für eine Erhöhung der Verfahrens- oder Einigungsgebühr mit der Begründung, dass ein "schriftlicher Vergleich" geschlossen wurde, besteht jedoch kein Anlass. Dies wird deutlich, wenn man sich die Gebühren vor Augen führt, die entstanden wären, wenn für dieses Verfahren streitwertabhängig gemäß § 13 RVG abzurechnen gewesen wäre. Es hätte sich dann folgende Berechnung ergeben: Eine Gebühr im Sinne der Tabelle zu § 13 Abs. 1 Nr. 3 RVG: Bei einem Streitwert von 177,72 EUR: 75,00 EUR.
Verfahrensgebühr 3100, 1800 1,6-fach 40,00 EUR Terminsgebühr 3104 1,2-fach 30,00 EUR Einigungsgebühr 1000 1,5-fach 37,50 EUR Post- und Telekommunikation 7002 Pauschale 20,00 EUR 127,50 EUR Mehrwertsteuer 7000 24,23 EUR 151,73 EUR
Dieser Beschluss ergeht durch den Berichterstatter des zuständigen Kostensenats als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Dieser Beschluss ist gebührenfrei, Kosten sind nicht zu erstatten (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Dieser Beschluss kann nicht weiter angefochten werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Anwaltskosten in einer Angelegenheit nach dem SGB II. Die Beschwerdeführerin erhob im Auftrag von zwei in Bedarfsgemeinschaft lebenden Anspruchstellern am 18.02.2009 Klage zum SG Chemnitz mit dem Antrag, einen – mehrfach geänderten – Bescheid insoweit aufzuheben, als er "vom Einkommen des Klägers zu 2 den Abzug für die Kraftfahrzeugversicherung ab Dezember 2008 nicht gewährt und die angemessenen Kosten der Unterkunft auf den Betrag von 363,91 EUR begrenzt". Der angefochtene Bescheid betraf die Bewilligung für drei Monate. Betragsmäßig streitig waren somit pro Monat 45,09 EUR auf Grund der Begrenzung der KdU auf 363,91 EUR (die Gesamtkosten beliefen sich auf 409,00 EUR) und 14,15 EUR pro Monat (Kfz-Versicherung), insgesamt also für drei Monate 177,72 EUR.
Die Beteiligten einigten sich, die Sache vergleichsweise zu regeln, und zwar entsprechend einer Regelung in einem Parallelverfahren mit dem Aktenzeichen S 20 AS 140/08.
Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 11.05.2009 bewilligt.
Nachdem zunächst noch wegen gewisser Einzelposten nicht völlige Übereinstimmung in den schriftsätzlichen Erklärungen der Beteiligten bestand, schlug das Gericht mit Schreiben vom 11.06. einen Vergleich vor, der eine Kostenregelung (50 %) enthält und den ausdrücklichen Satz, dass der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt ist. Nachdem die Beklagte auch diesen Vergleich noch nicht annehmen wollte und einen zu ihren Gunsten um 0,54 EUR abgeänderten Vergleich vorschlug, mit dem sich die Klägerseite sofort einverstanden erklärte, erließ das Sozialgericht Chemnitz am 08.07.2009 folgenden Beschluss: Es wird gemäß den § 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, dass zwischen den Beteiligten folgender Vergleich zustande gekommen ist: I. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum Kosten der Unterkunft und Heizung von monatlich 404,06 EUR (sich zusammensetzend aus Grundmiete: 266,00 EUR; Betriebskosten: 61,00 EUR und Heizkosten: 89,00 EUR, abzüglich 11,94 EUR Warmwasserpauschale) übernimmt und den Klägern den sich ergebenden Differenzbetrag nachzahlt. II. Die Beklagte erstattet den Klägern 50 % von deren notwendigen außergerichtlichen Kosten. III. Damit ist der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt.
