Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 27 AS 272/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AS 621/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Verfahrensmangel nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt in einem Verfahren, in dem u.a. über die
Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II gestritten wird,
nicht vor, wenn ein Befundbericht, aus dem sich die Erkrankungen des Klägers (Hyperlipidämie, Hypertonie
und Hyperurikämie) ergeben, eingeholt wurde. Für alle drei Erkrankungen ist nach den Empfehlungen des
Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 ebenso wie
nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingt kostenaufwändiger Ernährung
des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe regelmäßig eine Vollkost ausreichend und in
der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Mehraufwand zu verneinen.
2. Aus der Kumulierung dieser Krankheiten kann nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren,
weil alle drei Erkrankungen diesselbe Ernährungsart - Vollkost - erforderlich machen (LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.10.2010 - L 19 AS 1140/10 -).
3. Ein Anspruch auf Mehrbedarf wegen der Größe des Klägers (1,90 m) besteht nicht, weil nach der
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -) lediglich für eine krankheitsbedingt
erforderliche kostenaufwändige Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGG ein Mehrbedarf zu gewähren ist.
Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II gestritten wird,
nicht vor, wenn ein Befundbericht, aus dem sich die Erkrankungen des Klägers (Hyperlipidämie, Hypertonie
und Hyperurikämie) ergeben, eingeholt wurde. Für alle drei Erkrankungen ist nach den Empfehlungen des
Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 ebenso wie
nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingt kostenaufwändiger Ernährung
des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe regelmäßig eine Vollkost ausreichend und in
der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Mehraufwand zu verneinen.
2. Aus der Kumulierung dieser Krankheiten kann nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren,
weil alle drei Erkrankungen diesselbe Ernährungsart - Vollkost - erforderlich machen (LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.10.2010 - L 19 AS 1140/10 -).
3. Ein Anspruch auf Mehrbedarf wegen der Größe des Klägers (1,90 m) besteht nicht, weil nach der
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -) lediglich für eine krankheitsbedingt
erforderliche kostenaufwändige Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGG ein Mehrbedarf zu gewähren ist.
I. Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.06.2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Zulassung der Berufung. In der Hauptsache ist unter anderem die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis 31.05.2010 streitig.
Der Beklagte bewilligte dem 1956 geborenen Kläger, der an Hypertonie, Hyperurikämie und Hyperlipidämie leidet, und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft Lebenden mit Bescheid vom 04.05.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis 30.06.2009 in Höhe von 609,86 EUR und für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 30.11.2009 in Höhe von 609,71 EUR/Monat. Mit Bescheid vom 26.10.2009 in der Gestalt des Bescheids vom 02.12.2009 nahm der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 617,71 EUR/Monat für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.12.2009 und in Höhe von 647,71 EUR/Monat für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 vor. Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gewährte er – anders als für frühere Bewilligungsabschnitte – nicht.
Gegen diese Bescheide richtete sich der Widerspruch des Klägers. Die bei ihm vorliegenden Erkrankungen erforderten, dass er hochwertige und frische Lebensmittel zu sich nehme. Schweinefleisch und fette Produkte sowie Konserven und Fertigprodukte mit Konservierungsstoffen seien zu meiden. Der Regelsatz reiche hierfür nicht aus. Zudem sei er 1,90 m groß und habe daher einen höheren Kalorienbedarf.
Im Widerspruchsverfahren forderte der Beklagte den Kläger auf, anhand eines ärztlichen Attests nachzuweisen, für welche Erkrankungen welcher Mehrbedarf bestehe. Der Kläger legte daraufhin das Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. H vom 03.07.2009. vor. Der Kläger leide unter Hypertonie, Hyperurikämie und Hyperlipidämie. Er benötige harnsäure-, fett- und salzarme Kost.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2009 zurück. Nach den neuesten Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 01.10.2008 seien im Gegensatz zu früher die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen mit einer Vollkost zu behandeln. Ein Bedürfnis eines Mehrbedarfs im Sinne des Gesetzes ergebe sich für diese Erkrankungen nicht. Bei Vollkost werde der Bedarf an essentiellen Nährstoffen gedeckt, sie berücksichtige in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf und sie sei in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst. Nach den dem Deutschen Verein vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der Basis der Einkommens- und Verbraucherstichprobe sei der notwendige Aufwand für eine solche Ernährung mit dem Regelsatz gedeckt. Gemäß dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26.02.2009 – L 2 AS 152/07 – lasse sich weder nach den überarbeiteten "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen" noch dem "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen/Lippe" eine krankheitsbedingte kostenaufwändigere Ernährung bei Hypertonie und Hyperlipidämie begründen.
