S 6 AS 185/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 185/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Liegt allein deshalb keine vorherige Zusicherung zur Umzugskostenübernahme vor, weil der zuständige Träger sie zu Unrecht abgelehnt hat, besteht dennoch ein Anspruch auf Kostenerstattung.
Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2007 betreffend die Übernahme von Umzugskosten wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern als Umzugskostenersatz 477,85 Euro zu zahlen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger hat die Beklagte dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren Ersatz ihrer Umzugskosten in Höhe von 477,85 Euro im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die Kläger standen im Leistungsbezug nach dem SGB II von der Beklagten, als sie am 03.09.2007 aus ihrer alten 105 qm großen 4-Zimmer-Wohnung in F. in die neue 105 qm große 5-Zimmer-Wohnung in F. umzogen. Der Mietvertrag über die alte Wohnung war bis zum 30.08.2007 befristet. Die monatliche Nettomiete betrug für die alte Wohnung 800,00 Euro und für die neue Wohnung 740,00 Euro monatlich. Am 24.05.2007 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft, die die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2007 grundsätzlich für eine "Kaltmiete bis maximal 590,10 Euro" erteilte und darum bat, dass die Kläger sich mit ihr "zur Klärung von Einzelheiten immer vor Abschluss des Mietvertrages" in Verbindung setzen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2007 zurück. Den Mietvertrag unterzeichneten die Parteien am 25.05.2007, ohne ihn zuvor bei der Beklagten einzureichen.

Am 05.07.2007 beantragten die Kläger "Umzugskostenbeihilfe". Mit Bescheid vom 21.08.2007 lehnte die Beklagte die Übernahme von Umzugskosten ab, weil eine Kostenzusage nur für eine Kaltmiete in Höhe von 590,10 Euro erteilt worden sei. Die Zustimmung zu einem Umzug könne nur erteilt werden, wenn er in eine angemessene Wohnung erfolge. Die Kaltmiete der neuen Wohnung liege um 123,90 Euro über der angemessenen Kaltmiete, so dass unter Beachtung aller Verfahrensschritte – nämlich der Vorlage des Mietvertrages – niemals die Zustimmung zum Umzug erteilt worden wäre. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2007 zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 10.01.2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben. Sie machen geltend, dass die Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten zu Unrecht nicht erteilt worden sei, weil sie ihre alte Wohnung aufgrund des befristeten Mietvertrages haben verlassen müssen und eine andere als die dann angemietete Wohnung nicht zur Verfügung gestanden habe. Ihre Umzugskosten beziffern die Kläger insgesamt mit 477,85 Euro, die sich wie folgt zusammensetzen: - Umzugstransporter: 127,00 Euro - Umzugshelfer: 265,00 Euro - Post-Nachsendeauftrag: 15,20 Euro - Kfz-Ummeldegebühr: 10,70 Euro - Telefon-Ummeldegebühr: 59,95 Euro

Die Kläger beantragen, den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Umzugskosten in Höhe von 477,85 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Das Gericht hat einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 11.01.2010 abgehalten.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten über die Kläger verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben einen Anspruch auf Übernahme ihrer Umzugskosten in Höhe von 477,85 Euro gegen die Beklagte.

Nach § 22 Abs. 3 S. 1 SGB II können Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Diese vorherige Zusicherung ist grundsätzlich als konstitutiv für die Übernahme der Umzugskosten zu betrachten (vgl. Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 89). Liegt allerdings allein deshalb keine vorherige Zusicherung zur Umzugskostenübernahme vor, weil der zuständige Träger sie zu Unrecht abgelehnt hat, besteht dennoch ein Anspruch auf Kostenerstattung. Denn nach dem auch in § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V und § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken kann sich der Träger seiner Kostenerstattungspflicht nicht dadurch entziehen, dass er sich bereits im Vorfeld rechtswidrig verhält. Ansonsten würde es dem Träger ermöglicht, durch eine rechtswidrige Vereitelung der formalen Voraussetzungen für die Kostenübernahme die Durchsetzung eines an sich gegebenen materiellen Anspruchs zu verhindern. Zudem wird vertreten, dass es einer vorherigen Zusicherung dann nicht bedarf, wenn der Träger treuwidrig eine fristgerechte Übernahmeerklärung verweigert (SG Duisburg, Beschl. v. 28.01.2008 – S 29 AS 123/07 ER, juris-Rn. 36; SG Dresden, Beschl. v. 06.06.2006 – S 23 AS 838/06 ER, juris-Rn. 60; Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 93). Wenn aber sogar eine bloße Nichterteilung der Zusicherung innerhalb rechtzeitiger Frist bereits das Erfordernis einer vorherigen Zusicherung aufhebt, dann erst recht die rechtswidrige Ablehnung der Zusicherung.