Die Abschlussverfügung stellt fest, dass das Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung erledigt worden sei, von den Alternativen - übereinstimmende Erledigungserklärung - angenommenes Anerkenntnis - Zurücknahme - Verbindung mit anderer Sache - Unterbrechen/Ruhen/Aussetzen - Sonstiges - Abgabe ist jedoch nichts angekreuzt.
Mit Schreiben vom 21.07.2009 beantragte die Beschwerdeführerin die Vergütungsfest- setzung wie folgt: VV RVG Nr. Betrag in Euro 3102, 1008 325,00 EUR 3106, Nr.1 200,00 EUR 1006 190,00 EUR 7002 20,00 EUR Zwischensumme 735,00 EUR 7008 139,65 EUR 874,65 EUR Davon 50 % 437,32 EUR
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 02.12.2009 wurde dem Antrag gefolgt mit Ausnahme der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG, eine solche sei nicht entstanden. Es ergab sich dadurch eine aus der Staatskasse zu erstattende Gesamtsumme von 199,32 EUR.
Mit der Erinnerung wurde geltend gemacht, es liege sehr wohl der Tatbestand der Nr. 3106 VV RVG vor, wonach die Terminsgebühr in Verfahren vor dem Sozialgericht auch dann entstehe, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. Der Beschluss vom 08.07.2009 sei eine solche Entscheidung.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28.06.2010 die Beschwerde zurückgewiesen. Auf den ausführlich begründeten Beschluss wird Bezug genommen.
Mit der Beschwerde wird das Vorbringen im Erinnerungsverfahren wiederholt und außerdem auf eine Entscheidung des SG Stuttgart vom 23.12.2009 hingewiesen, wonach die Nichterwähnung des schriftlichen Vergleichs in Nr. 3106 VV RVG eine richterrechtlich auszufüllende planwidrige Regelungslücke darstelle.
Der Bezirksrevisor ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die unstreitigen Positionen stehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats und bedürfen insoweit keiner weiteren Erörterung.
Streitig ist lediglich, ob eine "fiktive Terminsgebühr" in Analogie zu Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG auch in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), dann entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, "ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird".
Die Beschwerdeführerin hatte zunächst anders argumentiert und die Auffassung vertreten, es sei "im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden" worden. Ein solcher Fall liegt aber offensichtlich nicht vor. Eine Entscheidung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG wurde nicht getroffen.
Zu der Frage, inwiefern der Anwendungsbereich der Nr. 3106 VV RVG über ihren Wortlaut hinaus in Analogie zu Nr. 3104 VV RVG ausgedehnt werden muss, hat der Senat bereits mit Entscheidung vom 17.07.2006 (– L 6 B 168/06 R-KO –) Stellung genommen. Es heißt dort:
In Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, also in Verfahren wie dem vorliegenden mit nach § 183 SGG kostenpriviligierten Klägern (§ 197a Abs. 1 SGG) entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Verfahrensgebühr beträgt nach Nr. 3102 VV RVG 40,00 bis 460,00 EUR, die Mittelgebühr ist mithin bei 250,00 EUR anzusetzen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 werden in sonstigen Verfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Für die Berechnung der Gebühr nach dem Gegenstandswert schreibt § 13 RVG eine starre Gebührentabelle vor. Von diesen Sätzen entsteht dann die 1,3-fache Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) und eine 1,2-fache Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG). In dieser Norm ist festgelegt, dass die Gebühr auch entsteht, wenn 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren vor dem Sozialgericht nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Für die Fälle nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG (Fälle mit Betragsrahmengebühr) gilt allerdings eine grundsätzlich andere Berechnung. Es wird nicht auf die Tabelle nach § 13 JVG Bezug genommen, vielmehr nennt § 14 JVG mehrere Kriterien, die es ermöglichen, innerhalb des in der Regel sehr breit gefassten Rahmens eine Gebühr zu bestimmen. Die Verfahrensgebühr bestimmt sich in diesen Fällen nach Nr. 3102 VV RVG und beträgt 40,00 bis 460,00 EUR, im denkbar unkompliziertesten Fall also 40,00 EUR. Eine Terminsgebühr entsteht auch in diesen Fällen, und zwar nach der Ziffer 3106 VV RVG in Höhe von 20,00 bis 380,00 EUR. Die Gebühr entsteht auch – so der ausdrückliche Wortlaut -, 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, in Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Die drei Ziffern von Nrn. 3104 und 3106 VV RVG entsprechen sich also mit Ausnahme des "schriftlichen Vergleichs", der in Nr. 3106 nicht erwähnt ist.