Sein Begehren hat der Kläger mit der am 14.01.2010 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er leide unter Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperuricämie. Daher sei ein erhöhter Bedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorhanden. Die von seiner Hausärztin Dr. H erhobenen Laborwerte bestätigten dies. Bei ihm bestehe zudem ein Vitamin-B12-Mangel, der medikamentös behandelt werde. Außerdem ergebe sich ein Sonderbedarf bzw. ein höherer Regelbedarf, weil er 1,90 m groß sei und die Schuhgröße 50 habe. Sein letztes Paar Schuhe habe im Schuhhaus K in Hainichen 85,00 EUR gekostet, seine letzten Hausschuhe 69,00 EUR. Dies sei aus dem Regelbedarf nicht zu bestreiten. Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.04.2011 – L 15 SO 41/11 NZB – sei wegen der Körpergröße ein zusätzlicher Mehrbedarf zu bewilligen.
Das SG hat mit Urteil vom 09.06.2011 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändigere Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhielten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigeren Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gesetz begründe damit bei medizinischem Erfordernis kostenaufwändiger Ernährung einen Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen. Bei dem Begriff der angemessenen Höhe des Mehrbedarfs handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliege (BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, Rz. 24 m. w. N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers könnten zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden (BT-Drucks. 15/1516 S. 57). Dies entspreche der generellen Anknüpfung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Referenzsystem der Sozialhilfe (BT-Drucks. 15/1516 S. 46, 57). In der Praxis und Rechtsprechung zur früheren Parallelvorschrift des § 23 Abs. 4 BSHG hätten die Empfehlungen des Deutschen Vereins allgemein Anwendung gefunden (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, a. a. O.). Das BSG habe sich hierbei auf die Empfehlungen aus dem Jahr 1997 bezogen. In der zitierten Entscheidung habe das BSG darauf abgestellt, dass im Hinblick auf das Alter der Empfehlungen diese nur noch als Orientierungshilfe dienen könnten. Mittlerweile lägen die neuen, überarbeiteten Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vor, die am 01.10.2008 vom Präsidium des Deutschen Vereins verabschiedet worden seien (veröffentlicht unter www.deutscher-verein.de/Emp-fehlungen 2008). Danach zählten die Erhöhung der Blutfette (Hyperlipidämie), der Bluthochdruck (Hypertonie) und die Zuckerkrankheit Typ I und II (Diabetes mellitus) zu Erkrankungen, die diätisch mit einer Vollkost zu behandeln seien. Bei den genannten Erkrankungen sei in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Es sei davon auszugehen, dass der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2003 bemessene Regelsatz den notwendigen Aufwand für eine Vollkost decke (vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins 2008 Nr. 4.1). Auch nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen/Lippe (www.lwl.org) lasse sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei den genannten Krankheiten nicht feststellen. Zu derselben Auffassung gelangten die Ernährungsempfehlungen für Diabetiker (herausgegeben vom Verband für Ernährung und Diätetik, www.vfed.de). Die im Oktober 2008 veröffentlichten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge könnten auch auf den streitigen Zeitraum angewendet werden. Denn der Deutsche Verein habe aufgrund der geänderten wissenschaftlichen Erkenntnisse seine bis dahin veröffentlichten Empfehlungen aus dem Jahr 1997 überarbeitet und den geänderten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Diese basierten im Wesentlichen auf Arbeitsgrundlagen, die das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände zusammengetragen hatten. Demzufolge sei dies auch für den vorgenannten Zeitraum erheblich. Hinsichtlich des geltend gemachten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II verweise die Kammer auf die angefochtenen Bescheide und nehme auf die Begründung Bezug. Sie folge der angegebenen Begründung unter folgender Ergänzung: Andere als die im Regelsatz für den Kläger eingestellten Kosten für Ernährung ergäben sich weder aus den Ausführungen der Hausärztin des Klägers noch aus der (im Parallelverfahren vorgelegten) Einschätzung der Fachärztin für Neurochirurgie B -Sch vom Medizinischen Versorgungszentrum M vom 24.05.2011. Da der Kläger medikamentös behandelt werde und die Blutwerte nicht vollkommen abnorm seien, sei nicht ausgeschlossen, dass die medikamentöse ärztliche Behandlung Erfolg zeige und bei der nächsten geplanten Blutabnahme – wie sich aus der Einschätzung ergebe – neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass im vorliegenden Fall ein abnormer Bedarf bestehe, insbesondere nachdem sich die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.06.2011 auch die Essgewohnheiten des Klägers schildern ließ. Aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes sei eine Vollkosternährung angezeigt, die durch den Regelsatz abgedeckt sei. Der notwendige Aufwand für eine Vollkost im Sinne einer