Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 486/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 237/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.Die Beschwerde gegen einen ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss eines Sozialgerichts ist auch dann
zulässig, wenn im Hauptsacheverfahren der Berufungsstreitwert des § 144 Abs.1 S 1 Nr 1 SGG nicht erreicht
wird ( Bestätigung der Senatsrechtsprechung: zuletzt SächsLSG vom 9.12.2010 -L 3 AS 2410/09 B PKH ,
JURIS-Dokument).
2. Die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen einer Wertung von Streitwert und
Prozessrisiko kann nicht auf eine behauptete Mutwilligkeit der Prozeßführung gestützt werden, weil ein
Rechtssuchender einen Anspruch von geringem Wert geltend macht. Die Relation von Kostenrisiko und Wert
des Streitgegenstandes kann nur im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einer Beiordnung im Sinne von
§ 121 Abs 2 ZPO bedeutsam sein. Diese Wertung hat unter Beachtung der Grundzüge der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss der 3.Kammer des 1.Senats vom 24. März 2011 - 1 BvR
1737/10) zu erfolgen.
zulässig, wenn im Hauptsacheverfahren der Berufungsstreitwert des § 144 Abs.1 S 1 Nr 1 SGG nicht erreicht
wird ( Bestätigung der Senatsrechtsprechung: zuletzt SächsLSG vom 9.12.2010 -L 3 AS 2410/09 B PKH ,
JURIS-Dokument).
2. Die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen einer Wertung von Streitwert und
Prozessrisiko kann nicht auf eine behauptete Mutwilligkeit der Prozeßführung gestützt werden, weil ein
Rechtssuchender einen Anspruch von geringem Wert geltend macht. Die Relation von Kostenrisiko und Wert
des Streitgegenstandes kann nur im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einer Beiordnung im Sinne von
§ 121 Abs 2 ZPO bedeutsam sein. Diese Wertung hat unter Beachtung der Grundzüge der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss der 3.Kammer des 1.Senats vom 24. März 2011 - 1 BvR
1737/10) zu erfolgen.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 18. Oktober 2010 abgeändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren ab 26. Juli 2010 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt als Bevollmächtigter beigeordnet. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlung aus dem Vermögen zu leisten.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Bevollmächtigten.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010, mit welchem die Klägerin auf Grund der Aufnahme einer Beschäftigung am 5. Oktober 2007 zur Erstattung von Arbeitslosengeld in Höhe von 20,58 EUR aufgefordert wurde. Der Klage vom 15. Juli 2010 war der Antrag auf Prozesskostenhilfe beigefügt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nebst Unterlagen zur Glaubhaftmachung wurde am 26. Juli 2010 eingereicht.
Mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Rechtsverfolgung mutwillig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 2. September 2010 – 1 BvR 1974/08 – JURIS-Dokument) sei es nicht geboten, einen Unbemittelten einem Bemittelten in jeder Hinsicht gleichzustellen. Das Gericht müsse erwägen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Insbesondere sei darauf abzustellen, ob ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation des Wertes der durchzusetzenden Position (Streitwert) zum Kostenrisiko anwaltlichen Beistand in Anspruch genommen hätte. Unter Verweis auf ergangene obergerichtliche Rechtsprechung (LSG Niedersachens-Bremen, Beschluss vom 15. Februar 2008 – L 13 B 40/07 AS; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 14. Mai 2007 – L 10 B 217/07 AS-PKH und vom 19. Mai 2008 – L 10 B 184/08 AS-PKH – JURIS-Dokument) hat das Sozialgericht ausgeführt, dass für Bagatellrechtsstreitigkeiten Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen sei. Auf Grund der anwaltlichen Tätigkeit entstünden für das Klageverfahren eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr in Höhe der so genannten Mittelgebühr. Diese Kosten würden unter Berücksichtigung der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für die erste Instanz regelmäßig 559,30 EUR (= 250,00 EUR Verfahrensgebühr [VV 3102] + 200,00 EUR Terminsgebühr [VV 1301] + 20,00 EUR Postpauschale [VV 7002] + 19 % Umsatzsteuer) betragen. Dem stünde ein Streitwert von 20,58 EUR gegenüber. Im Falle der Klageabweisung hätte der bemittelte Kläger Anwaltskosten für die erste Instanz von mindestens 440,30 EUR, mithin das 20fache des Beschwerdewertes zu erwarten. Ein solches Kostenrisiko würde ein Bemittelter vernünftigerweise nicht eingehen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 8. November 2010. Rechtsirrig ginge die Beklagte davon aus, dass