Es handelt sich hierbei nicht um ein Redaktionsversehen (vgl. hierzu auch SG Berlin, Entscheidung vom 27.10.2005 – S 15 KN 23/03 – RVGreport 2006, 106). Dass in Nr. 3106 VV RVG der "schriftliche Vergleich" nicht erwähnt wird, hängt damit zusammen, dass es den schriftlichen Vergleich in Verfahren nach dem SGG nicht gibt (a. A. aber offenbar SG Berlin a.a.O.). Sowohl die ZPO (§ 278 Abs. 6) als auch die VwGO (§ 106 Satz 2) sehen die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichs durch Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag vor. Dieses Prozedere ist im SGG ausdrücklich nicht vorgesehen. Selbst in dem Fall, dass sich die Beteiligten bereits nach § 124 Abs. 2 SGG auf das schriftliche Verfahren geeinigt haben, ist für die wirksame Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs die mündliche Verhandlung erforderlich (vgl. Meyer-Ladewig-Leitherer, § 101 SGG Rd.-Nr. 9 m.w.N.). Die Alternative der Nr. 3104 Ziff. 1 a. E. VV RVG ("oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird") läuft also in jedem Fall für die Sozialgerichtsbarkeit leer, und zwar auch dann, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem die Gebühren nach dem GKG berechnet werden. Im Sozialgerichtsverfahren führt eine entsprechende Vorgehensweise immer nur zu einem außergerichtlichen Vergleich, der als solcher nicht prozessbeendigend wirkt; so wurde ja im vorliegenden Verfahren die Prozessbeendigung durch eine Erledigterklärung erreicht, die im SGG als Klagerücknahme auszulegen ist. Diese Konsequenz ist auch nicht unbillig. Grundsätzlich gilt: Fällt die mündliche Verhandlung nur deswegen aus, weil ein anderes Verfahren gewählt wurde, so entsteht die Terminsgebühr. Fällt sie aus, weil sich der Rechtsstreit vorher anders erledigt, so entsteht die Terminsgebühr nicht. Man könnte insoweit den untechnischen Terminus "schriftliche Verhandlung" gebrauchen, als eine solche ist es auch anzusehen, wenn das grundsätzlich in mündlicher Verhandlung zu erklärende, im konkreten Fall aber schriftlich abgegebene Anerkenntnis schriftlich angenommen wird und somit zur Prozessbeendigung führt.
Unabhängig von den Bemühungen des Anwalts im konkreten Fall ist aber festzuhalten, dass in den Fällen der Klaglosstellung – mag er sie auch durch geschicktes Verhandeln erreicht haben – eine mündliche Verhandlung (oder deren schriftliches Surrogat) gerade nicht mehr stattfindet und auch nicht mehr stattfinden muss, wenn nämlich vorher die Klage zurückgenommen bzw. der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird.