gesunden, ballaststoffreichen, fett- und zuckerreduzierten und damit aus ernährungswissenschaftlicher Sicht allen Menschen ohne besondere Anforderungen empfohlenen Ernährung sei in der Regelleistung enthalten. Eine zwingende Erforderlichkeit, dass allein die vom Kläger beschriebene Produktpalette für seine Ernährung herangezogen werden könne, sei nicht nachvollziehbar belegt. Insbesondere habe der Kläger auch nicht dargetan, welche konkreten Mehrkosten in seinem Fall entstünden. Auch wegen seiner Größe stehe dem Kläger nach Ansicht der Kammer weder ein Mehrbedarf noch ein Sonderbedarf zu. Bei einem besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II handele es sich nicht um einmalige oder kurzfristige Bedarfsspitzen, die durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausgeglichen werden könnten. Solche Bedarfe müssten längerfristig oder dauerhaft, zumindest regelmäßig wiederkehrend anfallen. Bereits diesbezüglich bestünden keine Bedenken, dass der Kläger angesichts seiner Größe, im Übrigen aber vollkommen normaler Figur vor allem in Bezug auf das Gewicht, seinen Bedarf ebenfalls aus der Regelleistung decken könne. Einen Darlehensantrag habe der Kläger nach § 23 Abs. 1 SGB II nicht gestellt. Das Gericht sei der Ansicht, dass der im Verfahren L 15 SO 41/11 NZB am 04.04.2011 entschiedene Fall des LSG Brandenburg auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei. Denn insoweit sei für die Entscheidung maßgeblich gewesen, dass der Kläger bei einer Körpergröße von 1,83 Meter ein Gewicht von 126 Kilogramm hatte, so dass normale Konfektionsgrößen nicht greifbar waren. Dies könne im Falle des Klägers nicht bejaht werden. Es gebe ausreichend Kleidung für Menschen mit einer Körpergröße von bis zu 2 Metern. Ebenso seien Schuhe bis zur Schuhgröße 50 in Katalogen von Großanbietern erhältlich. Insofern fehle es auch an einer Darlegung, dass außerhalb des Schuhhauses K ernsthaft versucht worden sei, den Bedarf zu decken. Auch aus dem Gesetz des Deutschen Bundestages vom 03.12.2010 mit den Änderungen vom 11.02.2011 und 25.02.2011 zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderungen des SGB II und SGB XII ergebe sich kein weitergehender Anspruch des Klägers. Da erhebliche Änderungen hinsichtlich der Festlegung der Regelsätze nicht bestünden, verbleibe es bei den dem Kläger in den gegenständlichen Zeiträumen zuerkannten Leistungen. Angesichts der Ernährungsgewohnheiten des Klägers halte es die Kammer auch nicht für erforderlich, etwa weitergehende Begutachtungen vorzunehmen. Die Berufung sei nicht zuzulassen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.07.2011 zugestellte Urteil haben diese am 13.07.2011 Beschwerde eingelegt. Soweit das SG auf die Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge abstelle, übersehe es, dass es sich hierbei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handle, das weitere Ermittlungen überflüssig mache. Das SG hätte vielmehr den medizinischen Sachverhalt durch Einholung von Befundberichten ermitteln müssen (vgl. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.02.2011 – L 34 AS 1509/10 B –). Da das SG keine weiteren Ermittlungen veranlasst habe, liege ein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Zudem ergebe sich aus der Übergröße des Klägers ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 –).
Der Beklagte erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten vor.
II.
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Daher war die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des SG vom 09.06.2011 zurückzuweisen.
Die Berufung bedarf vorliegend gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung, weil – auch nach den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers – der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 429,48 EUR (35,79 EUR/Monat x 12 Monate) 750,00 EUR nicht übersteigt. Auch betrifft der Rechtsstreit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist vorliegend nicht zuzulassen. Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2), oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
1. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG werden von den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht behauptet. Sie liegen auch nicht vor. Das BSG hat u.a. mit Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R – (zitiert nach Juris, Rdnr. 23 ff.) die Voraussetzungen, unter denen ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gewährt werden kann, benannt.
2. Ein Verfahrensmangel gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist vorliegend nicht gegeben. Der Kläger leidet unter einer Hyperlipidämie, einer Hypertonie und einer Hyperurikämie. Zudem lag bei der Untersuchung am 24.05.2011 (mithin zu einem außerhalb des Bewilligungszeitraums liegenden Zeitpunkt) durch die Neurochirurgin B -Sch – wie erstinstanzlich im Verfahren S 27 AS 1206/11 vorgebracht – ein Vitamin-B12-Mangel vor, der medikamentös behandelt wurde. Im Beschwerdeverfahren behauptet der Kläger lediglich das Vorliegen einer Hyperlipidämie, einer Hypertonie und einer Hyperurikämie im maßgeblichen Zeitraum.
Nach § 21 Abs. 5 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe.