die streitgegenständlichen Bescheide gegenstandslos seien. Entgegen ihrer Ansicht habe sie im Rahmen des Überprüfungsverfahrens mit Bescheid vom 11. August 2010 lediglich den Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 11. Mai 2010, auf welchen sich der Überprüfungsantrag der Klägerin gerichtet habe, zurückgenommen. Für die Klägerin bestünde daher noch immer eine konkrete Vollstreckungsgefahr. Da die Beklagte nicht bereit sei, den Erstattungsbescheid aufzuheben, müsse sie dies im Wege einer Klage geltend machen. Die rechtliche Trennung zwischen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung sei für die Klägerin schwer durchschaubar, deshalb benötige sie für die Durchsetzung ihrer Ansprüche einen Rechtsanwalt. Zur Frage der Bedürftigkeit verwies die Klägerin auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst den beigefügten Unterlagen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen
II.
1. Die am 8. November 2010 eingelegte Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Sozialgerichts vom 18. Oktober 2010 ist gemäß § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Insbesondere ist die Beschwerde nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, da die Prozesskostenhilfe nicht ausschließlich wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe, sondern wegen der behaupteten Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung verneint wurde.
Der Beschwerdeausschluss ergibt sich im Übrigen auch nicht aus § 172 Abs. 1 SGG i. V. m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 127 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) (so neben anderen: Sächs. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 AS 240/09 B-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff.; Sächs. LSG, Beschluss vom 18. März 2009 – L 7 B 446/08 AS-PKH – JURIS-Dokument). Danach ist ein Rückgriff auf § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO für Beschwerden von Verfahrensbeteiligten gegen Prozesskostenhilfebeschlüsse auf Grund einer Verweisungsregelung im Sozialgerichtsgesetz weder zur Begründung eines Beschwerdeausschlusses noch eines Beschwerderechtes möglich. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 (AZ:. L 3 AS 240/09 B-PKH, a. a. O.) festgestellt hat, sind die Rechtsmittel gegen Entscheidungen im sozialgerichtlichen Verfahren abschließend im Sozialgerichtsgesetz geregelt.
Soweit für Rechtsmittel in sozialgerichtlichen Verfahren Regelungen außerhalb des Sozialgerichtsgesetzes zur Anwendung kommen sollen, bedarf dies einer Verweisung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichende Normenklarheit (vgl. hierzu: BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 – 1 BvR 782/94, 957/96 – BVerfGE 114, 1 [53] = JURIS-Dokument Rdnr. 189, m. w. N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz [10. Aufl., 2009], Art. 20 Rdnr. 63, m. w. N.) genügt. Dies wäre bei einem Rückgriff auf § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO nicht der Fall. Denn die Regelung in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, die die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe für entsprechend anwendbar erklärt, steht im Ersten Abschnitt des Zweiten Teils des Sozialgerichtsgesetzes (§§ 60 bis 75 SGG). Dort finden sich gemeinsame Verfahrensvorschriften. Die Vorschriften über die Rechtsmittel sind hingegen im Zweiten Abschnitt des Zweiten Teils des Sozialgerichtsgesetzes (§§ 143 bis 178a SGG) geregelt. Bereits diese Gesetzessystematik spricht dagegen, in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG eine Aussage über Rechtsmittel im Prozesskostenhilfeverfahren hineinzulesen. Zudem wäre die Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO mindestens in zwei Punkten auslegungsbedürftig, um sie mit dem Rechtsmittelsystem des Sozialgerichtsgesetzes kompatibel zu machen. So kennt das Sozialgerichtsgesetz nicht die "sofortige Beschwerde" (vgl. § 567 ZPO), sondern nur die Beschwerde (vgl. §§ 172 ff. SGG). Vor allem aber wäre hinsichtlich des maßgebenden Wertes des Beschwerdegegenstandes die Bezugnahme auf § 511 ZPO durch die auf § 144 SGG zu ersetzen. Denn die Zulässigkeit der Berufung setzt nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO voraus, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt. In § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG hingegen war der Grenzwert bis zum 31. März 2008 auf 500,00 EUR festgelegt, seit 1. April 2008 liegt er bei 750,00 EUR. Diese notwendigen Auslegungen von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO würden aber einen Betroffenen nicht mehr befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit er sein Verhalten danach ausrichten kann.