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch angesichts der hieran geäußerten Kritik (vgl. SG Chemnitz, Entscheidung vom 17.05.2010 – S 35 SF 189/10 E –) fest. Der entscheidende Grund hierfür ist nicht ein quantitativer – der Auffassung, wonach der Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG in Anlehnung an die Nr. 3104 VV RVG zu ergänzen ist, wird von der Rechtsprechung mehrheitlich widersprochen (vgl. die Auflistung in der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.03.2009 – L 2 B 20/80 KN P –) –, sondern folgt daraus, dass die Abweichung im Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG von der Nr. 3104 VV RVG tatsächlich auch sinnvoll ist. Vom Landessozialgericht NRW (a. a. O. m. w. N.) und vom Thüringer Landessozialgericht (– L 6 B 80/07 SF –) wird in erster Linie mit dem Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber argumentiert; der Wortlaut sei verbindlich, es fehle eine Regelungslücke, der Gesetzgeber habe offenbar einen zusätzlichen Gebührenanreiz für den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches bei Verfahren mit Rahmengebühren nicht für notwendig erachtet, und schließlich könne man auch auf Grund des Gesetzgebungsverfahrens keineswegs von einem Redaktionsversehen ausgehen. Die speziellen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung fehlten daher und eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht sei somit durch den Gewaltenteilungsgrundsatz ausgeschlossen.
Dies ist alles zutreffend, erklärt aber noch nicht in befriedigender Weise, warum denn eine von Ziffer 3104 abweichende Regelung in der ansonsten gleich lautenden Ziffer 3106 getroffen wurde.
In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Frage der Anwendbarkeit von § 278 Abs. 6 ZPO zurückzukommen; das Sozialgericht Chemnitz meint in seiner zitierten Entscheidung vom 17.05.2010 (S 35 SF 189/10 E) mit Hinweis auf einige Kommentarstellen, dass die Rechtsansicht, wonach § 278 Abs. 6 ZPO in der Sozialgerichtsbarkeit keine Anwendung finde, sei "schlichtweg überholt". In der Tat vertrat Eschner (in Jansen, SGG, 2003, S. 314) und ihm dann folgend ML-Leitherer in der 8. Auflage und Hk-SGG Lüdtke/Roller in der 3. Auflage – allerdings ohne nähere Begründung – die Auffassung, dass § 278 Abs. 6 ZPO gemäß § 202 SGG auch in der Sozialgerichtsbarkeit Anwendung finde. In den Vorauflagen (ML SGG, 7. Auflage, § 101 Rdnr. 9; Hk-SGG Lüdtke/Roller, 2. Auflage 2005, Rdnr. 7) war noch dezidiert die gegenteilige Auffassung vertreten worden: Die schriftliche Aufnahme eines Vergleichsvorschlages des Gerichts oder der Beteiligten (§ 106 Satz 2 VwGO, § 278 Abs. 6 ZPO) kenne das SGG nicht. Dies war bisher auch so einhellige Meinung gewesen (vgl. Rohwer-Kahlmann, SGG, § 101 Rdnr. 13; Zeihe, SGG, § 101 Rdnr. 6: "Die Möglichkeit, entsprechend § 106 Satz 2 VwGO, § 278 Abs. 6 ZPO schriftsätzlich einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen, sieht das SGG bewusst nicht vor.")
Eine Rechtsansicht wird allerdings noch nicht dadurch überholt, dass eine gegenteilige ohne entsprechende Begründung von Kommentatoren unter Berufung aufeinander vertreten wird. § 202 SGG bestimmt, dass das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind, soweit das SGG keine Bestimmung über das Verfahren enthält und wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Ganz unproblematisch und selbstverständlich ist also die unmittelbare oder entsprechende Anwendung von Vorschriften aus der ZPO nicht, vor allen Dingen wenn man berücksichtigt, dass das SGG grundsätzlich die Technik der Einzelverweisung gewählt hat und in zahlreichen Paragraphen (§ 60 Abs. 1, § 63 Abs. 2, § 71 Abs. 4, § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1, § 74, § 76 Abs. 3, § 85 Abs. 3, § 86b Abs. 2, § 118 Abs. 1, § 122, § 175 Satz 2, § 178a Abs. 5, § 179 Abs. 1, § 182a, § 194, 197a Abs. 1, § 198 Abs. 1, § 199 Abs. 1) die entsprechende Anwendung einzeln genannter ausgewählter ZPO-Regeln vorschreibt. Vor diesem Hintergrund kann die Globalverweisung des § 202 SGG nicht bedeuten, dass ohnehin nach Belieben auf alle ZPO-Regeln zurückgegriffen werden kann.