Das BSG hat im Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R – (zitiert nach Juris, Rdnr. 23 ff.) ausgeführt:
"Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 (20) AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand (Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).
Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.
Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten.
Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: ‚Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren sowie für Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 (Stand 1.10.2008))’ (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).
Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.
Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: ‚Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 (255 f); 100, 59 (90); 195 (205)). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG, der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist [ ], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.’
Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen."
Im Befundbericht vom 03.07.2009 hat die Allgemeinmedizinerin Dr. H die Erkrankung des Klägers an Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie bestätigt. Sie hat die Notwendigkeit einer harnsäure-, fett- und salzarmen Kost angegeben. Diesen Befundbericht hat das SG berücksichtigt. Der Kläger hat im Beschwerdeverfahren keine weiteren Erkrankungen oder die Notwendigkeit einer anderen Kost behauptet.
Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 ist bei Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie regelmäßig eine Vollkost angezeigt. Es ist in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der allgemeine Regelsatz den notwendigen Aufwand für Vollkost deckt.
Nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingt kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe vom Januar 2002 entstehen sowohl bei Hyperlipidämie als auch bei Hypertonie und Hyperuricämie keine Mehrkosten durch die bei diesen Krankheiten erforderliche Diät. Selbiges ergibt sich auch aus dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes der Deutschen Ernährungsmediziner (BDEM) e. V., der Deutschen Adipositasgesellschaft e. V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e. V., des Verbandes der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband (VDD) e. V. und des Verbandes der Diplomoecotrophologen (VDO) e. V.
Nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe ist bei einer Hypertonie alleine der Verzicht auf das Zusalzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen (z. B. Chips, Salzstangen, Würzmittel, Fertigsuppen, Salznüsse, bestimmte Konserven) erforderlich. Zudem ist Alkohol zu meiden. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nach dem Begutachtungsleitfaden nicht. Bei einer Hyperlipidämie ist eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen (wie in Wurst und Fleisch vorhandenen) erforderlich. Diese sind durch pflanzliche Fette mit vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil auszutauschen. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nach dem Leitfaden ebenfalls nicht. Bei Hyperurikämie ist eine purinsenkende Kost erforderlich. Insbesondere sind Innereien, Haut von Fischen, Geflügel und Schwein wegzulassen. Zudem ist der Fleischkonsum stark zu vermindern und es sind bestimmte Fischsorten (z. B. Sardellen und Ölsardinen) zu meiden. Auf Alkohol ist zu verzichten. Mehrkosten entstehen durch diese Diät nach dem Begutachtungsleitfaden ebenfalls nicht.
Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 04.10.2010 – L 19 AS 1140/10 – (zitiert nach Juris, Rdnr. 34) entschieden:
Tenor:
"Da die drei Erkrankungen (Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie – Anmerkung des Senats) dieselbe Ernährungsart – Vollkost - erforderlich machen, kann auch aus der Kumulierung dieser Krankheiten nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren Aus der Bescheinigung des behandelnden Arztes E. vom 30.01.2009 folgt das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nicht. Zwar hat dieser beim Kläger die Erforderlichkeit einer lipidsenkenden, purinreduzierten und natriumdefinierten Kost bestätigt Bei der danach erforderlichen Kostform handelt es sich um spezielle Ausformungen der Vollkost nach den Vorgaben des Rationalisierungsschemas aus 1994 (vgl. S. 9 der Mehrbedarfsempfehlungen), das 2004 überarbeitet worden ist." (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.01.2009 – L 8 SO 32/07 -, zitiert nach Juris, Rdnr. 19; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 26.02.2009 – L 2 AS 152/07 -, zitiert nach Juris).
a) Da im Verwaltungsverfahren der oben genannte Befundbericht eingeholt wurde und im Beschwerdeverfahren kein Hinzutreten anderer Erkrankungen behauptet wird, liegt ein Verfahrensfehler nicht vor. Der Senat stimmt mit der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 03.02.2011 – L 34 AS 1509/10 B – (zitiert nach Juris, Rdnr. 6) überein, dass ohne Vorliegen eines ärztlichen Befundberichts, in dem die Krankheiten des Klägers, die eine besondere Ernährung erfordern, aufgeführt sind, und dargelegt ist, welche Ernährung deshalb erforderlich ist, eine Entscheidung nicht getroffen werden kann. Allerdings ist im vorliegenden Verfahren bereits im Verwaltungsverfahren ein derartiger Befundbericht eingeholt worden.
b) Ein Verfahrensfehler besteht auch nicht darin, dass das SG keine weiteren Ermittlungen angestellt hat, ob beim Kläger aufgrund seiner Größe ein erhöhter Kalorienbedarf besteht. Ein solcher ist nämlich nicht gesundheitsbedingt im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BSG und rechtfertigt daher keinen Mehrbedarf.