Unabhängig davon käme es bei einer gleichzeitigen Anwendung von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO und § 172 SGG zu einem Regelungswiderspruch. Denn während § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO die sofortige Beschwerde bei einem Streitwert unterhalb des genannten Schwellenwertes ausschließt, hiervon aber eine Ausnahme macht, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint hat, wird im Gegensatz hierzu gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG bei einer vom Gericht verneinten prozesskostenhilferechtlichen Bedürftigkeit gerade die Beschwerde ausgeschlossen. Dieser Regelungswiderspruch wäre nicht durch eine Auslegung einer der beiden Regelungen oder beider Regelungen aufzulösen.
Dass der Gesetzgeber das Rechtsmittelrecht zum sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich im Sozialgerichtsgesetz verortet wissen wollte und will, lässt sich aktuell aus der zum 11. August 2010 in Kraft getretenen Änderung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (vgl. Artikel 6 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) ersehen. Der Gesetzgeber hat die oben angesprochene Diskussion über die Anwendbarkeit von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO aufgegriffen und sie dahingehend entschieden, dass er die Beschwerdeausschlussregelung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG um einen zweiten Halbsatz ergänzt hat (vgl. BR-Drs. 152/10, S. 23). Auf Verweisung auf Regelungen in der Zivilprozessordnung hat er verzichtet.
Im Hinblick auf die umfangreichen Regelungen im Sozialgerichtsgesetz zu Rechtsmitteln im sozialgerichtlichen Verfahren sind weder die Voraussetzungen gegeben, die auf der Grundlage von § 202 SGG eine entsprechende Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung ermöglichen würden, noch besteht eine Regelungslücke, die im Rahmen einer Analogie geschlossen werden könnte.
Der entgegenstehenden Meinung des 2. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 1. September 2011 (Az.: L 2 AS 560/11 B-PKH, nicht veröffentlicht) schließt sich der erkennende Senat aus diesen Gründen nicht an. Der Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren bezüglich der zum 11. August 2010 in Kraft getretenen Änderung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG überzeugt nicht. Denn der Gesetzgeber hat eine entsprechende Regelung für das Prozesskostenhilfeverfahren gerade nicht getroffen. So führt der 2. Senat in seiner Entscheidung selbst aus, dass der Bundesrat in den dortigen Gesetzgebungsverfahren eine Klarstellung auch für das Hauptsacheverfahren angeregt hat. Eine Umsetzung ist jedoch nicht erfolgt, obwohl der Beschwerdeausschluss für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgenommen wurde.
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Rechtsverfolgung gemäß § 73a SGG i. V. m. § 117 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hieran gemessen war dem Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin stattzugeben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren die Prüfung der Sach- und Rechtslage nur summarisch vorzunehmen hat und aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2002 – 1 BvR 81/00 – NJW 2000, 1936 ff.). Damit muss der Erfolg des Rechtsbegehrens nicht gewiss sein. Erfolgsaussichten sind nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – JURIS-Dokument, Rdnr. 8 m.w.N.).