Die erste Tatbestandsvoraussetzung für den Rückgriff auf § 202 SGG ist, dass das SGG für den entsprechenden Fall keine Bestimmung über das Verfahren enthält. Dies ist aber nun gerade bei dem Vergleich ausdrücklich der Fall: § 101 Abs. 1 SGG bestimmt: "Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können." Diese Regel ist ausführlich, klar und abschließend. Bezeichnenderweise fehlt gerade in der ZPO eine entsprechende Regel: Der Vergleich wird hier in einem völlig anderen Zusammenhang erwähnt, nämlich als Vollstreckungstitel (§ 794 ZPO). Hierauf wird noch später zurückzukommen sein. Ferner betrifft § 278 ZPO das Güteverfahren; die Norm wurde durch das ZPO-Reformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I 2001, 1887) eingefügt; ein Güteverfahren kennt das SGG nicht. § 202 SGG hat die weitere Tatbestandsvoraussetzung, dass "die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten" die entsprechende Anwendung nicht ausschließen dürfen. In ML-Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 202 Rdnr. 3, heißt es ausdrücklich, dass die §§ 275 ff. ZPO über die Vorbereitung und Straffung der mündlichen Verhandlung vor dem ordentlichen Gericht und das Güteverfahren keine entsprechende Anwendung in der Sozialgerichtsbarkeit erfahren. Es muss wohl nicht ausdrücklich betont werden, dass damit auch die entsprechende Anwendung von § 278 Abs. 6 ZPO – entgegen der an anderer Stelle dieses Kommentars vertretenen Auffassung – definitiv ausgeschlossen ist. Es stellt sich die Frage, womit der erwähnte Schwenk in der Kommentarliteratur zusammenhängen kann. Zwar fand dieser Schwenk – bezogen auf das Sechste SGG-Änderungsgesetz vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144) – mit einer gehörigen Zeitverzögerung statt; denkbar ist aber gleichwohl, dass die Einfügung des § 197a SGG den Gedanken an eine weitere Annäherung an die anderen Prozessordnungen (VwGO, ZPO) nahelegt. Wird beispielsweise in einem Verfahren nach § 179a SGG ein außergerichtlicher Vergleich geschlossen, welcher keine Kostenregelung vorsieht, so wäre, weil das Verfahren dann durch Klagerücknahme endet, die für den Kläger negative Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO obligatorisch. Diese Kostenfolge könnte dadurch umgangen werden, dass man den außergerichtlichen Vergleich über § 278 Abs. 6 ZPO zu einem gerichtlichen macht, wodurch immerhin dann die Kostenfolge des § 160 VwGO einträte. Die praktische Bedeutung dieses Problems dürfte aber ausgesprochen gering sein, da es naheliegt, bei einem außergerichtlichen Vergleich auch eine Regelung über die Kosten zu treffen. Noch ein anderer Gesichtspunkt könnte eine Rolle spielen: Es wurde bereits erwähnt, dass der Vergleich in der ZPO als Vollstreckungstitel erwähnt wird (§ 794) und dies ist ja auch seine eigentliche und wichtige Bedeutung im Rahmen des Zivilprozesses. Bei Verfahren nach § 183 SGG spielt die Vollstreckung gegenüber Behörden (§ 201 SGG) praktisch keine Rolle, deswegen wird der Vergleich im SGG in seiner Rolle als Verfahrensbeendigung erwähnt und nicht als Vollstreckungstitel. Bei Verfahren, bei denen eine Zwangsvollstreckung in Betracht kommt, mag es jedoch angezeigt sein, auch dem Vergleich die Qualität als Vollstreckungstitel zukommen zu lassen, was eben nur möglich ist, wenn es sich um einen gerichtlichen Vergleich handelt. In diesem Zusammenhang kann dann durchaus die Frage auftauchen, warum das, was in anderen Prozessordnungen pragmatisch möglich ist, in der Sozialgerichtsbarkeit nicht möglich sein soll, mit anderen Worten, warum der Anwalt extra anreisen muss, damit ein Vergleich protokolliert wird. Dass er nur in diesem Fall die Terminsgebühr verdient, steht so nicht im RVG. Nr. 3104 VV RVG, wonach diese Gebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, gilt grundsätzlich auch für die Sozialgerichtsbarkeit, und zwar für die Fälle nach § 197a SGG. Gleichwohl läuft diese Alternative der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG für die Sozial-gerichtsbarkeit leer, da nämlich, wie oben dargelegt, der "schriftliche Vergleich" in dieser Verfahrensordnung nicht stattfindet. Dies war während der ersten 50 Jahre der Sozialgerichtsbarkeit eine Selbstverständlichkeit und daran hat sich auch ab 2003 nichts geändert.