Die Ablehnung der Zusicherung zur Umzugskostenübernahme war rechtswidrig, weil die Kläger einen Anspruch auf Zusicherung hatten. Die Anspruchsvoraussetzungen richten sich nach § 22 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2 SGB II. Systematisch stellt die Zusicherung zur Umzugskostenübernahme in § 22 Abs. 3 SGB II eine Erweiterung der Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft in § 22 Abs. 2 SGB II dar, so dass auch deren Voraussetzungen vorliegen müssen. Denn eine isolierte Zusicherung zur Übernahme der Kosten für den Umzug in die neue Unterkunft ist sinnlos, wenn eine Zusicherung zu den Aufwendungen für diese neue Unterkunft selbst gar nicht in Betracht kommt (vgl. LSG NW, Beschl. v. 28.06.2007 – L 20 B 129/07 AS ER, juris; SG Dresden, Beschl. v. 06.06.2006 – S 23 AS 838/06 ER, juris-Rn. 62; SG Lüneburg, Beschl. v. 28.03.2006 – S 25 AS 145/06 ER, juris-Rn. 23).

Anspruchsvoraussetzungen sind somit, dass der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig (§ 22 Abs. 3 S. 2 SGB II) bzw. erforderlich (§ 22 Abs. 2 S. 2 SGB II) ist, dass die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (§ 22 Abs. 2 S. 2 SGB II) und dass ohne die Zusicherung zur Umzugskostenübernahme eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (§ 22 Abs. 3 S. 2 SGB II).

Der Umzug war notwendig bzw. erforderlich. Das Merkmal der Notwendigkeit des Umzugs gemäß § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II hat die gleiche Bedeutung wie die Voraussetzung, dass der Umzug erforderlich gemäß § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II sein muss (Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 89). Ein Umzug ist dann erforderlich, wenn der Unterkunftsbedarf der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr hinreichend gedeckt werden kann (Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 70). Vorliegend war der Mietvertrag der alten Wohnung bis zum 30.08.2007 befristet. Eine Deckung des Unterkunftsbedarfs schied somit in dieser Wohnung ab dem 31.08.2007 gänzlich aus.

Die Aufwendungen für die neue Unterkunft sind allerdings damals wie heute abstrakt unangemessen. Für einen Fünf-Personen-Haushalt ist in Baden-Württemberg in Anlehnung an die Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung (VwV-SozWo) vom 12.02.2002 (GABl. S. 240) i.d.F. der VwV vom 22.01.2004 (GABl. S. 248) ein Wohnraumbedarf von bis zu 105 qm zu decken, der mit einem angemessenen Quadratmeterpreis von 5,62 Euro zu einer angemessenen Miete in Höhe von monatlich 590,10 Euro führte. Die von den Klägern aufzuwendende Nettomiete in der neuen Wohnung in Höhe von monatlich 740,00 Euro lag deutlich oberhalb dieser Grenze. Auch nach den mit Beschluss des Gemeinderats der Stadt Freiburg im Breisgau vom 05.05.2009 (Drucks. G-09/093) an die Fortschreibung des Mietspiegels angepassten neuen Angemessenheitsgrenzen ergibt sich keine Änderung. Die Mietobergrenze für einen Fünf-Personen-Haushalt beträgt danach aktuell 626,85 Euro monatlich. Die von den Klägern aufzuwendende Nettomiete liegt somit weiterhin höher als die Mietobergrenze (Tabelle 6 der Drucks. G-09/093) und überschreitet auch die aktuelle gestaffelte Bagatellgrenze von 683,85 Euro (Tabelle 7 der Drucks. G-09/093). An der Angemessenheit des von der Beklagten angesetzten Quadratmeterpreises selbst besteht weder vor noch – und erst recht nicht – nach der Erhöhung Anlass zu Zweifeln. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass sich die Beklagte zur Bestimmung der Angemessenheit eines auf dem qualifizierten Mietspiegel Freiburgs basierenden schlüssigen Konzepts bedient, das die Anforderungen des Bundessozialgerichts erfüllt (LSG BW, Urt. v. 05.07.2010 – L 1 AS 3815/09, juris; zum schlüssigen Konzept: BSG, Urt. v. 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R, juris).