c) Ein Verfahrensmangel kann auch nicht auf mangelnde Amtsermittlungen bezüglich Mehrbedarfs wegen der Größe des Klägers von 1,90 m bei normaler Figur – wie vom SG in der mündlichen Verhandlung festgestellt – und Schuhgröße 50 gestützt werden. Das SG hat diesbezüglich ausgeführt: "Es gibt ausreichend Kleidung für Menschen mit Körpergröße von bis zu 2 m. Ebenso sind Schuhgrößen in Katalogen von Großanbietern bis zur Schuhgröße 50 erhältlich." Es hat folglich zum Ausdruck gebracht, dass Großanbieter nach Prüfung des SG Schuhe bis zur Schuhgröße 50 anbieten, mithin der Kläger nicht auf Hersteller, die nur Schuhe in Übergröße herstellen und die daher teurer sein dürften, zurückgreifen muss. Im Übrigen wird auch diesbezüglich auf das o.g. Urteil des BSG verwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Schmidt Czarnecki Dr. Anders
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Zulassung der Berufung. In der Hauptsache ist unter anderem die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis 31.05.2010 streitig.
Der Beklagte bewilligte dem 1956 geborenen Kläger, der an Hypertonie, Hyperurikämie und Hyperlipidämie leidet, und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft Lebenden mit Bescheid vom 04.05.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis 30.06.2009 in Höhe von 609,86 EUR und für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 30.11.2009 in Höhe von 609,71 EUR/Monat. Mit Bescheid vom 26.10.2009 in der Gestalt des Bescheids vom 02.12.2009 nahm der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 617,71 EUR/Monat für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.12.2009 und in Höhe von 647,71 EUR/Monat für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 vor. Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gewährte er – anders als für frühere Bewilligungsabschnitte – nicht.
Gegen diese Bescheide richtete sich der Widerspruch des Klägers. Die bei ihm vorliegenden Erkrankungen erforderten, dass er hochwertige und frische Lebensmittel zu sich nehme. Schweinefleisch und fette Produkte sowie Konserven und Fertigprodukte mit Konservierungsstoffen seien zu meiden. Der Regelsatz reiche hierfür nicht aus. Zudem sei er 1,90 m groß und habe daher einen höheren Kalorienbedarf.
Im Widerspruchsverfahren forderte der Beklagte den Kläger auf, anhand eines ärztlichen Attests nachzuweisen, für welche Erkrankungen welcher Mehrbedarf bestehe. Der Kläger legte daraufhin das Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. H vom 03.07.2009. vor. Der Kläger leide unter Hypertonie, Hyperurikämie und Hyperlipidämie. Er benötige harnsäure-, fett- und salzarme Kost.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2009 zurück. Nach den neuesten Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 01.10.2008 seien im Gegensatz zu früher die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen mit einer Vollkost zu behandeln. Ein Bedürfnis eines Mehrbedarfs im Sinne des Gesetzes ergebe sich für diese Erkrankungen nicht. Bei Vollkost werde der Bedarf an essentiellen Nährstoffen gedeckt, sie berücksichtige in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf und sie sei in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst. Nach den dem Deutschen Verein vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der Basis der Einkommens- und Verbraucherstichprobe sei der notwendige Aufwand für eine solche Ernährung mit dem Regelsatz gedeckt. Gemäß dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26.02.2009 – L 2 AS 152/07 – lasse sich weder nach den überarbeiteten "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen" noch dem "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen/Lippe" eine krankheitsbedingte kostenaufwändigere Ernährung bei Hypertonie und Hyperlipidämie begründen.
Sein Begehren hat der Kläger mit der am 14.01.2010 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er leide unter Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperuricämie. Daher sei ein erhöhter Bedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorhanden. Die von seiner Hausärztin Dr. H erhobenen Laborwerte bestätigten dies. Bei ihm bestehe zudem ein Vitamin-B12-Mangel, der medikamentös behandelt werde. Außerdem ergebe sich ein Sonderbedarf bzw. ein höherer Regelbedarf, weil er 1,90 m groß sei und die Schuhgröße 50 habe. Sein letztes Paar Schuhe habe im Schuhhaus K in Hainichen 85,00 EUR gekostet, seine letzten Hausschuhe 69,00 EUR. Dies sei aus dem Regelbedarf nicht zu bestreiten. Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.04.2011 – L 15 SO 41/11 NZB – sei wegen der Körpergröße ein zusätzlicher Mehrbedarf zu bewilligen.