Wenn es zu Beschlüssen wie im vorliegenden Ausgangsverfahren kommt, so haben sie rein deklaratorischen Charakter und beziehen sich auf den außergerichtlichen Vergleich, sie bestätigen also das Zustandekommen des öffentlich-rechtlichen Vertrages. Dies mag sinnvoll sein, wie es auch sinnvoll sein kann, durch deklaratorischen Beschluss festzustellen, dass das Verfahren durch Klagerücknahme erledigt ist. Ein gerichtlicher Vergleich kommt dadurch allerdings nicht zustande. Auch das Ausgangsverfahren ist durch Erledigterklärung – die als Klagerücknahme auszulegen ist – abgeschlossen worden und nicht durch Vergleich gemäß § 101 Abs. 1 SGG.
Es kann als ungerecht empfunden werden, wenn Anwälte bei allen Gerichtsbarkeiten außer der Sozialgerichtsbarkeit die fiktive Terminsgebühr bei dem Abschluss eines "schriftlichen Vergleiches" verdienen; es liegt jedoch insoweit keine Ungleichbehandlung vor, der Grund liegt nicht im RVG, sondern im SGG. Für einen Tatbestand, den es nicht gibt (schriftlicher Vergleich im Sozialgerichtsprozess) kann keine Gebühr verdient werden. Allerdings lässt sich dieses Ergebnis unproblematisch vermeiden: Die Terminsgebühr wird auch durch eine Besprechung mit dem Gegner, welche auch telefonisch stattfinden kann, verdient.
Für eine Erhöhung der Verfahrens- oder Einigungsgebühr mit der Begründung, dass ein "schriftlicher Vergleich" geschlossen wurde, besteht jedoch kein Anlass. Dies wird deutlich, wenn man sich die Gebühren vor Augen führt, die entstanden wären, wenn für dieses Verfahren streitwertabhängig gemäß § 13 RVG abzurechnen gewesen wäre. Es hätte sich dann folgende Berechnung ergeben: Eine Gebühr im Sinne der Tabelle zu § 13 Abs. 1 Nr. 3 RVG: Bei einem Streitwert von 177,72 EUR: 75,00 EUR.
Verfahrensgebühr 3100, 1800 1,6-fach 40,00 EUR Terminsgebühr 3104 1,2-fach 30,00 EUR Einigungsgebühr 1000 1,5-fach 37,50 EUR Post- und Telekommunikation 7002 Pauschale 20,00 EUR 127,50 EUR Mehrwertsteuer 7000 24,23 EUR 151,73 EUR
Dieser Beschluss ergeht durch den Berichterstatter des zuständigen Kostensenats als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Dieser Beschluss ist gebührenfrei, Kosten sind nicht zu erstatten (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Dieser Beschluss kann nicht weiter angefochten werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
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