In diesem Sinne besteht für die Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht. Die Klägerin wendet sich mit der Klage vom 16. Juli 2010 gegen den Erstattungsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010. Die Beklagte macht diesbezüglich geltend, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei, weil dieser Bescheid mit Bescheid vom 11. August 2010 zurückgenommen worden sei. Nach Aktenlage bestehen allerdings Bedenken, ob dem Bescheid vom 11. August 2010 dieser Regelungsgehalt mit der nach § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gebotenen inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit entnommen werden kann. Denn unter dem 11. Mai 2008 sind zwei Bescheide erlassen worden: ein Änderungsbescheid mit einer konkludenten Teilaufhebungsentscheidung (Blatt 303 der Verwaltungsakte) und ein Erstattungsbescheid (Blatt 289 der Verwaltungsakte). Der Erstattungsbescheid wurde erfolglos mit einem Widerspruch angegriffen und ist nunmehr Gegenstand des Klageverfahrens. Der Änderungsbescheid ist hingegen in Bestandskraft erwachsen. In Bezug auf diesen Bescheid haben die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22. Juni 2010 einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X gestellt. Dieser ist zunächst mit Bescheid vom 24. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2010 abgelehnt worden. Schließlich ist am 11. August 2010 ein Rücknahmebescheid ergangen, worin es heißt: "meinen Bescheid vom 11. Mai 2010 nehme ich zurück." Diese Entscheidung beruhe auf § 44 SGB X. Weder aus dem Bescheidtext noch dem im Bescheid angegebenen Aktenzeichen oder dem Verlauf des Verwaltungsverfahrens lässt sich erkennen, welcher der beiden Bescheide vom 11. Mai 2010 von der Rücknahmeentscheidung betroffen sein soll. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass beide Bescheide vom 11. Mai 2010 zurückgenommen werden sollten. Auf Grund der im Bescheid vom 11. August 2010 gewählten Singularform ("meinen Bescheid") lässt sich dies aber nicht zweifelsfrei feststellen.
Die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht auf die vom Sozialgericht behauptete Mutwilligkeit der Prozessführung gestützt werden. In der Sache hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf Grund einer Wertung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko abgelehnt und einen Anspruch in so genannten Bagatellstreitigkeiten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich abgelehnt, da es die Ansicht vertritt, dass ein vernünftiger Bemittelter in der Lage der Klägerin auf Grund des Kostenrisikos den Prozess nicht geführt hätte.
Diese Vorgehensweise missachtet jedoch die Bedeutung und Tragweite von Artikel 3 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10 – NJW 2011, 2039-2040, JURIS-Dokument und 1 BvR 2493/10 –NZS 2011, 775-776- JURIS-Dokument).
Eine Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO liegt in der Regel dann vor, wenn eine verständige Partei auch ohne Prozesskostenhilfe ihr Recht in gleicher Weise verfolgen würde (Reichhold in: Thomas Putzo, Zivilprozessordnung, 30. Auflage, Rdnr. 7 zu § 114). Dies ist vorliegend nicht völlig fernliegend, denn aus dem Rücknahmebescheid vom 11. August 2010 ergibt sich nicht, dass auch der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 aufgehoben wurde, zumal der Überprüfungsantrag des Bevollmächtigten der Klägerin vom 22. Juni 2010 sich auf einen Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom gleichen Tag bezog. Zutreffend führt daher die Klägerin aus, dass aus dem noch rechtskräftigen Erstattungsbescheid Vollstreckungsmaßnahmen drohen können.
Wenn nun das Sozialgericht eine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung an der Relation von Kostenrisiko (Anwaltskosten) und Wert des Streitgegenstandes festmachen will, geht dies fehl. Ob die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstehenden Kosten außer Verhältnis zu den möglichen aus einem Obsiegen im Verfahren resultierenden materiellen Vorteilen stehen, betrifft vielmehr die Frage der Erforderlichkeit der Beiordnung des Rechtsanwalts (§ 121 Abs. 2 ZPO). Einem Rechtssuchenden kann nämlich nicht etwa deshalb Mutwillen vorgeworfen werden, weil er einen Anspruch von geringem materiellem Wert geltend macht. Das sozialgerichtliche Verfahren kennt keine Bagatellgrenze, sie wäre auch mit dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar. Die vom Sozialgericht aufgeworfene Frage des Verhältnisses von Streitgegenstand und Kostenrisiko kann daher nicht zuletzt weil sie sich überhaupt erst mit der Beauftragung eines Rechtsanwaltes stellen kann, nur im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einer Beiordnung im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO bedeutsam sein.
Trotz des vergleichsweise geringen Wertes des Streitgegenstandes von lediglich 20,58 EUR erscheint vorliegend aber die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erforderlich.