Das SG hat mit Urteil vom 09.06.2011 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändigere Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhielten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigeren Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gesetz begründe damit bei medizinischem Erfordernis kostenaufwändiger Ernährung einen Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen. Bei dem Begriff der angemessenen Höhe des Mehrbedarfs handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliege (BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, Rz. 24 m. w. N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers könnten zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden (BT-Drucks. 15/1516 S. 57). Dies entspreche der generellen Anknüpfung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Referenzsystem der Sozialhilfe (BT-Drucks. 15/1516 S. 46, 57). In der Praxis und Rechtsprechung zur früheren Parallelvorschrift des § 23 Abs. 4 BSHG hätten die Empfehlungen des Deutschen Vereins allgemein Anwendung gefunden (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, a. a. O.). Das BSG habe sich hierbei auf die Empfehlungen aus dem Jahr 1997 bezogen. In der zitierten Entscheidung habe das BSG darauf abgestellt, dass im Hinblick auf das Alter der Empfehlungen diese nur noch als Orientierungshilfe dienen könnten. Mittlerweile lägen die neuen, überarbeiteten Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen vor, die am 01.10.2008 vom Präsidium des Deutschen Vereins verabschiedet worden seien (veröffentlicht unter www.deutscher-verein.de/Emp-fehlungen 2008). Danach zählten die Erhöhung der Blutfette (Hyperlipidämie), der Bluthochdruck (Hypertonie) und die Zuckerkrankheit Typ I und II (Diabetes mellitus) zu Erkrankungen, die diätisch mit einer Vollkost zu behandeln seien. Bei den genannten Erkrankungen sei in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Es sei davon auszugehen, dass der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2003 bemessene Regelsatz den notwendigen Aufwand für eine Vollkost decke (vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins 2008 Nr. 4.1). Auch nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen/Lippe (www.lwl.org) lasse sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf bei den genannten Krankheiten nicht feststellen. Zu derselben Auffassung gelangten die Ernährungsempfehlungen für Diabetiker (herausgegeben vom Verband für Ernährung und Diätetik, www.vfed.de). Die im Oktober 2008 veröffentlichten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge könnten auch auf den streitigen Zeitraum angewendet werden. Denn der Deutsche Verein habe aufgrund der geänderten wissenschaftlichen Erkenntnisse seine bis dahin veröffentlichten Empfehlungen aus dem Jahr 1997 überarbeitet und den geänderten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Diese basierten im Wesentlichen auf Arbeitsgrundlagen, die das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände zusammengetragen hatten. Demzufolge sei dies auch für den vorgenannten Zeitraum erheblich. Hinsichtlich des geltend gemachten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II verweise die Kammer auf die angefochtenen Bescheide und nehme auf die Begründung Bezug. Sie folge der angegebenen Begründung unter folgender Ergänzung: Andere als die im Regelsatz für den Kläger eingestellten Kosten für Ernährung ergäben sich weder aus den Ausführungen der Hausärztin des Klägers noch aus der (im Parallelverfahren vorgelegten) Einschätzung der Fachärztin für Neurochirurgie B -Sch vom Medizinischen Versorgungszentrum M vom 24.05.2011. Da der Kläger medikamentös behandelt werde und die Blutwerte nicht vollkommen abnorm seien, sei nicht ausgeschlossen, dass die medikamentöse ärztliche Behandlung Erfolg zeige und bei der nächsten geplanten Blutabnahme – wie sich aus der Einschätzung ergebe – neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass im vorliegenden Fall ein abnormer Bedarf bestehe, insbesondere nachdem sich die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.06.2011 auch die Essgewohnheiten des Klägers schildern ließ. Aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes sei eine Vollkosternährung angezeigt, die durch den Regelsatz abgedeckt sei. Der notwendige Aufwand für eine Vollkost im Sinne einer gesunden, ballaststoffreichen, fett- und zuckerreduzierten und damit aus ernährungswissenschaftlicher Sicht allen Menschen ohne besondere Anforderungen empfohlenen Ernährung sei in der Regelleistung enthalten. Eine zwingende Erforderlichkeit, dass allein die vom Kläger beschriebene Produktpalette für seine Ernährung herangezogen werden könne, sei nicht nachvollziehbar belegt. Insbesondere habe der Kläger auch nicht dargetan, welche konkreten Mehrkosten in seinem Fall entstünden. Auch wegen seiner Größe stehe dem Kläger nach Ansicht der Kammer weder ein Mehrbedarf noch ein Sonderbedarf zu. Bei einem besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II handele es sich nicht um einmalige oder kurzfristige Bedarfsspitzen, die durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausgeglichen werden könnten. Solche Bedarfe müssten längerfristig oder dauerhaft, zumindest regelmäßig wiederkehrend anfallen. Bereits diesbezüglich bestünden keine Bedenken, dass der Kläger angesichts seiner Größe, im Übrigen aber vollkommen normaler Figur vor allem in Bezug auf das Gewicht, seinen Bedarf ebenfalls aus der Regelleistung decken könne. Einen Darlehensantrag habe der Kläger nach § 23 Abs. 1 SGB II nicht gestellt. Das Gericht sei der Ansicht, dass der im Verfahren L 15 SO 41/11 NZB am 04.04.2011 entschiedene