Deshalb allein durfte die Zusicherung zur Umzugskostenübernahme aber nicht abgelehnt werden. Denn analog § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II muss vorliegend die neue Unterkunft bezüglich des Umzugs als konkret angemessen angesehen werden. Die Kläger haben insoweit überzeugend dargelegt, dass eine Wohnung mit einer angemessenen Miete jedenfalls zum fixen Endtermin des alten Mietvertrages am 30.08.2007 nicht verfügbar und ein Umzug in eine Unterkunft mit angemessenen Aufwendungen somit nicht möglich war. Diesbezüglich haben die Kläger mit Schriftsatz vom 19.01.2009 eine Aufstellung über ihre Bemühungen der Wohnungssuche eingereicht, aus der sich ergibt, dass sie seit Mai 2006 durchgehend unterschiedliche Wohnungsinserate ausgewertet haben. Danach kamen 16 Angebote in die engere Wahl, die allerdings entweder zu teuer waren oder vermieterseitig abgesagt wurden. Die Beklagte konnte demgegenüber nicht darlegen, dass die Bemühungen der Wohnungssuche durch die Kläger unzureichend waren. Sie hat lediglich mit Schriftsatz vom 15.01.2009 eine Aufstellung eingereicht, nach der seit Juni 2007 im Bereich einer Wohnungsgröße oberhalb von 90 qm insgesamt 16 Mietverträge geschlossen wurden, von denen 11 den Angemessenheitskriterien entsprachen. Auch wenn sich daraus schließen lässt, dass grundsätzlich entsprechende Wohnungen verfügbar sind (und die neue Unterkunft der Kläger somit abstrakt unangemessen ist), wird damit gerade nicht widerlegt, dass die Kläger in ihrer konkreten Situation keine solche Wohnung auffinden konnten.

Auch die Voraussetzung, dass ohne die Zusicherung zur Umzugskostenübernahme eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann, ist als erfüllt anzusehen. Gefordert wird diesbezüglich zwar die Unmöglichkeit, ohne diese Zusicherung eine Unterkunft zu finden (Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 89), dies würde aber in Fällen der zu Unrecht abgelehnten Zusicherung dazu führen, dass ein Anspruch stets vernichtet wird, wenn sich doch eine Wohnung findet. Gerade wenn eine besondere Dringlichkeit für das Auffinden einer neuen Wohnung – wie hier durch den fixen Endtermin des alten Mietvertrages am 30.08.2007 – besteht, muss davon ausgegangen werden, dass die erteilte Zusicherung zur Umzugskostenübernahme jedenfalls eine Erleichterung bei der Suche gewesen wäre und sich die Behörde aufgrund der rechtswidrigen Ablehnung der Zusicherung dann nicht darauf berufen kann, dass die Unterkunft tatsächlich auch ohne ihre Zusicherung gefunden wurde.

Aus der Formulierung des § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II als Soll-Vorschrift folgt, dass die Zusicherung zur Umzugskostenübernahme zu erteilen ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Ablehnung ist dann nur in atypischen Ausnahmefällen möglich (Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 89 f.). Anhaltspunkte für eine solche Ausnahmekonstellation sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Beklagte den Klägern die begehrte Zusicherung hätte erteilen müssen.

Da die entsprechende Zusicherung hätte erteilt werden müssen, ist das Ermessen der Beklagten in § 22 Abs. 3 S. 1 SGB II auf Null reduziert. Die Umzugskosten sind somit dem Grunde nach zu übernehmen.

Zu den Umzugskosten gehören alle wegen des Umzugs anfallenden Kosten wie z.B. Transportkosten, An- und Abmeldegebühren sowie Aufwendungen zur Beköstigung und ggf. für die Unterbringung von Umzugshelfern (Lauterbach, in: Gagel, SGB III, 38. EL 2010, § 22 SGB II, Rn. 87). Die konkrete Höhe der Umzugskosten von insgesamt 477,85 Euro ergibt sich aus dem im Klageverfahren geführten Nachweis der Kläger. Sie haben überzeugend dargelegt, dass für einen Umzugstransporter 127,00 Euro als das günstigste von mehreren eingeholten Angeboten zu zahlen war. Für Umzugshelfer mussten die Kläger insgesamt einen Betrag in Höhe von 265,00 Euro aufwenden. Die Kläger waren dabei auf entgeltliche Hilfe angewiesen, weil zur unentgeltlichen Hilfe bereite Familienangehörige oder Bekannte in der näheren Umgebung nicht vorhanden waren. Die tatsächlich gezahlten Entgelte sind auch nicht unangemessen hoch; die Kläger haben im Gegenteil durch die Anstellung von Helfern über das Studentenwerk alles getan, um die Kosten gegenüber professionellen Umzugsunternehmen so gering wie möglich zu halten. Schließlich sind der Post-Nachsendeauftrag in Höhe von 15,20 Euro, die Kfz-Ummeldegebühr in Höhe von 10,70 Euro und die Telefon-Ummeldegebühr in Höhe von 59,95 Euro unmittelbar durch den Umzug veranlasst und daher zu übernehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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