Entscheidend ist, wie auch das Sozialgericht unter Beachtung der Grundzüge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 6. Mai 2009 – 1 BvR 439/08 – JURIS-Dokument, Rdnr. 17). Dabei ist jedoch nicht nur eine Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko anzustellen. Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist vorrangig, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10 – JURIS-Dokument, Rdnr. 17 m.w.N. zur ergangenen Rechtsprechung). Insbesondere ist bei sozialgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, dass den Klägern regelmäßig rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüber stehen (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011 a.a.O, Rdnr. 18). In einem solchen Fall wird auch ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn sich nicht aus den sonstigen Umständen ergibt, dass er über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um sein Begehen fachkundig durchsetzen zu können (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011 a.a.O.). Derartige Anhaltspunkte liegen jedoch nicht vor.
Die Klägerin ist auch bedürftig im Sinne von § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO. Dies ergibt sich insbesondere aus den abgegebenen Erklärungen sowie den beigefügten Nachweisen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (§ 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG, diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Höhl Dr.Wietek Atanassov
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Bevollmächtigten.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010, mit welchem die Klägerin auf Grund der Aufnahme einer Beschäftigung am 5. Oktober 2007 zur Erstattung von Arbeitslosengeld in Höhe von 20,58 EUR aufgefordert wurde. Der Klage vom 15. Juli 2010 war der Antrag auf Prozesskostenhilfe beigefügt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nebst Unterlagen zur Glaubhaftmachung wurde am 26. Juli 2010 eingereicht.
Mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Rechtsverfolgung mutwillig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 2. September 2010 – 1 BvR 1974/08 – JURIS-Dokument) sei es nicht geboten, einen Unbemittelten einem Bemittelten in jeder Hinsicht gleichzustellen. Das Gericht müsse erwägen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Insbesondere sei darauf abzustellen, ob ein Bemittelter bei Betrachtung der Relation des Wertes der durchzusetzenden Position (Streitwert) zum Kostenrisiko anwaltlichen Beistand in Anspruch genommen hätte. Unter Verweis auf ergangene obergerichtliche Rechtsprechung (LSG Niedersachens-Bremen, Beschluss vom 15. Februar 2008 – L 13 B 40/07 AS; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 14. Mai 2007 – L 10 B 217/07 AS-PKH und vom 19. Mai 2008 – L 10 B 184/08 AS-PKH – JURIS-Dokument) hat das Sozialgericht ausgeführt, dass für Bagatellrechtsstreitigkeiten Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen sei. Auf Grund der anwaltlichen Tätigkeit entstünden für das Klageverfahren eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr in Höhe der so genannten Mittelgebühr. Diese Kosten würden unter Berücksichtigung der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für die erste Instanz regelmäßig 559,30 EUR (= 250,00 EUR Verfahrensgebühr [VV 3102] + 200,00 EUR Terminsgebühr [VV 1301] + 20,00 EUR Postpauschale [VV 7002] + 19 % Umsatzsteuer) betragen. Dem stünde ein Streitwert von 20,58 EUR gegenüber. Im Falle der Klageabweisung hätte der bemittelte Kläger Anwaltskosten für die erste Instanz von mindestens 440,30 EUR, mithin das 20fache des Beschwerdewertes zu erwarten. Ein solches Kostenrisiko würde ein Bemittelter vernünftigerweise nicht eingehen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 8. November 2010. Rechtsirrig ginge die Beklagte davon aus, dass die streitgegenständlichen Bescheide gegenstandslos seien. Entgegen ihrer Ansicht habe sie im Rahmen des Überprüfungsverfahrens mit Bescheid vom 11. August 2010 lediglich den Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 11. Mai 2010, auf welchen sich der Überprüfungsantrag der Klägerin gerichtet habe, zurückgenommen. Für die Klägerin bestünde daher noch immer eine konkrete Vollstreckungsgefahr. Da die Beklagte nicht bereit sei, den Erstattungsbescheid aufzuheben, müsse sie dies im Wege einer Klage geltend machen. Die rechtliche Trennung zwischen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung sei für die Klägerin schwer durchschaubar, deshalb benötige sie für die Durchsetzung ihrer Ansprüche einen Rechtsanwalt. Zur Frage der Bedürftigkeit verwies die Klägerin auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst den beigefügten Unterlagen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen
II.