Fall des LSG Brandenburg auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei. Denn insoweit sei für die Entscheidung maßgeblich gewesen, dass der Kläger bei einer Körpergröße von 1,83 Meter ein Gewicht von 126 Kilogramm hatte, so dass normale Konfektionsgrößen nicht greifbar waren. Dies könne im Falle des Klägers nicht bejaht werden. Es gebe ausreichend Kleidung für Menschen mit einer Körpergröße von bis zu 2 Metern. Ebenso seien Schuhe bis zur Schuhgröße 50 in Katalogen von Großanbietern erhältlich. Insofern fehle es auch an einer Darlegung, dass außerhalb des Schuhhauses K ernsthaft versucht worden sei, den Bedarf zu decken. Auch aus dem Gesetz des Deutschen Bundestages vom 03.12.2010 mit den Änderungen vom 11.02.2011 und 25.02.2011 zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderungen des SGB II und SGB XII ergebe sich kein weitergehender Anspruch des Klägers. Da erhebliche Änderungen hinsichtlich der Festlegung der Regelsätze nicht bestünden, verbleibe es bei den dem Kläger in den gegenständlichen Zeiträumen zuerkannten Leistungen. Angesichts der Ernährungsgewohnheiten des Klägers halte es die Kammer auch nicht für erforderlich, etwa weitergehende Begutachtungen vorzunehmen. Die Berufung sei nicht zuzulassen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.07.2011 zugestellte Urteil haben diese am 13.07.2011 Beschwerde eingelegt. Soweit das SG auf die Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge abstelle, übersehe es, dass es sich hierbei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handle, das weitere Ermittlungen überflüssig mache. Das SG hätte vielmehr den medizinischen Sachverhalt durch Einholung von Befundberichten ermitteln müssen (vgl. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.02.2011 – L 34 AS 1509/10 B –). Da das SG keine weiteren Ermittlungen veranlasst habe, liege ein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Zudem ergebe sich aus der Übergröße des Klägers ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 –).
Der Beklagte erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten vor.
II.
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Daher war die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des SG vom 09.06.2011 zurückzuweisen.
Die Berufung bedarf vorliegend gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung, weil – auch nach den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers – der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 429,48 EUR (35,79 EUR/Monat x 12 Monate) 750,00 EUR nicht übersteigt. Auch betrifft der Rechtsstreit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist vorliegend nicht zuzulassen. Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2), oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
1. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG werden von den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht behauptet. Sie liegen auch nicht vor. Das BSG hat u.a. mit Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R – (zitiert nach Juris, Rdnr. 23 ff.) die Voraussetzungen, unter denen ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gewährt werden kann, benannt.
2. Ein Verfahrensmangel gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist vorliegend nicht gegeben. Der Kläger leidet unter einer Hyperlipidämie, einer Hypertonie und einer Hyperurikämie. Zudem lag bei der Untersuchung am 24.05.2011 (mithin zu einem außerhalb des Bewilligungszeitraums liegenden Zeitpunkt) durch die Neurochirurgin B -Sch – wie erstinstanzlich im Verfahren S 27 AS 1206/11 vorgebracht – ein Vitamin-B12-Mangel vor, der medikamentös behandelt wurde. Im Beschwerdeverfahren behauptet der Kläger lediglich das Vorliegen einer Hyperlipidämie, einer Hypertonie und einer Hyperurikämie im maßgeblichen Zeitraum.
Nach § 21 Abs. 5 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe.
Das BSG hat im Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 100/10 R – (zitiert nach Juris, Rdnr. 23 ff.) ausgeführt:
"Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 (20) AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand (Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).
Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.
Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten.
Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: ‚Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren sowie für Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 (Stand 1.10.2008))’ (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).
Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.
Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: ‚Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 (255 f); 100, 59 (90); 195 (205)). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG, der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist [ ], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.’
Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen."
Im Befundbericht vom 03.07.2009 hat die Allgemeinmedizinerin Dr. H die Erkrankung des Klägers an Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie bestätigt. Sie hat die Notwendigkeit einer harnsäure-, fett- und salzarmen Kost angegeben. Diesen Befundbericht hat das SG berücksichtigt. Der Kläger hat im Beschwerdeverfahren keine weiteren Erkrankungen oder die Notwendigkeit einer anderen Kost behauptet.
Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 ist bei Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie regelmäßig eine Vollkost angezeigt. Es ist in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der allgemeine Regelsatz den notwendigen Aufwand für Vollkost deckt.
Nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingt kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe vom Januar 2002 entstehen sowohl bei Hyperlipidämie als auch bei Hypertonie und Hyperuricämie keine Mehrkosten durch die bei diesen Krankheiten erforderliche Diät. Selbiges ergibt sich auch aus dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes der Deutschen Ernährungsmediziner (BDEM) e. V., der Deutschen Adipositasgesellschaft e. V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e. V., des Verbandes der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband (VDD) e. V. und des Verbandes der Diplomoecotrophologen (VDO) e. V.
Nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe ist bei einer Hypertonie alleine der Verzicht auf das Zusalzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen (z. B. Chips, Salzstangen, Würzmittel, Fertigsuppen, Salznüsse, bestimmte Konserven) erforderlich. Zudem ist Alkohol zu meiden. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nach dem Begutachtungsleitfaden nicht. Bei einer Hyperlipidämie ist eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen (wie in Wurst und Fleisch vorhandenen) erforderlich. Diese sind durch pflanzliche Fette mit vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil auszutauschen. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nach dem Leitfaden ebenfalls nicht. Bei Hyperurikämie ist eine purinsenkende Kost erforderlich. Insbesondere sind Innereien, Haut von Fischen, Geflügel und Schwein wegzulassen. Zudem ist der Fleischkonsum stark zu vermindern und es sind bestimmte Fischsorten (z. B. Sardellen und Ölsardinen) zu meiden. Auf Alkohol ist zu verzichten. Mehrkosten entstehen durch diese Diät nach dem Begutachtungsleitfaden ebenfalls nicht.
Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 04.10.2010 – L 19 AS 1140/10 – (zitiert nach Juris, Rdnr. 34) entschieden:
Tenor:
"Da die drei Erkrankungen (Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie – Anmerkung des Senats) dieselbe Ernährungsart – Vollkost - erforderlich machen, kann auch aus der Kumulierung dieser Krankheiten nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren Aus der Bescheinigung des behandelnden Arztes E. vom 30.01.2009 folgt das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nicht. Zwar hat dieser beim Kläger die Erforderlichkeit einer lipidsenkenden, purinreduzierten und natriumdefinierten Kost bestätigt Bei der danach erforderlichen Kostform handelt es sich um spezielle Ausformungen der Vollkost nach den Vorgaben des Rationalisierungsschemas aus 1994 (vgl. S. 9 der Mehrbedarfsempfehlungen), das 2004 überarbeitet worden ist." (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.01.2009 – L 8 SO 32/07 -, zitiert nach Juris, Rdnr. 19; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 26.02.2009 – L 2 AS 152/07 -, zitiert nach Juris).
a) Da im Verwaltungsverfahren der oben genannte Befundbericht eingeholt wurde und im Beschwerdeverfahren kein Hinzutreten anderer Erkrankungen behauptet wird, liegt ein Verfahrensfehler nicht vor. Der Senat stimmt mit der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 03.02.2011 – L 34 AS 1509/10 B – (zitiert nach Juris, Rdnr. 6) überein, dass ohne Vorliegen eines ärztlichen Befundberichts, in dem die Krankheiten des Klägers, die eine besondere Ernährung erfordern, aufgeführt sind, und dargelegt ist, welche Ernährung deshalb erforderlich ist, eine Entscheidung nicht getroffen werden kann. Allerdings ist im vorliegenden Verfahren bereits im Verwaltungsverfahren ein derartiger Befundbericht eingeholt worden.
b) Ein Verfahrensfehler besteht auch nicht darin, dass das SG keine weiteren Ermittlungen angestellt hat, ob beim Kläger aufgrund seiner Größe ein erhöhter Kalorienbedarf besteht. Ein solcher ist nämlich nicht gesundheitsbedingt im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BSG und rechtfertigt daher keinen Mehrbedarf.
c) Ein Verfahrensmangel kann auch nicht auf mangelnde Amtsermittlungen bezüglich Mehrbedarfs wegen der Größe des Klägers von 1,90 m bei normaler Figur – wie vom SG in der mündlichen Verhandlung festgestellt – und Schuhgröße 50 gestützt werden. Das SG hat diesbezüglich ausgeführt: "Es gibt ausreichend Kleidung für Menschen mit Körpergröße von bis zu 2 m. Ebenso sind Schuhgrößen in Katalogen von Großanbietern bis zur Schuhgröße 50 erhältlich." Es hat folglich zum Ausdruck gebracht, dass Großanbieter nach Prüfung des SG Schuhe bis zur Schuhgröße 50 anbieten, mithin der Kläger nicht auf Hersteller, die nur Schuhe in Übergröße herstellen und die daher teurer sein dürften, zurückgreifen muss. Im Übrigen wird auch diesbezüglich auf das o.g. Urteil des BSG verwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Schmidt Czarnecki Dr. Anders
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