1. Die am 8. November 2010 eingelegte Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Sozialgerichts vom 18. Oktober 2010 ist gemäß § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Insbesondere ist die Beschwerde nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, da die Prozesskostenhilfe nicht ausschließlich wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe, sondern wegen der behaupteten Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung verneint wurde.
Der Beschwerdeausschluss ergibt sich im Übrigen auch nicht aus § 172 Abs. 1 SGG i. V. m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 127 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) (so neben anderen: Sächs. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 AS 240/09 B-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff.; Sächs. LSG, Beschluss vom 18. März 2009 – L 7 B 446/08 AS-PKH – JURIS-Dokument). Danach ist ein Rückgriff auf § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO für Beschwerden von Verfahrensbeteiligten gegen Prozesskostenhilfebeschlüsse auf Grund einer Verweisungsregelung im Sozialgerichtsgesetz weder zur Begründung eines Beschwerdeausschlusses noch eines Beschwerderechtes möglich. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 (AZ:. L 3 AS 240/09 B-PKH, a. a. O.) festgestellt hat, sind die Rechtsmittel gegen Entscheidungen im sozialgerichtlichen Verfahren abschließend im Sozialgerichtsgesetz geregelt.
Soweit für Rechtsmittel in sozialgerichtlichen Verfahren Regelungen außerhalb des Sozialgerichtsgesetzes zur Anwendung kommen sollen, bedarf dies einer Verweisung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichende Normenklarheit (vgl. hierzu: BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 – 1 BvR 782/94, 957/96 – BVerfGE 114, 1 [53] = JURIS-Dokument Rdnr. 189, m. w. N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz [10. Aufl., 2009], Art. 20 Rdnr. 63, m. w. N.) genügt. Dies wäre bei einem Rückgriff auf § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO nicht der Fall. Denn die Regelung in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, die die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe für entsprechend anwendbar erklärt, steht im Ersten Abschnitt des Zweiten Teils des Sozialgerichtsgesetzes (§§ 60 bis 75 SGG). Dort finden sich gemeinsame Verfahrensvorschriften. Die Vorschriften über die Rechtsmittel sind hingegen im Zweiten Abschnitt des Zweiten Teils des Sozialgerichtsgesetzes (§§ 143 bis 178a SGG) geregelt. Bereits diese Gesetzessystematik spricht dagegen, in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG eine Aussage über Rechtsmittel im Prozesskostenhilfeverfahren hineinzulesen. Zudem wäre die Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO mindestens in zwei Punkten auslegungsbedürftig, um sie mit dem Rechtsmittelsystem des Sozialgerichtsgesetzes kompatibel zu machen. So kennt das Sozialgerichtsgesetz nicht die "sofortige Beschwerde" (vgl. § 567 ZPO), sondern nur die Beschwerde (vgl. §§ 172 ff. SGG). Vor allem aber wäre hinsichtlich des maßgebenden Wertes des Beschwerdegegenstandes die Bezugnahme auf § 511 ZPO durch die auf § 144 SGG zu ersetzen. Denn die Zulässigkeit der Berufung setzt nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO voraus, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt. In § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG hingegen war der Grenzwert bis zum 31. März 2008 auf 500,00 EUR festgelegt, seit 1. April 2008 liegt er bei 750,00 EUR. Diese notwendigen Auslegungen von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO würden aber einen Betroffenen nicht mehr befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit er sein Verhalten danach ausrichten kann.
Unabhängig davon käme es bei einer gleichzeitigen Anwendung von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO und § 172 SGG zu einem Regelungswiderspruch. Denn während § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO die sofortige Beschwerde bei einem Streitwert unterhalb des genannten Schwellenwertes ausschließt, hiervon aber eine Ausnahme macht, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint hat, wird im Gegensatz hierzu gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG bei einer vom Gericht verneinten prozesskostenhilferechtlichen Bedürftigkeit gerade die Beschwerde ausgeschlossen. Dieser Regelungswiderspruch wäre nicht durch eine Auslegung einer der beiden Regelungen oder beider Regelungen aufzulösen.
Dass der Gesetzgeber das Rechtsmittelrecht zum sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich im Sozialgerichtsgesetz verortet wissen wollte und will, lässt sich aktuell aus der zum 11. August 2010 in Kraft getretenen Änderung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (vgl. Artikel 6 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) ersehen. Der Gesetzgeber hat die oben angesprochene Diskussion über die Anwendbarkeit von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO aufgegriffen und sie dahingehend entschieden, dass er die Beschwerdeausschlussregelung in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG um einen zweiten Halbsatz ergänzt hat (vgl. BR-Drs. 152/10, S. 23). Auf Verweisung auf Regelungen in der Zivilprozessordnung hat er verzichtet.
Im Hinblick auf die umfangreichen Regelungen im Sozialgerichtsgesetz zu Rechtsmitteln im sozialgerichtlichen Verfahren sind weder die Voraussetzungen gegeben, die auf der Grundlage von § 202 SGG eine entsprechende Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung ermöglichen würden, noch besteht eine Regelungslücke, die im Rahmen einer Analogie geschlossen werden könnte.
Der entgegenstehenden Meinung des 2. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 1. September 2011 (Az.: L 2 AS 560/11 B-PKH, nicht veröffentlicht) schließt sich der erkennende Senat aus diesen Gründen nicht an. Der Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren bezüglich der zum 11. August 2010 in Kraft getretenen Änderung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG überzeugt nicht. Denn der Gesetzgeber hat eine entsprechende Regelung für das Prozesskostenhilfeverfahren gerade nicht getroffen. So führt der 2. Senat in seiner Entscheidung selbst aus, dass der Bundesrat in den dortigen Gesetzgebungsverfahren eine Klarstellung auch für das Hauptsacheverfahren angeregt hat. Eine Umsetzung ist jedoch nicht erfolgt, obwohl der Beschwerdeausschluss für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgenommen wurde.
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Rechtsverfolgung gemäß § 73a SGG i. V. m. § 117 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hieran gemessen war dem Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin stattzugeben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren die Prüfung der Sach- und Rechtslage nur summarisch vorzunehmen hat und aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2002 – 1 BvR 81/00 – NJW 2000, 1936 ff.). Damit muss der Erfolg des Rechtsbegehrens nicht gewiss sein. Erfolgsaussichten sind nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – JURIS-Dokument, Rdnr. 8 m.w.N.).
In diesem Sinne besteht für die Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht. Die Klägerin wendet sich mit der Klage vom 16. Juli 2010 gegen den Erstattungsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010. Die Beklagte macht diesbezüglich geltend, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei, weil dieser Bescheid mit Bescheid vom 11. August 2010 zurückgenommen worden sei. Nach Aktenlage bestehen allerdings Bedenken, ob dem Bescheid vom 11. August 2010 dieser Regelungsgehalt mit der nach § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gebotenen inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit entnommen werden kann. Denn unter dem 11. Mai 2008 sind zwei Bescheide erlassen worden: ein Änderungsbescheid mit einer konkludenten Teilaufhebungsentscheidung (Blatt 303 der Verwaltungsakte) und ein Erstattungsbescheid (Blatt 289 der Verwaltungsakte). Der Erstattungsbescheid wurde erfolglos mit einem Widerspruch angegriffen und ist nunmehr Gegenstand des Klageverfahrens. Der Änderungsbescheid ist hingegen in Bestandskraft erwachsen. In Bezug auf diesen Bescheid haben die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22. Juni 2010 einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X gestellt. Dieser ist zunächst mit Bescheid vom 24. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2010 abgelehnt worden. Schließlich ist am 11. August 2010 ein Rücknahmebescheid ergangen, worin es heißt: "meinen Bescheid vom 11. Mai 2010 nehme ich zurück." Diese Entscheidung beruhe auf § 44 SGB X. Weder aus dem Bescheidtext noch dem im Bescheid angegebenen Aktenzeichen oder dem Verlauf des Verwaltungsverfahrens lässt sich erkennen, welcher der beiden Bescheide vom 11. Mai 2010 von der Rücknahmeentscheidung betroffen sein soll. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass beide Bescheide vom 11. Mai 2010 zurückgenommen werden sollten. Auf Grund der im Bescheid vom 11. August 2010 gewählten Singularform ("meinen Bescheid") lässt sich dies aber nicht zweifelsfrei feststellen.
Die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht auf die vom Sozialgericht behauptete Mutwilligkeit der Prozessführung gestützt werden. In der Sache hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf Grund einer Wertung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko abgelehnt und einen Anspruch in so genannten Bagatellstreitigkeiten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich abgelehnt, da es die Ansicht vertritt, dass ein vernünftiger Bemittelter in der Lage der Klägerin auf Grund des Kostenrisikos den Prozess nicht geführt hätte.
Diese Vorgehensweise missachtet jedoch die Bedeutung und Tragweite von Artikel 3 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10 – NJW 2011, 2039-2040, JURIS-Dokument und 1 BvR 2493/10 –NZS 2011, 775-776- JURIS-Dokument).
Eine Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO liegt in der Regel dann vor, wenn eine verständige Partei auch ohne Prozesskostenhilfe ihr Recht in gleicher Weise verfolgen würde (Reichhold in: Thomas Putzo, Zivilprozessordnung, 30. Auflage, Rdnr. 7 zu § 114). Dies ist vorliegend nicht völlig fernliegend, denn aus dem Rücknahmebescheid vom 11. August 2010 ergibt sich nicht, dass auch der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 aufgehoben wurde, zumal der Überprüfungsantrag des Bevollmächtigten der Klägerin vom 22. Juni 2010 sich auf einen Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom gleichen Tag bezog. Zutreffend führt daher die Klägerin aus, dass aus dem noch rechtskräftigen Erstattungsbescheid Vollstreckungsmaßnahmen drohen können.
Wenn nun das Sozialgericht eine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung an der Relation von Kostenrisiko (Anwaltskosten) und Wert des Streitgegenstandes festmachen will, geht dies fehl. Ob die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstehenden Kosten außer Verhältnis zu den möglichen aus einem Obsiegen im Verfahren resultierenden materiellen Vorteilen stehen, betrifft vielmehr die Frage der Erforderlichkeit der Beiordnung des Rechtsanwalts (§ 121 Abs. 2 ZPO). Einem Rechtssuchenden kann nämlich nicht etwa deshalb Mutwillen vorgeworfen werden, weil er einen Anspruch von geringem materiellem Wert geltend macht. Das sozialgerichtliche Verfahren kennt keine Bagatellgrenze, sie wäre auch mit dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar. Die vom Sozialgericht aufgeworfene Frage des Verhältnisses von Streitgegenstand und Kostenrisiko kann daher nicht zuletzt weil sie sich überhaupt erst mit der Beauftragung eines Rechtsanwaltes stellen kann, nur im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einer Beiordnung im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO bedeutsam sein.
Trotz des vergleichsweise geringen Wertes des Streitgegenstandes von lediglich 20,58 EUR erscheint vorliegend aber die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erforderlich.
Entscheidend ist, wie auch das Sozialgericht unter Beachtung der Grundzüge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 6. Mai 2009 – 1 BvR 439/08 – JURIS-Dokument, Rdnr. 17). Dabei ist jedoch nicht nur eine Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko anzustellen. Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist vorrangig, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10 – JURIS-Dokument, Rdnr. 17 m.w.N. zur ergangenen Rechtsprechung). Insbesondere ist bei sozialgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, dass den Klägern regelmäßig rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüber stehen (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011 a.a.O, Rdnr. 18). In einem solchen Fall wird auch ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn sich nicht aus den sonstigen Umständen ergibt, dass er über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um sein Begehen fachkundig durchsetzen zu können (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011 a.a.O.). Derartige Anhaltspunkte liegen jedoch nicht vor.
Die Klägerin ist auch bedürftig im Sinne von § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO. Dies ergibt sich insbesondere aus den abgegebenen Erklärungen sowie den beigefügten Nachweisen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (§ 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG, diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Höhl Dr.Wietek Atanassov
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